• Verlorene Seelen

    Wie immer gibt es die erste Szene des ersten Kapitels frisch und roh, sobald ich sie geschrieben habe. Sie kommt mit der Warnung, nicht weiterzulesen, wenn du die ersten drei Bände noch nicht gelesen hast!

    Fast hatte der Anblick etwas Erhebendes an sich: Wild züngelten die Flammen empor in den nachtschwarzen Himmel, immer heller loderten sie und warfen einen roten Schein auf uns, die wir hilflos zusahen, wie mein Häuschen mit allem darin, was ich mir über die Jahre erarbeitet hatte, in Rauch aufging. Die Männer der örtlichen Feuerwehr gaben ihr Bestes und bis vor einigen Minuten hatten Phips und ich ebenso wie unsere Nachbarn in Shepherd’s Bush Eimer um Eimer im nahen Brunnen gefüllt und weitergereicht in der vergeblichen Hoffnung, mein Heim zu retten. Doch das Feuer hatte leichtes Spiel gehabt: Meine alberne Vorliebe für das Heimelige hatte mich damals ein Haus wählen lassen, das im Inneren verschwenderisch mit Holz ausgestattet worden war – längst war das Dach eingestürzt und ebenso war die obere Etage gefolgt; laut krachend brach der Fußboden meines Schlafzimmers ein und für einen kurzen Augenblick schwebte mein Bett, scheinbar unbeschadet, in der Luft, bevor es hinabfiel in die hungrigen Flammen, die es gierig verschlangen, so wie sie sich auch alles andere einverleibt hatten.
    Phips zog mich weiter zurück, als ein brennender Scheit vor unsere Füße fiel. Ich starrte auf das glühende Holz und überlegte, wovon es wohl stammen mochte. War es ein Stück Bodendiele? Ein Bein meines Frisiertischs? Vielleicht gehörte es zum Ständer meiner Schneiderpuppe? Es war unmöglich zu sagen. Nur eines wusste ich sicher: Hier verbrannte, was mir gehört hatte. Mir ganz allein. Das hier war meine Burg gewesen, wenn ich mich so pathetisch ausdrücken möchte. Mein Geschäft, meine Wohnung, meine Zuflucht und mein Versteck.
    Oh und ich wusste noch etwas: Das hier war nicht geschehen, weil eine Kerze umgekippt war oder jemand unvorsichtig gewesen war mit seinem Nachtlicht, das hier war kein Unglück und kein Zufall. Jemand wollte mir schaden. Oder Vater. Dafür kam nur einer in Frage, nicht wahr?
    »War es Lloyd?«, fragte ich Phips.
    »Der Stiefelmacher?« Mein treuer Freund runzelte die Stirn. »Wär ihm zuzutrauen, aber dein Vater hat all seinen Vorschlägen zugestimmt, also will mir nicht einleuchten, weshalb er das hier hätte tun sollen.«
    Mir fiel dazu durchaus eine Antwort ein. Was Phips mir offenbar ansah, denn er wirbelte mich zu sich herum und fragte streng, was ich getan hätte, um unseren ärgsten Gegner und neuen Meister so zu verärgern.
    Ich machte mich von seinem Griff frei. »Was denkst denn du? Ich habe meine Arbeit getan.«
    »Damit meinst du nicht die Abendgarderobe für Lady Tralala und Mrs Düdeldü, oder?«
    »Sprich nicht despektierlich von meinen Kundinnen.«
    »Weich mir nicht aus.«
    »Dann sage du mir, was du in der letzten Woche unternommen hast. Du warst sehr oft unterwegs.«
    Phips, sicherlich unter Männern ein hartgesottener Bursche, zeigte mir gegenüber eine amüsierte Verlegenheit. »Das hast du mitbekommen? Wie das?«
    »Wie nicht? Du hast mich nicht kaum einmal zu meinen Terminen fahren können; immer habe ich Tante Carolines Kutscher ausborgen müssen.«
    »Du weißt schon, dass er –«
    »- einer von Vaters Männern ist. Seit wann hältst du mich für dumm?«
    »Habe ich nie getan.« Phips wies auf das, was von meinem Häuschen noch übrig war; der Brand war kleiner geworden, die Nachbarshäuser – zu allen Seiten etwa zehn Meter von meinem entfernt – schienen endlich in Sicherheit. »Wenn du glaubst, dass das der Stiefelmacher war, dann musst du was gemacht haben, was dumm ist.«
    »Dumm wäre es, sich diesem Monster kampflos zu ergeben. Mich wird er nicht dazu bekommen, für ihn zu arbeiten. Lieber gebe ich mein Geschäft auf, als dass ich mich zwingen lassen, meine Kundinnen zu bespitzeln und ihm auszuliefern.«
    »Das hier sieht mir ganz nach Geschäftsaufgabe aus, Alice.«
    »So schnell gebe ich nicht auf.«
    »Deine Ersparnisse –«
    »- habe ich niemals hier aufbewahrt. Wie ich sagte, ich bin nicht nicht dumm.« Ich schaute auf das erlöschende Feuer. Plötzlich gaben meine Knie nach, als mir klarwurde, wie viel größer mein Verlust hätte sein können. »Phips, wenn Elsie hier gewesen wäre …«
    »War sie nicht.«
    »Hätte er sie … Hätte er Rücksicht genommen?«
    »Was hast du getan, dass du das annehmen musst? Los jetzt, raus mit der Sprache!«
    »So redest du nicht mit mir, vergiss nicht, wie unser Verhältnis vor anderen zu sein hat.«
    »Wenn die Herrin einen Zusammenbruch erleidet, wird ihr Kutscher wohl handeln dürfen.«
    »Doch nicht seine Stimme erheben.«
    »Wollen wir jetzt streiten?«
    Mir fiel ein, dass es mit größter Wahrscheinlichkeit auch den Besitz meines Kameraden dahingerafft hatte. Er wohnte in dem winzigen Gartenhaus und hatte dort alles gelagert, was ihm lieb und teuer war – nebst einem Arsenal Waffen, die sicherlich Fragen nach sich ziehen würden, wenn am Morgen der Brandort von Feuerwehr und Polizei untersucht werden würde. »Wir müssen irgendwie in dein Zimmer und den Keller gelangen, bevor –«
    »Kein Sorge, ich kümmere mich, sobald alle fort sind.«
    »Und jetzt werden wir –«
    »- dich zu deiner Tante Caroline bringen. Wo du bleiben wirst, bis ich weiß, was dein …« Er brach ab.
    Mir war klar, was er hatte sagen wollen: dass ich mich nicht vom Russell Square fortrühren solle, bis er von Vater gesagt bekäme, wie es weitergehen würde. Bitter lachte ich auf. »Zu schade nur, dass mein werter Herr Papa noch in Brighton weilt. Du wirst mich nicht tagelang davon abhalten, zu tun, was immer ich möchte.«
    Phips seufzte. »Was möchtest du tun?«
    »Es erstaunt mich selbst, aber wahrhaftig möchte ich zu Tante Caroline, Elsie umarmen und ihr sagen, wie froh ich bin, dass meine Tante einen Narren an ihr gefressen hat, und dann zu Bett gehen.«
    »Und dann?«
    »So viel Misstrauen habe ich nicht verdient.«
    Er schnaubte. »Oh doch und noch viel mehr. Sag mir also: Was hast du getan, um jetzt schon einen Denkzettel vom Stiefelmacher zu erhalten?«
    »Nichts weiter. Ich möchte nur wissen, wer er ist.« Ich nickte zur glimmenden Ruine meines Heims hin. »Und nun muss ich es sogar herausbekommen. Dafür wird er zahlen.«
    »Und du meinst nicht, es wäre wieder einmal an der Zeit, dich um deine Kundschaft zu kümmern?«
    »Ah. Wie garstig von dir, mich daran zu erinnern. Leider hast du recht, ich muss mich blicken lassen, ich kann nicht nur Elsie vorschicken. Allerdings …«
    »Was?«
    »Nichts weiter. Schau mich an, bester Freund, und lies es mir von den Augen ab: Ich werde brav sein.«
    »Natürlich wirst du das.«
    »Du glaubst mir nicht.«
    »Ich kenne dich.«
    Mir lag eine Antwort auf der Zunge, doch da trat der Brandmeister auf mich zu. Erschöpft war der gute Mann, die Wangen rußverschmiert, seine Miene drückte Mitleid aus. Er wohnte nicht weit entfernt; seine Gattin half oftmals bei dem Gasthof aus, von dem Elsie und ich unser tägliches Mittagsmahl kommen ließ. Mit dem Trinkgeld war ic stets großzügig und einige Male hatte ich seiner Frau Spitzenreste und Garn geschenkt, um ihre Kleider aufzuputzen. Entsprechend behutsam brachte er mir bei, was doch offensichtlich war: Mein Haus sei bis auf die Grundmauern zerstört und nichts weiter als eine Album mit fotografischen Aufnahmen habe gerettet werden können.
    »Ein Album?« Ich lachte auf. »Wie soll ausgerechnet ein solcher Gegenstand dieses Feuer überstanden haben?«
    »Das kann ich nicht sagen, Madam. Es lag im Garten.« Er reichte mir den mit Samt überzogenen Band.
    Nachlässig blätterte ich die Seiten auf; mir war dieses Album fremd. Doch die Fotografien darin kannte ich. Ich schluckte, schloss es hastig wieder und dankte dem Brandmeister herzlich, versprach ihm auch einen gerechten Lohn für sich und seine Männer.
    Er lehnte ab, tat es sehr entschieden. Zu viel Verlust hätte ich erlitten und zu wenig hätten sie mir helfen können. Ich dankte ihm mit noch mehr Gefühl und nahm mir vor, ihn nun erst recht großzügig zu entlohnen; ganz gleich, wie wenig er hatte ausrichten können, so hatte er doch sein Leben riskiert, um mein Hab und Gut zu schützen.

  • Ich bin, was ich schreibe

    In den letzten Tagen/Wochen bin ich an verschiedenen Orten immer mal wieder über Diskussionen zu ‚Künstlerin und Werk, Trennung ja oder nein, wo die Grenze ziehen‘ und all diese Themen gestolpert.

    Ich glaube, ich sagte es schon einmal: Für mich ist das als Zuschauerin, Leserin, Hörerin ein fließender Prozess. Harry Potter beispielsweise habe ich wie die meisten, die die Bücher zur selben Zeit lasen wie ich, als eine Geschichte gegen Nationalismus und Rassismus gelesen – und dabei nicht eben selten den Eindruck gehabt, dass die Autorin darin nicht konsequent ist und zu oft Klischees bemüht, die auf gefährlichen Vorurteilen beruhen. Ich fand es schwierig, aber hatte dennoch Vergnügen an der Geschichte an sich.

    Aber darum geht es mir gerade nicht. Sondern noch einmal darum, mich nicht von dem zu trennen, was ich schreibe.

    Warum?
    Weil ich vor einiger Zeit eine Mail bekam von einer Leserin, die von Emma schwärmte, wie warmherzig das sei, wie toll alles dargestellt sei, so echt und liebenswert. Das freute mich sehr. Und bitte, wo meine Figuren stehen, ist ziemlich eindeutig. Auf welcher Seite ich stehe, dürfte ebenfalls beim Lesen klarwerden.
    Eine gute Weile später erhielt ich von derselben Dame Post. Sie hatte meinen Saint Caspillian-Krimi gelesen und fand ihn ganz grässlich. Sie schämte sich nicht, mir zu sagen, woran das liegt: Warum muss Mariella eine Südeuropäerin sein? Und schlimmer noch: Weshalb musste ihr Loveinterest ein PoC sein (sie schrieb das anders …)?

    Ich habe diese Mail nicht beantwortet, doch seit einigen Wochen habe ich sie wieder im Sinn. Weil ich nicht begreifen kann und will, wie jemand von Kommissar Wertheim – einem jüdischen Mann der Weimarer Republik – und Emma schwärmen kann, um sich dann an Äußerlichkeiten zu stören? Hat sie meine Romane so falsch verstanden? Ist das möglich, dass jemand etwas emanzipatorisches, antifaschistisches liest und meint: Geile Zeit, hätte ich gerne wieder?

    Was ich sagen will: Wer meine Romane mag, darf sich bitte auch sagen, dass das an meiner grundsätzlichen Einstellung liegen mag. Ein grüne, halb-vegane, ganz-vegetarische Frau von 57 Jahren, die nicht auf Kosten anderer existieren möchte.

  • Mrs Beresford auf heißer Spur

    Die allergrauenvollste Aufgabe in meinem Autorinnenalltag ist das Erstellen eines Klappentexts. Es ist die Hölle. Erst recht als Pantserin – wenn ich das Buch zur Vorbestellung rausgebe, dann weiß ich nur ungefähr, was geschehen wird. Weshalb ich nach dem ersten Kapitel, dem dritten und in der Hälfte alles wieder ändere …

    Und wenn einer dann gut klingt, dann bekomme ich immer Angst, ob ich erfüllen kann, was ich da verspreche.

    Hölle. Absolute Hölle

  • Frauenrechte

    Louise Michel – schon mal von ihr gehört?

    Ich nehme an, diese Frau ist nur etwas für absolute Geschichtsprofis, weshalb ich mich nicht schäme, zuzugeben, bis Montagvormittag noch nie von ihr gehört zu haben.

    Dann aber war meine liebste Freundin Sarah zu Besuch, die zum einen als französische Landsfrau jener Louise, zum anderen aber als Profi auf diesem Gebiet einiges über sie zu sagen hatte. Wir sprachen lange über die Lage Deutschlands, Frankreichs und der Welt und dabei fiel dieser Name.

    Sie war, sehr grob, sehr kurz gesagt, Mitglieder der Pariser Kommune, engagierte sich sehr intensiv feministisch, wurde außer Landes verwiesen (weil man einer Frau in jenen Jahren doch nicht gerne den Kopf abgeschlagen hätte – sehr chevaleresk fürwahr), und holte sie eilends wieder zurück, als sie in ihrem neukaledonischen Exil anfing, Kinder zu unterrichten. Französische UND einheimische. Ging gar nicht. Sie trat den Freimaurern bei, organisierte feministische Kongresse und ließ sich den Mund nicht verbieten. Sie dürfte für unsere Freiheit kaum weniger getan und erreicht haben als Emmeline Pankhurst.

  • Mrs Beresford auf heißer Spur

    Wer meine Emma-Reihe kennt, kennt natürlich auch die unvergleichliche, die einmalige, die ewig junge, ewig schöne, ewig scharfzüngige Sybil.

    Emmas Tante, zwei Mal unglücklich verheiratet, zwei Mal verwitwet (OHNE eigenes Zutun, wohlgemerkt!), jetzt seit einigen Jahren schon Fürstin Gregorin und aufrichtig glücklich in dieser dritten Ehe, ist nun Besitzerin eines Nachtclubs in London.

    Doch das hält sie nicht davon ab, ihre Nichte mit Aufgaben ebenso einzudecken wie mit Lebensweisheiten wie dieser hier.

  • Mrs Beresford auf heißer Spur

    Ich sitze übrigens brav an Emmas neuen Fall und versuche herauszufinden, was die von mir gelegten Spuren zu bedeuten haben. Das sind die Freuden einer hundertprozentigen Pantserin – ich muss ermitteln. In echt und live. So liebe ich das!