Ich liebe mein Fräulein Schumacher sehr, keine Frage, und ich schreibe ihre Serie gerne; das Bonn der Zwanziger und Dreißiger Jahre ist der perfekte Hintergrund für diese Romane, in denen nicht unbedingt der Kriminalfall im Mittelpunkt steht. Aber mit Emma musste ich die Zwanzigerjahre nun hinter mir lassen. Was doch irgendwie schade ist.
Auch schade fand ich immer, dass diese Zeit innerhalb einer deutschen Erzählung nicht halb so lustig und ausgelassen sein kann, wie wir es beispielsweise von britischen Romanen kennen, in denen immerzu muntere Flapper Champagner trinken und Tüdelü sagen. Gut, ehrlich gesagt, würde mir eine zu oberflächliche Darstellung der echten Zwanzigerjahre auch gar nicht liegen, ich bin in mancher Hinsicht viel zu ernsthaft, um eine solche Serie zu schreiben, die so gar keinen Bezug zur Wirklichkeit hat.
Doch was wäre, wenn es gar nicht die echten Zwanziger wären?
Oder vielmehr: Wenn sie nicht in einem echten Land spielen, sondern an einem Ort, der nicht viel mitbekommen hat vom Großen Krieg, von Inflation, Not und Hunger?
Einem Staat, dessen Bevölkerung nicht unter dem Trauma dieser Kämpfe und all den nachfolgenden Umwälzungen leidet?
Damit war die Idee zu Saint Caspillian geboren, die landschaftlich und klimatisch eine Mischung aus Malta, Mallorca und Madeira ist. Hier regieren seit Jahrhunderten die Frauen, womit der Großteil der Männer mehr als zufrieden ist – es herrscht immerhin Gleichheit zwischen den Geschlechtern ebenso wie zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe. Man lebt autark und bescheiden auf Saint Caspillian und weder bittere Armut noch allzu großer Reichtumg findet man hier.
Saint Caspillian ist also in einem Wort eine wunderbare Fantasie, in der Mariella Petrarca ihre Fälle löst. Denn das ist ja klar: So perfekt kann keine Welt sein, dass eine gewiefte Ermittlerin nicht doch noch den einen oder anderen Mord zu lösen hätte.
Es versteht sich vermutlich von selbst, aber ich sage es doch: Für mich ist Saint Caspillian eine weitere und ziemlich perfekte Möglichkeit, mich aus einer Welt zurückzuziehen, mit der ich zunehmend weniger anfangen kann. Es ist mir unbegreiflich und unerträglich, wie im Jahr 2022 Nazis wieder an die Macht gewählt werden können, Autokraten andere Staaten überfallen, Frauen immer weiter in den grundlegendsten Menschenrechten eingeschränkt werden und religiöse Eiferer überall Hass verbreiten.
Es will mir auch nicht in den Sinn, wie wir nicht bereit sind, uns in irgendeiner Form einzuschränken (und was bereits als Einschränkung empfunden wird). Ich nehme mich da nicht aus; meine Sünde ist mit Sicherheit der zu hohe Stromverbrauch, wenn ich täglich von morgens acht bis abends elf am Laptop und auf meiner Heizdecke hocke. Um Welten zu erfinden, in denen ich zumindest gerne leben würde.
Und sollte Saint Caspillian einmal entdeckt werden, dann habe ich schon eine nicht eben kleine Gruppe beisammen, die sofort mit mir dort hinziehen würden …