Wie offen und ehrlich darf ich eigentlich aus meinem Autorinnenleben berichten, ohne es mir noch schwerer zu machen, als es gelegentlich ist? Ich habe keine Ahnung, deshalb tue ich, was ich immer tue: Ich schreibe einfach drauf los und schaue, wohin es mich führt und wo es endet.
Um was geht es mir heute?
Um Luise, mein aktuelles Projekt. Ein Projekt, das ich sehr liebe und mit dem ich sehr gut vorankommen; das Schreiben bereitet mir unglaublich viel Freude, ich mag die Figuren und ich mag es auch, mich stärker als sonst an historischen Ereignissen entlangzuhangeln. Das 18. Jahrhundert – ich hatte es schon erwähnt – hat mich schon als Jugendliche enorm fasziniert und mich nun darin zu bewegen, in seinen letzten Jahren, fühlt sich gut an. Obwohl ich mich nicht an tragischen und dramatischen Fakten werde vorbeimogeln können. Versuche mal, per Google irgendetwas aus dem Jahr 1789 herauszufinden, was nicht mit der Französischen Revolution zu tun hat. Da heißt es scrollen, scrollen, scrollen, bis man den gesuchten Mondkalender oder eine Wetteraufzeichnung oder eine Modezeitschrift gefunden hat zwischen all den Einträgen zu den Generalständen, dem Sturm auf die Bastille oder dem Marsch nach Versailles. Und es ist ja auch diese Revolution, die mich als Jugendliche dazu gebracht hat, mich mit dieser Zeit zu befassen und wissen zu wollen, was mit dem ancien régime auf sich hatte. Ich las mich rückwärts durch, bis ich im Jahrhundert davor beim Sonnenkönig angelangt war, und arbeitete mich noch einige Male vor und zurück, wurde dabei zum Pompadour-Fangirl und begeisterter Leserin französischer Romane dieser Zeit.
Und nun schreibe ich darüber. Keine Biografie, sondern eine Liebesgeschichte oder vielmehr die Geschichte eines Paares, das aus scheinbar guten Tagen heraus in einer Welt aufwacht, die beängstigend und fremd ist. Und zugleich weit weg scheint, denn die Geschichte spielt in Bonn. Die Auswirkungen der Revolution im Nachbarland sind auch in der Stadt am Rhein; danach wird das Leben ein anderes sein.
Es fällt mir schwer – ähnlich wie bei Emma Schumacher und ihrer Zeit – nicht Ähnlichkeiten und Vergleich zu unserer Gegenwart zu ziehen. Wir schwanken ja auch zwischen dem (trügerischen) Eindruck, die Ukraine, der Iran, der Sudan wären weit fort und hätten nichts mit uns zu tun, und einer unterschwellig immer vorhandenen Angst vor dem, was kommen mag.
Ja, und jetzt frage ich mich, ob es eben diese Ähnlichkeit ist oder der Horror der Französischen Revolution und des terreurs oder schlicht eine Modefrage, die dafür sorgen, dass nur ich und eine winzig, winzig kleine Gruppe meiner Leserinnen Interesse an meinem aktuellen und sehr, sehr geliebten Projekt haben. Die Vorbestellungszahlen sagen klar: Wollen wir nicht. Lass es bleiben. Das ist nix. Iiih. Bäh. Gähn. Brr.
Und da bin ich nach langer Vorrede an dem, was mich seit Tagen beschäftigt. Seit Wochen eigentlich. Oder, wenn wir es ganz genau nehmen wollen, dann beschäftigt es mich seitdem ich gemerkt habe, dass das Schreiben so weit überhand genommen hat, dass es zum Beruf wurde. Ein Beruf, den man sich bei klarem Verstand und dem Wunsch nach finanzieller Sicherheit gewiss nicht auswählt (ich denke, das durchschnittliche Gehalt einer Autorin liegt nach wie vor bei 50 /Monat, wobei das wenig aussagekräftig ist). Ganz klar ist aber doch, so zeitfressend dieser Beruf ist, davon leben können nur wenige und die, die es können, richten ihr Schreiben häufig und notgedrungen nachdem aus, was gerade gesucht wird.
Was gesucht wird, entscheiden übrigens nicht unbedingt die Leserinnen, sondern die Buchhandlungen, die anhand ihrer Verkäufe die gewagte Prognose stellen, was die Leserin möchte. Deshalb kommt es immer wieder zu den Häufungen eines Genres, bis der Ruf erschallt, man könne den Kram nun wirklich nicht mehr sehen. Die Verlage und vorher die Agenturen versuchen nun ebenfalls, diesen Trend vorherzusehen; da bleibt für Experimente nicht allzu viel Platz. Das ist für mich als Indieautorin etwas anders, doch das heißt nicht, dass es nicht auch für mich Trends gibt. Und dieser Trend ist gegen Luise, so will es scheinen.
Was mich, das gestehe ich, sehr traurig macht. Und nervös. Denn ich habe schon einiges investiert in diese Trilogie, die ursprünglich nur eine zweibändige Geschichte hätte werden sollen – jetzt gerade bin ich mir nicht einmal sicher, wie ich mit drei Büchern auskommen soll, weil diese Zeit mit ihren besonderen Menschen Platz braucht. Wäre ich völlig frei in meiner Entscheidung, müsste ich also nicht dazu beitragen, dass dieser Haushalt mit seinen vier Tieren, zwei Söhnen und dem Gatten und mir überlebt, dann würde ich mir dieses Jahr nehmen und ganz entspannt nur über Luise schreiben.
Aber das ist nicht nur eine finanzielle Frage. Das ist sie sogar am wenigsten. Es ist auch eine Frage der …
Tja, ich weiß nicht, wie ich es nennen solle. Liebe liegt mir auf der Zunge, was doch sehr pathetisch klingt. Doch vielleicht verstehen mich da die Kolleginnen: Man ist meist doch recht allein mit dieser Arbeit, man taucht ab in eine Welt, findet sich in ihr zurecht, ringt manches Mal um das passende Wort, den weiteren Fortgang, kämpft sogar mal mit den Tränen – man ist sich selbst Motivatorin und Kritikerin und weiß dabei nie genau, ob man auf dem richtigen Weg ist. Werden die Lesefreundinnen die Geschichte mögen, werden sie die Hauptfigur lieben, werden sie sich freuen, dass ich zuletzt die Nächte durchgemacht habe, um alles zum Ende zu bringen – weiß irgendwer zu schätzen, was ich hier tue? Erhalte ich ein klein wenig von der Anerkennung und der freundschaftlichen Liebe, die meinem Tun einen Sinn gibt?
Oder ist es das Gegenteil: Sagt man mir, das ist Mist? Und da rede ich jetzt nicht von denen, die sich beschweren, weil die Figur so oder so ist oder irgendwer irgendwann irgendwas getan hat, was diese Leserin so nicht wollte. Da bin ich längst an dem Punkt, an dem ich mir denke: Wenn es nicht gefällt, dann hilft nur Selberschreiben, hopp hopp. Als Dienstleisterin war ich mein halben Leben lang unterwegs, das bin ich nicht mehr. Ich will unterhalten und Freude bringen, mag Kontakt pflegen mit jenen, die mich gerne lesen, ich höre auch gerne auf das, was gewünscht ist. Aber maßgeschneidert für jede schreiben, kann ich nicht und will ich nicht. So wenig, wie ich nur für mich schreibe und niemanden sonst brauche. Nein, ich möchte meine Lesefreundinnen glücklich machen und mir bei manchen Szenen weiterhin vorstellen dürfen, wie A nun lacht und B sich wiedererkennt und C sich denkt, das wäre mal wieder typisch. Ich bin froh darum, einige Leserinnen so gut schon zu kennen, dass sie wahrhaftig neben mir sitzen, wenn ich arbeite.
Doch nun stehe ich da mit meiner sehr geliebten, zauberhaften Luise, die übrigens eine Ur-Ur-Urahnin dessen Mannes sein wird, in den sich meine Lily DuPlessis, auch sie eine Schauspielerin, einhundertdreißig Jahre später verliebt. Diese kleinen Vernetzungen zwischen all meinen Serien liebe ich ja sehr, das nur am Rande. Ja, hier stehe ich und muss ihr sagen: Dich will niemand. Du bist falsch, uninteressant oder furchteinflößend. Vielleicht trägst du das falsche Kleid, vielleicht beschreibe ich dich falsch, vielleicht bist es wirklich du, die nicht stimmt. Das ist kein gutes Gefühl. Es ist sogar ein sehr mieses Gefühl, das immer weiter unter meiner Haut entlang sich ausbreitet und droht, mir die Lust an dieser Geschichte zu nehmen. Noch halte ich dagegen, wirklich macht Luise mir viel, viel, viel zu viel Freude. Sie kabbelt sich mit Philippe, wie sich all meine Heldinnen mit den Männern ihres Lebens kabbeln. Sie hat wunderbare Freundinnen, treue Freunde, eine großartige Familie. Ihr Leben ist sonnig. Sie wird klar kommen. Ich aber rappele mich jeden Tag auf, atme tief durch und sage mir, dass es auch reicht, wenn nur zehn Leserinnen sich freuen, mich Luise durch eine der aufregendsten und spannendsten Zeit Europas zu gehen.
Und weil ich das Gefühl, eine Loserin zu sein, so halb öffentlich geteilt habe, geht es mir auch gleich besser. Nichts fühlt sich für mich nämlich schlimmer an als die Sorge, ich könnte durch Verschweigen einer subjektiven Wahrheit den Eindruck erwecken, es wäre mein Autorinnenleben happy go lucky. Das ist es nicht. Es ist harte Arbeit und es ist unglaubliches Glück und ganz viel Bangen, Zittern und Heulen. Echtes Leben halt.