Wie ist es, mit Emma, ihrer Familie und Freunden aus den Goldenen Zwanzigern hineinzugehen in die Dreißiger? Die Dreißiger, die schnell grauer und kälter wurden, bis endlich die Nazis ihr Ziel erreicht hatten und aus der doch eher bunten und hoffnungsfrohen Weimarer Republik (mit all ihren vielen, vielen Fehlern und Schwächen) das Dritte Reich erschufen, das für viele Bürger zur tödlichen Gefahr wurde.
Da ist mein lieber Simon Wertheim, Kriminalkommissar und Bönnscher Jung mit einer Vorliebe für Gerechtigkeit und Rosinenschnecken, der stets menschlich integer handelt, wenn auch nicht immer nach den Buchstaben des Gesetzes. Wieso muss ich ihn in diesen Horror stürzen?
Nun, gerade seinetwegen habe ich schon früh in der Serie entschieden, nicht auf ewig in den Zwanzigern zu bleiben, obwohl doch einige Serien (vor allem im englischsprachigen Raum) sehr erfolgreich genau das tun. Ewig fließt der Champagner, die Kapelle hört nie auf, den Charleston zu spielen, immerzu sausen mutige Frauen mit Bob und Perlenkette im schicken Zweisitzer über die Landstraßen und ewig dürfen wir uns wohlfühlen.
Oder eben nicht. Denn wir wissen ja doch, was kommt, und irgendwie wird man beim Lesen immer im Hinterkopf die Sorge haben, was wohl mit dem lieben Wertheim geschehen wird. Oder ob Siegfried am Ende zur SS geht. Oder wie Sybil ihre Tanzschule erhalten will. Oder ob Emma der Ideologie anheimfällt und nichts anderes mehr tun wird, als Kinder zu bekommen. Vor allem möchte man doch aber wissen, ob sie die moralische Prüfung dieser Zeit bestehen und überleben. Anständig, ohne schuldig zu werden. Oder wie sie mit dieser Schuld umgehen werden.
Alle Fragen will und kann ich nicht beantworten, schon gar nicht in diesem Beitrag. Was ich verraten kann: Ich habe bis ins Jahr 1936 geplant; darüber hinaus ist es mir unmöglich, Emma weiterhin in ihrem geliebten Bonn ermitteln zu lassen. Weil es nicht mehr ihr geliebtes Bonn sein wird. Aus verschiedenen Gründen. Ob es darüber hinaus weitergeht, weiß ich nicht. Dauert ja auch noch.
Um was es mir jetzt geht, ist die Frage, wie ich überhaupt mit den Dreißigern umgehen kann und werde und wie es für dich als Leserin sein mag. Wie lustig und locker darf ein Roman überhaupt sein, wenn er in Zeiten der Wirtschaftskrise und dem schleichenden Ende der Demokratie spielt? Ist da nicht jedes Lachen fehl am Platz? Gerate ich am Ende in die Falle, eine unmenschliche Diktatur mit ihren tödlichen Gesetzen zum gewaltherrlichen Hintergrundrauschen zu machen? Es gibt solche Geschichten, in denen das Leid der Verfolgten zu nichts anderem dient, als den Hauptpersonen – die nicht verfolgt sind und bestenfalls darüber jammern, dass es so gar nicht hübsch ist, wenn die SA durch die Stadt marschiert – Gelegenheit zu bieten, sich als bessere Menschen zu beweisen. Was ihnen dann das Recht geben soll, über den verlorenen Krieg und den toten Neffen zu weinen, weil sie das ja alles gar nicht gewollt hätten.
Ganz ehrlich, natürlich habe ich Angst davor, meine Serie in diese Zeiten hinein weiterzuschreiben. Ich fürchte mich sehr davor, da etwas falsch zu machen. Einen blöden Eindruck zu erwecken. Dem Pathos zu erliegen. Meine Figuren unglaubwürdig handeln zu lassen. Aber was muss, das muss – und das muss.
Aber dann leben wir auch in schlechten Zeiten, wenn es uns auch noch recht gut geht. Irgendwie. Man kann ja vieles ausblenden, es schönreden, wegschieben, nicht glauben: Ob es der Krieg in der Ukraine ist, der doch eigentlich nichts mit uns zu tun hat. Oder die Frauen im Iran, die sich wegen eines kleinen Stückchen Stoff aufregen. Das Klima, das doch nichts weiter als nur Wetter ist. Der massive Rechtsruck überall in der Welt, der doch halt nur Ausdruck gelebter Demokratie ist. Die gleichzeitige Einschränkung von Frauenrechten, die …
Nun ja, da fällt mir gar nichts mehr ein, womit ich das zudecken und wegschieben könnte. All diese Dinge sind sehr real und sehr gefährlich und spätere Generationen – so es sie noch geben wird – schauen vielleicht auf diese 2020er und sagen, da hat man es gleich gesehen, was kommt. Und vielleicht würden sie nicht glauben, wenn wir sagen, dass wir es nicht gewusst haben. Weil wir es nicht hätten ertragen können, es sicher zu wissen. Weil wir uns das von Tag zu Tag leben angewöhnt haben, ohne es zu merken. Weil wir jedes kleine schöne Ereignis als Zeichen dafür nehmen wollten, es wird alles wieder gut.
Und dann gucken wir auf die 1930er und denken: Ja, da hat man es schon sehen können, da war doch schon klar, was kommen würde. Deshalb schrecken wir auch schon zurück, wenn eine Geschichte 1930 spielt – das ist ja so nah dran, das ist ja fast schon Drittes Reich, das kann ja nur schrecklich werden.
Aber nein. Es ist ein schlimmes Jahr gewesen, in dem wohl einige Weichen gestellt wurden. Aber es ist auch das Jahr, in dem ‚Die Drei von der Tankstelle‘ gedreht wurde – ein Film, in dem man sich über die Wirtschaftskrise und ihre Folgen für drei Lebemänner lustig machte. Bestimmt war auch dieser Film für viele ein Zeichen, dass alles gut werden würde.
Emma und James geht es in diesen Zeiten bis zur Wahl 1933 wie vielen: Sie krebsen herum, wenn es ihnen dank der reichen Verwandten und dem eigenen Haus auch besser geht als vielen anderen. Sie schuften und sparen und teilen den Haushalt mit den lieben Voellers. Aber sie suchen auch nach dem kleinen Schönen, das sie zum Lachen bringt und sie davon überzeugt, die Welt ist großartig. Irgendwann werden sie aufwachen müssen, irgendwann werden sie sich entscheiden müssen. Sie werden es hinauszögern, bis es nicht mehr geht. Wie Wertheim übrigens, der seine Heimat nicht verlassen will. Und das ist kein Spoilern, sondern ein Versprechen, wenn ich sage: Simon Wertheim wird 1950 in Bonn auf dem Markplatz stehen und an seine Zeit bei der Kriminalpolizei zurückdenken.