Als ich irgendwann im Frühjahr 2007 das erste Mal darüber nachdachte, einen Kriminalroman zu schreiben, der im Bonn der 1920er spielen sollte, hatte ich nicht die geringste Ahnung, dass
- ich das wirklich nicht nur ein Mal, sondern nun schon zum fünfzehnten Mal tun würde,
- meine Heldin zu Beginn sich als schüchtern erweisen sollte und
- ich immer wieder feststellen muss, wie viele reale Ereignisse der Geschichte zu dem passen, was zum Zeitpunkt des Schreibens vor sich geht.
Ja und nun habe ich langsam das Gefühl, dass ich diese Serie vielleicht gar nie wirklich werde beenden können oder nicht so, wie ich es mir dachte. Jetzt, im aktuellen Projekt Emma Nr. 15, ist es Oktober 1930 und in wenigen Tagen werden NSDAP, KPD und DNVP im Parlament Misstrauensanträge gegen Reichskanzler Brüning. Der gehörte der Partei Zentrum an und hatte, nachdem die Nazis bei der Wahl im September enorm an Stimmen hinzugewonnen hatte, Anfang Oktober erste Gespräche mit der NSDAP geführt – zwecks Regierungsbeteiligung. Was die nicht daran hinderte, gegen Brüning zu intrigieren. Es ist lachhaft, vor allem aber tragisch, dass Brüning nur deshalb im Amt bleiben konnte, weil die SPD diesen Anträgen nicht zugestimmt hat – ausgerechnet den Linken musste er dafür danken, obwohl er ganz klar weiter nach rechts rücken wollte.
Vor einigen Jahren noch habe ich fest geglaubt, wir hätten es kapiert. Dass man keine Nazis wählt. Dass man nicht mit ihnen paktiert. Dass man nicht annehmen sollte, man könne sie unter Kontrolle haben, weil man mit ihnen koaliert.
Eine Glaube, der mir in den letzten Jahren schon vergangen ist. Und nun haben wir Hessen erlebt und Bayern – es werden Antidemokraten demokratisch gewählt, die faschistisches Gedankengut erneut zur alltäglichen und gelebten Realität machen wollen. Wem das keine Angst macht, macht mir Angst. Das gebe ich gerne zu. Wie sollte ich auch keine Angst vor Menschen haben, die gegen ihre eigenen Interessen wählen, nur weil sie wollen, es soll anderen schlecht gehen? Oder welchen Grund sonst kann es geben?
ABER das Ganze hat doch auch etwas halbwegs Gutes: Wir können unsere Vorfahren vielleicht etwas besser verstehen. Wie viel Furcht viele von ihnen gehabt haben müssen, weil sie nicht in einem Land leben wollen, dass Menschen willkürlich in wertvoll und entbehrlich einteilen. Wie sehr manche versucht haben, zu warnen, und irgendwann resigniert aufgegeben haben. Wie diejenigen, die am stärksten bedroht waren, die Hoffnung nicht aufgeben wollten, es würde nicht so schlimm werden – weil man doch hier daheim war und Freunde hatte. Wie viele sich ins eigene Heim oder ins innere Ich zurückgezogen haben, um nur nicht aufzufallen. Wie sie versucht haben, noch schnell so viel Glück herauszuschinden, wie es nur ging, bevor das, was man fürchtete, wahrhaftig eintraf.
Von denen, die gar nicht genug jubeln konnten im Herbst 1930 und ungeduldig auf den Umsturz warteten, möchte ich nicht zu viel sprechen. Nicht hier und auch nicht in den Fräulein-Schumacher-Krimis. Ja, natürlich finden sie statt, ich werde sie zeigen und vielleicht versuchen, die Motivation des einen oder anderen zu begreifen und sie nicht zu eindimensionalen Böswichtern zu machen. Ebenso wenig will ich das Märchen spinnen, die meisten Deutschen hätten nichts gewusst oder wären entsetzt gewesen. Blind und taub war man schon mit Absicht, damals wie heute, aber Furcht ist leider ein stärkerer Trieb als Nächstenliebe.
Aber jetzt, heute, hier, schaue ich mich um und erkenne, es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass wir erneut in eine sehr dunkle Zeit gehen. Eine, die wir dumm und willig herbeiführen. Und da liegt der Vorteil des Romans: Ich habe es in der Hand, meine Figuren zur Einsicht zu bringen, sie zu retten und sie anderen helfen zu lassen. Und ich kann nun viel zu gut nachvollziehen, wie sich Emma und James und mein geliebter Wertheim gefühlt haben, wenn sie die Zeitung aufschlugen oder den Nachrichten im Radio lauschten.
Sehe ich zu pessimistisch in die Zukunft? Ich hoffe es sehr. Für mich selbst wäre es mir gar nicht so wichtig, aber für meine Söhne …
Sorry, dass ich wieder einmal nichts Positiv-Lustiges beizutragen habe. Doch zwischen Klimakatastrophen, Kriegen und den letzten Wahlen blieb mir heute nichts, als meine Gefühle aufzuschreiben. Für Emma hingegen lasse ich diese Sorgen noch in den Hintergrund treten – ich meine: James ist verhaftet worden. Was bedeuten ihr da irgendwelche Politiker im fernen Berlin?