Wer auf Facebook Autorinnen (beiderlei Geschlechts und jeglicher Herkunft) folgt, hat in den letzten Wochen und Monaten sicherlich oft gelesen, wie wichtig Rezensionen seien, welch ein Schindluder damit getrieben werde und wie gemeine Hater ihr armseliges Leben durch üble Verleumdung aufwerten würden.
Diese Beiträge klangen mal wütend, mal jammernd, oftmals bittend und flehend und gelegentlich witzig. Da gibt es manche, die behaupten, sich nicht im Geringsten um Bewertungen zu scheren (Leserinnen wie Autorinnen), und andere, die sich nicht scheuten, die garstige Rezensentin an den Pranger zu stellen, weil sie echt wirklich absolut voll gar keine Ahnung habe und schlicht zu doof sei, um das verrissene Werk zu verstehen. Gerne handelt es sich dabei um Romane wie ‚Besorg’s mir, Darling!‘, ‚Kaffee, Kuchen und ganz viel Liebe‘, ‚Der harte Kerl mit dem weichen Keks‘ oder ähnliche Anwärter auf den Literaturnobelpreis, wobei ich nun keineswegs meine, es müsste alles mit Hinblick auf diese Ehrung geschrieben werden (Himmel nein!).
Aber selbst berechtigte Kritik wird übel aufgenommen und bringt der Rezensentin wenigstens einen Schadenfluch und die Streichung sämtlicher Karmapunkte ein.
Und ratet einmal: Ich kann das durchaus verstehen.
Des Morgens zu erwachen und eine miese Rezension vorzufinden, das verschönt den Tag eben mal so überhaupt nicht. Gerade in diesen Zeiten wünscht sich die zarte Künsterlinnenseele eben auch einmal Zuspruch und Streicheleinheiten, am liebsten solche, die ein klein wenig öffentlich erfolgen, damit mehr Leserinnen einen finden mögen, die von ähnlicher Natur sind wie eben jenes engelsgleiche Wesen, das einem schrieb, es liebe jedes Wort, das man von sich gebe.
Oder um einmal persönlicher zu werden und von meinem Erleben zu berichten: Ich habe durch meine Romane genau die Frauen (und eine kleine Handvoll äußerst wunderbarer Herren) kennengelernt, die ich mir während des Schreibens vage vorgestellt hatte. Frauen (und Herren) nämlich, die ich auch sonst durch andere Tätigkeiten traf, Frauen, die klug, witzig, warmherzig und charmant sind. Frauen, die als Leserin nicht allzu viel anfangen können mit immer noch detailreicheren Schilderungen menschlicher Qual. Frauen, die es gerne etwas ruhiger mögen, weil ihr Leben schon zu voll ist von zu viel Arbeit, zu viel Hetzerei von einem Ort zum nächsten. Frauen, die gerne lesen und Sprache genießen und nicht nur zack, zack, zack den nächsten Mord, die nächste Leiche und dann den Mörder präsentiert haben möchten.
Das Problem mit diesen Leserinnen ist: Die meisten sind eher zurückhaltend, wenn es darum geht, öffentlich ihre Meinung kundzutun. Ich habe nun schon viele eMails, Briefe und Päckchen gar erhalten von solch entzückenden Frauen, in denen sie mir alles Gute wünschen und sich selbst bitte mehr von Emma, Lily und Olivero. Und jedes Mal sinke ich vollkommen überwältigt auf einen Stuhl und heule einige Minütchen überwältigt vor mich hin und wünschte, ich könnte diese Freundlichkeit angemessen entgelten. Aber ganz gelegentlich wünschte ich mir auch, sie würden es wagen, das auch in eine Rezension zu setzen, weil ich doch gerne glauben möchte, es könnten meine Charaktere und Geschichten mehr Leserinnen (und Lesern) gefallen, als ich bislang erreiche.
Aber zurück zu den Rezensionen, die nicht so reizend sind. Da haben es die meisten leider so an sich, dass sie relativ unspezifisch sind und somit nicht weiterhelfen. Ja, halt, stopp, natürlich weiß ich, dass diese Bewertungen nicht dazu gedacht sind, einer Autorin auf die Sprünge zu helfen. Andererseits aber – hey, doch! Denn viele der negativen Rezensionen werden persönlich: entweder der Schreibenden gegenüber oder aber sie drehen sich allein um die Rezensentin. Da liest man dann:
War voll langweilig, es passiert überhaupt nix, das ist kein Krimi. Für mich ist das nichts, kann ich nicht leiden. Fehlt echt an allem!
Jo, kann man schreiben, kann man so sehen, ist absolut in Ordnung, denn wie heißt es so treffend: Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die keine kann. Und wer klug ist, versucht das auch gar nicht erst. Ich beispielsweise habe nicht das geringste Interesse daran, für Menschen zu schreiben, die andere nicht respektieren, die rassistisches Gedankengut pflegen und Hitler für ein missverstandenes Genie halten. Ist mein gutes Recht, die zu vernachlässigen. Und ich fasse es noch enger, denn ich schreibe für diejenigen, die mir als Leserin ähneln; ich schreibe das, was ich selbst suche. Und freue mich, wenn ich feststelle, dass die Gruppe viel größer ist als gedacht.
Wo also liegt das Problem?
Vergessen wir die Buchwelt auf einen Moment und gehen wir einmal online shoppen. Lasst uns also das tun, was wir, die wir der Pandemie keinen Vorschub leisten wollten und die dennoch das Gefühl von ein wenig Normalität wollten, taten: Da sitzt man also am Sonntagvormittag gemütlich bei café au lait und croissant oder bei Tee und knusprigen Brötchen im Sessel, auf dem Sofa, im Bett, auf der Terrasse oder in der Küche und surft herum. Es ist Frühling, es kommt der Sommer, der Herbst naht, bald schneit es – wir brauchen unbedingt ein luftiges Kleidchen, leichte Sandalen, eine Badehose, eine Jeans oder einen kuschligen Pullover.
Bleiben wir beim Pulli. Der soll weich sein (versteht sich von selbst), gerne in einem kühlen Kirschrot (Rot online kaufen, das letzte Abenteuer der Menschheit!), mit eng anliegendem Rollkragen, eher schmal, doch nicht eng geschnitten, mit langen Ärmeln, die bis über die Handgelenke gehen, und taillenkurz, damit er zu dem neuen Rock, der neuen Hose passt. Ach, und gerne mal mit einem Norwegermuster. Das klingt doch gut und etwas ganz Ähnliches haben wir vor Ewigkeiten in einer Zeitschrift beim Friseur gesehen, muss also zu finden sein. Wir besuchen die üblichen Verdächtigen und werden in unserer Verzweiflung immer großzügiger in der Auslegung der von uns festgelegten Kriterien; wir besuchen nun sogar schon die Shops, von denen wir niemals wieder etwas bestellen wollten.
Und endlich finden wir eine Webseite, die das Gewünschte hat und das in reicher Auswahl. Sagen wir mal, es ist ein Geschäft, das ökologisch korrekte, in Fair Trade hergestellte Kleidung verkauft und das auch noch anständig designt. Das hat natürlich seinen Preis. Aber hurra, hier gibt es sogar Bewertungen von echten Käuferinnen! Das ist doch perfekt! Dann die Enttäuschung: Gleich die erste Rezensentin vergibt nur einen Punkt und brüllt:
Totale Abzocke! Der Pulli ist sein Geld nicht wert! Einmal getragen und schon pillt der! Und eingelaufen ist der auch! Dabei habe ich den mit der Hand gewaschen! Und woanders gibt es den in schöner und viel billiger! Betrug!
1 Stern, weil man weniger nicht geben darf! Alles Beschiss hier!
Gut, der Ton der Dame missfällt und eigentlich hören wir auf solche Schreihälse doch gar nicht. Aber irgendwie sieht der Pulli jetzt gar nicht mehr so schön aus wie noch vor dem Lesen dieser Bewertung. Und trotz Handwäsche ist der eingelaufen? Da wäre ich auch wütend. Hmmm …
Wir lesen weiter:
Sehr schöne Qualität, Farbe wie abgebildet, bekomme viele Komplimente. Ich wünschte nur, er wäre ein wenig länger, denn wenn ich die Arme hebe, rutscht er mir bis über den Busen.
Vier Sterne.
Wieder überlegen wir: Zu kurz? Das sieht ja auch nicht aus und schon gar nicht, wenn ich 150,- dafür zu zahlen habe. Aber es ist genau das richtige Rot und überhaupt drückt sich diese Frau viel netter aus, der glaube ich doch eigentlich lieber als der anderen. Aber zu kurz ist natürlich blöd.
Wir lesen die dritte Bewertung:
Farbe top, schönes warmes Rot. Verarbeitung spitzenmäßig, lüften reicht, da reine Kaschmirwolle. Schnitt ist seltsam: zu eng am Hals, zu weit in den Armen. Habe ihn trotzdem behalten, Oma trennt mir das Bündchen ab und strickt ein neues dran.
Drei lieb gemeinte Sternchen.
Zu eng am Hals? Das ist unangenehm und dann passt am Ende kein Top mehr drunter, wenn es wirklich kalt wird. Und warmes Rot? Wieso sagt sie jetzt, das Rot wäre warm? Das steht mir ja gar nicht.
Eine vierte Bewertung lesen wir auch noch:
Geile Hose, schnell geliefert, Preis könnte niedriger sein, war aber ein Geschenk, ist also ok. Gerne wieder.
Volle Punktzahl. Äh, alle Sterne, hahaha.
Hose? Na, das hilft ja gar nicht weiter. Und im Grunde hilft keine einzige dieser Rezensionen mir bei meiner Suche, sie verunsichern mich nur. Was nicht bedeutet, es sollten keine Rezensionen mehr geschrieben werden. Wir brauchen nur mehr Infos. Weshalb manche Shops nun mehr von ihren Rezensentinnen verlangen. Wenn ich mich hier in ein Kleid verliebt hätte, dann würden mir diese Bewertungen durchaus weiter helfen:
Kleidergröße 40, 170-180 cm, schlank, 80B, blond
Passt perfekt, Kleid geht bis Wadenmitte und schwingt sehr schön.
Kleidergröße 44, 150-160, mollig, 90E, rothaarig
Kleid viel zu lang, viel zu eng oben rum, Farbe macht blass. Geht zurück! Nie wieder dieser Shop!
Kleidergröße 36, 180-190, sehr schlank, 75A, brünett
Fällt schön blusig, Rock könnte länger sein, Farbe könnte ruhig knalliger sein, sieht aber sehr fein aus. Sehr empfehlenswert.
Der Naturmodeshop von oben würde sicherlich von diesen Informationen ebenso profitieren. Und womöglich wäre eine Info mehr auch hilfreich:
Hat die Kundin, die von Abzocke sprach, vielleicht zum ersten Mal so viel für einen Pullover ausgegeben? Kauft sie sonst vielleicht bei KiK (ohne, dass das abwertend gemeint ist!)? Und Handwäsche ist – wir Strickerinnen wissen das – nicht ohne, da ist die Temperatur schnell mal zu heiß, da liegt ein kostbares Stück schnell mal zu lange im Becken oder wird zu grob herausgezerrt, am Ende gar auf der Heizung getrocknet.
Hat die Dame, die den Pulli zu kurz findet, vielleicht eine Körbchengröße jenseits von D? Hat sie einen ausladenden Brustkorb? Hat sie eine zu kleine Größe gekauft? Und wie ist ihr Monitor eingestellt – Farbe wie abgebildet heißt im Grund leider gar nichts. Und hat mich doch verunsichert.
Nummer drei hat vielleicht Probleme mit der Schilddrüse, weshalb ihr jeder hohe Kragen zu eng vorkommt. Und meint sie mit einem warmen Rot dasselbe, was eine ausgebildete Farbberaterin darunter versteht? Das ist eher selten.
Und bei Nummer vier wäre der Shop gut bedient, die Rezensionen auf ihren Inhalt zu überprüfen und die Rezensentin darauf aufmerksam zu machen, dass sie womöglich in der Zeile verrutscht war.
Gut. Was hat das nun mit Büchern zu tun?
Ich würde mir wünschen, wir bekämen da ähnliche Infos. Das würde mir sowohl als Leserin wie auch als Autorin wünschen. Wahrscheinlich machen das viele von euch ähnlich, wenn sie Rezensionen überhaupt lesen: Wenn jemand überschwänglich lobt oder gnadenlos niedermacht, dann schauen wir uns das Profil an und gucken, was denn sonst so gelesen wird. Weil wir wissen wollen, wie ernst wir die Aussage nehmen können oder müssen. Viel leichter und hilfreicher wäre es, wenn wir das sofort erkennen könnten:
Weiblich, 20-30 Jahre, liest am liebsten Horror, hardboiled Krimi, Dark Romance, BDSM
War voll langweilig, es passiert überhaupt nix, das ist kein Krimi. Für mich ist das nichts, kann ich nicht leiden. Fehlt echt an allem!
Aha. Wenn ich nun eine Leserin bin, die dieselben Vorlieben hat, dann spare ich mir die Ausgabe und lasse das Buch liegen. Bin ich eine Leserin, die mit diesen Genres überhaupt nichts anfangen kann, dann freue ich mich vielleicht und denke, ich sollte einmal hineinschauen.
Und als Autorin denke ich mir: Ja, stimmt, du hast völlig recht. Du und mein Buch, ihr passt nicht zusammen und es tut mir leid, dass du dir etwas anders versprochen hast. Ich sollte noch einmal in meinen Klappentext gucken und überlegen, wie ich das klarer machen kann. Oder ist mein Cover wirklich so bluttriefend, dass du zugreifen musstest? Wie auch immer, danke für den Tipp.
Zwar macht mir die Bewertung noch immer meinen Bewertungsschnitt kaputt, aber hey: Nichts ist unglaubwürdiger als 100 x fünf Sterne!
Weiblich, 30-40 Jahre, liest am liebsten cosy crime, Historische Romane, heitere Komödien
War voll langweilig, es passiert überhaupt nix, das ist kein Krimi. Für mich ist das nichts, kann ich nicht leiden. Fehlt echt an allem!
Au verdammt! Die liest dasselbe, was ich mag, das ist die Leserin, für die ich schreibe. Schnell mal ins Profil schauen, was sie zuletzt bewertet hat. Doppelt au! Sie liebt all die Romane, die ich auch liebe! Jetzt weiß ich, ich muss noch einmal ran, irgendwo habe ich richtig Mist gebaut, das kann ich besser. Schnell eine Runde heulen und toben und dann ran an die Arbeit!
Natürlich gibt es immer noch Rezensentinnen, die wirklich nur aus Spaß an der Freude Verrisse schreiben oder einfach nur überall einen Stern vergeben. Es gibt solche Menschen, die kleingeistig und schadenfroh sind. Und es gibt auch Konkurrentinnen, die sich von diesen Dingen einen Nutzen versprechen. Aber das dürfte doch die Minderheit sein. Die meisten negativen Rezensionen erhält man eben, weil Buch und Leserin nicht zusammengehören und es nicht gelungen ist, beide auseinanderzuhalten.
Mag sein, es wollte die Leserin einmal etwas Neues ausprobieren, mag sein, sie ist eine Schnäppchenjägerin, die alles runterlädt, wenn es umsonst oder sehr billig ist, mag sein, es hat die Autorin absichtlich ihr Buch in das falsche Genre einsortiert. Oder es kann sein, die Rezensentin ist der Meinung, es müsse alles nach ihren Wünschen geschrieben sein. Alles möglich, da stecken wir nicht drin.
Aber weil jede negative Meinung auch diejenigen beeinflusst, die sich für immun solchen Einflüsterungen gegenüber halten, wäre es schön, wenn sich auch diejenigen, die schüchtern und zurückhaltend sind, dazu überwinden könnten, ihre Meinung öffentlich kundzutun, wenn sie weiterhin mit Romanen ihrer liebsten Autorin Zeit verbringen wollen. Denn das Arbeiten mit nur wenig Resonanz und Unterstützung – das bringt das Schreiben nun einmal so mit sich, vor allem, wenn man als Autorin auch eher schüchtern und zurückhalten ist – ja, dieses Arbeiten geht schon einmal schlechter von der Hand, wenn man sich für ungelesen und ungeliebt hält.