Show, don’t tell? Ein Plädoyer fürs Erzählen


Regeln. Hatte ich auch eben erst drüber gesprochen. Wie wäre es denn mal dieser, die jeder Autorin, jedem Autoren immerzu um die Ohren geschlagen wird: Show, don’t tell! Also zeigen, nicht erzählen. Was oft so verstanden wird, dass jeder erzählende oder zusammenfassende Part, jede Außensichtung der Handlung kritisch beäugt wird.
Das kann so weit führen, dass alles, wirklich alles gezeigt wird. Heißt: Selbst der Postbote, der nur kurz den Brief abliefert und dann geht, um in der Geschichte nicht wieder zu erscheinen, muss irgendetwas tun, was seine innere Haltung, sein Bewusstsein um seine Bedeutung für den Plot deutlich macht. Er darf nicht einfach schnaufend die Treppe raufsteigen und kurzatmig-mürrisch die Post abliefern. Oder, wenn er so reizend ist wie der Postbote in meiner Straße, lächelnd und hastig zugleich das Päckchen abliefern.

Nein, er muss auf den Stufen innehalten, muss nicken und auf meine geschlossene Tür starren, muss den Brief in der Hand wiegen, den Kopf schütteln und sich dann mit einem Ruck aufrichten und sein Werk verrichten, muss mir den Brief überreichen und dabei meinen Blick festhalten, dass uns beiden bewusst wird, das Schicksal der Welt liegt in diesem Schreiben. Und selbst bei diesem Zeigen seiner Haltung wird noch jemand einen Schreibratgeber in die Luft strecken und rufen, dass wäre noch gar kein echtes Zeigen, sondern noch immer zu viel Erzählung.

Nun geht es mir aber gar nicht darum, den für die Handlung und unser tägliches Leben so wichtigen Briefträger kleinzumachen, indem ich ihn klingeln und den Brief abgeben lasse, ohne der werten Leserin klarzumachen: Hier steht ein Mensch aus Fleisch und Blut. Bei mir sollen alle auftretenden Figuren durchblicken lassen, dass sie ein Leben haben. Und Persönlichkeit. Eigene Ansichten. Was es halt so braucht, um mehr als nur eine hingekritzelte Gestalt zu sein.
Gleichzeitig möchte ich aber auch klarmachen: Diese Person hier spielt für die weitere Geschichte vielleicht nicht die größte Rolle; du musst dir jetzt nicht Namen, Schuhgröße und Lieblingsspeise merken – sollte das wichtig werden, werde ich es noch einmal wiederholen. Oder dich daran erinnern. Nein, du kannst enspannt weiterlesen und vielleicht einen Augenblick lang darüber schmunzeln, wie Briefträger Müller beim Treppensteigen denkt, er hätte die Torte gestern nicht allein essen müssen. Du darfst dich freuen, dass die strenge Sekretärin, die unsere Heldin nicht zum Herrn Generaldirektor vorlassen wollte, dann doch in Erinnerungen an die eigene Jugend schwelt, wenn sie ihr nachblickt. Manche Charaktere verlangen nach Erzählung und Adjektiven, nach klaren Be- und Zuschreibungen.

Genauso ist es, wenn es spannend wird oder unheimlich oder lustig. Ich für meinen Teil finde es lähmend und gebremst, wenn eine peinliche Begebenheit des Helden gezeigt wird. Es wirkt auch nicht sehr rasant, wenn die Heldin aufs davonrennende Pferd springt – wenn mein Zeigen ihres Tuns und Denkens länger braucht, als sie für das Tun und Denken brauchen würde. Dann bringt eine Erzählung, wie sie die Notwendigkeit des Handelns ebenso erkennt wie die Chance mehr Tempo. Dann zuckt sie nicht nur zusammen und spürt dabei den Herzschlag, der dahin rast wie die Horden des Dschingis Khan auf Beutezug, sie zupft sich nicht nur am Ohrläppchen (was, wie wir durch vorherige und aufmerksame Lektüre wissen, bedeutet, sie denkt angestrengt nach) und tut dies und das und jenes, das uns zeigen soll, sie hat sich erschrocken, sucht nach einer Lösung, sieht das Pferd und springt vom Balkon auf dessen Rücken) – na, wenn ich alles nicht zeige, sondern einfach sage, was passiert, dann hat die Heldin auch die Chance, schnell genug zu springen, bevor der Gaul das Weite gesucht hat.)

Nicht anderes ist es bei sehr alltäglichen und eher unwichtigen Szenen, die aber doch ihre Bedeutung haben. Die Hausfrau der Fünziger, die auf der nächsten Seite von einem durch ihren Mann angeheuerten Auftragsmörder überfallen wird und ihn in Notwehr tötet, sollte nicht dieselbe Zeit mit ihrem morgentlichen Abwasch verbringen und über jedem einzelnen Teller Tränen vergießen müssen, um uns klarzumachen: Sie erwartet nichts Böses und ihr Alltag ist geprägt von nervtötender Routine. Um den Kontrast zwischen ihrer Langweile auf Seite eins und ihrer Panik auf Seite zwei zu schaffen, braucht es eben bei der Langweile kein Show, sondern Tell. Und auch bei der Panik sollte das Show so sparsam dosiert sein, dass die Heldin nicht im Schneckentempo agiert – ansonsten streicht der Drecksgatte die Lebensversicherung ein und das wollen wir doch nicht. Ist die Heldin erst einmal damit beschäftigt, ihre neue Lage zu überdenken und die Leiche loswerden zu wollen, ist noch Platz genug für Show. Finde ich.