Plotten oder Pantsen?


Treibt man sich in Schriftstellerforen welcher Sprache auch immer herum, dann dauert es nicht lang, bis man in eine Diskussion gerät, in der es um die einzig wahre und richtige Methode geht, einen Roman zu schreiben. Und da herrscht erstaunliche Einigkeit, denn selbst die meisten Pantser und Pantserinnen werden ihr Vorgehen damit entschuldigen, dass es ihnen einfach am Talent zum Plotten mangele, so sehr sie es auch möchten. Weil ja nur durch das Plotten ein Werk wie beispielsweise ein Krimi entstehen könne – ohne Logiklöcher und mit einem spannenden – ha! – Plot.

Treibst du dich in solchen Foren nicht herum, weil du eben keine Schriftstellerin, sondern eine Leserin bist (wahlweise bist du kein Schriftsteller, aber dafür ein Leser), dann wirst du dir vielleicht nicht einmal ganz sicher sein, was Plotten und Pantsen eigentlich ist. Rein lautmalerisch klingt beides nicht sonderlich schön oder aufregend.

Um das also einmal kurz klarzustellen:

Wer plottet oder als ‚Architekt‘ arbeitet, beginnt mit dem Schreiben des Romans erst, wenn das Grundgerüst steht, das mal mehr, mal weniger detailreich ist. Und da gibt es durchaus Autorinnen (jeden Geschlechts), die sehr, sehr, sehr genau vorgehen und wahrhaftig jeden einzelnen Charakter erfinden, Szene für Szene durchgehen, an festgelegten Punkten eine Wendung einbauen und festlegen, wann welche Leiche wo gefunden werden muss, um zum Finale zu gelangen. Da werden dann Karten (analog oder digital) hin- und hergeschoben, Erzählstränge kunstvoll verwoben und die Wortanzahl jedes Kapitels bestimmt. Dazu gehört natürlich auch die Recherche. Es wird also jedes Detail der Geschichte bestimmt, sortiert und als Szenen- und Kapitelstruktur ins Manuskript gebracht. Wer so schreibt, verwendet vielleicht spezielle Software wie Plottr oder Papyrus. Danach wird dann in Sätze gefasst, was als Idee bereits feststeht.

Wer pantst oder als ‚Gärtner‘ unterwegs ist, tut das nicht. Man geht mit einer Idee, die mehr oder weniger ausgefeilt ist, an die Sache heran, setzt sich an die leere Seite und fängt an, die Geschichte zu schreiben. Entdeckendes Schreiben wird das auch genannt und ist sozusagen ein Lesen während der Entstehung. Die Gärtnerin lässt sich darauf ein, nicht zu wissen, wie es zwei Kapitel später aussehen wird. Mehr noch verlässt sie sich darauf, es bis zum Ende zu schaffen. Jede Idee, die während des Schreibens kommt, wird freudig begrüßt. Vielleicht testet man sie für einige Zeilen und entscheidet dann, dass sie sich besser für eine andere Geschichte eignet und speichert sie dort ab. Oder man verändert sie ein wenig. Oder man nimmt sie mit und lässt sich überraschen, was daraus wird. So entstehen Geschichten, die oftmals mehr von den Figuren abhängen als von dem Geschehen an sich. Die Recherche findet nicht nur vor dem Schreiben statt, sondern ebenso sehr on the go.

Nun gibt es einige ‚Regeln‘, die gerne als feststehend betrachtet werden. Dinge wie:

  • Der erste Entwurf ist immer für die Tonne.
  • Krimis und Fantasy müssen intensiv geplant werden.
  • Pantser müssen sehr, sehr viel korrigieren, verbessern und anpassen.
  • Plotter sind professionellere Autoren.
  • Man muss viele Schreibratgeber gelesen haben.

Da gibt es noch einige mehr, die immer, immer, immer genannt werden, wenn solche Diskussionen ausbrechen. Und fast immer geben Pantser und Pantserinnen klein bei, bestätigen, dass sie viel ändern müssten. Dass sie keinen Krimi schreiben könnten. Dass es ein Make ist, nicht plotten zu können. Dass es ihnen wohl auch an Ausdauer mangele, wenn sie sagen, es würde sie das Aufschreiben einer Geschichte langweilen, wenn sie sie schon wochenlang geplottet hätten.
Nur: Sobald man sich einer anderen Gärtnerin unter vier Augen als Kollegin zu erkennen gibt, dann klingt es doch anders. Dem erleichterten Aufatmen folgt die freudig-schwesterliche Umarmung und endlich einmal frei und glücklich erzählt man sich, wie wunderbar es jedes Mal sei, wenn man eine neue Geschichte beginnt und nur ahnt, wohin es gehen soll.

Woher ich das weiß? Na, das wirst du dir schon denken können: Ich bin Gärtnerin durch und durch. Ich verlasse mich – wenn auch jedes Mal wieder bebend und nervös – darauf, dass ich mich auch aus der schwierigsten Lage befreien kann, wenn ich nur meiner Fantasie und meinen Figuren vertraue. Gerade Emma, James und Wertheim, Siegfried, Gigi und Sybil kann ich freien Lauf lassen; es ist ja immer wie ein nach Hause kommen, wenn ich eine Fräulein Schumacher-Geschichte beginne. Ich kenne sie, sie kennen mich und dann geht es los.

Was habe ich zu Beginn? Eben diese eine grobe Idee. Im aktuellen Fall: Emma reist nach Norderney, dort geschieht ein Mord. Das war’s. Mehr habe ich nicht. Hatte ich nicht. Meist fällt mir unter der Dusche der erste Satz ein, in der Regel wirklich erst an dem Tag, an dem die Arbeit am neuen Manuskript beginnen soll.
Dann öffne ich mein Programm und schreibe diesen ersten Satz. Und auf einmal weiß ich alles, was zu dieser neuen Begebenheit geführt hat: Wie kommt Emma an diesen Ort? Wann wird sie dort sein? Was hätte dagegen gesprochen und wie kann ich das Hindernis entfernen? Wer ist involviert? Wie geht es Emma, wie geht es ihren Lieben?

Ja, und dann bin ich schon völlig in Emmas Welt. Meist schaue ich auch dann erst nach, was denn so passiert in Deutschland und in der Welt in diesen Tagen, lasse Emma darauf reagieren, wenn sie denn die Möglichkeit gehabt hätte, davon zu erfahren. Dabei erlebe ich immer wieder ein absolutes Glücksgefühl, wenn ich feststelle, dass wahrhaftig etwas, was ich mir so und so vorgestellt habe, auch wirklich geschehen ist. Oder dass genau jetzt irgendwo etwas stattfand, was Bezug zu meiner Geschichte haben könnte. Manchmal gerate ich beim On-the-go-Recherchieren in Kaninchenlöcher und stoße auf eine historische Figur, eine Aussage, eine Beschreibung oder einen Ort, der mich inspiriert. Wird alles gnadenlos eingebaut.

Und so geht es weiter. Ich lasse, um beim momentanen Manuskript als Beispiel zu bleiben, Emma empfinden, was ich selbst bei meiner ersten Überfahrt nach Norderney empfunden habe. Ich mische Erinnerungen an Personen ein, die ich kennengelernt habe, ich lasse James Dinge sagen, die andere Männer mir sagten – das Dumme wie das Reizende. Und lasse Emma reagieren, wie sie es will. So ähnlich sind wir uns nun nicht, als dass ich mich da einmischen dürfte. Ich habe einen Heidenspaß daran, den Wortgefechten der Beresfords zu lauschen. Oder überhaupt allen Unterhaltungen meiner Paare – die sind einfach besser als ich darin, sich zu necken und zu loben. Liegt vielleicht auch daran, dass meine männlichen Helden zwar alle möglichen Schwächen haben, fragiler Männlichkeitswahn aber nur bei denen zu finden ist, die eben nicht meine Helden sind. Im wahren Leben sucht frau sich halt nicht immer aus, mit wem sie spricht …

Was nun den Krimiteil angeht: Ich lasse mich mit Absicht vor Wände laufen. Alles, was mir an Spuren und Ereignissen einfällt, wird in die Geschichte gepackt, wenn es sich in der Situation des Schreibens gut und spannend anfühlt. Und es Emma oder Wertheim vor ein Rätsel stellt. Wenn Siegfried dann noch die Brauen zusammenzieht und an Verschwörungen denken lässt, dann bin ich glücklich.
Bis ich nach gut der Hälfte an den Punkt komme, an dem ich Sinn aus den Begebenheiten machen muss. Mal stelle ich fest, dass mein Mörder gar nicht der Täter ist, dass ich mich in ihm geirrt habe. Dann muss ich ermitteln. Wie Emma und Wertheim muss ich nach Spuren suchen und mir die Nächte um die Ohren schlagen (wirklich und wahrhaftig). Dann fange ich an, Organigramme zu entwerfen, die Beziehungen untereinander aufzumalen, Chronologien und Listen zu schreiben, Zeugen zu befragen. Manchmal nutze ich meine überlegene Position, um in der Geschichte zurückzugehen und etwas zu ändern; eine Haarfarbe, ein gesprochenes Wort, eine Uhrzeit, einen Namen. Das sind immer nur Kleinigkeiten. Manchmal füge ich etwas ein, um eine Spur zu legen, manchmal verschiebe ich eine Szene. Immer lese ich in dieser Phase alles durch, was ich bisher geschafft habe, merke an, auf welches Detail ich beim Weiterschreiben achten sollte, was mir weiterhelfen kann oder was mich unnötig verwirrt hat.
Danach dann geht es weiter, nun mit einer deutlichen Vortstellung davon, wer es war und wie es abgelaufen ist – ein Miniplot also, ein Gewächshaus in meinem Garten sozusagen. Wie meine Heldin das herausbekommt: Das ist noch immer ungewiss, da verlasse ich mich weiterhin auf meine Intuiotion und meine Figuren.

Ich gestehe also: Ich bin Pantserin, Entdeckerin und Gärtnerin. Anders will ich es nicht, das ist, was mein Schreiben ausmacht, was mich begeistert und was für mich das einzig Wahre und Richtige ist. Ich schreibe meine Krimis nicht als die Kriminelle, die das Verbrechen plant, sondern als Ermittlerin, die es aufklären muss. Und ich sehe nicht ein, weshalb das nicht funktionieren sollte. Was manche an meinen Romanen nicht mögen, dürfte wohl mehr der Genremix sein und das zu häufige Enttäuschen gängiger Vorstellungen von einem echtem Happy End oder einer wirklichen Heldin oder was auch immer sein. Auch meine der Zeit angepassten Sprache, der Verzicht auf kurze Sätze oder ähnliches spielt eine Rolle. Ob man nun aber plottet oder pantst, dürfte keinen Unterschied machen.