Nicht was, sondern wie ich schreibe


Ich bin eine Pantserin. Oder schöner ausgedrückt: eine Gärtnerin. Also konkret: eine entdeckende Schreiberin. Was bedeutet, dass ich schreibe, als würde ich lesen – was passiert als nächstes, wie geht es weiter, was kommt nun?

Wenn du jetzt einmal nach diesen Ausdrücken googlest, dann wirst du schnell herausfinden, dass diese Art des Schreibens gerne als völlig falsch angesehen wird. Als unprofessionell. Zeitaufwendig. Fehlerbehaftet. Unorganisiert. Ungeeignet auch für Krimis beispielsweise. Oder Serien und Reihen. Ganz, ganz verkehrt. Und man möchte meinen, dass das stimmt, denn liest man sich durch Schreibforen oder Autorinnenseiten, dann ist fast immer vom Plotten und Vorbereiten die Rede, um Logikfehler zu vermeiden oder sich die Arbeit zu ersparen, den ersten Entwurf kompett in die Tonne kloppen zu müssen. Entdeckend schreiben nur Anfänger und Hobbyschriftstellerinnen. Punkt. Weil – sonst würde das doch mal irgendwo stehen, dass das geht. Das Pantsen, Gärtnern, Drauflosschreiben.

Und doch ja, ganz gelegentlich meldet sich mal jemand und sagt, also hey, hier ich, ich mache das und komme wunderbar klar. Weil wir alle unterschiedlich sind und denken und handeln und Unterschiedliches brauchen, um kreativ sein zu können.
Je nach Forumskultur wird nun entweder erklärt, warum das gar nicht sein kann (das führt dann meist zu einem Rückzug des Gärtners oder der Gärtnerin und der kleinlauten Erklärung, dass er oder sie selbstverständlich sehr, sehr viel Arbeit reinstecken müsse, um den fabrizierten Mist aufzuräumen). Oder aber es melden sich andere und geben zu: ich auch. Und dann kann man lesen, dass vom ersten Entwurf kaum etwas geändert wird, dass Logikfehler eher selten sind und schnell bemerkt werden, weil die Charaktere sich natürlicher verhalten, weil sie ja den Plot vorantreiben und nicht der Plotter, der alles vorgegeben hat und deshalb seine Figuren in falsches Tun drängt (oh ja, man kann auch Vorurteile gegen das Planen hegen – da lässt sich so schön von der Geschichte sprechen, die am Reißbrett geschrieben wurde und steif und hölzern daher kommen muss). Wenn also Gärtner aufeinander treffen, dann fühlen sie sich gleich besser (als sonst, nicht als andere!), weil sie feststellen dürfen, andere arbeiten genauso und sind dabei glücklich.

Wie gärtnere ich also? Habe ich wirklich keine Idee, wenn ich ein neues Projekt beginne?
Die habe ich natürlich. Meist sieht sie so aus: Da ist jemand, der hat irgendwen getötet, weil er sich für irgendetwas gerächt hat, und Emma stolpert über die Leiche. Ja. Damit fange ich an. Monate, bevor ich schreibe. Ich notiere sie und wenn ich das nächste Mal daran bin, ein Cover zu gestalten, dann bekommt auch diese Idee ein Cover. Und dann einen Titel. Eine Jahreszeit. Und dann auf einmal fällt mir ein Name ein und ich fange an. Ich gebe diesem Namen während des Schreibens eine Geschichte, ein Aussehen, eine Vergangenheit, eine Wohnung, ich lasse mich fallen in die Zeit und in diesen fremden Charakter, den ich dann mit meinen mir vertrauten Heldinnen konfrontiere.
Und während ich hier die Erde auflockere und dort ein Samenkorn fallen lasse, schaue ich zum Zaun oder zur alten Eiche und überlege, was dort gut aussähe und wie ich dort am besten hinkomme. Soll da vielleicht ein Teich hin? Zierrasen? Gestrüpp? Gibt es Streit mit dem Nachbarn? Lavendel? Oder lieber Fingerhut? Ich arbeite mich vor und manchmal habe ich zehn Ideen zugleich und notiere sie mir für die nächsten Kapitel, ein anderes Mal grübele ich und fluche.

ABER genau das liebe ich und ich glaube auch, dass genau das – das manchmal nicht genau wissen, was ich jetzt anfangen soll – das ist, was meine Geschichten eben zu den Geschichten machen, die meine liebsten Leserinen mögen. Das ist nämlich nicht nur Kommissar Wertheim, der raus an die Luft muss, um wieder klardenken zu können (und eine Rosinenschnecke zu verputzen), sondern auch ich. Ich habe dieselben Hinweise auf den Mörder wie der Kommissar, ich fühle mich genauso genervt und verzweifelt wie Emma, wenn ich mir all diese schönen Spuren und Indizien anschaue und darüber fluche, wie die bitteschön zusammengehören sollen.
Dann könnte ich es mir natürlich leicht machen, zurückgehen in der Geschichte und streichen, was sich partout nicht unterlassen bringen will in der Lösung. Aber dann stehe vor einem Täter oder einer Zeugin und bekomme zu hören, dass es aber nun einmal so war und da ja jede kommen und eine Änderung verlangen könnte. Also zerbreche ich mir den Kopf, bis ich die Lösung habe.

Gehe ich also nie zurück und ändere?
Natürlich tue ich das. Da merke ich plötzlich, dass der Passant von Seite zehn viel mehr mit der Sache zu tun hat, als ich dachte. Oder ich stelle fest, irgendwer ist jünger oder älter, netter oder böser, ärmer oder reicher als zunächst angenommen. Oder mir fällt auf, dass ich irgendwen gar nicht benötige. Da gibt es immer Details, die ich ändere. Und zwar wirklich immer nur Details, nie Dinge, die von besonderer Bedeutung sind. Wenn es immer so schön heißt: Kill your darlings, dann gehe ich unprofessionelles Stück hin und schenke ihnen Blumen und bitte sie, sich mehr einzumischen. Weil ich weiß, was mich glücklich macht, das macht auch die liebsten Leserinnen glücklich. Dafür nehme ich in Kauf, dass es andere gibt, die das gar nicht mögen. (Damit umzugehen, habe ich erst lernen müssen und lerne es noch …)

Ja, und dann kommt so gegen Zweidrittel des geschriebenen Manuskripts der Zeitpunkt, an dem ich aufhöre, mir drei oder vier Tage nehme und alles lese, was ich bisher habe. Und das ist dann auch der Moment, an dem ich mich hinsetze und gezielt organisiere, wer denn nun wirklich der Täter ist und wer mit wem was getan hat und wieso und überhaupt. Alle Szenen übertrage ich dann in ein Plottingprogramm und notiere mir auch Dinge, die ich ganz neu von meinem Stammpersonal gelernt habe. Und Ideen für die nächsten Bände. Und wenn ich dann alles so wunderbar organisiert und notiert und sortiert habe, wie Emma es tun würde, dann schreibe ich weiter und hangele mich lose an der geschaffenen Leitlinie entlang. Dann kann noch immer etwas Unvorhergesehenes geschehen, aber in der Regel weiß ich nun, wohin es am Ende gehen solle. Was mich enorm zum schnellen Weiterschreiben motiviert.

So ist das bei mir. Wollte ich immer mal gesagt haben. Weil ich mir sonst wie eine Hochstaplerin vorkomme …