Marie Antoinette: Versailles


Versailles, das Schloß, seine Gärten und Parks sind Pracht, Perfektion und Pomp. Sein Hof ist frivol, bigott, geistreich: ein Bonmot zählt mehr als Freundschaft, Affären sind prickelnder Zeitvertreib und Spiel mit dem Feuer – manchmal treffen Hohn und Spott die Betrügenden, machmal den Betrogenen und zerstören Karriere und Fortkommen. Doch was an der Oberfläche spielerisch, unmoralisch erscheint, ist durch ungeschriebene Gesetze streng geregelt; was dem einen recht ist, ist dem anderen noch lange nicht billig. Ein jedes Mitglied dieser Gesellschaft bewegt sich auf seinen unsichtbaren Gleisen, erscheint, wo es zu erscheinen hat, sagt und spricht das zu Erwartende. Alles, wirklich alles, ist geregelt: wer wem den Vortritt lässt, welcher Spaziergang zu welcher Zeit stattfindet, wer wen grüßt und was es bedeutet, wenn das Schönheitspflästerchen links statt rechts getragen wird. Klatsch und Tratsch, Eifersucht und Mißgunst gedeihen unter dem Firnis geschliffener Rhetorik und immer ausgefallenerer Modeexzesse.

Und in dieser Umgebung findet sich die Dauphine Marie Antoinette wieder – die kleine Erzherzogin, die längst all die Ratschläge ihrer Frau Mama vergessen hat und wenig Einsicht in die Handlungsweisen der französischen Aristokratie hat. Die Tafel, an der sie jeden Tag vor Publikum zum Essen Platz nimmt, versammelt keine miteinander schwatzende und liebende Familie. Der Dauphin spricht kaum ein Wort – sowohl die Unmengen an Essen, die er in sich hinein schaufelt, als auch seine Schüchternheit verhindern das. Der König bemüht sich um das junge Mädchen, lässt wohl auch einmal anzügliche Bemerkungen fallen, die seiner Maitresse Gräfin Dubarry gelten.

Madame Dubarry

Die Dubarry ist fröhlich, wenig zurückhaltend und nimmt ihre Aufgabe, Ludwig XV zu unterhalten, sehr ernst. Marie Antoinette ist in ihrer Unschuld reizend und sorgt für verlegenes Gelächter, als sie erklärt, sie wolle der Madame Dubarry Konkurrenz sein und ihren lieben Großpapa eben so gut unterhalten. Ihre Tanten, die unverheirateten Töchter des Königs mit der Sorge, zu wenig be- und geachtet zu werden und einem Haß auf die Dubarry, nehmen die Dauphine gar selbstlos zur Seite und klären sie über die Natur der königlichen Unterhaltung auf. Marie Antoinette ist rechtschaffen empört; eine solch liederliche Frauensperson wäre in der Hofburg undenkbar, unmöglich könne sie Umgang mit ihr haben und so schneidet sie die Dubarry. Die Tanten freuen sich und feuern das junge Mädchen weiter an.
Die Dubarry, die tagtäglich gegen die Arroganz der Höflinge ankämpft und ihren Platz sichern will, darf die Dauphine von sich aus nicht ansprechen – mit steigendem Amusement betrachtet der Hof das tägliche Schauspiel einer um Anerkennung bemühten Maitresse und einer zu jungen, zu naiven Prinzessin, die nicht bemerkt, wen sie in Wahrheit brüskiert und verärgert: den König, der ein solches Benehmen nicht duldet, jedoch von der Dauphine ignoriert wird. Der Hof jubelt.

Marie Antoinette, Dauphine de France

Doch auch Maria Theresia in Wien erfährt durch ihren Botschafter, den treuen Mercy-Argenteau, von dem bald zwei Jahre anhaltendem wortlosen Streit. Es dürfte der Kaiserin nicht leicht gefallen sein, dem politischem Nutzen vor ihrer Moral den Vortritt zu geben und von ihrer Tochter zu verlangen, die Sittenstrenge beiseite zu lassen und der Dubarry endlich den größten Wunsch zu erfüllen – ein freundliches Wort der Dauphine in aller Öffentlichkeit. Ein, zweimal glaubten sich König und Maitresse schon am Ziel; heute würde die Dauphine der Dubarry die Ehre erweisen, doch Antoinettes Stolz und die Tanten sorgten für Enttäuschung.
Endlich muss Marie Antoinette klein beigeben. Unter den gierigen Augen der anwesenden Aristokraten bleibt sie bei der in die Knie sinkenden Gräfin stehen und spricht die Worte, die auch heute noch manch Besucher des Schloßes zitiert: es seien viele Leute heute in Versailles. Sehr deutlich hören die Umstehenden die Überzeugung der Dauphine heraus, es sei wenigstens eine zuviel, doch die Dubarry hat ihr Ziel erreicht.

Marie Antoinette spricht nie wieder mit der Gräfin und vielleicht hat sie nie begriffen, wie viel Schaden dieser kindische Streit angerichtet hat: der König ist ihr gegenüber kühler, die Tanten ob ihres Umfallens entrüstet und erbost und der Hof ist sich einig, dass die Dauphine keine Französin ist und niemals sein wird; so amüsiert sie sind, so sehr empören sie sich über Marie Antoinettes Unwissenheit und nicht-regelkonformes Verhalten.

Hätte sie es besser wissen können und müssen? Man hatte ihr Madame Noailles zur Seite gestellt, die streng über das Benehmen der Dauphine wachte, ihr Chaperone, Gesellschafsdame und Lehrerin zugleich sein sollte. Ein ältliches Fräulein Rottenmeier ist sie, von der Dauphine spöttisch Madame l’etiquette benannt. Antoinette fühlt sich von Madame Noailles gegängelt wie von all ihren bisherigen Lehrmeistern und macht sich einen Spaß daraus, ihr zu entkommen, sie zu parodieren und weg zu hören, wenn sie ihr die Gesetze des Hofes erklärt. War sie denn noch immer ein Schulmädchen oder die zukünftige Königin? Sollte sie ihr Leben und ihre Stellung nicht geniessen?
Ein Leben, in dem ihr wohl nahezu alle Wünsche an Kleidung, Nahrung und Unterhaltung erfüllt werden, jedoch kein Schritt unbeobachtet bleibt. Was immer sie tut, eine Schar Höflinge ist um sie herum, immer auf der Lauer nach einem Posten, einer Anekdote, einer unbedachten Äußerung. Antoinette fühlt sich eingeschränkt und zeigt im Laufe der Jahre ihre Verachtung für sinnentleertes Protokoll überdeutlich. Ihre Jugend, ihr offenes Wesen und ihr anfangs uneingeschränktes Vertrauen in die Menschen, die ihr nahe stehen und die Wiener Heimat ersetzen sollen, führen dazu, dass sie in Intrigen und Ränkespiele hinein gezogen wird, die sie nicht durchschaut. Ihre Sehnsucht nach Freundschaft lässt sie Zuwendung mit Zuneigung verwechseln; die meisten, die sich ihr nähern, kommen mit selbstsüchtigen Wünschen, die sie freudig gewährt.

Princesse de Lamballe

Antoinette begann ihren Alltag mit Vergnügungen zu füllen: von den intriganten Tanten hatte sie sich abgewandt, die ihren Lebenswandel mit Abscheu betrachteten und das ihrige zu Antoinettes Verleumdung beitrugen. Mit ihrer neu gewonnen Freundin Marie Louise de Savignon-Carignan, der Princesse de Lamballe, besucht sie in schlecht getarntem Incognito Bälle in Paris, verspielt Unsummen beim Pharo, engagiert die Kleidermacherin Rose Bertin für immer ausgefallenere Kreationen, amüsiert sich mit ihrem vergnügungssüchtigen Schwager und verlacht all die steifen und alten Hofchargen um sich herum. Bis heute wird ihr Charakter nach diesem Verhalten gewertet – von einem pubertierenden Teenie, der über Nacht zu Reichtum und Ruhm gelangt, kann man wirklich mehr erwarten als Albernheiten und Überschwang! Immerhin ist sie die nächste Königin Frankreichs, dazu Ehefrau und hoffentlich bald Mutter. Zu irgendetwas muss diese Ausländerin doch gut sein!

Marie Antoinette in ihrem Salon

Am 10. Mai 1774 starb der einstmals vielgeliebte Louis XV. Aus dem Thronfolgerpaar, 19- und 20jährig, wurden König und Königin. Während das Volk enthusiastisch auf Veränderung hoffte und große Erwartungen an das Paar hatte, war den beiden angst und bange – zu jung seien sie, so habe Antoinette unter Tränen beteuert und Gott um Hilfe angefleht, berichten verschiedene Augenzeugen. Es dauert nicht lange, bis sie den nächsten Fehler begeht und neue Feinde findet: getreu ihrer Aufgabe als Friedensstifterin zwischen Frankreich und Österreich sorgt sie für die Entlassung österreichfeindlicher Regierungsberater. Nicht nur die Tanten nennen sie nun „l’Autrichienne“ – die Österreicherin. Oder „die andere Hündin“, ändert man Schreibweise und Aussprache minimal. Längst ist die Königin an dem Punkt, an dem sie tun und lassen kann, was sie will – immer findet sich jemand, der ihr deswegen gram und feind sein wird. Immer mehr Geschichten und Gerüchte verbreiten sich, auf Wahrheit gründend oder auf Vermutung, zu Lüge und Hetze entstellt.

Dauphin Louis Auguste

Vom Gatten erhält sie ein Schlößchen, das Petit Trianon, ein wenig entfernt vom Versailler Palast, um sich dort von Kontrolle und Eitkette zu erholen. Geladen sind nur diejenigen unter den Höflingen, die jung, munter und freundschaftlich mit ihr stehen – sie sieht sich als junge Frau, die ein wenig Zeit mit Freunden verbringt; die nicht Geladenen jedoch sehen die Königin, die beleidigt und demütigt – in ihren Augen ist das Petit Trianon schlimmer als Sodom und Gomorra. Und das Volk, das in immer schlimmeren Verhältnissen existiert, erfährt von unnötiger Verschwendungssucht und ausschweifenden Orgien der Blutsaugerin durch Bildtafeln, die an Deutlichkeit nicht zu mißdeuten sind. Wann endlich ändert sich etwas? Wo bleibt die Hoffnung, die noch an königliche Nachkommenschaft geknüpft ist? Wo bleibt der nächste Dauphin, so fragt auch die Kaiserin aus Wien immer dringlicher.

Aber es tat sich nichts. Buchstäblich nichts. Nicht nur, dass Antoinette nicht schwanger wurde, nein, sie war nach Jahren der Ehe noch so unschuldig wie bei ihrer Ankunft. Ludwig, der muffig-schweigsame, etwas plumpe und gehemmte junge Mann, fühlte sich in der Gegenwart seiner Gattin noch gehemmter und unsicherer; die Tändeleien und Spötteleien ihres Freundeskreises fielen ihm auf die Nerven und das tägliche öffentlich zu Bett gelegt werden, half der Beziehung auch nicht weiter. Die Schuld für die nichtvollzogene Ehe, das Ausbleiben des Thronfolgers gab man, wie könnte es anders sein, Marie Antoinette. Was könnte einem nur mäßig aufgeklärten Backfisch leichter fallen, als den phlegmatischen Gatten zu leidenschaftlichen Turnübungen zu verführen?

Einer der harmlosen Stiche

So langsam kam eine Industrie in Schwung, die bislang nur vor sich hindümpelte: Pamphlete und Hetzschriften, in denen Antoinette als Ehebrecherin, schlampige Gattin und nicht nur den Mann, sondern das Volk betrügende Ausländerin dargestellt wurde, machten die Runde. Es waren vor allem die Höflinge, die diese Schriften in Auftrag gaben oder auch selbst schufen; nicht zuletzt die Brüder Ludwigs ließen ihrem Witz, ihrem Neid und Ehrgeiz freien Lauf – nicht ahnend, wem das Verhetzen eines hungernden Volkes nutzt. Den Auftraggebern nicht, das würden sie noch begreifen.
Ein besonderes Vergnügen bereitete es manchen, diese Blätter in Antoinettes Nähe zu platzieren, so dass die junge Frau mit pornografischen Darstellungen ihrer selbst konfrontiert wurde. Dazu die ständigen Briefe ihrer Mutter, die mittlerweile ihrer Tochter explizite Anweisungen sandte, wie sie den Gatten in Hitze bringen könne. Antoinette ließ die Schreiben äußerlich gleichgültig zu Boden gleiten und kümmerte sich um ihr Vergnügen, das alles Unangenehme überdecken sollte. Wäre Ludwig nur etwas weniger feige und etwas interessierter gewesen: eine Vorhautverengung sorgte für Schmerz, sobald er an eheliche Pflichten nur dachte und eine kleine Operation, ein winziger Schnitt, war die Lösung. An die er sich nicht wagte.
Bis sieben Jahre nach der Hochzeit sein Schwager Joseph, Kaiser von Österreich, ihn beiseite nahm und ihm ins Gewissen sprach – als König von Frankreich müsse er seine Pflicht Gattin und Vaterland gegenüber erfüllen. Ludwig wagte es und Marie Antoinette erfurh, um was es in den Pamphleten ging. Dass die Tanten vom Neffen zu hören bekamen, das körperliche Vergnügen sei noch größer als gedacht und er bedauere, so lange gezögert zu haben – das mag uns zum Schmunzeln bringen, erhöhte deren Hass auf die Königin jedoch. Wo immer Antoinette erschien, irgendwer hatte einen Groll gegen sie.

Am 18. Dezember 1778 bringt Marie Antoinette ihr erstes Kind, Marie-Thérèse, Madame Royale, zur Welt. Allein die Berichte über diese Geburt sind ein solcher Horror, dass ich bereit bin, ihr fast alles nachzusehen: Kaum setzen die Wehen ein, scharen sich etwa 50 Höflinge um ihr Bett, das in einem nicht zu großen Raum steht, dessen Fenster geschlossen sind. Es ist eine lange und schwere Geburt, die vielen Menschen nehmen ihr wortwörtlich die Luft zum Atmen.
Immer stickiger und heißer wird es und als das Kind endlich geboren ist, verliert die Königin das Bewußtsein mit dem Ausspruch, sie sterbe. Blut entfließt ihrem Mund, der Arzt fordert Platz, Luft und einen Aderlaß. Ludwig erweist sich jetzt nicht nur als treusorgender Gatte, sondern als zupackend wie nie zuvor oder je wieder danach: er stößt jeden beiseite, der zwischen ihm und den Fenstern steht, um dort festzustellen, dass diese sich nicht mehr öffnen lassen – seit Jahrzehnten waren sie nicht genutzt worden. Ohne lange zu zögern, zertrümmert er die Fenster und lässt die Dienerschaft die gesamte Bagage grob aus dem Raum werfen. Von nun an muss die Königin nicht mehr unter Zeugen gebären, als wäre sie die Attraktion eines Wanderzirkus.

Mit Schwägern und Kindern

Noch drei weitere Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, brachte Antoinette zur Welt, doch Madame Royale sollte die einzige sein, die das Erwachsenenalter erreichte. Der Dauphin starb im Juni 1789, was sicherlich auch ein Grund ist, weshalb die vom Volk entfernte Königin von den sich abzeichnenden Ereignissen nichts mitbekam. Ein Fakt, der erstaunlich selten betrachtet wird. Das zuletzt geborene Mädchen starb schon 1787 mit elf Monaten. Für Antoinette, die mit vielen einander zugetanen Geschwistern groß geworden war, müssen diese Todesfälle unendlich schmerzhaft gewesen sein.

Die leere Wiege der verstorbenen Tochter …

Marie Antoinette als Mutter zeigte sich anders als die junge Königin: ständige Bälle, Glücks- und Kartenspiel, ihre Theateraufführungen und heimlichen Ausflüge waren Vergangenheit; mit viel Liebe wandte sie sich ihren Kindern zu. Auch die immer größeren Roben und Kopfaufbauten waren vergessen. Sie bemühte sich um einen schlichteren Lebensstil. Aber wie könnte es anders sein: auch das war nicht recht. Waren ihre Ausgaben vorher zu hoch, so warf man ihr nun vor, Schäferin zu spielen und im Hemd herumzulaufen, was einer Königin von Frankreich nicht angemessen sei – nun wolle sie auch noch die Seidenweber und Modistinnen in den Hungertod treiben. Irgendetwas ist ja immer, immer ist etwas. Hass und Hetze brodelten nur selten unterbrochen weiter hoch.

Sozusagen ein Make over.
Vorher …
… und nachher

Lasst mich bitte einschieben: über Marie Antoinette einen kurzen Abriss schreiben zu wollen, ist nahezu unmöglich – mir ja sowieso. Zum einen kann man ihr nicht gerecht werden und zum anderen ist ihre Zeit, ihre Umgebung unglaublich gut dokumentiert. Der Adel schrieb und schrieb und schrieb und Privatheit gönnte man ihr nicht – und die Geschichten und Geschichtchen über sie gehen in die Tausende. Jede einzelne ist ein Baustein, ein Zahnrädchen in dem vorwärts treibenden Uhrwerk, das ihre verrinnende Zeit tickend begleitet. Immer wieder frage ich mich beim erneuten Sichten dieser Erzählungen, ob ihr Leben anders verlaufen wäre, hätte sie hier anders entschieden, diesem Menschen nicht vertraut oder jenes Wort verschwiegen. Doch am Ende sind es nicht die von ihr gesagten Worte und begangenen Taten, es ist das durch Hass und Gier erbaute Lügengeflecht, das sie zu Fall bringen wird. Was Hetze, üble Nachrede und Lügen anrichten können: hier sehen wir es klar und deutlich.

Es ist ungerecht: seit Jahrhunderten hatte Frankreich endlich ein Königspaar, das mit den besten Absichen antrat, das die verhasste Maitressenwirtschaft (denn bislang waren die oft hochgebildeten und den jeweiligen König positiv beeinflußenden Geliebten die Sündenböcke für alles gewesen) abschaffte und neuen Ideen im Rahmen ihrer gottgegebenen Größe offen gegenüber stand. Ein Sonnenkönig hätte viel früher, viel härter eingegriffen, um jedes noch so gerechtfertigte Murren zum Schweigen zu bringen.

Unter all diesen Geschichten finden sich

  • die berühmte Halsbandaffäre, die wie Pech an ihr klebte und ihr neue Feinde brachte.
  • Die adoptierten Kinder, für die sie sorgte – der Wunsch nach Kindern und Familie war groß und treibend.
  • Ihre immer wieder unternommenen Ausflüge in die Politik, vor allem, wenn es um die Beziehungen zu Österreich ging.
  • Natürlich wurde auch ihr, wie bald allen Königinnen und Maitressen vor ihr, unterstellt, sie habe den Armen das Kuchen essen empfohlen, so sie kein Brot hätten.
  • Die Freundinnen: nach der Princesse de Lamballe, die eine reiche, sehr zurückhaltende Frau von sanftem Wesen war, trat Gabrielle de Polignac auf den Plan, die an sich raffte, was sie nur erhalten konnte und ihrer Familie Posten zu verschaffen wußte – beide wurden in den nicht versiegenden Hetzschriften als lesbische Geliebte der verderbten Königin gehandelt.
Hans Axel von Fersen

Und zu guter Letzt ist da Axel von Fersen, ein schwedischer Aristokrat mit deutsch-baltischen Wurzeln. Er war – was sonst – gut aussehend, charmant und geistreich. Aber wer ihn näher kannte, beschrieb ihn auch als selbstverliebt, arrogant, schwermütig und als gefühlskalten Schürzenjäger. Zwar schrieben sich von Fersen und Antoinette leidenschaftliche Liebesbriefe und verbrachten gerne Zeit miteinander, doch ist eine echte Beziehung, eine Affäre unwahrscheinlich – wir wissen es ja schon: Privatheit gab es für die Königin kaum. Vieles spricht für eine Beziehung, die bewußt platonisch und eher Minne als Liebe war.

Um die Königin herum vibrierte es vor Erotik, Klatsch und Tratsch und sie war mit einem Mann verheiratet, der am glücklichsten in seiner Schlosserwerkstatt und bei der Jagd war. Der ihr treu und freundlich zugetan, aber eben weder ein Adonis noch ein Casanova war. Axel von Fersen mag ihre Phantasie angeregt haben, es mag geprickelt haben – für die Traumtänzerin, die sie noch immer war, wahrscheinlich ausreichend. Von Fersen hingegen scheint sich vor allem in der Aufmerksamkeit einer Königin gesonnt zu haben; abwechselnd sprach er Freunden gegenüber entweder schmachtend von „der einzigen Frau, die ich liebe, aber nicht besitzen kann“ oder aber er gab zu verstehen, dass er die Zuneigung der Königin großzügig erdulde. Was immer er empfand, es hielt ihn nicht von Beziehungen zu anderen Frauen ab.

Über all dem, den Geburten und den Todesfällen, den Skandalen, Mißverständnissen und Affären, den wechselnden Moden und Marotten, verging die Zeit und das Volk hungerte. Nur um den nachbarlichen Erbfeind auf der Insel zu ärgern, entsandte Frankreich den Amerikanern eine Armee, die sie in ihren Bestrebungen nach Unabhängigkeit von der englischen Krone unterstützte. Mit den zurück kehrenden Soldaten kamen neue Ideen von Freiheit und Gleichheit ins Land, mit denen der Adel kokettierte, Bürgertum und dritter Stand aber arbeiteten …