Lakritz statt Liebeskummer


Manchmal ist ein Ende das Beste, was dir passieren kann …

»Bitte keine Szene, das ist unter deiner Würde.« Das sagt der Ehemann, der zwischen Kartoffelsalat und Würstchen die Scheidung verlangt!
Sein Wunsch kommt zwar unerwartet, aber traurig macht er Clara nicht. Nur endlich einmal so wütend, dass sie Stunden später einsam und verlassen am Bahnhof von Moorstede im schönen Ammerland steht. Mit gerade mal fünfzehn Euro im Portemonnaie, einem Fotoalbum unterm Arm und einem Selbstbewusstsein, das diesen Namen nicht verdient. Es sieht nicht gut aus für ihre Zukunft.

Doch es kommt alles anders, als Clara es sich jemals erträumt hat. Wie sollte sie auch eine Kräuterhexe, einen Lakritzkoch und eine Karriere in Gummistiefeln vorhersehen? Oder das Glück, das in Moorstede wohnt? Und so wird es zwischen Moor und Meer (streit-)lustig und manchmal fast romantisch.

Lakritz statt Liebeskummer ist eine Komödie, die ohne explizite Szenen auskommt und nicht viel am Hut hat mit der Realität. Wer auf beides hofft, muss leider enttäuscht werden …

Mehr als nur Alexanders Ehefrau!

Da stand ich nun in Moorstede auf einem von zwei Bahngleisen. Um mich herum war außer grüner Landschaft unter blauem Himmel nichts zu sehen. Na, ich will nicht lügen: Es gab einen Ticketautomaten, einen überdachten Wartebereich und eine Straße, die in den Wald führte. Einsam war es, aber das genoss ich. Ich fand es herrlich, dass niemand wusste, wo ich war. Wie auch? Ich wusste es ja selbst nicht. Moorstede war nicht mein Ziel gewesen, als ich mit dem hastig gepackten Koffer, dem Regenschirm, Oma Clärchens Fotoalbum und zwanzig Euro in den Zug hechtete.
Ich holte tief Luft. Die übrigens sagenhaft war und nach Freiheit schmeckte. Hört sich an, als hätte ich eine dramatische Flucht hinter mir. Aber so war es natürlich nicht. Obwohl: Geflohen bin ich schon. Aus Versehen sozusagen.

Weggelaufen bin ich übrigens aus Lüxte. Wenn Sie es nicht kennen – keine Sorge, verpasst haben Sie nichts. Es war nie der Ort, an dem ich mein Leben verbringen wollte, auch wenn das immerhin gut dreißigtausend Menschen seit ein paar Jahren anders sehen. Deshalb ist Lüxte keine Kleinstadt mehr, sondern eine Mittelstadt. Was es besser trifft, als die meisten Bewohner sich eingestehen wollen. Es ist eben alles so …
Mittel. Schon irgendwie hübsch, aber nicht malerisch wie Xanten oder einladend wie Münster. In unserem Stadtmuseum gibt es nicht viel zu sehen, weil eigentlich nie etwas geschehen ist. Ob Römer, Schweden oder Franzosen – keiner von denen war hier. Wir sind von so ziemlich allen Kriegen verschont geblieben und sogar die Nazis hatten wenig Interesse an uns. Klar, hier haben ja auch alle brav mitgemacht, denn die meisten Lüxter sind gut darin, die Augen zu schließen.
Landschaftlich hat Lüxte es gut getroffen: Im Osten liegen Wälder und Felder, im Westen plätschert die Issel an uns vorbei. Wobei sogar das Flüsschen von uns Abstand hält. Wir haben eine mittelalterliche Innenstadt mit Fachwerkhäusern, die so penibel renoviert sind, dass sie aussehen, als wären sie aus Plastik gegossen. Dazu haben wir edle Supermärkte, teure Boutiquen und vornehme Restaurants; an Geld mangelt es den Lüxtern seit Generationen nicht. Alles ist hochanständig und irgendwie konservativ und hipp zugleich. Weshalb gerne junge Entrepreneure mit Frau und Kindern herziehen, weil sie für die Familie ein friedliches Fleckchen suchen. Unter der Woche sind die Herren in Dortmund oder Düsseldorf und am Wochenende kommen sie nach Hause, um Papa zu spielen. Und Golf natürlich. Irgendwann fangen sie an, ihre vereinsamte Frau langweilig zu finden, und dann sind sie weg. Die Herren Start-up-Gründer, nicht die Ex-Gattinnen, die an Lüxte gefesselt zurückbleiben, damit die Kinder nicht zu sehr leiden unter der Trennung. Wo sollen sie auch sonst hin? Das Luxushäuschen haben sie zusammen mit dem Geländewagen und dem Abo im Kosmetikstudio als Abfindung bekommen, dazu gibt es ein bisschen Geld jeden Monat. Na, und damit sie sagen können, dass sie total unabhängig sind von dem ›elenden Mistkerl‹, verkaufen sie selbst genähte Kirschkernkissen über etsy. So winzig Lüxte ist, es hat doch einen Vorort, der fast ausschließlich aus solchen Familien besteht – die einen noch scheinbar heil, die anderen halbiert.
Aber gut, ich will nicht lästern, denn ich weiß genau, wie leicht man in diese Hölle rutschen kann; immerhin habe ich all das jahrelang mitgemacht. Fünf Jahre und sieben Monate, um genau zu sein. Oder, um ehrlich zu sein: Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ziemlich bodenständig allerdings bei der Mutter meines Vaters. Der ist im diplomatischen Dienst und weil er immer Posten in Krisengebieten bekam, hatten er und Mutter mich bei Oma Clärchen abgeliefert. Einmal im Jahr, pünktlich zur Weihnachtszeit, trudelten sie bei uns ein, ließen sich von Oma verwöhnen und reisten im Januar wieder ab, froh, Lüxte hinter sich zu lassen. Mich haben sie nie wirklich vermisst und ich erwische mich manchmal dabei, wie ich meinen Vater am Telefon sieze.

Vermutlich sollte ich mich vorstellen, bevor ich weiter erzähle. Da fängt die Schwierigkeit schon an. Vor einem Jahr noch hätte ich gesagt: »Hi, ich bin Clara, die Frau von Alexander Wittmann. Ja, genau, der schönste Anwalt der Stadt, hahaha.«
Traurig, oder? Dass ich mich immer als Alexanders Frau vorstellte. Aber viel anderes hätte ich nicht zu erzählen gehabt; ich hatte keine großen Reisen unternommen, ich hatte keinen eindrucksvollen Job, ich war weder Mutter noch Vorsitzende irgendeines Vereins, nicht einmal von einem Haustier hätte ich schwärmen können. Klingt scheußlich langweilig, nicht wahr?
Aber ich bin nicht langweilig. Sondern blöd. Weil ich mich in allem, was ich tat, ganz nach Alexander gerichtet hatte. Anfangs natürlich, weil ich verliebt war, und dann, weil ich mich daran gewöhnt hatte und in unserem Freundeskreis alle genauso lebten. Na ja, es war nicht wirklich unser Freundeskreis, sondern Alexanders. Und eigentlich war es eher ein Kreis von losen Bekannten. Echte Freunde hat er nicht. Geschäftspartner und Klienten hat er und die sind ihm auch viel wichtiger als Freunde.
Wieso ich in so einen verliebt war? Gute Frage.

Ich denke, ich muss vorne anfangen. Also, ich bin Clara, neunundzwanzig Jahre alt, in Lüxte geboren und zur Schule gegangen. Ich war eine ziemlich gute Schülerin, aber sehr schüchtern und von der Pubertät gebeutelt: dünn, picklig, bebrillt und immerzu hoffnungslos in irgendwen verknallt. Mich haben die Jungs nur angesprochen, wenn sie Hilfe in Deutsch oder Geschichte brauchten. Oder wenn ich sie mit meiner Freundin Julia bekannt machen sollte. Julia war, was ich nicht war: blond gelockt, bildhübsch, immer fröhlich und mit einer tollen Figur gesegnet.
Aber kurz vorm Abi geschah es: Julias neuer Freund brachte seinen älteren Bruder zu einer Party mit. Alexander Wittmann. Groß, dunkelhaarig, mit blauen Augen und einem süßen Grübchen im Kinn. Was attraktiver klingt, als er wirklich ist. Wobei das viele bis heute nicht merken. Das hört sich an, als ob mir das Aussehen wahnsinnig wichtig wäre, aber ich bin nicht oberflächlich; für mich zählt Charakter mehr als ein durchtrainierter Körper. Aber bei Alexander …
Wie soll ich das erklären? Es gibt Menschen, die auf den ersten Blick nicht viel hermachen, aber immer schöner werden, je länger man sich mit ihnen unterhält. Und es gibt Menschen, bei denen es genau anders herum ist. Bei Alexander ist es so, dass er auftritt wie jemand, der unglaublich gut aussieht, und gerade dann, wenn man merkt, dass das gar nicht stimmt, hält man ihn schon für wahnsinnig intelligent und enorm einfühlsam. Was noch weniger stimmt. Irgendwie gelingt es ihm, sowohl Schönheit wie auch Charakter vorzugaukeln. Aber das habe ich erst spät verstanden.
Oma Clärchen allerdings hatte das sofort begriffen, doch auf die wollte ich nicht hören. Natürlich nicht, ich kam mir ja vor wie die Prinzessin aus dem Märchen. Da war ich auf dieser Party und dann kommt dieser Typ rein: fünf Jahre älter, Jurastudent aus Köln, trägt Designerjeans, ist eloquent, wirft mit Geld um sich und sieht gut aus. Alexander war für uns der Inbegriff der großen weiten Welt und neben wen setzte er sich? Mit wem redete er die ganze Nacht und mit wem tanzte er? Mit mir. Clara Ludwig. Dem Mauerblümchen. Wir haben über alles Mögliche gesprochen und was es auch war, wir waren immer einer Meinung. In allem. Ausnahmslos.
Ich glaubte ihm, dass er so gerne wie ich in den Briefen der Madame de Pompadour las und die Geschichte der Menschheit für die Grundlage jeder Entscheidung hielt. Heute weiß ich, dass er mir in allem zugestimmt hat, um mir zu gefallen. Was man schmeichelhaft finden kann.
Oder verlogen.

Als wir uns kennenlernten, verbrachte Alexander die Semesterferien bei seinen Eltern in Lüxte. Meinetwegen sagte er seinen Italienurlaub ab und blieb hier. Selig vor Glück stellte ich ihn Oma Clärchen vor, die ihn seltsam fand, aber sehr freundlich auf ihn zuging. Alexander weiß bis heute nicht, dass sie mich immerzu gewarnt hat. »Liebschen«, sagte sie, »der Alexander ist’n Spießer. Der liebt dich, weil du still und brav bist. Weil der nämlich mit einer anderen gar nicht klarkäme. Wenn dem eine ein Widerwort gibt, dann läuft der fort. So einen willste doch nicht, oder?«
Leider wollte ich ihn doch. Ich hörte in allem auf Oma Clärchen, weil sie witzig war und schlau und immer genau wusste, wie es mir geht und was ich brauche. Aber Alexander war meine erste Liebe und vor allem der erste Mann, der mich schön fand; das wollte ich mir nicht kaputtmachen lassen. Auch nicht von Oma Clärchen.
Ich wusste es besser und hielt mich für erwachsen genug, eigene Entscheidungen zu treffen. Immerhin hatte ich mein Abi in der Tasche, einen Studienplatz für Geschichte in Bonn erhalten und ein Miniappartement gemietet. Ich traf Alexander kaum eine Woche, da kannte ich sogar schon den Fahrplan sämtlicher Busse und Bahnen zwischen Bonn und Köln auswendig. Oma Clärchen mischte sich nicht weiter ein; sie dachte, dass ich so dämlich nicht sein würde, wie ich dann doch war.

Das erste Jahr mit Alexander war sagenhaft. Jeden Freitagabend stand ich am Bahnhof und wartete auf ihn und jeden Montagmorgen brachte ich ihn zurück. Unter der Woche lernte ich fleißig, ging abends aus und entwuchs dem Mauerblümchendasein. Die Brille tauschte ich gegen Kontaktlinsen, meine Haare ließ ich wachsen, statt Jeans und T-Shirt spielte ich mit allen möglichen Looks von Hippie bis mondän und sexy.
Was Alexander gefiel. Sagte er. Ich glaubte ihm. Aber ich glaubte ja auch, dass ich ihn verstand. Ich hielt ihn für den häuslichen Typ, dem nichts so wichtig war wie unsere Beziehung. Mir fiel bald auf, dass er mit der Großstadt nichts anfangen konnte. Wenn wir mal in Köln unterwegs waren, dann gingen wir ins Kino oder ins Theater, nie in eine Kneipe; wir trafen keine Freunde oder waren auf Partys eingeladen. Alexander wohnte in einem schicken Apartment, das er mit dem Sohn eines Geschäftsfreunds seines Vaters teilte, den er nicht mochte. Also trafen wir uns bei mir. Was mir lieb war, denn ich fühlte mich in Bonn sehr wohl.

Ein Jahr später erklärte Alexander, dass er aus Liebe zu mir ab dem nächsten Semester nicht mehr in Köln, sondern in Bonn studieren würde; den Mietvertrag für eine Wohnung in Uninähe hatte er schon unterschrieben. Ich fand das himmlisch, packte meine Sachen und zog in die Dreizimmerwohnung über den Dächern Bonns. Alexander drückte mir einen Batzen Geld in die Hand, um alles so einzurichten, wie es mir gefiel.
Das Ergebnis fand er toll, obwohl dann zwei Jahre später nichts von meinen Flohmarktschätzen den Weg in den Umzugswagen fand. Was ich erst beim Einräumen bemerkte. »Da hat es wohl ein Missverständnis gegeben«, meinte Alexander.
Offenbar, denn mir teilte die Umzugsfirma mit, es sei der Karton mit dem Altmüll wie gewünscht entsorgt worden. Ich nahm es gefasst auf; ich war zu sehr damit beschäftigt, unser Haus in Lüxte einzurichten. Flohmärkte gab es in der Umgebung nicht, auch der nächste Ikea war weit entfernt, also kaufte ich im Luxusmöbelhaus, was wir brauchten. Mit Alexander zusammen. Na ja, unser Haus sah dann auch ziemlich anders aus als die Wohnung in Bonn, aber Alexander meinte, ich könnte mit bunten Kissen und Blumen eine Menge machen. Er ließ einen Gärtner kommen, der aus der romantischen Wildnis, die für mich das Schönste an unserem neuen Heim war, eine Art Park machte. Mir gefiel das nicht, aber was zählten solche Kleinigkeiten schon im Angesicht einer großen Liebe?
Oma Clärchen konnte es nicht fassen. »Liebschen, was denkste dir nur? Du bist doch wohl des Wahnsinns fette Beute, dem sein Spiel mitzumachen!«
Ich war beleidigt, obwohl ich ihre Frage nicht beantworten konnte. Denn was hatte ich mir dabei gedacht, mein Studium abzubrechen? Alexander hatte seines beendet und brannte darauf, zu arbeiten. Er sprach davon, wie aufwendig eine Fernbeziehung wäre und er nicht jedes Wochenende nach Bonn kommen könne.
Also schlug ich vor, mit ihm zu gehen. »Ich helfe dir, die Kanzlei aufzubauen, und sobald sie läuft, hole ich meinen Abschluss nach.«
Alexander nannte mich die beste Frau der Welt und versprach mir, ich würde dann von ihm unterstützt werden. Ich war ihm dankbar – was wirklich der Gipfel der Blödheit war – und setzte mich als Sekretärin in sein Vorzimmer. Ich habe ein Händchen für Akten und Ablage, ich schreibe perfekte Klageschriften, ich telefoniere gerne und sowieso hatte ich in den letzten zwei Jahren nicht nur Geschichte studiert, sondern Alexander bei all seinen Prüfungen so intensiv geholfen, dass mir Jura nicht fremd war. Ich sorgte mit ganzem Einsatz dafür, dass seine Kanzlei professionell wirkte.
Und mir hat die Arbeit wirklich Freude bereitet: Etwas aufbauen, selbstständig sein, mit Leuten reden – diese Erfahrung ist mir wertvoll. Oma Clärchen aber war entsetzt. »Liebschen! Wie kannste nur so viel Zeit in dem seine Kanzlei stecken! Der zahlt dir doch nicht mal was!«
Früher war ich immer sehr stolz auf meine Großmutter gewesen, die sich von keinem die Butter vom Brot nehmen ließ. Jetzt fand ich es nervtötend, wie sie einfach nicht sehen wollte, was Alexander und mich verband. »Das ist nicht seine Kanzlei, sondern unsere. Wir bauen uns gemeinsam was auf und was an Geld reinkommt, das gehört uns beiden.«
»Ja, schön und gut, aber der Alexander geht jeden Abend zum Essen aus, während du zu Hause am Zwieback knabberst und die Böden wischst.«
»Aber er muss raus, damit er sich einen Namen macht. Jetzt im Moment ist er dabei, den Gabriel als Klienten zu gewinnen. Wenn wir den haben, dann bekommen wir die anderen auch.«
»Und dir gefällt, dass dein Alexander diesen geizigen Fettsäcken helfen will, noch weniger Steuern zu zahlen? Darum geht es doch, oder?«
»Oma, Alexander hätte sehr gerne eine andere Richtung eingeschlagen, aber in Lüxte haben wir schon drei Kanzleien, die in Familienrecht machen, einen Strafverteidiger, der nichts zu tun hat, und alles, was man noch braucht, ist auch besetzt. Das Einzige, was hier fehlt, ist ein Wirtschaftsanwalt, also hat Alexander in den sauren Apfel gebissen, um -«
»Ach Liebschen, du redest dir aber auch alles schön, was der macht. Wenn der unbedingt was anderes machen wollte, dann hätte der ja nicht nach Lüxte kommen müssen.«
»Alexander ist nun einmal sehr heimatverbunden und er hängt an seiner Familie.«
»Ach, Blödsinn. Der ist einfach nur nicht gemacht für die große Stadt. Der ist lieber ein großer Fisch im Teich als ein kleiner im Meer. Deshalb ist der hier. Weil der hier den Zampano geben kann und in Bonn eben nicht.«
»Ich finde es gut, dass er so bescheiden ist.«
»Aber du wolltest immer raus hier. Der ist einfach nicht der Richtige für dich.«
So oder so ähnlich führten Oma Clärchen und ich immer wieder das gleiche Gespräch. Und jedes Mal blieb ein kleines bisschen was davon bei mir hängen. Es störte mich schon, dass Alexander ständig alleine ausging mit seinen Geschäftspartnern, die ihrerseits die Gattin mitbrachten. Und ich fand durchaus, dass auch er mal den Putzeimer in die Hand nehmen oder das Abendessen zubereiten könnte. Doch irgendwie endeten meine Versuche, ihn dazu zu bewegen, immer damit, dass er mir seine Liebe erklärte und versprach, alles würde bald besser werden.
Und es gab noch etwas, das mich störte: Er nannte mich in der Kanzlei immer Frau Ludwig. So konservativ war selbst Lüxte nicht, als dass er mich nicht beim Vornamen hätte nennen können! Alexander behauptete, er fände das sexy. »All die alten Knacker halten mich für einen noch besseren Anwalt, weil sie glauben, ich hätte was mit meiner Sekretärin.«
»Mir wäre es lieber, sie wüssten, dass ich deine Freundin bin. Der Gabriel hat mir neulich auf den Busen gestarrt und der Heinze hat mich am Po berührt.«
»Auf welchen Busen denn?« Alexander lachte.
»Das trauen die sich nur, weil sie nicht wissen, wie wir zueinander stehen.«
»Schatz. Bitte. Wenn du als meine Freundin am Telefon sitzt, dann nehmen die Leute unsere Kanzlei nicht ernst.« Alexander fand außerdem, es sei nicht die Schuld der alten Knacker, dass sie mich angafften, sondern die meiner Kleidung. »Weißt du was, wir fahren am Samstag nach Düsseldorf und kleiden dich anständig ein.«
Das leuchtete mir irgendwie ein; Blümchenkleider und zerrissene Jeans waren ja wirklich nicht das, was man in einer Wirtschaftskanzlei erwartete. »Wieso in Düsseldorf?«
»Wenn wir hier shoppen gehen, heißt es nachher, du lässt dich vom Chef aushalten.«
Wir drehten uns im Kreis, denn das Problem hätten wir lösen können, indem wir endlich als Paar aufgetreten wären. Oma Clärchen, die Wittmanns und die Nachbarn wussten von uns, nur die haute volée von Lüxte nicht und dabei wollte Alexander es belassen. Wegen der Kanzlei. Unserer Kanzlei. Und ich blödes Schaf machte mit, ohne zu merken, wie ich mich immer weiter verlor.

Ich merkte es nicht, weil Oma Clärchen kurze Zeit darauf zusammenbrach und ins Krankenhaus kam. Es ging alles wahnsinnig schnell; wir hatten kaum die Diagnose erhalten, da verschlechterte sich ihr Zustand schon. Das letzte, was sie zu mir sagte, war das Einzige, was ich weiterhin nicht hören wollte: »Liebschen, ich bitte dich, du bist noch viel zu jung, um jetzt schon deine Träume aufzugeben. Da draußen, da ist noch so vieles zu sehen und irgendwo wartet auch der Mann auf dich, der dich genauso lieb hat, wie du bist.«
Ich nickte und Oma Clärchen sprach weiter: »Ich seh das doch, dass du gar nicht so glücklich bist, wie du tust. Und dass du den Alexander so dolle auch nicht mehr findest.«
Damit hatte sie recht. Sie hatte immer mit allem recht gehabt, aber wie gesagt: Das wollte ich nicht wahrhaben. Ich war weder eine umwerfende Schönheit noch der Mittelpunkt jeder Gesellschaft. Sollte eine wie ich nicht froh sein, überhaupt einen Mann gefunden zu haben? Und dann noch einen wie Alexander? Den alle so toll fanden?
Hätte Oma Clärchen sich erholt, dann wäre ich bestimmt in wenigen Monaten so weit gewesen, meine Beziehung zu beenden. Was war das denn für eine Beziehung? Viel zu oft saß ich allein im Büro und schuftete oder ich war allein zu Hause und putzte. Und wenn wir zusammen waren, dann taten wir, was Alexander wollte, der sich ja von seiner anstrengenden Arbeit erholen musste: Fernsehen, im Fitnessraum in die Pedale treten oder den Garten pflegen.
Das war mir nicht genug und mittlerweile nervten mich seine Sprüche. Ich meinte zum Beispiel einmal zu ihm, dass mich seine Intelligenz mehr angezogen hatte als sein Aussehen. Und er antwortete, es sei ein großes Glück, dass er auf Verstand weniger Wert gelegt hätte, weil wir sonst nicht zusammen wären. Wenn er wenigstens gesagt hätte, dass er sich keine schönere Freundin wünschen könnte. Aber was tut er? Er grinst und erklärt, dass es bei uns halt wie in der Tierwelt sei: »Da sind die Männchen die Hübscheren.«
Im Klartext hieß das, dass er mich weder für schlau noch schön hielt. Dafür aber war ich angeblich übertrieben sensibel. »Schatz, echt jetzt, du musst nicht die Beleidigte spielen. Auf den Charakter kommt es an. Du bist süß und hilfsbereit und fleißig, darauf solltest du stolz sein. Was macht es schon, dass du einen kleinen Busen hast und nicht gut im Kopfrechnen bist?«
Süß, hilfsbereit und fleißig. Was war ich denn bitte? Eine von Aschenputtels Ringeltauben? Ich war wütend, doch das prallte an Alexander ab. Irgendwie blieb mir das Gefühl, dass ich vielleicht wirklich nichts Besonderes war. Wie sehr ich mich auch bemühte, ihm zu beweisen, dass ich klug, witzig und sexy war, ich kassierte einen blöden Spruch nach dem anderen. Die ich seiner Meinung nach viel zu ernst nahm, weil ich keinen Humor hatte. Über nichts konnten wir uns ernsthaft unterhalten außer über seine Fälle und dann spielte er sich gerne als Chef auf, obwohl ich die Paragrafen auswendig herbeten konnte und er nicht.

Ja, ich hätte mich damals trennen sollen. Aber noch war ich nicht so weit und Oma Clärchen, deren Hilfe ich gebraucht hätte, erholte sich nicht. Eines morgens erhielt ich den Anruf der Oberschwester, die mir sehr lieb mitteilte, es sei die Frau Ludwig friedlich eingeschlafen. Meine Großmutter war für mich der wichtigste Mensch überhaupt gewesen und ich war untröstlich.
Alexander war großartig. Das war er wirklich, das will ich nicht kleinreden. Eine Woche lang hat er die Kanzlei geschlossen, mich ins Bett gepackt, Liebesfilme besorgt und Pralinen (obwohl ich Lakritz lieber mag, aber die Geste zählt und die Pralinen waren sehr lecker). Er hat sich jede Anekdote aus Oma Clärchens Leben zehn Mal wenigstens angehört, er hat sich um die Beerdigung gekümmert und um die Wohnungsauflösung, er hat wirklich alles getan, was ein Mensch nur tun kann, um Trost zu spenden. Und zu guter Letzt reichte er mir einen Ring und fragte, ob ich ihn heiraten wolle.
Meine Zweifel waren vergessen; ich glaubte, ich hätte endlich den wahren Alexander kennengelernt. Den, der seine Gefühle hinter Flapsigkeit verbarg. Den, der für mich da war. Ich sagte ja. Drei Wochen später waren wir schon verheiratet; Alexander kannte mittlerweile die richtigen Leute, um das in die Wege zu leiten.

Unsere Hochzeit war eine eigenartige Angelegenheit. Aus Respekt vor Oma Clärchen war es eine intime Feier – außer den Wittmanns und meinen Eltern hatte ich nur zwei weitere Menschen eingeladen: Julia und Sven.
Zu Julia hatte ich lange keinen Kontakt gehabt, aber als sie Omas Todesanzeige las, da stand sie sofort vor meiner Tür. Alexander hätte sie beinahe nicht reingelassen; obwohl sie schon lange nicht mehr mit seinem Bruder zusammen war, schob er ihn als Grund vor. Er fand es zwar nett, dass sie sich um mich kümmerte, aber es gefiel ihm nicht, dass sie meine Trauzeugin werden sollte – das sei doch sehr unangenehm für seinen kleinen Bruder. Was allerdings gar nicht stimmte; der freute sich, Julia zu sehen, und ich glaube, die beiden hatten noch mal was miteinander für ein paar Wochen.
Heute denke ich, Alexander hatte Sorge, dass Julia ihn für den Falschen hielt. In Wirklichkeit brauchte sie über ein Jahr, bis sie mich das erste Mal fragte, ob mir mein Mann nicht zu spießig sei. Leider brach sie am nächsten Tag nach Toulouse auf, wo sie ihre Traumstelle antrat. Wenn wir skypten, war Alexander selten ein Thema, und wenn doch, dann täuschte ich Verbindungsprobleme vor. Ich war vierundzwanzig und befürchtete, mein Leben wäre zu Ende, wenn ich ohne Alexander wäre. Das zeigt wohl deutlich, wie wenig ich von mir selbst hielt.

Julia war meine Trauzeugin und Sven der von Alexander. Sven ist Alexanders Freund. Mehr oder weniger. Sie waren Klassenkameraden, die im selben Tennisklub trainierten, und sie haben während der ersten Semester gemeinsam gelernt, bis mein Mann nach Bonn zog. Sven hat mit Auszeichnung bestanden, ist nach Berlin gegangen, hat seinen Doktor in Rekordzeit gebaut und ist dann in eine Hamburger Filmfirma eingestiegen, die ihm jetzt gehört. Was genau er da tut oder wieso er die Branche gewechselt hat oder wie es kam, dass er der Chef ist – na, das ist alles ziemlich uninteressant.
Zweimal im Jahr kommt er nach Lüxte, dann zieht er mit Alexander um die Häuser. Mit mir geht er mittags essen, wir spazieren durch den Stadtpark und wundern uns über alle, die glauben, Lüxte sei das höchste der Gefühle. Wir haben einen guten Draht zueinander. Von Anfang an. Sven ist charmant, gebildet und locker. Hässlich ist er auch nicht. Er behandelt mich wie eine kleine Schwester, die Aufmunterung braucht, und erzählt mir von seinen Affären. Immer fordert er mich auf, Alex mal Feuer unterm Hintern zu machen, damit er kein Superspießer wird. Er ist übrigens der Einzige, der Alexander Alex nennt und sich über ihn lustig macht. Was mein Mann sich nur deshalb gefallen lässt, weil er Sven bewundert. Wenn wir zu dritt waren, war Alexander übrigens immer sehr aufmerksam mir gegenüber; dann bekam ich Komplimente und Lob in rauen Mengen.

Bis zum Juni letzten Jahres veränderte sich mein Leben noch weiter. Ich war Ehefrau und sonst gar nichts mehr. Die Kanzlei lief sehr gut an, denn die Lüxter Unternehmer waren begeistert von Alexanders Können. Das gestehe ich ihm gerne zu: Von Wirtschaft versteht er was. Aber es ist ihm gleichgültig, dass die Verträge, die er entwirft, selten für beide Seiten fair sind. Als ich das vor gut vier Jahren feststellte, war ich wütend; ich wollte mit solchen Geschäftspraktiken nichts zu tun haben. Legal war Alexander auf der sicheren Seite. Moralisch nicht. Ich machte ihm heftige Vorwürfe; ich staunte, wie tough ich auf einmal war. Ausnahmsweise einmal hörte Alexander wirklich zu und versprach, das solle anders werden. Und ich meinte, vielleicht wäre das ein guter Zeitpunkt, mein Studium wieder aufzunehmen.
Das fand er schrecklich. Ob ich ihn verlassen wolle, ob ich ihn nicht mehr liebe, wie ich ihm das antun könne? Blablabla. Aber ich fiel drauf rein; schon weil ich mir das Studium gar nicht mehr zutraute. Und weil ich gerne glauben wollte, dass wir uns doch noch liebten. Alle Welt hielt uns schließlich für ein tolles Paar und immer hieß es, ich hätte es so gut getroffen. Ihm sagte das nie jemand. Außer Sven und Julia natürlich.

Wenige Tage nach diesem Gespräch erklärte Alexander, ich solle endlich den Lohn für meine harte Arbeit erhalten. Er warf mich raus. Sagte er so natürlich nicht. Ich sollte mich mit den Frauen seiner Klienten amüsieren, das täte mir gut, abgearbeitet und erschöpft, wie ich aussähe. Für die Kanzlei sei das auch nützlich. Social Networking und all das.
Dann stellte er Vanessa ein, um meine Aufgaben zu erledigen. Vanessa Kinkel. Ich wollte sie einarbeiten, denn das Mädchen hatte eben erst seine Ausbildung beendet. Mein Mann fand das unnötig; ich würde Vanessa nur einschüchtern und sie sollte ihren eigenen Stil finden, während ich mein Leben genieße. Dass sie mich täglich ein Dutzend Mal anklingelte, weil sie nicht weiterwusste, änderte an Alexanders Meinung nichts. Wenn ich trotzdem in die Kanzlei kam (wo ich dann den Großteil von Vanessas Arbeit übernahm, weil sonst Fristen abliefen), nannte er mich übergriffig und kontrollsüchtig. Also blieb ich fort und ließ es klingeln, wenn sie anrief. Fand mein Mann auch nicht richtig.

Vanessa. War ja klar, was passieren würde. Alexander war eben dreiunddreißig geworden und Vanessa einundzwanzig. Auf sie machte er richtig Eindruck. Kein Wunder, besonders helle war sie nicht. Sie war sogar zu dämlich, Rundmails datenkonform zu versenden. Dafür hatte sie einen großen Busen und betete Alexander so ergeben an, wie selbst ich es niemals geschafft hatte.
Und obwohl ich es ahnte, fiel ich aus allen Wolken, als Alexander mir am 10. Juni beim Mittagessen mitteilte, dass:

ihm mein Kartoffelsalat nicht schmecke und
er die Scheidung wünsche.
»Weil dir das Essen nicht schmeckt?« Ich war etwas verwirrt über die Art, wie er Wunsch und Kritik miteinander vermengt hatte.
»Sei nicht albern, Clara. Wir passen einfach nicht mehr zusammen. Das passiert leider, wenn der eine sich weiter entwickelt und die andere zurückbleibt. Ich habe mein Bestes versucht, aber -«
»Moment mal! Du hast dich weiterentwickelt? Wohin denn bitte? In Richtung skrupelloser Geldschneider etwa? Herzlichen Glückwunsch!«
»Clara, bitte. Ich bin dir dankbar für die schönen Jahre und ich verstehe deine Enttäuschung, doch lass uns das bitte sachlich und fair regeln wie Erwachsene.«
»So fair wie deine Verträge?«
»Clara, bitte. Ich –«
»Sage noch einmal Clara und bitte. Dann schreie ich!«
Alexander schüttelte den Kopf. »Ich schlage vor, du bleibst zunächst im Haus und ich wohne in der Kanzlei, dann hast du Zeit genug, zu überlegen, was du gerne mitnehmen möchtest und wie es für dich weitergehen soll.«
»Wie sachlich und fair. Ich schlage vor, du finanzierst mein Studium und -«
»Das ganz sicher nicht. Ich bitte dich, du bist Ende zwanzig, da wirst du dich nicht in einen Hörsaal setzen, um ein sinnloses Fach zu studieren. Ich bin durchaus bereit, dich zu unterstützen, bis du auf eigenen Füßen stehen kannst. Vanessa sucht schon nach einer kleinen Wohnung in der Nähe für dich und ich werde meine Verbindungen gerne nutzen, dir eine Stelle zu verschaffen. Der Gabriel sucht ja immer nach guten Sekretärinnen, da lässt sich bestimmt etwas machen. Was denkst du, wie lange wirst du brauchen, bis -«
Ich hatte sprachlos zugehört. Vanessa? Der Gabriel? Eine kleine Wohnung in der Nähe? In welchen Film war ich geraten? »Du glaubst nicht etwa, ich bleibe in Lüxte und arbeite für einen deiner Klienten? Wie –«
»Das liegt natürlich ganz bei dir, aber ich werde keine Wohnung anderswo bezahlen.«
»Was soll das?«
Alexander seufzte. »Lass mich offen sein.«
»Oh, ich bitte darum. Was ist das mit Vanessa?«
»Bitte keine Szene, das ist unter deiner Würde.«
»Würde? Was weißt denn du davon? Du gehst mit einer Idiotin ins Bett, die links von rechts nicht unterscheiden kann, und sprichst von Würde?«
»Wenn du deinen Ton nicht änderst, breche ich das Gespräch ab. Und ich möchte dich in aller Freundschaft daran erinnern, was wir damals ausgemacht hatten.«
Er sprach vom Ehevertrag. Natürlich. Den Fetzen Papier, den ich in meiner Trauer um Oma Clärchen kaum wahrgenommen hatte. Dieses Konstrukt, von dem er gemeint hatte, es bedeute gar nichts und ich müsse nur seiner Eltern wegen unterschreiben. Von steuerlichen Vorteilen hatte er gefaselt und davon, wie unsere Liebe für die Ewigkeit wäre. Und von seinen Eltern, die vielleicht irgendwann gepflegt werden müssten.
»Wenn du aus Lüxte fortgehst, hast du keinerlei Anspruch auf meine Hilfe; das hatten wir klar und einvernehmlich geregelt.«
»Was hast du davon, wenn ich hierbleibe?«
»Mir ist auch in Zukunft an einem netten Miteinander gelegen.«
»Blödsinn! Du willst nur nicht, dass es mir anderswo besser geht als mit dir! Du willst weiterhin bestimmen, was ich tue!«
»Mach dich nicht lächerlich. Du glaubst doch nicht im Ernst, ich finanziere dir dein Hobby bis in alle Ewigkeit?«
»Du hattest versprochen –«
»Du kannst gerne einen Anwalt hinzuziehen, aber er wird dir nichts anderes sagen als ich: Unser Vertrag ist wasserdicht. Wenn du in Lüxte bleibst und einspringst, wenn es nötig ist, dann bezahle ich im Gegenzug eine Wohnung bis zu vierzig Quadratmetern ohne zeitliche Begrenzung. Das ist mehr als großzügig.«
»Einspringen?«
Wirklich, dieser Kerl lachte und schüttelte den Kopf. Mit Recht, ich war ja eine Idiotin gewesen. »Du solltest dir angewöhnen, Verträge zu lesen, bevor du sie unterschreibst. Du hast so lange ein Anrecht auf meine Unterstützung, so lange du dich weiterhin in mein Unternehmen einbringst, wann immer es erforderlich sein sollte.«
»Du hast mich rausgeworfen!«
»Ich habe dir unbefristeten Urlaub gewährt in der Hoffnung, dass du dich auf unsere Beziehung besinnst und unser Haus endlich in ein Heim verwandelst. Das berührt unseren Vertrag nicht im Geringsten.«
»Ein ehrlicher Mann hätte mir einen solchen Vertrag nicht vorgelegt, während ich in tiefer Trauer war!«
»Ja, ja, Oma Clärchen. Du tust so, als wäre sie eine Heilige gewesen, dabei hatte sie nichts als Ärger gemacht.«
Ich hatte noch niemals jemanden geschlagen und habe ehrlich nicht vor, es jemals wieder zu tun. Ich weiß nicht, wer von uns sich mehr wunderte, als ich Alexander eine Ohrfeige versetzte. Es knallte ordentlich und ziemlich erschrocken setzte ich mich wieder hin. Ich wollte mich schon entschuldigen, da brüllte mein Mann los. Eine Wahnsinnige nannte er mich, ein verwöhntes Gör und eine Schmarotzerin, die ihm lange genug auf der Tasche gelegen habe.
Dann schwieg er. Vielleicht fiel ihm ein, dass Vanessa besser im Bett als am PC war. Oder er befürchtete, ich würde durch Lüxte rennen und erzählen, dass er alles andere als nett und einfühlsam war. Keine Ahnung, was es war, doch er lächelte und erklärte, ich solle jetzt brav sein, dann wolle er mir helfen, ein neues Leben aufzubauen. »Ich bin sicher, ich bekomme den Gabriel dazu, dir ein Spitzengehalt zu zahlen.«
»Du glaubst wirklich, dass ich mich an diesen Widerling verkaufe, der mir an die Wäsche will?«
»Schatz, bitte. Wer will dir schon an die Wäsche?«
Ich weiß nicht, warum gerade dieser Satz mich dazu brachte, abzuhauen. Es war ja nicht so, als ob ich mich über Sexyness definieren wollte; es traf mich viel mehr, für dumm gehalten zu werden. Aber etwas machte Klick, ich sprang auf, rannte ins Schlafzimmer, zerrte den Koffer vom Schrank, riss wahllos Klamotten vom Bügel, schnappte mir Handtasche, Schirm und Fotoalbum und rannte aus dem Haus.
Alexander stürzte hinter mir her, aber ich war schneller. Ich hüpfte in meinen Wagen und gab Gas. Hätte ich ausreichend Benzin im Tank gehabt, wer weiß, wo ich dann gelandet wäre. Vermutlich wäre ich nach Bonn gefahren. Meiner guten Erinnerungen wegen. Stattdessen blinkte die Tankanzeige wie wild, als ich am Bahnhof vorbeifuhr. Das war doch wohl ein Zeichen, oder? Ich ließ das Auto stehen, lief durch die Halle auf den Bahnsteig und sprang in den Zug, dessen Türen sich eben schließen wollten.