Recherche, Recherche, Recherche


Wenn ich nicht eben eine kleine, knappe, kurze Geschichte schreibe, die in einem luftleeren Raum spielt, dann muss ich recherchieren.
Mal mehr, mal weniger, aber immer gibt es etwas, dass ich ganz genau und sicher wissen will, um weiterschreiben zu können. Das kann etwas so scheinbar Unwichtiges sein wie die Zusammensetzung von Lakritze, das kann aber auch etwas sein wie die korrekte Ansprache für eine englische Herzogin, die Auflösung einer Behörde in der Weimarer Republik oder wie lange es braucht, bis ein Mann ertrinkt. (Letzteres klingt jetzt irgendwie unschön, aber ich möchte höflichst daran erinnern, dass ich auch Kriminalromane schreibe und da kommt so etwas gelegentlich vor …)

Meist reicht es, wenn ich vor Projektbeginn in die Zeit hineinlese und (gerade bei Emma) nachschaue, ob etwas Wichtiges geschehen ist, das sich in der Geschichte widerspiegeln muss. Dabei passiert es mir immer wieder (gerade bei Emma … 😀 ), dass etwas passiert ist, das perfekt zu meiner Idee passt. Als ich beispielsweise am Letzten Tanz schrieb, wo es um ein russisches Pärchen geht, fand zur gewählten Zeit in Moskau die Zehnjahresfeier zur Oktoberrevolution statt – zusammen mit vielen Lippenbekenntnissen, die die umliegenden Staaten in Sicherheit wiegen sollten. Ich war begeistert und freue mich noch immer jedes Mal, wenn sich solch wunderbare Zufälle ergeben. Da findet sich dann meist ein Detail, das mir bis dahin unbekannt war, aber mich zu einer weiteren Verwicklung oder einem neuen Charakter inspiriert. Herrlich ist das und wirklich eine meiner allergrößten Freuden im Autorinnenleben.

Dann aber kann es auch so gehen wie bei Hedwig 1882 oder eben jetzt mit Eine schöne Kunst: Ich steige in eine Zeit ein, die mir entweder nur in groben Zügen bekannt ist oder mit der ich mich zuletzt vor Jahrzehnten befasst habe. Ehrlich gesagt wäre es durchaus möglich, einen Roman zu schreiben, ohne mich in jedes Detail zu vertiefen, aber für mich fühlt sich das nicht gut an. Wenn ich schreibe – und ich schreibe ja entdeckend mit nur wenig Vorausplanung -, dann will ich mich sicher fühlen und nicht voranstolpern, während ich mich bemühe, nur ja nichts Falsches zu sagen.

Für Hedwig beispielsweise habe ich mich durch ein gutes Dutzend Bücher gelesen, die die Situation der Dienstmädchen um die Jahrhundertwende beleuchteten. Hedwigs Aufstieg habe ich begleitet, indem ich mich ebenso durch die Kalender für die vornehme Hausfrau, Modehefte und gesellschaftliche Ratgeber jener Jahre wühlte, um dann für den dritten Teil mein Wissen über Ägypten und seine Forscher aufzufrischen (von meinem siebten bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr kannte ich nru ein Ziel: Ägyptologin werden und von daher lasse ich dieses Thema ja sehr gerne in meine Romane aller Art einfließen).

François Rousseau – Maskentreiben im Bonner Hoftheater

Und jetzt begebe ich mich in das Bonn der Jahre 1789 bis 1796. Eine Zeit, die mich über Jahre ebenso faszinierte wie das Alte Ägypten, das Elisabethanische Zeitalter oder Anne Boleyns Lebensjahre. Was natürlich an der Französischen Revolution lag. (Um das mal eben zu erwähnen: Wenn ich zurückblicke, müssen meine Jugendjahre doch recht düster gewesen sein, denn nachdem Ägypten als Traum platzte, las ich alles über die Revolution und das Dritte Reich, immer schön im Wechsel, und ich erinnere mich an viele, viele durchgeweinte Nächte).

Ja, und jetzt gehe ich dahin zurück. Mehr oder weniger, denn ich bleibe meinem bevorzugten Schauplatz Bonn treu. Ebenfalls mehr oder weniger. Und neige deshalb dazu, einer ganzen Horde weißer Kaninchen in ihren Bau zu folgen. Und mich darin, was auch sonst, zu verirren. Warum?

Tja, das legt an der Thematik meiner kleinen Serie (von der ich noch nicht weiß, ob es zwei oder doch drei Teile werden). Da wäre meine fiktive Heldin Luise Dietz, die aus einer gut situierten Kaufmannsfamilie stammt und am Bönnischen Nationaltheater debütiert.
Das erste Thema ist also ein Schauspielerinnenleben und da gibt es einiges zu lernen, aber gar nicht so sehr viel zu finden – eine sehr mühsame Recherche ist das und eine mäßig ergiebige. Was dafür gesorgt hat, dass ich tagelang sehr verbissen mit allen möglichen Stichwörtern gesucht habe und kurz davor war, Google einen bösen Brief zu schreiben, weil man dort einfach nicht verstehen wollte, welche Informationen ich benötige.
Sehr ärgerlich. Sehr ärgerlich auch, dass, wann immer ich meinte, eine Arbeit über eine Schauspielerin gefunden zu haben, es dann doch nur um das ging, was sie spielte und wie der Autor dieser Stücke von Bedeutung für uns ist. Fast immer endeten solche Betrachtungen mit der lapidaren Aussage, dass die betreffende Dame verarmte und irgendwann starb. Wann und wo liegt meist im Dunkeln. Frauengeschichte endet immer wieder in Sackgassen.

Eine junge Schauspielerin am Hofe von Kurfürst Max Franz – nun, von da auch ergeben sich gleich drei weitere Rechercheaufgaben:

  • Wie war Max Franz, wie seine Haushaltung und sein Charakter?
  • Wie war das Verhältnis zu seiner Schwester Marie Antoinette, der Königin von Frankreich, und was genau geschah wann in ihrem Reich und ab wann zeigten sich die Auswirkungen der Revolution in Bonn?
  • Wie spielt Ludwig van Beethoven in Luises Leben hinein?

Ersteres ließ sich leicht herausfinden, zumal der Kurfürst bis heute in Bonn in gutem Ansehen steht, war er doch bescheiden, hilfsbereit und fleißig.
Was aber das Verhältnis der beiden Geschwister angeht, so findet sich nicht vieles. Meist ist die Rede davon, wie er als noch sehr junge Mann inkognito nach Versailles kam und dort wenig freundlich vom Hochadel empfangen wurde. Man nannte ihn hässlich und blöde und seine Schwester ärgerte sich sowohl darüber wie auch über ihn, weil er überhaupt erst den Anlass gegeben hatte für diesen Spott und die damit verbundene Peinlichkeit. Doch da die Geschwister die jüngsten Kinder Maria Theresias waren, dürften sie einander wohl zugetan gewesen sein.

Ja, und am berühmtesten Sohn Bonn komme ich natürlich nicht vorbei, denn er war seit seinem elften Jahr am Hofe angestellt und verkehrte im selben Freundeskreis, den ich auch meiner Luise zugedacht habe. Und weil sein Leben in Bonn relativ gut dokumentiert ist, habe ich durch ihn Einblick in diese Zeit. Und in dieses völlig fremde Bonn, das nur an wenigen Stellen aussah, wie es heute aussieht.

Macht summa summarum sechs bis sieben Themen, in denen ich recherchiere. Hofhaltung, Theaterleben, Bonner Stadtgeschichte, die Geschichte der Französischen Revolution, die Jugendjahre Beethovens, die Familien von Breuning, von Mastiauxn und Koch, dazu Mode, Längenmaße, Währung, Romane, Musik, Politik … Es ist ein echtes Rundum-Programm und ich stellte heute Morgen fest, dass ich mich leicht darin verlieren können und mit dem Schreiben erst in Jahren beginnen würde.

Was habe ich also getan? Ich habe mir eine grobe Chronik der Ereignisse erstellt und zu den ersten Monaten intensiv recherchiert. Und dann habe ich heute endlich mit dem Schreiben bekonnen. Schreiben werde ich, bis ich an einen solchen Ereignispunkt komme, dann wird wieder recherchiert und weiter geht es mit der Erzählung. Ich habe jetzt einen groben Überblick über die Bonner Gesellschaft und die geschichtlichen Ereignisse, dass ich weiß, wann ich wo nachzuschlagen habe. Das ist gut.

Was mich ein wenig belastet: Nach gut zwölf Tagen des Recherchierens war ich wahrhaftig verzweifelt, weil eines zum anderen führte und alles über kreuz ging, mich hierhin führte und dorthin und ein Ende gar nicht in Sicht war. Wie ich das alles in einem oder zwei oder drei Romanen unterbringen sollte, war mir ein Rätsel.
Bis mir klarwurde, was mir immer klarwird, wenn ich mich so vertiefe: Das muss alles gar nicht hinein, das dient nur dazu, mir die Zeit vor Augen zu führen. Bei der Nachforschung aber gerate ich so tief in diese Kaninchenlöcher, dass ich das vergesse. Ich musste mich daran erinnern, dass ich Luises Geschichte erzählen will und nicht etwa den tausendsten Roman über Beethoven oder Marie Antoinette oder auch den ersten über Maximilian Franz.
Sie sind Nebenfiguren, wenn auch bedeutende, ohne deren Existenz Luises Leben anders verlaufen wäre. Und wie Nebenfiguren erscheinen sie auch in meinem Roman, immer wieder tauchen sie auf, gestatten uns einen kleinen Einblick in ihre Seele, entscheiden mit ihren Worten den Fortgang der Welt und ziehen sich wieder zurück, bis sie gebraucht werden.