Emma Charlotte Schumacher


Emma kam am 31. Oktober 1906 auf diese Welt. Diese Welt, das bedeutete für die Tochter eines deutschen Ägyptologen und einer aus adliger Familie stammenden Engländerin das Bonn der Kaiserzeit, einer reichen Stadt mit einer renommierten Universität, vielen Pensionären und jeder Menge Natur um sich herum. Keine sich weit ausdehnende Stadt, doch eine, deren Ursprünge zwei Jahrtausende zurückreicht und in der die Streitereien kleiner und großer Herrscher immer rasch Auswirkungen zeigten; egal, ob es sich um Deutsche (oder was man aus der heutigen Sicht als Deutsch empfinden mag) und Franzosen handelte oder um Katholiken und Protestanten. Oft war Bonn gestürmt und besetzt, niedergebrannt und zertrümmert worden, doch noch immer stand es. Und auch seine Bürger standen gut da, wenn man nicht eben das Pech hatte, der Unterschicht mit ihren Tagelöhnern, Dienstmägden und Knechten anzugehören. Ein selbstbewusstes Bürgertum, das weder der höheren Bildung noch dem Handel abgeneigt war, bestimmte die Geschicke der Stadt.

Und aus solch einer bürgerlichen Familie stammte Emmas Vater her. Man hatte es zu einem gewissen und soliden Wohlstand gebracht; ein Haus in der Arndtstraße 13a bewohnte die Familie, zu der außerdem die Schwester des Professors zählte, deren Unterhalt man sich leisten konnte. Emmas Mutter hingegen, deutlich jünger als ihr Gatte, kam aus dem englischen Landadel; auf einer ihrer Reisen, die sie gegen den Willen ihres Vaters unternahm, lernte sie den Professor kennen und blieb in Bonn, um nach einigen kinderlosen Jahren Emmas Mutter zu werden.

Emma wuchs heran, glücklich, zufrieden, geliebt. Der Erste Weltkrieg brach aus; auch in Bonn war er gegenwärtig. Oft gab es Luftalarm, doch nie, nicht einmal, fielen Bomben, nur selten war Feindflieger zu sehen. Die Versorgung der Bürger mit Nahrungsmitteln war schlecht und zu allem Überfluß brach die Spanische Grippe aus, die viele Opfer forderte. Auch Emma steckte sich an und wochenlang schwebte sie zwischen Leben und Tod.

Endlich, kurz vor ihrem 12. Geburtstag, erholte sie sich langsam. Ihre Mutter suchte an Schmuck zusammen, was sie finden konnte, und machte sich am 31. Oktober 1918 auf den Weg in die nahe Innenstadt, wo sie Zutaten für Emmas „Geburtstags- und Genesungskuchen“ eintauschen wollte. Sie bekam alles, was sie benötigte, und freute sich, ihrer Tochter einen herrlichen Tag zu bereiten.

Wieder einmal ertönte der Fliegeralarm, als sie eben den Friedensplatz überquerte; keiner der Passanten schaute auch nur in den Himmel – längst hatten sich die Bonner daran gewöhnt, den Alarm zu ignorieren. Doch an diesem Tag verirrten sich einige englische Flieger und warfen die ersten und einzigen Bomben auf Bonn. Einunddreißig Menschen starben und Emmas Geburtstag ist ab nun auch der Todestag ihrer Mutter.Nach Kriegsende gab der Professor die Tochter zu seiner Schwiegermutter nach England; so sehr hatte diese darum gebeten und ihm dargelegt, wie ungeeignet ein alter Mann für die Erziehung einer jungen Dame sei.

So wuchs Emma in London und Edinburgh heran, wo ihre Großmutter ein Haus besaß, das ihr Bruder ihr überlassen hatte. Und sehr beschützt lebte unsere Heldin, die Freiheiten der Zwanziger erfuhr sie nur durch Zeitschriften und Bücher. Emma war eine zierlich-schmale Person mit langen, dunkelroten Locken, sicherlich nicht hässlich und vielleicht sogar hübscher, als sie selbst es erkennen konnte – ganz so, wie es wohl den meisten jungen Mädchen ergeht. Still, schüchtern und zurückhaltend war sie und es ist nicht klar, ob sie so ruhig war, weil sie überall ein wenig fremd war, oder ob sie sich überall fremd fühlte, weil sie eine in sich gekehrte Persönlichkeit besaß.

Doch ihre mitunter linkische Schüchternheit sollte nicht täuschen: Ihre Gedanken waren alles andere als unkritisch, mitunter fällte sie rasche Urteile zu Ungunsten ihrer Mitmenschen. Wessen sie sich oft genug schämte. Was wiederum oft zu fleckig-roten Wangen führte – ihr ständiges Erröten quält Emma. Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb sie meist zu Boden schaut, anstatt aufrecht ihre Meinung zu äußern. Nicht, dass sie zu Widerspruch und Störrischkeit erzogen worden wäre; eine Dame bemüht sich stets, ihre Gedanken zu verbergen und ihre Gefühle ebenso.

Aber der Wunsch nach Veränderung und Unabhängigkeit wird stärker und als sie befürchtet, etwas sei mit dem geliebten Papa geschehen, da endlich bricht sie auf …