Der Ruf der Herrin vom See bringt Melisande und den Professor zurück nach Avalon. Hier lebt Elisanne, das junge Mädchen aus der Dunkelsten Welt. Visionen und wirre Träume plagen sie und so fasst sie einen Entschluss, der weitreichende Konsequenzen hat. Nicht zuletzt ist auch die Vampira Swanhild von den Folgen dieser Entscheidung betroffen. Sie sucht nach Verbündeten unter den Strigoi und stößt dabei auf mehr als eine Schwierigkeit.
Mit Schwierigkeiten anderer Art hat Odila, die Zeitenspringerin, zu kämpfen. Sie greift zu einer List, um die Königin der Schotten vor der Hinrichtung zu bewahren. Aber wird sie damit durchkommen und die Vergangenheit zum Besseren wenden?Es stehen Professor Olivero und den drei Agentinnen des Instituts für Fantastik auch im vierten Band ereignisreiche Tage mit alten und neuen Feinden und unerwarteten Freundschaften bevor. Zerstreut in alle Richtungen, doch vereint in ihren Zielen, geben sie nicht auf, das Glück ihrer Welt zu erhalten.
Professor Olivero
Sie finden also, ich sähe schlecht aus? Müde, erschöpft und kränklich gar? Nun, das nehme ich Ihnen nicht übel. Im Gegenteil. Ihre Einschätzung ist nah an galanter Schmeichelei, denn in Wirklichkeit fühle ich mich unendlich viel elender, als Sie es vermuten. Dass Sie es nicht sehen, liegt allein an Melisande. Ihre Liebe ist mein größtes Glück.
Obwohl: Das ist nicht gerecht all den anderen gegenüber. Deren Freundschaft und Treue, ihr Einsatz und ihr unerschütterlicher Mut sind mir ebenso wertvoll. So betrachtet gibt es vieles, für das ich dankbar bin. Es ist der Zustand meiner Welt, an dem ich leide. Und an meinen nicht verstummenden Zweifeln, mich als der Falsche für diesen Posten zu erweisen. Da ich aber an niemandem sonst zweifele, da ich meinen Agentinnen, meinen Freunden und Weggenossinnen Großartiges zutraue auch ohne meine Führung, fällt es womöglich nicht zu sehr ins Gewicht, wie geeignet ich sein mag.
Andererseits, wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist da etwas Neues in mir erwachsen, dessen ich mich fast schäme, so fremd ist es mir. Ganz tief in mir, da wispert eine Stimme, ich sei der Einzige, der in dieser Zeit und mit dieser Schar an magisch begabten Angestellten einen Erfolg erringen kann. Ist das nicht entsetzlich überheblich? Peinlich? Unverschämt?
Aber diese philosophischen Selbstbetrachtungen interessieren Sie nicht, das kann ich verstehen. Ich als Person bin nicht wichtig in diesen Zeiten. Zeiten, die so anders sind als alles, was ich mir vor wenigen Monaten noch hätte vorstellen können. Wo also stehen wir an diesem 10. Mai 1899? Wo fange ich an?
In Norwegen herrscht noch immer der ausgerufene Notstand; die Menschen waren gezwungen, sämtliche kleineren Ortschaften zu verlassen und sich in den größeren Städten zu verschanzen, wo sie von Militäreinheiten beschützt werden. Mein Freund Sören, der Institutsleiter Scandinavias, hat es immerhin geschafft, durch König Oskar II. von Schweden und Norwegen zum Obersten Berater des Heeres ernannt zu werden. Somit hat er Einfluss auf das Geschehen, das – handelten die Militärs so, wie sie es gewohnt sind – leicht in eine Katastrophe münden könnte. Anstatt auf die Jagd nach Trollmännern zu gehen, besteht dank Sören die Aufgabe der Armee in wachsamer Verteidigung. Die Soldaten halten die Stellung vor den Toren der Städte, organisieren den Nachschub an Lebensmitteln und dürfen nur dann schießen, wenn sie angegriffen werden.
Was bislang noch nicht vorgekommen ist. Sören und ich, ja, wir alle lesen daraus, dass die Trollas etwas planen, dass sie auf einen Befehl warten. Sie verstehen? Die Trollmänner sind tumbe, ungeschlachte Riesen, deren größtes Vergnügen darin besteht, zu saufen, was sie finden, und zu zerstören, was auf ihrem Weg liegt. Und doch greift diese berauschte Bande nicht an. Überall lagern Gruppen an Trollmännern in Sichtweite der überfüllten Städte, johlen und grölen und halten sich doch zurück. Von den Trollas ist nach wie vor keine zu sehen. Wenn sie erscheinen, dann wird es kritisch, denn sie sind um ein Vielfaches größer und gieriger als ihre Männer. Und sie sind es, die sich Sabenius angeschlossen haben.
Was sein Plan sein mag? Wir kennen keine Details, wissen nur, er will das absolute Chaos und die Herrschaft des Bösen. Wir hoffen, seiner habhaft zu werden, bevor er den Trollas Befehle gibt. Noch hält er still. Was uns Zeit verschafft: Schweden, Dänemark und Finnland machen sich – ebenfalls unter Führung Sörens und Drusilius, des Höchsten der finnischen Waldschrate – daran, ihre Bewohner nach dem norwegischen Vorbild in Zentren zu versammeln und diese gegen Angriffe zu sichern. Die Schrate bauen dort in Windeseile Aquädukte, die von den Magischen Quellen zu jenen Städten führen. Dort wiederum befinden sich Abgesandte der isländischen Elfen, die mithilfe der neu einfließenden Magie Schutzschilde errichten, ganz so, wie sie es auch auf Island getan haben; diese Insel ist vollkommen eingehüllt in flirrende Magie und kann von niemandem betreten oder verlassen werden, der nicht in Begleitung einer Elfe ist. Es ist also nur Norwegen, das akut bedroht ist. Was schlimm genug ist, selbstverständlich, verstehen Sie mich nicht falsch. Wäre es jedoch ganz Scandinavia, hätten die Trollas das Signal zum Angriff bereits erhalten, dann sähe es doch um ein Vielfaches schlimmer aus. So konnten in drei anderen Ländern notwendige Maßnahmen ergriffen werden und Sören Axel Borjeson ist genau der Mann, die Lage zu verbessern. Er hat sich sehr gut erholt von Sabenius’ Angriff und trägt mittlerweile ein von unserem Sean befülltes Schutzamulett, das augenblicklich warnt, kommt jemand in böser Absicht auf ihn zu.
Ah ja, sehen Sie, das ist doch eine ausgesprochen gute Nachricht, die hätte ich fast vergessen: Sean O’Malleys Hauszauberkräfte haben sich bis zum Maximum potenziert dank des amplificator magicae. Sie erinnern sich bestimmt. Nun, wir – die Vorstände der anderen Institute – haben sämtliche Archive weltweit nach zaubertätigen Amuletten, Broschen, Armbändern und ähnlichem durchforscht und sie von Sean mit dieser Kraft aufladen lassen. Der arme Junge liegt völlig ausgelaugt in seinem Bett und wird von Auguste Dumarchelier aufs Beste bekocht, damit er rasch wieder zu Kräften kommt. Der Inventorin des Chinesischen Reichs wiederum gelang das Kunststück, diese Artefakte verdoppeln zu können. Eine Verdreifachung wäre möglich gewesen, allerdings unter deutlichem Verlust der magischen Potenz; aber auch mit einer Verdopplung haben wir nun genügende dieser schützenden Schmuckstücke hergestellt, um sämtliche Agenten und Agentinnen ausstatten zu können, die nicht von magischer Natur sind.
Die Kommunikation der Institute untereinander, die jahrhundertelang unmöglich war – sie läuft recht gut. Stehen sowohl an Start- wie auch Zielort die Ewigen bereit, so können wir nun über die Hauptquellen von Kontinent zu Kontinent reisen. Was wir allerdings nicht tun. Nicht nur, dass viele von uns zu viel in ihrem eigenen Bereich zu tun haben, nein, nicht alle Vorstände haben den Ernst der Lage begriffen. Wir reden zwar mit allen, aber dennoch sind es zur Zeit nur die Bereiche Westliches Europa, Russia, Scandinavia, Ägyptisches und Chinesisches Reich, die sich austauschen und helfen. Die anderen halten unsere Berichte für übertrieben und können nicht glauben, die Ordnenden Mächte seien verschwunden; mittlerweile gibt es Ewige, die von einem erneuten Kontakt zu berichten wissen.
Was nicht sein kann. Doña Clara, die unfreiwillige Urmutter sämtlicher Strigoi, hatte sich hinauf begeben in die Sphären der Ordnenden Mächte, doch die Hallen waren leer und von schwarzem Schleim bedeckt. Sie hat sich bereit erklärt, diese Reise ein zweites Mal zu unternehmen, doch ist sie überzeugt, es habe sich keine Änderung eingestellt. Unsere Ewigen allerdings – Fräulein Fortunati und Herr Custodis – wissen mit Sicherheit zu sagen, dass die Ewigen der anderen Bereiche keinesfalls lügen. Was wiederum die Frage aufwirft: Von wem werden sie kontaktiert, wenn nicht von den Ordnenden Mächten? Und weshalb sie? Das aber ist eine Frage, die uns im Augenblick am wenigsten beschäftigt; wie ich sagte, wir haben genug zu tun. Obwohl die Antwort auf diese Frage wichtig sein mag und das besonders im Hinblick auf den Bereich Mittleres Amerika: Dort hat man eine Magische Quelle entdeckt, die ebenfalls Verbindung zur Dunkelsten Welt hat. Man hat Agenten ausgesandt, um nach Wesen dieser Welt zu suchen. Davon aber hören wir nichts mehr, sondern vernehmen stattdessen ungewohnte Töne aus dem amerikanischen Institut. Von dort aus nämlich beschuldigt uns dessen Leiter – ein Mr. William Egbert Wallington – der Panikmache und der Lüge. Weshalb wir das tun sollten, was er sich von diesen unkollegialen Angriffen verspricht und ob am Ende er ebenso von einem Dämon übernommen worden ist, wie es Sabenius mit Sören getan hatte, das sollten wir ebenfalls herausfinden.
Aber es fehlt uns an Zeit und Personal. Odila O’Malley, meine Zeitenspringerin, ist heute Morgen bereits aufgebrochen. Sie erinnern sich der Keller der Zeit? Jenes Labyrinth, dessen Gänge und Treppen zu wichtigen Ereignissen in unserer Welt und vermutlich zu jenen der Anderen Welt führt. Sollte diese Vermutung zu treffen, so stehen wir vor einem moralischen Dilemma.
Aber der Reihe nach: Sabenius hatte diese Keller zwar entdeckt, konnte sie jedoch nicht selbst betreten. Wie er von ihnen erfahren hat, das wissen wir nicht. Er hatte Insabeau von Isselheim dort hinein geschickt und sie unsere Vergangenheit verändern lassen. Die Folgen waren beispielsweise Hexenverbrennungen in unermesslicher Zahl, die Französische Revolution (in der Behebung beider Ereignisse war Odila bereits erfolgreich!) und natürlich die Hinrichtung Maria Stuarts mit all den Folgen, die es mit sich bringt, wenn ein Staat sich zu einer solchen Schandtat hinreißen lässt. Und eben jene Hinrichtung muss von Odila unbedingt verhindert werden. Ein blutiges Beispiel, einmal gegeben, zieht immer Nachahmer mit sich. Eine Hemmschwelle, die sich absenkt, lädt ein zu immer grausigeren Taten. Odilas Aufgabe ist schwieriger jetzt als zuvor, denn der ideale Zeitpunkt für ihr Eingreifen waren jene Tage, die Maria und Elisabeth gemeinsam auf Schloss Windsor verbrachten. Die Zeit also, zu der Odila durch eigene Kraft nicht noch einmal gelangen kann.
Nach dem Kästchen des Meister Melchior fragen Sie? Ja, damit hatte Odila wahrhaftig ein zweites Mal Maximilien de Robespierre aufsuchen können, hatte ihn und Insabeau noch einmal aufeinandertreffen lassen, aber es hat dies so viel Magie benötigt, dass der Apparat nun nutzlos ist. Und auch von seinem Trank, der es ihr gestattete, Insabeau mitzunehmen, ist kein Tropfen mehr übrig. Natürlich haben wir Meister Melchiors Rezepturen, aber er hat Ingredienzen verwendet, die damals schon sehr selten waren und heute kaum noch zu bekommen sind. Unser Herr Inventoris wird versuchen, sie zu ersetzen oder künstlich herzustellen.
Aber lassen Sie mich zurückkehren zu dem Dilemma, das die Keller der Zeit für uns darstellen: Bislang nahmen wir an, wir wären der Anderen Welt allein durch das fenestra mundi verbunden. Eine einseitige Verbindung, die uns stets zum Vorteil gereichte, sehen wir von den Kosmischen Wellen ab, die über uns hinwegrollen, wenn dort eine Katastrophe hereinbricht. Ansonsten aber lernen wir, welche Fehler in der Zukunft von uns zu vermeiden sind. Dass wir nun aber auch über diese geheimnisvollen Keller miteinander verbunden sind, das ist beunruhigend. Wäre es also möglich, dass auch diese so viel brutalere Welt einen Weg zu uns finden kann, wie es der Dunkelsten Welt über die Magischen Quellen gelang?
Aber selbst, wenn das nicht der Fall ist, so befinden wir uns in einer Zwickmühle: Nun, da wir von diesen Zugängen wissen, ist es da nicht unsere Pflicht, auch die Andere Welt in eine bessere zu verwandeln? Doch wäre unsere Magie überhaupt in der Lage, dort etwas auszurichten? Oder brächten wir uns damit selbst in noch größere Gefahr?
Das andere Problem ist: Trotzdem eine meiner Vorgängerinnen, Magdalena Brodka, dringlich darum bat, hat Odila vorgeschlagen, die Keller der Zeit nicht dauerhaft zu verschließen, weil sie, so sie denn irgendwann erkundet und katalogisiert sein werden, die Verbesserung unserer Vergangenheit auch für Nicht-Zeitenspringerinnen ermöglicht. Wir wollen darüber noch einmal sprechen, wenn sie zurück ist aus dem Frankreich des Jahres 1559.
Dort ist sie nun und versucht erneut, die Geschichte zu ändern. Und ich muss sagen, es fällt mir schwer, unsere Jüngste so sich selbst überlassen zu müssen. Sie ist gereift während ihrer ersten Mission, das unbedingt, aber dennoch wäre es mir lieb, hätten wir schon all die Erfindungen parat, die unser Herr Inventoris in Aussicht gestellt hat. Apparaturen, die ein gemeinsames Reisen in die Vergangenheit ermöglichen oder die Melisandes Feuerkraft für alle verfügbar machen. Er arbeitet Tag und Nacht und Odilas Hinweis auf das Blut, das die gemeinsam Reisenden vermischen sollten, wie es Insabeau getan hat, scheint sich als richtig zu erweisen. Aber noch ist die Erfindung nicht ausgereift.
Wie bitte? Ja, da haben Sie recht. Selbst wenn ich Odila eine Begleitung an die Seite hätte geben können, so könnte ich doch weder Swanhild noch Melisande von ihren Aufgaben abziehen. Aber ihr Bruder hätte mit ihr reisen können oder Eveline Calibrini. Wobei Eveline und ihr Mann Gianbattista nach Neapel gereist sind. Dort leben die Baldicini, jene andere bedeutende Familie an Gestaltwandlern, die sich uns sofort angeschlossen haben im Kampf gegen Gabriella Calibrini und Sabenius.
Was mit diesen beiden ist, wollen Sie wissen? Noch befinden sie sich in Schottland bei Angus MacDougall, noch ist die Calibrini damit beschäftigt, sich feiern zu lassen. Der alte Angus streicht liebedienerisch um sie herum, nennt sie bereitwillig Hoheit und buckelt, als habe er sein Leben lang auf eine Herrscherin gewartet, die ihm Befehle erteilt. Und sie behandelt ihn wie ihr geliebtes Schoßhündchen, streichelt ihm über den Kopf und verspricht ihm höchste Ehren und tägliche Beute. Das nun wissen wir, weil Lionel MacDougall unser Verbündeter ist und uns fortlaufend unterrichtet. Genauer gesagt unterrichtet er Karel, der wiederum alles an Swanhild weiterleitet, die ihrerseits aus eigener Kraft erfühlt, was die Calibrini sagt und tut und gelegentlich durch ihre Verbindung zu Doña Clara sogar all das deutlich sieht. Lionel liefert dazu alles, was im Hintergrund geschieht, was Angus wirklich sagt und denkt. Es ist dieses vampirische Netzwerk durchaus interessant zu beobachten: Swanhild sitzt beispielsweise mit uns am Frühstückstisch, isst wohl auch und trinkt, aber ist dabei kaum anwesend, da vor ihrem inneren Auge sich all diese Informationen zu einem klaren Bild vereinen. Von dem sie uns, dessen bin ich mir sicher, kaum die Hälfte zeigt. Sie trennt, so sagt sie, zwischen ihrer Aufgabe der Menschheit gegenüber und ihrer eigenen Bestimmung, zur Königin der Strigoi werden zu müssen.
Sie ist nach wie vor gelassen, wenn auch ein kalter Ärger in ihr tobt. Es ist ihr diese Angelegenheit zuwider, es ist ihr die Calibrini zuwider und die Handlungen der MacDougalls erst recht. Und ich denke, es fällt ihr schwer, abzuwarten; zu gerne würde sie auf der Stelle nach Schottland aufbrechen und für Ordnung sorgen, aber alleine gegen diese unheilige Allianz vorzugehen, wäre dumm und leichtsinnig. Beides trifft nicht auf Swanhild Serban-Jørgensen zu. Solange auf Angus’ Festung nur geschwafelt und von einer blutigen Zukunft geträumt wird, besteht kein Grund für ein solch waghalsiges Unternehmen. Die Calibrini wird nicht ewig dortbleiben, sie wird bald weiterziehen und andere Clans aufsuchen, um sich deren Unterstützung zu sichern. Nehmen wir an.
Sie fragen nach Karel? Karel befindet sich zur Zeit bei Michal Tomáš Balan-Mérémière auf dem Stammsitz des französischen Teils seiner Familie, einem Schlösschen an der Loire. Dort übt er mit ihm die Etikette des Wiener Hofs ein, hilft bei der Auswahl der für einen Prinzgemahl passenden Kleidung und paukt mit ihm Geschichte und Politik des Habsburger Reiches. All das, damit er für Erzherzogin Elisabeth Marie nicht nur die Liebe ihres Lebens ist, sondern dazu ein verständiger Berater, wenn sie dereinst zur Kaiserin gekrönt werden wird. Nur das Beste vermeldet Karel; Michal ist verliebt bis sonst hinaus in die Thronfolgerin, er tanzt anmutig und beweist während der Schulstunden einen hervorragenden Sinn für Diplomatie und Intrige.
Erzsi wiederum befindet sich seit heute Mittag in unserer unmittelbaren Nachbarschaft; sie ist der Einladung der Bonner Kurfürstin Augusta Amalie gefolgt, die ihr zeigt, wie sie die täglichen Regierungsgeschäfte erledigt – es unterscheidet sich unsere Kurfürstin in ihrer Sorge um das Volk doch beträchtlich von der Art und Weise, wie es die Habsburger in der Hofburg zu handhaben pflegen.
Dieses Arrangement hat den Vorteil, dass Melisande endlich einmal nicht in Wien zu sein hat. Zwar ist sie den Tag über im Schloss und begleitet die beiden Damen bei all ihren Erledigungen, sorgt auch unauffällig für eine glückliche Hand und beste Laune, doch abends ist sie im Institut, wo sie sich von den Anstrengungen des Tages erholt.
Welche Anstrengungen ich meine? Ob ein Sören und eine Odila nicht ein härteres Los haben? Nun, wenn es um die reine Gefahr geht, dann mag das wohl stimmen, doch von Erzsis Glück hängen Wohl und Wehe meines Bereichs ab. Diese Vereinigung zwischen einer künftigen Monarchin und einem Strigoi aus einem mächtigen Geschlecht ist historisch. Eine märchenhafte Hochzeit, eine glückliche Braut und ein bewunderter Bräutigam dürften viel beitragen zur Stabilität Europas und zum Misserfolg der Calibrini. Nun ist aber unsere Erzherzogin gerade einmal sechzehn Jahre alt und von durchaus sturem Charakter; auch neigt sie zu einer gewissen Ungeduld – Sie können sich wohl denken, dass Melisande ihre gesamte Kraft in dieses Projekt steckt, gegen das einige Seiten opponieren.
Was mit mir ist? Weshalb ich so müde bin und was ich Melisandes Heilkraft zu verdanken habe? Nun, ich war in der Dunkelsten Welt. Dottore Vanitella hat den Zugang auf der Pariser Seine-Insel derart gestaltet, dass ich hindurch konnte. Sie erinnern sich, ich wollte den Namen von Sabenius’ Mutter herausfinden. Man gewänne Macht über eine Nachtmahrin, so hatte der Inkubus der Calibrini gesagt, wenn man sie bei ihrem Namen nennen könne.
Doch noch kann ich keinen Erfolg vermelden. Ich kam nicht sehr weit, denn ich geriet mitten hinein in einen Aufstand. Nach wie vor leisten einige der Dämonen Widerstand gegen ihre Absetzung und leider befindet sich der Pariser Ausgang in einem Ort, in denen sich ausgerechnet Banshees und Nosferati gemeinsam verschanzten. Ich hatte enormes Glück, dass ich ihnen entkommen konnte. Wirklich enormes Glück. Ich kletterte aus dem Brunnen und marschierte los in die Richtung, die Swanhild mir genannt hatte. Bald schon kam ich an ein Dorf, das mir einen ruhigen und einladenden Eindruck machte. Ich muss gestehen, ich hätte mich nicht mehr irren können. Kaum hatte ich einen Fuß hinein gesetzt, als ein unmenschlicher Schrei mich zu Boden streckte – ich glaubte, mir müsse der Schädel zerbersten. Dann griffen die Klauen eines halbverwesten Nosferati nach mir und ich sah mein letztes Stündchen schon gekommen, als dieser mich fallenließ und davonjagte unter dem lauten Kampfgeschrei einer Hundertschaft der Rebellen. Man hielt mich für einen Bewohner der Dunkelsten Welt, man freute sich, mich gerettet zu haben, drückte mir einen Langbogen in die Hand und erwartete, dass ich mittat bei der Jagd. Was ich tat. Sie erinnern sich, die Zeit dort vergeht anders. Zwei Tage unserer Zeit, zehn Tage dort war ich gezwungen, im Kampf mitzumischen. Mehr als eine Wunde trug ich davon, unter anderem ein geplatztes Trommelfell, mehrere Bisswunden und – als wir in ein Rudel Orks gerieten – heftige Prellungen, Kratzer überall und eine gebrochene Rippe. Aber ich habe es nicht nur überstanden, ich habe mich wacker geschlagen, was ich mir niemals zugetraut hätte. Das Örtchen jedenfalls ist von seinen Unterdrückern befreit und ich schleppte mich heim, verletzt zwar und ohne den gewünschten Namen, doch um eine wichtige Erfahrung reicher.
Ja. So also steht es, das ist die momentane Lage. Wir sind der Ordnenden Mächte verlustig und müssen herausfinden, wo sie sind. Scandinavia wird belagert, eine Fürstenhochzeit soll Frieden bringen, Swanhild hat eine Gegnerin niederzuringen und eine Krone zu erkämpfen und Odila muss Maria Stuart dazu bringen, sich mit Elisabeth auszusöhnen. Und das sind nur die Aufgaben, von denen wir wissen. Da lauert mehr auf uns in den Schatten …