Die Villen der Bonner Gründerzeit


Rund um die Poppelsdorfer Allee, die auf das Kurfürstliche Lustschloss und den Botanischen Garten zuführte, entstanden zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Straßen. Wo sich bislang ein Wanderpfad hoch zum Venusberg schlängelte oder auf kaum befestigten Wegen Bauern ihre Waren in die Stadt fuhrwerkten, wurde nun Wohnraum geschaffen für die neu hinzuziehenden Rentiers, die Professoren und Gelehrten, die reicher werdenden Geschäftsleute und Fabrikanten. Auch den niedrigen Adel, Angehörige des in Bonn reichlich vertretenen Militärs und vornehme, ältere Fräulein zog es hierher. Wer sein gutes Auskommen hatte, baute hier oder zog als Mieter in die prachtvollen Neubauten. War man Millionär oder stand der Kaiserfamilie nahe, bevorzugte die Nähe zum Rhein – so blieb man in der Südstadt weitestgehend gut bürgerlich unter sich.

Mehr oder weniger unter sich. Denn ein solch feiner Haushalt benötigte Personal. Personal, dem es unter demselben Dach deutlich schlechter ging als dem Besitzer des Hauses. Ein kleines Kämmerlein unterm Dach immerhin erhielten die meisten Dienstmädchen in Bonn; Hängeböden wie in Berlin waren eine Seltenheit. Eine solche Kammer aber unterschied sich in jeder Hinsicht von den Prachträumen des Hausherrn und seiner Familie, die darauf ausgerichtet waren, Wohlstand und Gesinnung zu repräsentieren.

Sicher, es gab Unterschiede auch unter den Besitzern und Bewohnern dieser Villen, manch einer musste Mieter mit ins Haus nehmen und auf Annehmlichkeiten wie einen Wintergarten, einen Dienstbotenanbau und Badezimmer verzichten; die Breite der Innentreppe, die Ausstattung der Räume und die Gestaltung der Fassade hingen sehr vom verfügbaren Vermögen ab, doch wer sich den Bau eines Hauses in der bevorzugten Gegend des höheren Bürgertums leisten konnten, unterwarf sich willig den Ansprüchen, die an ein solches gestellt wurden; Individualität war nicht gern gesehen. Hohe Decken, stuckverziert, tapezierte Wände, dunkles, gerne schwarz lackiertes Holz, Parkett überall und Räume, die nur genutzt wurden, um Besuch zu empfangen – das waren die Gemeinsamkeiten der hier errichteten Gebäude. Die Unterschiede waren dennoch augenfällig: Breite und Höhe des Hauses, Vorgarten, Fassadengestaltung, Zimmeranzahl und Dienstbotenkammern bewegten sich zwischen relativ bescheiden und ausgesprochen eindrucksvoll.

Eine weitere Gemeinsamkeit war die Art der Einrichtung: Dazu befolgte die gute Hausfrau und perfekte Gastgeberin alle Gebote an Möblierung und Dekor, wie sie in sämtlichen Zeitungen und Damenbrevieren notiert wurde. Selbst in kleinbürgerlichen Familien stopfte man die Zimmer voll mit Unmengen an Stoff – überbodenlange Gardinen, gestapelte Kissen auf jeder Sitzgelegenheit, gehäkelte Untersetze, Schonbezüge, Wandbehänge – und noch mehr Zierkram. Nippes jeder Art zeigte, was man sich leisten konnte: Nicht nur den Erwerb unzähliger Engel, Schäferinnen und niedlicher Porzellantierchen, sondern auch die Zeit, all das täglich zu entstauben.

Was in den hochherrschaftlichen Häusern Poppelsdorf den Dienstmädchen die Arbeit noch saurer machte, als sie schon war. Bis aller Zierat angehoben, gesäubert und an seinen Platz gestellt war, bis sämtliche Gardinen täglich (!) abgebürstet und die Überlänge in der gewünschten Form am Boden drapiert lag, verging Zeit, die an anderer Stelle fehlte. Dennoch strebten die meisten von ihnen eine Anstellung in solch einem vornehmen Haus an, weil sie sich mehr Ansehen und – dank der modernen Ausstattung mit Speiseaufzügen, Gas- und Elektroanschlüssen – bequemeres Arbeiten erhofften.

Bestimmt spielte auch das schöne Umfeld eine Rolle, das Bonns Ruf als Pensionärs- und Gartenstadt begründete. Kaum ein Haus, das nicht wenigstens einige Meter Garten besaß, kaum eine Straße, in der nicht Bäume Schatten spendeten. Hier herrschte – an Sonntage zumindest – Ruhe und Anstand, hier flanierten Touristenr respektvoll schweigend, hier hier brüllten keine Marktfrauen durcheinander und Studenten torkelten nur selten betrunken vorbei. Hier lebten Fabrikanten, Professoren, Rentner, die nicht mehr oder noch nie hatten arbeiten müssen. Hier zeigte sich das Selbstbewusstsein des Großbürgertums, das sich selbst als das eigentliche Rückgrat des Reiches ansah und bei der Gestaltung seiner Häuser Anleihen nahm an den aristokratischen Palästen vergangener Zeiten. Deshalb wohl auch die Ansiedlung an den Kurfürstlichen Anlagen.

Ein Nachteil dürfte in den Jahren zwischen 1890 und 1910 vor allem die enorme Bautätigkeit gewesen sein; so ruhig und anständig man war, so laut wurde gehämmert und gesägt, um den Hinzuziehenden noch mehr Luxus und Bequemlichkeit zu schaffen. Über einen langen Zeitraum waren die Gehwege verschmutzt und manch ein schöner Ausblick, über den man sich gefreut hatte, wurde verbaut. Das Endergebnis allerdings war ein Viertel, in dem sich prächtige Bauten harmonisch einfügen in das Grün der Alleen und Gärten. Damit warb die Stadt eifrig um neue Bürger – wo sonst fand man alles, was man sich wünschte? Exakt listete der Handels- und Gewerbeverein der Stadt in Werbebroschüren auf, wie bekömmlich das Klima sei, wie vielfältig man sich die Zeit vertreiben könne und wie günstig es sich hier leben ließe. Auch die Kosten für ein Dienstmädchen werden genannt, die deutlich niedriger sind als die Miete für eine einfache Dreizimmerwohnung.