Die mörderische Sommerfrische


Emmas vierzehnter Fall

Eine Insel. Ein Toter. Ein Mörder.

Norderney, Sommer 1930. Emma und James fahren in die verdienten Ferien. Raus aus dem harten Alltag, rein in Entspannung und Erholung.

Oder in den nächsten Mordfall. Emma weiß es sicher: Ein Unfall war das nicht. Und überzeugt damit sogar James, der überraschend leicht in die Rolle des begabten Geheimagenten schlüpft.

Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem Mörder, der die Insel womöglich längst verlassen hat. Und jetzt in Bonn sein könnte. Auch dort wird ein Toter gefunden …

Polizeirat Berger stöhnte leise auf, schloss die Augen und wedelte mit beiden Händen, als ob sich so sein Büro leeren und das Gerede aufhören würde. Was natürlich nicht geschah.
»Jetzt gib dir halt ‘nen Ruck und setz deinen Heinz-Otto unter den Wisch.«
»Kannst du einmal Ruhe geben, wenn ich dich darum bitte? Frau Beresfords langer Ausfall -«
»Sie arbeitet trotz der Schmerzen so fleißig wie zuvor. Und sie ist viel zu früh wieder zurück gekommen. Der Dr. Bauer hat das auch gesagt.«
»Dann soll sie sich krankschreiben lassen, aber -«
»Kappes, Gerd, Kappes. Weißte doch genau, was das wieder für Ärger gibt mit der Versicherung und der Polizeidirektion und was weiß ich nicht alles. Und dann? Dann kommt uns nachher irgendein Revisor ins Haus und nimmt uns die Emma weg.«
»Die Kosten -«
»Jetzt isset äwer jut! Willste, dat dat Mädel am Ende auf der Straße landet? Haste se noch alle?«
»Frau Beresford hatte ihren Urlaub im Mai genommen, da kann ich nichts tun.«
»Klar kannste. Mensch, Gerd, das sind fünf kleine Tage. Und du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen, wenn es drum geht, uns gut dastehen zu lassen. Echt jetzt, die Sache mit dem Serienmörder, die hängt uns noch an den Hacken. Schreibt die Presse noch immer drüber, sobald wir nicht im Handumdrehen jeden Fall lösen. Da gehste jetzt hin und lässt die wissen, dass das arme Fräulein Schumacher, weil die doch jetzt so viel Glück hatte, von uns einen Extra-Erholungsurlaub bekommt, damit die ihren Gewinn antreten kann.«
»Warum lässt sie sich das Geld nicht auszahlen?«
»Weil der es gut tun würde, wenn sie mal andere Luft um die Nase bekommt. So als Kur.«
»Aber Mertens hat mir gestern noch gesagt, wie viel ihr zu tun habt, da könnt ihr auf Frau Beresford doch nicht verzichten.«
»Ja, was jetzt? Soll die unsere Mörder fangen? Da versuche ich seit ewigen Zeiten, der das auszureden, und dann kommst du um die Ecke und sagst, Sie können nicht fahren, Sie müssen meinen dummen Polizisten helfen?«
»Ich hasse es, wie du mir das Wort im Munde umzudrehen versuchst.«
»Klappt et denn?«
Polizeirat Berger stöhnte erneut, lauter und hörbar am Ende seiner Geduld angelangt. »Gib mir den Schrieb und wag es nicht, mir in den nächsten Monaten mit irgendeinem Wunsch unter die Augen zu kommen. Kapiert? Ich will dich nicht mehr sehen und hören.«
»Wie jetzt? Kommste morgen nicht zum Essen? Die Isabelle wollte ja Gratin machen mit -«
»Och, jetzt langt es aber.«
»Ja wie jetzt?«
»Selbstverständlich kommen wir und dass das klar ist: Ich bekomme die größte Portion. Und einen anständigen Wein. Aber dich als Kommissar, mein Lieber, will ich nicht mehr hier sehen. Keine Bitten um neue Assistenten oder einen bequemeren Bürostuhl oder was dir wieder einfällt. Frau Beresford darf fahren und du hältst die Klappe bis wenigstens Weihnachten!«
»Na halt, halt, halt! Der Christian Langenfeldt wechselt aber zu uns rüber, da gehste nicht noch zwischen.«
»Raus! Sofort raus!«
»Nä.«
»Simon!«
»Gerd?«
»Ja verdammt noch eins, du sturer alter Esel.«
»Also?«
»Ja doch, das ist alles geklärt. Polizeiwachtmeister Langenfeldt fängt Montag bei euch an.«
»Na, sach bloss. Wollteste mir das als Überraschung präsentieren?«
»Wollte ich dir morgen beim Essen mitteilen, ja.«
»Dat is äwer fein. Bist halt ein richtig guter Freund und ein unglaublich guter Polizeirat.«
»Raus.«
»Jo, jut. Seid pünktlich und was den Wein angeht, da sollteste vielleicht -«
»Raus.«
Hastig drückte der Polizeirat den Beresfordschen Urlaubsantrag in die Hände des Freundes und beugte sich über seine Arbeit. Kriminalkommissar Simon Wertheim verbeugte sich grinsend und marschierte einen Walzer pfeifend aus dem Büro.

Einen Walzer trällernd und tanzend trat Emma in ihr Haus ein, drehte sich um die eigene Achse und rief nach dem besten, schönsten und liebenswertesten Gatten aller Zeiten. Und kicherte, als Peter Voeller aus der Küche kam und sich nach dem Grund der guten Laune erkundigte.
»Das hätte ich mir denken können, dass ich gegen Sofie den Kürzeren gezogen habe. Mein langer James ist also nicht der beste, schönste und liebenswerteste Gatte aller Zeiten, das ist eine bittere Enttäuschung.«
»Hast du getrunken?«, fragte Peter. Er war ein älterer Herr mit gemütlichem Bauchumfang, einem Holzbein und sehr, sehr viel Herz, von dem er ein gar nicht so kleines Stückchen für seine Vermieter und Ersatzkinder, die wunderbaren Beresfords, freigeräumt hatte. Der Rest gehörte ohne Einschränkung der Gemahlin und den längst erwachsenen, fernen Kindern.
»Nicht einen Schluck, aber das holen wir gleich nach! Wo ist James?«
»Ist vor einer Stunde wieder in den Verlag. Irgendwas mit den Druckern?«
»Diese verteufelten Apparate, immer ist etwas mit denen. Sofie?« Emma drückte sich an Peter vorbei in die Küche, wo es bereits verführerisch duftete. »Himmlisch, was gibt es denn?«
Sofie, so rundlich wie ihr Mann und nicht weniger herzlich, schüttelte den Kopf. »Nix Besonderes, Schätzelein. Ich hätte was Feines machen wollen, aber es ist ja schon wieder alles teuerer geworden. Jetzt isses nur Erbsensuppe mit Brötchen.«
»Lecker. Hat James gesagt, wann er zurück ist?«
»Bald, hat er gesagt.«
»Was ja nichts heißt. Sollen wir mit dem Essen auf ihn warten?«
»Ist ja noch früh.«
»Ich habe scheußlichen Hunger.« Emma überlegte nicht lang, raste ins Arbeitszimmer und wählte James an.
Der hob nach zweimaligen Klingeln bereits ab. »Fachverlag James Stuart -«
»Du bist so süß, wenn du einen auf seriös machst. Rate!«
»Was?«
»Na rate!«
»Du bist zuhause und hast Hunger?«
»Alberner Affe. Rate richtig.«
»Berger hat zugestimmt?«
»Hat er! Wertheim ist der Beste.«
»Darling, ich weiß wirklich nicht, wie ich -«
»Es wird doch einmal eine Woche ohne dich gehen.«
»Eher nicht.«
»Wir hatten das besprochen. Ich fahre doch nicht alleine.«
»Nein. Nein, das möchte ich auch nicht. Nur -«
»James. Bitte. Ich habe noch nie etwas gewonnen und nun hat Wertheim -«
»Ich müsste Arbeit mitnehmen …«
»Dann tu das. Schau, wir unternehmen vormittags etwas gemeinsam und nachmittags gehe ich ohne dich spazieren und am Abend übernehme ich die Korrekturen. Versprochen.«
»Das wird eine hübsche Schlepperei. Die Koffer, die Akten und die Schreibmaschine.«
»Das geht schon, bestimmt. Lieber, guter, feiner James, denke doch nur: Endlich einmal wieder Urlaub. Wir zwei. Das wird wunderbar werden.«
»Ganz schöne Fahrt bis da hoch für fünf Nächte.«
»Sechs. Wir fahren am Sonntag und reisen Samstag ab.«
»Im Los stand doch -«
»Sybil hat uns etwas zugeschossen und im Hotel nachgefragt. Damit es sich so recht für uns lohnt.«
»Deine Tante sollte zusehen, ihr Geld zu sparen. Wenn das so weitergeht -«
»Du wirst wohl kaum Sybil erklären wollen, wie man mit Geld umgeht. Andersherum würde das mehr Sinn ergeben.«
James bevorzugte es, das zu überhören. »Darling, dann wirst du wohl packen müssen. Ich komme hier nicht so rasch weg und morgen muss -«
»Ja ja, ich weiß. Du musst morgen auch arbeiten und dich krumm und bucklig schuften, um die Wünsche deiner verwöhnten Frau zu erfüllen. Du bist ein armes, geplagtes Mannsbild, das unter mir zu leiden hat.«
»Ich leide sehr gerne unter dir. Wenn du weißt, was ich meine.«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Darling?«
»Ja?«
»Sei lieb zu mir.«
»Immer.«
»Hmm. Ich bin nicht überzeugt.«
»Das wirst du aber sein, wenn du siehst, wie fein ich deinen Koffer packen werde.«
»Du packst nicht diese bajuwarischen Lederhosen ein!«
»Ach verteufelt, du kennst mich zu gut.«
»Biest.«
»Affe.«
»Ich liebe dich trotzdem.«
»Sowieso. Allzu klug bist du ja leider nicht, da ist es kein Wunder.«
»Stimmt. Wäre es anders, dann hätte ich ja eine süße, gehorsame und liebe Frau.«
»Wie langweilig das wäre.«
»Vermutlich, ja.«
»Dann ist es ganz gut, dass du so dumm bist und ich so gemein.«
»Perfekt. Darling, ich muss weiter. Lasst mir was zu Essen auf dem Herd, ja?«
»Wird es so spät werden?«
»Noch viel später befürchte ich.«
»Du, das wird dir guttun mal rauszukommen aus dem Trott. Und der Müller wird den Laden schon schmeißen.«
James seufzte, hauchte einen Kuss durch die Leitung und legte auf.

Am Sonntagmorgen verabschiedeten sich die Beresfords ausgiebig von ihren Mietern, bei denen sie Haus und Katze in den besten Händen wussten, und stiegen in Sybils Wagen. Gewohnt flott – James nannte es rücksichtslos – bog Sybil Gregorin um die Kurven, lud ihre Fracht am Bahnhof ab, küsste James, Emma und Luft und sauste davon. Der Zug fuhr bald schon ein und mit Hilfe des Gepäckträgers gelang es rasch, all die vielen Koffer und Taschen im Abteil zu verstauen und die Reise beginnen zu lassen.
Dem ungeschriebenen Gesetz folgend, dass eine solche Reise nur dann korrekt ausgeführt wird, wenn man umgehend die Vorräte auspackt und noch vor der Ankunft in Köln ein Butterbrot verspeist hat, biss Emma zufrieden in ihr Sandwich und zwang auch den Gatten, etwas zu sich zu nehmen. Auf Reisen schmeckte es einfach viel, viel besser. Nach Abenteuer schmeckte es und nach Freiheit und ewigem Glück, ganz gleich, wie hart der Käse sich am Rand bereits aufrollte oder wie viele Tage das Brot nicht mehr frisch zu nennen war. Sofie hatte sich nicht lumpen lassen; auch harte Eier hatte sie eingepackt, einen Kartoffelsalat und sogar zwei kostbare Riegelchen feiner Schokolade. Dazu Radieschen und Tomaten aus dem Garten – Peter hatte sich der Beete angenommen und binnen weniger Wochen schon gute Ernte eingefahren – und sogar eine Vanillecreme, die unbedingt vor Düsseldorf aufgegessen sein musste, wollten die Beresfords nicht Vanillesauce mit sich herumtragen. Weshalb Emma sie sogleich aus dem Körbchen nahm, James einen Löffel gab und loslegte.
»So köstlich! Hach, was geht es uns gut. Das wird so herrlich werden. Norderney! Ich freue mich so sehr.«
»Erinnerst du dich an die Insel?«
»Kaum. Wie alt war ich da? Vier oder fünf vielleicht? Ich erinnere mich dunkel an den Sand und an Honigkuchen. Den gab es dort zum Frühstück. Aber ansonsten weiß ich nichts mehr.«
»Du sahst sehr süß auf den Fotografien aus. Vielleicht finden wir den Platz, wo sie aufgenommen wurden.«
»Ach ja, das wollen wir versuchen. Ich hätte Papa anrufen sollen und ihn fragen. Herrje, ich vergesse das viel zu oft, mich bei ihm zu melden.«
»Er ruft ja auch nie an.«
»Er schreibt halt lieber.«
»Ist auch schon eine Weile her, ist es das nicht?«
»Ja. Vermutlich ist er noch bei diesem Kattwill. Lustig, wie sich Wege manchmal kreuzen.«
»Das war der Ägyptologe, der früher sein Student war?«
»Ich denke schon.«
»Da hätte dein Vater viel früher in Ägypten sein können, wenn er sich an den erinnert hätte.«
»Na ja, mit Mama wäre das nicht gegangen, sie hätte das Klima nicht vertragen. Und nach dem Krieg war ja alles so anders, da hat er nicht mehr an ihn und der nicht mehr an Papa gedacht. Nehme ich an.«
»Ist auf alle Fälle gut, wenn da unten einer ist, der ein Auge auf deinen Vater hat. Eloise wird ihm ja doch in allem nachgeben. Und die Jüngste ist sie auch nicht mehr.«
»Als ob irgendeiner von Papas Studenten ihm etwas vorschreiben würde. Die stacheln ihn eher noch an.«
»Vielleicht sollten wir ihn zurückholen nach Bonn?«
»Und Sofie und Peter wieder rauswerfen?«
»Natürlich nicht. Wir können zusammenrücken. Oder dein Vater zieht bei Sybil ein.«
Emma lehnte sich zurück und löffelte die Vanillecreme. Schüttelte den Kopf. »Ich mache mir auch Sorgen um Papa, aber er möchte in Ägypten leben. Und sterben. Ja wirklich, das will er wohl. Wenn er überhaupt glaubt, ihm könnte das jemals geschehen. Es wäre egoistisch, ihm das zu verbieten.«
»Dein Vater wird wenigstens hundert Jahre alt.«
»Bestimmt. Wäre schön, wenn wir ihn in Alexandria besuchen könnten, oder?«
»Von welchem Geld und mit welcher Zeit?«
»Vielleicht gewinne ich demnächst wieder etwas? Du, das sage ich dir, ich nehme ab jetzt an allen Lotterien teil. Ich bin ja wohl ein Glückskind, da werden wir wohl reich werden.«
»Weil du einmal eine Reise gewonnen hast, plane ich gewiss nicht mein Luxusleben, Darling.«
»Hübsch dumm von dir. Ich meine, da habe ich einmal ein Tombolalos gekauft und dann gleich einen Hauptgewinn gezogen. Rechne das einmal hoch!«
»Habe ich schon getan. Wir werden in der Gosse landen wegen deiner Spielsucht.«
»Blödmann. Sag doch lieber mal, wie sehr du dich freust. Norderney, gute Güte! Das war die Insel der Reichen und Schönen und Mächtigen.«
»Und heute müssen sie Lotterielose verschenken, damit Hinz und Kunz kommen.«
»Was bist du garstig. Wer kann sich denn heutzutage noch einen Urlaub leisten? Die Reichen halt und die fahren noch immer auf die Insel.«
»Das wird ja gemütlich werden, wir zwischen all den Verschwendern und Müßiggängern.«
»Weshalb willst du unbedingt mit mir streiten?«
»Sorry, Darling, will ich gar nicht. Mir geht zu vieles im Kopf herum.«
»Papa und Tombolas?«
»Geld, Darling, Geld. Hatte ich dir schon gesagt, dass mein alter Herr zwei Zeitungen abgestoßen hat? Um für den Notfall flüssig zu sein?«
»Steht es so schlimm?«
»Nein, seine Geschäfte laufen bestens. Im Augenblick noch. Ihm macht Sorge, wohin es sich entwickelt.«
»Das Gemüse ist auch wieder teuerer geworden, sagt Sofie.«
»Ist vielleicht das letzte Mal, dass wir so unbeschwert in die Ferien fahren.«
Emma seufzte und lehnte sich an die Schulter ihres Mannes, nahm seine Hand. »Dann lass uns aber auch unbeschwert sein. Ich glaube nicht, dass uns viel Schlimmes bevorsteht. Vor zehn Jahren war doch alles viel grauer und trauriger als nun. Bestimmt geht es bald wieder aufwärts. Hast du gehört? Im Moment dreht Willy Fritsch einen neuen Tonfilm, der ganz reizend werden soll. Mit viel Gesang und Tanz und dieser englischen Schauspielerin. Die zarte Blonde, wie heißt sie noch?«
»Lilian Harvey. Die ist hübsch.«
»Ist sie das?«
»Nicht so hübsch wie du natürlich.«
»Ach na ja, ich denke doch. Du darfst ruhig sagen, dass sie dir gefällt.«
»Lieber nicht.«
»Sei nicht albern. Ich bin nur dann eifersüchtig, wenn ich befürchten muss, du könntest eine Chance haben.«
»Und die hätte ich bei Miss Harvey nicht?«
»Hättest du denn gerne eine Chance bei ihr?«
»Ein lustiger Tonfilm mit Gesang und Tanz also, sehr schön. Aber was hat das mit der Lage der Welt zu tun?«
»Nun, ich meine, wenn wir lustige Filme drehen und überhaupt sehr viele schöne Dinge entstehen -«
»Was entsteht denn?«
»Die neue Mode beispielsweise. Die ist doch sehr feminin und hübsch anzuschauen. Oder auch … Ja, eben die Filme und die Musik und … Möbel doch auch. Es gibt ja so viele glänzende Ideen und der Fortschritt … nun, der …«
»… schreitet voran?«
»Du nimmst mich nicht ernst.«
»Doch, Darling, das tue ich. Und ich weiß genau, dass du dir mit Absicht etwas vormachst.«
»Unsinn, weshalb sollte ich das tun?«
»Weil mit Sorge in die Zukunft blickst, wie ich es auch tue.«
»Nun, jetzt schaue ich erst einmal voller Freude auf unsere Ferien.«
James zog die Gemahlin enger an sich, bemüht, mehr in der durchaus angenehmen Gegenwart zu verweilen und die ihm düster erscheinende Zukunft zu vergessen. Mittlerweile hatten sie schon Düsseldorf weit hinter sich gelassen und die Umgebung Richtung Münster wurde flacher und flacher. »Deutschland ist ein schönes Land, das muss man schon sagen.«
»Ich habe viel zu wenig davon gesehen bislang. Weißt du, wohin ich auch wieder einmal möchte? Nach Lindau im Bodensee. Vielleicht können wir das fürs nächste Jahr einplanen? Jedes Jahr eine Woche Ferien?«
»Wenn du wieder in der Tombola gewinnst.«
»Ich werde sparen.«
Darauf entgegnete James nichts; er sah nicht, wie auch das strengste Sparen mehr erreichen würde, als dass sie über die Runden kämen. Ein Glück, dass Emma Arbeit hatte. Und Sybil. Ohne deren Hilfe sähe es duster aus. Sie hatte bereits zwei Mal die Reparatur der Druckmaschinen bezahlt.Innerhalb dreier Monate. Das ging nicht mehr lange gut. Bald würde er neue Maschinen kaufen oder den Verlag aufgeben müssen. Und dann? Als Historiker sah es mau aus zur Zeit.
»Was ist denn nur los mit dir?«, fragte Emma und musterte ihn kritisch. »Diese Falte zwischen den Brauen will ja gar nicht mehr verschwinden. Wirst du alt, mein Schatz?«
»Das will ich hoffen. Entsetzlich alt will ich werden und zugucken, wie du zu einer süßen Großmutter wirst.«
»Nein wirklich, was ist denn nur los? Kannst du nicht einmal die Arbeit vergessen?«
James klopfte auf die pralle Aktentasche. »Öhm … nein, kann und darf ich nicht.«
»Wenn du mir etwas sagen musst …«
»Ja?«
»Dann warte, bis wir wieder daheim sind, ja? Gönn mir die Tage an der See.«
»Aber natürlich, Darling. Was meinst du, wird das Klima deiner Wunde guttun?«
»Gewiss wird es das.« Eilig kramte Emma die Broschüre hervor, die sie gemeinsam mit den Fahrkarten, einem Lageplan, den Kurausweisen, den Essensbons und dem Brief des Fremdenverkehrsvereins erhalten hatte. Sie las vor, wie das Klima sämtliche körperlichen Funktionen begünstige und jeglichen Anflug von Melancholie, Atemwegserkrankung oder Antriebslosigkeit verschwinden ließe.
»Von Schußwunden schreiben sie aber nichts?«
»Das wäre wohl etwas zu speziell. Aber es heißt hier, es würden die Heilkräfte der Natur aufs Beste gefördert und insbesondere Erkrankungen der Haut positiv beeinflußt. Ich denke, das gilt auch für mich. Du, ich werde jeden Tag im Meer baden und Fangopackungen will ich mir auch gönnen und den Morgensport natürlich, das machen wir gemeinsam. Und heute Abend ist eine Reunion im Konversationshaus und … ach nein, wie schade, das ist samstags, das werden wir nicht erleben. Aber ist nicht so schlimm, ich habe deinen Frack gar nicht eingepackt und -«
»Keinen Frack? Wie entsetzlich, Darling. Ich wollte wie Graf Rotz über die Promenade spazieren.«
»Wir werden über die Promenade laufen, jeden Abend.«
»Laufen? Was meinst du mit laufen?«
»Na, rennen halt. Sportlich sein. Oh, und es gibt auch eine Segelragatta und drei Mal täglich Kurkonzert und -«
»Darling, ich muss auch arbeiten, so leid es mir tut.«
»Ja, aber ich bin dann bestens versorgt, das ist doch wunderbar. Schau, ich kann nachmittags zur Massage gehen und eine Wanderung unternehmen oder Golf spielen oder -«
»Golf? Du? Soweit ich weiß, hast du mehr als einen Platz unspielbar gemacht. Deine Großmutter erwähnte etwas in der Art.«
»Pah. Aber es muss ja nicht Golf sein. Ich werde mir ein Fahrrad leihen und vielleicht einmal eine Reitstunde nehmen und -«
»Wie lange werden wir auf der Insel bleiben? Waren es zwei oder drei Jahre?«
»Esel. Ich gedenke zumindest, ordentlich etwas aus diesen Tagen herauszuholen. Ich werde mich entspannen, wie ich nur kann und keine Sekunde verschwenden.«
»Merkwürdige Vorstellung von Entspannung, die du da hast, Darling.«
»Du wirst schon sehen, es wird herrlich werden, ganz besonders herrlich!«