Der berühmteste Sohn der Stadt


Nun ja, das kann natürlich nur Einer sein: Ludwig oder auch Louis, wie er im damaligen Bonn oft genannt wurde, von Beethoven. Über ihn kann man mit Leichtigkeit so ziemlich alles finden, was interessiert. Was mich aber interessiert, ist seine Rolle in Luises Geschichte.

Zunächst einmal ist es für ein absoluter Glücksfall, dass er in Bonn geboren und aufgewachsen ist und bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahr hier lebte. Auch, dass er sich immer zurücksehnte an die Stadt am Rhein, freut mich. Nicht nur als nachgeborene Mitbürgerin, sondern weil er es mir so recht leicht macht, mich so weit in ihn hineinzufühlen, dass er als Nebenfigur durch meinen Roman huschen darf. Viel großartiger aber ist, dass seine spätere Berühmtheit dafür sorgt, dass ich vieles über meine Stadt um 1790 herausfinden kann – einfach, weil man Beethovens Leben hier und die ihn prägenden Einflüsse oft erforscht und niedergeschrieben hat.

Da wären seine Arbeit als Hoforganist und die Bewunderung, die er beim Kurfürsten durch sein Talent erregt hat. Dadurch sind auch das Bönnische Nationaltheater und das Opernspiel am Hofe zumindest so weit dokumentiert, dass ich mich an einigen Fakten entlanghangeln und doch meine Fantasie laufen lassen kann.
Dann sein Familienleben, das Aufschluss gibt über die Verhältnisse der Zeit, die Kosten des Unterhalts und die Art, wie gewohnt wurde. Dass es mit dem Tode seiner Mutter schwierig wurde mit dem alkoholkranken Vater, der kaum noch in der Lage war, seine eigene Stellung in der Hofkapelle zu erhalten, verschafft mir Einblicke in das Zusammenleben der Stände – Louis nämlich fand enge Freunde und eine zweite Mutter in der Familie Helene von Breunings. Dass sich Adlige und Bürgerliche in Zirkeln, Vereinen und Klubs zusammenfanden, dass man zusammen aß, trank und tanzte und in denselben Gasthäusern verkehrte (vornehmlich in Zehrgarten der Witwe Koch, deren Tochter Babette als Ideal der Demoisell von Schönheit und Bildung galt) – nun, das war nicht überall selbstverständlich und womöglich hätte ich das nur schwerlich herausgefunden, hätte es Beethoven nicht gegeben.

Muss er deshalb aber in meinem Roman als der oft schlecht gelaunte junge Mann auftreten, der er war? Spielt er eine bedeutende Rolle, dreht sich die Geschichte denn auch um seine Jugendjahre?
Beabsichtigt war das gar nicht; er ist nicht der Aufhänger der Geschichte und auch nicht ihr Mittelpunkt. So wenig übrigens wie Marie Antoinette oder Max Franz Hauptrollen erhalten. Aber diese drei Personen herauszuhalten, wäre nicht gegangen. Luise als Schauspielerin und Sängerin des wieder eröffneten Schlosstheaters hätte sich schon sehr anstrengen müssen, nicht mit Louis in einem Raum zusammen zu treffen. Auch ihre Stellung als Tochter eines angesehenen Kaufmanns und Mitbegründer des heute noch existierenden Lese-Vereins bringt sie in Verbindung mit demselben Freundeskreis des Musikgenies. Sie ist befreundet mit jener Babette und auch mit Lorchen von Breuning, in der man oft Beethovens große Liebe vermutet. Auch Amalie von Mastiaux ist eine Freundin – die jungen Frauen sind im selben Alter, haben dieselben Interessen und haben allesamt Beziehung zum Hof, der das Leben in der Residenzstadt prägt. Selbstverständlich gehört sie zu den Demoisellen, die die Aufmerksamkeit Beethovens erregt haben – verliebt war er wohl recht oft, sein Talent aber als romantischer Liebhaber war offenbar begrenzt.

Was ihn als Nebenfigur noch interessanter macht. Er wird also immer wieder einmal einen Streit vom Zaun brechen, das Publikum verzaubern oder auch loben, ermutigen und lachen. Es war eine aufregende Zeit voller Debatten, musikalischen Abenden und literarischen Zirkeln und zu all dem hatte Beethoven Zugang, weil in Bonn der Gedanke von Gleichheit und Gerechtigkeit schon vor der Französischen Revolution Fuß gefasst hatte, denn in einer räumlich engen Stadt ließ sich anderes kaum durchsetzen.
Diese Atmosphäre möchte ich gerne einfangen und ohne den berühmtesten Sohn Bonns wäre das nicht machbar.