
Es ist bald elf Uhr nachts und ich liege bzw. sitze im Bett, weil ich zu müde bin, um weiter zu arbeiten. Jetzt bin ich zu müde, um gleich einschlafen zu können, zumal ich sicher weiß, dass die Söhne noch herumrennen werden und mich aufwecken. Je älter ich werde, desto schlechter schlafe ich ein und werde ich zu oft geweckt (also einmal …), dann liege ich mitunter Stunden wach. Todmüder. aber nicht schläfrig.
Was heutzutage, da ich nicht mehr aus dem Haus muss, um zu arbeiten, und nur selten feste Termine habe, zu denen ich erscheinen muss, micht mehr so schlimm ist wie früher. Gibt es eine höllischere Hölle, als nach nur einer Stunde Schlaf zur Arbeit zu müssen? Ich kann mir das weitestgehend aussuchen; mein Manuskript wird mich nicht anmeckern, wenn ich erst gegen Mittag zu ihm komme.
Aber ich sage weitestgehend, weil ich eine sehr empfindliche Person bin, die am liebsten absolute Ruhe hätte, wenn sie schreibt. Heißt: Wenn die Söhne ab mittags langsam eintrudeln oder der Gatte früh zurückkehrt oder – schlimmer noch – zu Hause bleibt, dann leide ich und komme kaum voran. Womit wir beim schlechten Gewissen angelangt sind. Denn selbstverständlich werfe ich mir meine Empfindlichkeit vor, die ich einfach nicht in den Griff bekomme. Lärm treibt mich nun einmal in den Wahnsinn und für mich sind schon Geräusche Lärm, die andere nicht wahrnehmen. Ich weiß, dass ich das nicht ändern kann, aber es macht mir eben doch das schlechte Gewissen.
Doch ich habe noch viel mehr Grund für dieses belastende Gefühl. Wenn ich beispielsweise einen ganzen Tag lang daran saß, Werbeanzeigen zu schalten. Weil ich mehr von diesen wunderbaren Leserinnen finden möchte, die ich bereits kenne. Marketing ist Arbeit und gehört zu meiner Selbstständigkeit dazu. Dennoch habe ich den Eindruck, zu wenig geleistet zu habe, wenn ich nicht auch wenigstens ein halbes Kapitel geschrieben habe. Selbst wenn ich das getan haben sollte – und das tue ich nahezu täglich seit fünf Jahren – finde ich noch einen Grund, unzufrieden mit meiner Leistun zu sein.
Beispielsweise hatte ich es über den Sommer geschafft, täglich sehr lange draußen spazieren zu gehen. Mit den Hunden zum einen, die darüber gar nicht immer so froh waren, aber auch auf vielen anderen Gängen war ich zu Fuß unterwegs. Jeden Abend habe ich Yoga gemacht, was mir sehr guttat. Trotzdem habe ich weiterhin an mir als unsportlich genörgelt, denn ich sollte auch an Krafttraining denken und sowieso mache ich nur Yin Yoga und kann mich weder verbiegen noch geschmeidig zu Boden gleiten oder ohne Hilfe meiner Hände wieder aufstehen. Nicht sehr beeindruckend, finde ich.
Jetzt aber wird es noch schlimmer, wie immer, wenn ich ans Ende eines Manuskripts gelange: Der eine Hund ist krank, der andere hat sowieso keine Lust, rauszugehen, also klemme ich mich an den Laptop und schaffe keine vierhundert Schritte mehr am Tag. Yoga? Seit einer Woche nicht gemacht und davor auch nur sporadisch. Der Abfall an Beweglichkeit ist enorm, da merke ich erst, wie gut ich für meine Verhältnisse doch schon geworden war. Mein schlechtes Gewissen ist also enorm. Den Hunden gegenüber, die ich rauszwingen müsste, und der Arbeit gegenüber, weil ich längst fertig sein sollte, wenn ich nichts anderes mehr tue, und der Bügelwäsche gegenüber, die seit MONATEN liegenbleibt. Außerdem esse ich wieder einmal viel zu viel und zu ungesund, was mich auch nicht glücklicher macht.
Weshalb erzähle ich das? Weil ich hoffe, dass du, wenn du das liest, dir denkst, die Frau spinnt, die muss mal loslassen. Da hast du recht, ich bin wirklicht Tag für Tag mit meinem Schreiben und dem Drumherum beschäftigt und das von etwa acht Uhr morgens bis elf, zwölf Uhr nachts. Also ja, ich bin nicht nett zu mir, aber vielleicht erkennst du dich in manchem wieder und schaffst es besser als ich, von nun an nett zu DIR zu sein. Das wäre doch was!