Kategorie: Autorinnenleben

  • Show, don’t tell? Ein Plädoyer fürs Erzählen

    Show, don’t tell? Ein Plädoyer fürs Erzählen

    Regeln. Hatte ich auch eben erst drüber gesprochen. Wie wäre es denn mal dieser, die jeder Autorin, jedem Autoren immerzu um die Ohren geschlagen wird: Show, don’t tell! Also zeigen, nicht erzählen. Was oft so verstanden wird, dass jeder erzählende oder zusammenfassende Part, jede Außensichtung der Handlung kritisch beäugt wird.
    Das kann so weit führen, dass alles, wirklich alles gezeigt wird. Heißt: Selbst der Postbote, der nur kurz den Brief abliefert und dann geht, um in der Geschichte nicht wieder zu erscheinen, muss irgendetwas tun, was seine innere Haltung, sein Bewusstsein um seine Bedeutung für den Plot deutlich macht. Er darf nicht einfach schnaufend die Treppe raufsteigen und kurzatmig-mürrisch die Post abliefern. Oder, wenn er so reizend ist wie der Postbote in meiner Straße, lächelnd und hastig zugleich das Päckchen abliefern.

    Nein, er muss auf den Stufen innehalten, muss nicken und auf meine geschlossene Tür starren, muss den Brief in der Hand wiegen, den Kopf schütteln und sich dann mit einem Ruck aufrichten und sein Werk verrichten, muss mir den Brief überreichen und dabei meinen Blick festhalten, dass uns beiden bewusst wird, das Schicksal der Welt liegt in diesem Schreiben. Und selbst bei diesem Zeigen seiner Haltung wird noch jemand einen Schreibratgeber in die Luft strecken und rufen, dass wäre noch gar kein echtes Zeigen, sondern noch immer zu viel Erzählung.

    Nun geht es mir aber gar nicht darum, den für die Handlung und unser tägliches Leben so wichtigen Briefträger kleinzumachen, indem ich ihn klingeln und den Brief abgeben lasse, ohne der werten Leserin klarzumachen: Hier steht ein Mensch aus Fleisch und Blut. Bei mir sollen alle auftretenden Figuren durchblicken lassen, dass sie ein Leben haben. Und Persönlichkeit. Eigene Ansichten. Was es halt so braucht, um mehr als nur eine hingekritzelte Gestalt zu sein.
    Gleichzeitig möchte ich aber auch klarmachen: Diese Person hier spielt für die weitere Geschichte vielleicht nicht die größte Rolle; du musst dir jetzt nicht Namen, Schuhgröße und Lieblingsspeise merken – sollte das wichtig werden, werde ich es noch einmal wiederholen. Oder dich daran erinnern. Nein, du kannst enspannt weiterlesen und vielleicht einen Augenblick lang darüber schmunzeln, wie Briefträger Müller beim Treppensteigen denkt, er hätte die Torte gestern nicht allein essen müssen. Du darfst dich freuen, dass die strenge Sekretärin, die unsere Heldin nicht zum Herrn Generaldirektor vorlassen wollte, dann doch in Erinnerungen an die eigene Jugend schwelt, wenn sie ihr nachblickt. Manche Charaktere verlangen nach Erzählung und Adjektiven, nach klaren Be- und Zuschreibungen.

    Genauso ist es, wenn es spannend wird oder unheimlich oder lustig. Ich für meinen Teil finde es lähmend und gebremst, wenn eine peinliche Begebenheit des Helden gezeigt wird. Es wirkt auch nicht sehr rasant, wenn die Heldin aufs davonrennende Pferd springt – wenn mein Zeigen ihres Tuns und Denkens länger braucht, als sie für das Tun und Denken brauchen würde. Dann bringt eine Erzählung, wie sie die Notwendigkeit des Handelns ebenso erkennt wie die Chance mehr Tempo. Dann zuckt sie nicht nur zusammen und spürt dabei den Herzschlag, der dahin rast wie die Horden des Dschingis Khan auf Beutezug, sie zupft sich nicht nur am Ohrläppchen (was, wie wir durch vorherige und aufmerksame Lektüre wissen, bedeutet, sie denkt angestrengt nach) und tut dies und das und jenes, das uns zeigen soll, sie hat sich erschrocken, sucht nach einer Lösung, sieht das Pferd und springt vom Balkon auf dessen Rücken) – na, wenn ich alles nicht zeige, sondern einfach sage, was passiert, dann hat die Heldin auch die Chance, schnell genug zu springen, bevor der Gaul das Weite gesucht hat.)

    Nicht anderes ist es bei sehr alltäglichen und eher unwichtigen Szenen, die aber doch ihre Bedeutung haben. Die Hausfrau der Fünziger, die auf der nächsten Seite von einem durch ihren Mann angeheuerten Auftragsmörder überfallen wird und ihn in Notwehr tötet, sollte nicht dieselbe Zeit mit ihrem morgentlichen Abwasch verbringen und über jedem einzelnen Teller Tränen vergießen müssen, um uns klarzumachen: Sie erwartet nichts Böses und ihr Alltag ist geprägt von nervtötender Routine. Um den Kontrast zwischen ihrer Langweile auf Seite eins und ihrer Panik auf Seite zwei zu schaffen, braucht es eben bei der Langweile kein Show, sondern Tell. Und auch bei der Panik sollte das Show so sparsam dosiert sein, dass die Heldin nicht im Schneckentempo agiert – ansonsten streicht der Drecksgatte die Lebensversicherung ein und das wollen wir doch nicht. Ist die Heldin erst einmal damit beschäftigt, ihre neue Lage zu überdenken und die Leiche loswerden zu wollen, ist noch Platz genug für Show. Finde ich.

  • Geschichtliches und Gendern

    Geschichtliches und Gendern

    Wie jetzt? Gendern und historisches Bonn? Muss das sein? Fange ich jetzt auch noch an, alles mit Binnen-I oder Sternchen oder was auch immer zu nerven?
    Was kann ich dazu sagen? Ja und nein am besten.
    Ich bin keine Freundin des Genderns. Rein optisch betrachtet. Was momentan sicherlich auch noch Gewöhnungssache ist.

    Allerdings: Wer sich jetzt freut und denken, ich verträte die Ansicht, Frauen (und alle, die außerhalb des Spektrums stehen) sollten sich mal nicht so haben, weil es ja sooo offensichtlich sei, dass sie mitgemeint sind, der irrt sich gewaltig. Es besteht nämlich für mich ein Riesenunterschied zwischen schriftlichem Gebrauchstext und einem Roman. In einem Roman nämlich erwarte ich, dass die Autorin oder der Autor sich die läppischen zwei Sekunden nimmt, um beispielsweise etwas wie ‚Meine Damen und Herren‘, ‚Liebe Schülerinnen und Schüler‚ oder ‚All meine Freunde und Freundinnen‘ zu schreiben; ich fände das übrigens auch in gesprochenen Moderationen schöner als die stumme Pause, wo das Sternchen sonst sitzt.
    Aber gut, wenn Sendezeit kostbar ist, dann kann ich auch ohne die ausdrückliche Nennung der beiden hauptsächlichen Geschlechter leben, wobei die Pause alle Menschen mit einschließen soll. Auch das wieder eine Sache der Gewöhnung, was nun auch nicht schwieriger sein kann, als sich an Wörter wie Downloaden, Streamen oder meinetwegen sogar Gendern gewöhnt zu haben.
    Was ich sagen will: Ich finde es wichtig, nicht immer nur alle Welt mitzumeinen, sondern sie auch anzusprechen. Schon aus Höflichkeit.

    Gut, das wäre also geklärt. Ich verwende die weibliche und die männliche Form, wenn ich einen Roman schreibe. So denn beide angesprochen werden sollen, was nicht immer der Fall ist. Meine Heldinnen reden ja nun auch nicht mit jedem dahergelaufenen Kerl, man ist ja Dame. Daher verzichte ich meist darauf, Männer mit einzubeziehen.
    Worauf aber wollte ich hinaus?

    Schon irgendwie auf dieses generische Maskulinum, das ja in der Wahrnehmung mancher, meist älterer Herren, natürlich gewachsen ist und nie nur Männer meinte. Und da frage ich mich dann schon, wo diese Herren waren, als Geschichte unterrichtet wurde. Wobei ja nur sehr selten Geschichte aus weiblicher Sicht ein Thema ist; die Herren können vielleicht nichts dafür, dass sie das nicht wissen.
    Obwohl … andererseits … Wenn jemand die Gelegenheit hat, diese Ansicht wortreich ins Netz zu schreiben, dann könnte man sich dort ja auch mal informieren. Wenn man wollte. Da finden sich durchaus sehr viele Sprachwissenschaftler und -innen (wirklich sogar viele männliche Sprachkundler, was mich freut), die darlegen, dass Frauen eben ganz und gar nicht mitgemeint waren, schon gar nicht im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ob es Wahlaufrufe waren oder Reklame für Bankkonten oder Ferienreisen, ob es Mobilmachungen waren oder ein Artikel in der Tageszeitung – es waren Männer, die anderen Männern etwas zuriefen, sie umwarben oder informierten. Denn Frauen durften nicht wählen, sie durften keine Konten eröffnen, sie sollten nicht alleine reisen oder sich in die Politik einmischen. Sie waren nicht gemeint. Was den Herren damals sicherlich auch ganz natürlich gewachsen erschien – Himmel noch, wer wäre so dumm und würde sich in wichtigen Angelegenheiten an ein weibliches Wesen wenden?
    Da, wo Frauen dann doch gemeint waren, bedienten sich amtliche Blätter, Zeitschriften oder Werbeblättchen der klaren Ansprache an die Dame von Welt. Bevor sie über Leben entscheiden durfte, entdeckte man sie als Kundin. Da gab es dann die Zeitschrift für die Familie oder die Frau, da gab es Damenbreviere und Reklametafeln für die weibliche Kundschaft. Und wo sie mit ihrem Gemahl zu erwarten war, da sprach man eben von den sehr verehrten Zuschauern und Zuschauerinnen, den Besuchern und Besucherinen, den Damen und Herren – da wurden beide Formen verwendt.

    Aber wie kam ich jetzt darauf?
    Ich habe mir heute Nachmittag drei Bücher durchgelesen. Drei Reiseführer über Bonn, von 1905, 1908 und 1912. Das Heftlein hatte ich neulich schon gezeigt; es wirbt um neue Bürger. Bürger. Nicht Bürgerinnen. Die anderen beiden werben um Touristen. Nicht Touristinnen. Sowieso tauchen Frauen in den Texten nicht auf. Nun ist das eine ein Baedeker, der hält sich eh knapp, lassen wir ihn also mal beiseite.
    Aber die beiden anderen Texte lassen die Geschichte Bonns Revue passieren, sie nehmen den Reisenden auf einen Spaziergang mit, sie zeigen schöne Ecken und gute Gasthäuser. Es ist in beiden sehr viel die Rede von wichtigen Männern. Edlen Kriegern. Bedeutenden Männern. Großen Denkern. Deutschen Männern. Strebsamen Studenten. Berühmten Männern. Von Söhnen der Stadt, von Erfindern, Schriftstellern, Königen. Immerzu geht es darum. Immerzu wird dem Leser versichert, dass er hier geistige Anregung finden wird und des Abends nett ausgehen kann zu Bier und Wein und Gesang. Hier kann er sein Leben verbringen oder seinen Urlaub.

    Wenn Frauen erwähnt werden, dann nur kurz und knapp. Wir erfahren in beiden Texten, dass es in Bonn viele, wirklich sehr viele Töchterpensionate gibt. Und wie viel ein Dienstmädchen im Jahr kostet, was in der Zeile unter den Durchschnittsmieten zu finden ist. (Da bin ich dann auch wieder bei meinem Thema, aber dazu dann beim nächsten Mal mehr).
    Und dann gibt es noch drei Frauen, die mehr oder weniger namentlich erwähnt werden: Charlotte von Schiller, die als Witwe des Dichterfürsten in Bonn starb. Clara Schumann, die als Witwe des Komponisten auf demselben Friedhof beigesetzt wurde. Und Viktoria als Schwester des Kaisers. Keine der drei Frauen hat auch nur ein Wort mehr erhalten, als nötig war, um sie als Anhängsel eines berühmten Mannes zu charakterisieren. (In einem Buch über Bonn aus den späten Dreißigern wird Clara Schumann immerhin auch als begabte Pianistin bezeichnet. Natürlich nur aus dem einen Grund, um zu zeigen, wie eine gute deutsche Ehefrau alles für ihren viel wichtigeren Gemahl aufopfert.)
    Frauen erscheinen in diesen Texten als Familienangehörige, als Dienstmädchen oder als Kundin. Letzteres allerdings in einer doch verblüffenden Anzeige, die im Kontrast zu allem steht, was Zeit, Gesinnung und Literatur dem weiblichen Geschlecht eigentlich sagen möchte. Da steht also eine Dame, die ihren Rock als Pelerine trägt und darunter das bestrumpfte Bein zeigt vom Knie an abwärts. Das gab es sonst nur bei Badekleidung und da wurde fast überall darauf geachtet, dass Männer und Frauen fein säuberlich getrennt voneinander ins Wasser stiegen. Aber die Frau als Kundin genoß Freiheiten, so lange mit ihr Geld zu machen war, so könnte man vermuten. Vielleicht als Ausgleich dafür, dass sie meist nicht einmal mitgemeint war.

    Hübsch sind dabei übrigens auch zwei Listen: eine für die reisenden Dame auf der letzten Seite der Broschüre und eine für den reisenden Herrn, die natürlich auf der vorderen Seite steht.
    Während er die Banknotentasche dabei hat, führt sie Benzin zum Auswaschen von Flecken mit sich. Er reist mit Eispickel, sie mit Eßbesteck.
    Er packt Kognac und Kompass ein, sie Kochgeschirr und Kosmetikartikel.
    Er vergisst seine Ordensauszeichnungen nicht, sie nimmt das Opernglas mit.
    Ihre Liste ist dazu ein gutes Drittel länger und das nicht nur, weil man ihr sagen muss, sie solle das Mieder und die Federboa in den Koffer legen, sondern auch, weil sie auf seine Notfälle vorbereitet sein musste. Aber immerhin durfte sie mit nach Bonn, wo sie abends hübsche Zeichnungen in ihr Reisejournal malt und Blumen trocknet, während der Gemahl in der Kaiserhalle bei Bier und Frohsinn saß und sich über Politik unterhielt. So romantisch …

  • Immer wieder unsicher

    Immer wieder unsicher

    Gestern habe ich den letzten Satz in Emmas dreizehntem Fall geschrieben und auch gleich mit dem Gegenlesen und Korrigieren begonnen; knapp die Hälfte hatte ich schon vor zwei Wochen bearbeitet und habe nun noch sieben Kapitel vor mir, die ich morgen und übermorgen schaffen möchte. So weit, so gut und man möchte doch meinen, dass ich mittlerweile nicht nur Routine im Schreiben und Bearbeiten habe, sondern mir vielleicht auch ein gewisses Selbstbewusstsein als Autorin zugelegt haben sollte; immerhin habe ich nun bereits 39 Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht.

    Ja. Hmm. Also. Tja. Was soll ich sagen? Offenbar nicht. Nicht so ganz. Natürlich weiß ich mittlerweile, dass ich mich auf mich verlassen kann, wenn es darum geht, einen Roman zu Ende zu bringen und das auch in der Zeit, die ich mir vorgenommen habe; ich habe ja das große Glück, Vollzeit schreiben zu dürfen (Also wirklich die volle Zeit: Ich arbeite täglich, auch an den Wochenenden, und selten weniger als zehn Stunden, wenn ich die auch unterschiedlich produktiv und eifrig verbringe). Pandemie, Krieg und Klimakatastrophe, die privaten Unglücke und Unfälle machen wir zwar zu schaffen, aber umso mehr neige ich dazu, mich in meine erfundenen Welten zu begeben. Darum bin ich froh und ich hoffe sehr, dass es der einen oder dem anderen da draußen auch gelingt, Ablenkung zu finden, wenn sie oder er in eben diese Welten eintaucht; das wäre schön, darum geht es beim Schreiben ja, nicht nur um das eigene Vergnügen oder Seelenheil.

    Ich liebe meinen Beruf also und das mit allem, was dazu gehört. Das einzige, was mich gelegentlich belastet – also immer dann, wenn ich kurz vor der Veröffentlichung stehe und somit meine Arbeit, meine Fantasie und meine Welt fremden Augen übereigne:
    Ist die Geschichte gut genug?
    Ergibt sie Sinn?
    Wird man meine Figuren mögen?
    Enttäusche ich wieder einmal die üblichen Erwartungen an das Genre?
    Oder ist es genau das, was meine Leserinnen und Leser mögen? Mögen sie es auch dieses Mal? Oder habe ich es übertrieben?
    Habe ich mich überfordert?
    Sollte ich nicht stärker nach dem Markt schreiben? Kann ich das überhaupt?
    Wird es nicht langsam langweilig?

    Diese Liste könnte ich noch seitenlang fortführen und ganz schnell käme ich dann auch dazu, über Persönliches zu sprechen. Über den Druck, den ich mir mache, weil ich doch gerne bitte all meine Ideen zu Lebzeiten aufschreiben können möchte (was sich echt ungut anhört, oder?). Ob das Schreiben nicht absolut unnütz ist in Zeiten wie diesen. Wie peinlich mir noch immer das Marketing ist. Wie ungeduldig ich bin.
    Und so weiter und so fort.
    Aber jetzt und hier in diesem Augenblick und auf diesem Sofa beschäftigt mich eben die Frage, wieso es so schwierig ist, das eigene Schreiben einzuschätzen. Ganz klar ist: Wenn ich irgendeines meiner Bücher wahllos aufschlage und hineinlese, dann geschieht zweierlei. Zum Einen bin ich mitunter sehr erstaunt, dass ich dort etwas lese, was mir gefällt und was ich genauso als Leserin gesucht habe (was ja auch der Grund war, mit dem Schreiben zu beginnen). Zum Anderen braucht es kaum zehn Zeilen, bevor ich auf etwas stoße, was ich heute anders formuliert hätte. Oder ich finde einen blöden Fehler. Sehr, sehr ärgerlich und leider ist es so, dass das viel mehr Einfluss auf mein schreibendes Selbstbewusstsein hat als die Tatsache, dass mir grundsätzlich gefällt, was ich verfasst habe.
    Und so kommt es, dass ich mit immer mehr Erfahrung immer kritischer beäuge, was ich tue, und mich immer öfter frage: Ist das was? Vorzugsweise etwas Gutes? Oder beweisen mir die negativen Sterne (die ich immer, immer, immer erhalte), dass es Mist ist? Und werde ich jemals weniger nervös und ängstlich sein, wenn es ans Veröffentlichen geht? Ich befürchte, eher nicht. Was vielleicht auch ganz gut so ist. Oder?


  • Was ich nicht schreiben kann und auch Jane Austen nicht schreiben wollte

    Was ich nicht schreiben kann und auch Jane Austen nicht schreiben wollte

    Natürlich bin ich keine Jane Austen und nicht in der Lage, so zu schreiben, wie sie es tat. Was mich nicht hindert, es immer wieder zu versuchen. Vermutlich hat keine Autorin mich so sehr geprägt wie sie und über viele Jahre habe ich alles gelesen, was ich von ihr und über sie zwischen die Finger bekommen konnte. Und alles, was ich fand, bestätigte mich in dem, was ich von ihr erahnte, als ich Stolz und Vorurteil zum ersten Mal gelesen hatte.

    Womit ich zu dem komme, was mich mit mir ihr verbindet: Wenn ich auch nicht schreiben kann wie sie, so kann ich doch immerhin dasselbe nicht schreiben wie sie. Vor ein paar Stunden erst stolperte ich wieder einmal über eines ihrer Zitate, das ich wortwörtlich auch auf mich beziehen könnte:

    Ich könnte eine Romanze so wenig schreiben wie ein episches Gedicht. — Ich könnte mich nicht ernsthaft daran geben, eine ernstgemeinte Romanze zu schreiben, wenn es nicht darum ginge, mein Leben zu retten & wäre es unverzichtbar, dass ich damit fortfahre & unter keinen Umständen mich lustig mache über mich oder andere Menschen, dann bin ich sicher, ich würde gehängt werden, bevor ich das erste Kapitel beendet hätte. — Nein — Ich muss meinem eigenen Stil treubleiben & meinen eigenen Weg weitergehen; und wenn ich auch niemals darin erfolgreich sein sollte, so bin ich doch überzeugt, dass ich auf jede andere Weise versagen müsste.

    I could no more write a Romance than an Epic Poem.— I could not sit seriously down to write a serious Romance under any other motive than to save my Life, & if it were indispensable for me to keep it up & never relax into laughing at myself or other people, I am sure I should be hung before I had finished the first Chapter.— No—I must keep to my own style & go on in my own Way; and though I may never succeed again in that, I am convinced that I should totally fail in any other.—

    Jane Austen

    Was kann ich sagen als: Jepp, so isses. Gelegentlich frage ich mich, ob ich so schreiben könnte, dass ich mehr Leserinnen zusage. Oder einfach knapper, kürzer, moderner. Vielleicht könnte ich das irgendwie. Aber es gefiele mir die Arbeit nicht mehr, ich hätte keinen Spaß mehr an meinen Geschichten. Vor allem jedoch fühle ich mich Jane Austen deshalb verbunden, weil sie Humor der Romantik vorzieht. Ernsthaft romantisch schreiben – das geht für kurze Abschnitte, an der richtigen Stelle der Geschichte. Aber einen gesamten Roman, in dem es „nur“ um Liebe geht … Nein, das schaffe ich nicht. Immer wieder wird einer meiner Heldinnen etwas herausrutschen, was eher lustig als seelenvoll ist.
    Wenn ihr wissen wollt, was passiert, wenn ich es doch versuchen, dann schaut euch meine Lily DuPlessis an. Ganz ehrlich und sehr ernsthaft: Ich dachte, ich schreibe einmal etwas Romantisches. Etwas Süßes und Liebes. Und was ist es geworden: Eine heitere Albernheit, in der ich mich gar zu oft über einige Figuren amüsiere.

  • Noch einmal zum Thema Rezensionen

    Noch einmal zum Thema Rezensionen

    Vor anderthalb Jahren habe ich schon einmal meine Gedanken zu diesem Thema notiert und jetzt drängt es mich erneut, ein oder zwei Worte darüber zu verlieren. Warum? Weil es mich gelegentlich beschäftigt. Ein Aspekt zumindest, auf den ich damals nicht wirklich eingegangen war. Doch von vorne.

    Seit ich meine Romane auch bewerbe – was ich damals noch nicht wirklich getan hatte und somit deutlich unsichtbarer war als heute (auch wenn ich nach wie vor ein kleines Lichtlein bin) -, trudeln zwangsläufig mehr Rezensionen ein und ebenso zwangsläufig mehr Ein- oder Zwei-Sterne-Bewertungen. Ich schaffe es mit jedem Roman, in irgendwem den unbezwinglichen Drang auszulösen, mir Ohrfeigen zu verpassen. Ja, ich denke, dass die reinen Sternevergaben anderen Leserinnen und Lesern gar nichts bringen, sondern dass sie nur zwei Aufgaben erfüllen können:

    Entweder man vergibt die Sterne am Ende der Lektüre, um die Empfehlungen des Amazon-Algorhithmus zu beeinflussen. Oder aber um der Autorin, dem Autoren freundlich zuzuwinken oder verärgert in die Rippen zu hauen. Letzteres geht mit negativen Sternen besonders gut, wenn das Buch noch neu ist und kaum Rezensionen hat – damit lässt sich der Sterneschnitt drastisch senken, was dann durchaus eine Wirkung darauf haben kann, ob eine andere Leserin nach dem Buch greift (also es anklickt und Klappentext und erste Seiten liest) oder wie Amazon das Buch bei seinen Empfehlungen berücksichtigt.
    Damit lässt sich also richtig was anrichten, wenn man Spaß daran hat. Denn mal ehrlich: Wie viele Bücher verdienen nur einen Stern, wenn sie weder sexistisch, rassistisch oder sonst wie diskriminierend sind und nicht mit dutzenden Tipp- und Grammatikfehlern daherkommen? Alles Dinge, die man meist schon bemerken kann, wenn man ins Buch hineinliest. Da ist es vielleicht kein Wunder, wenn die Schreibenden vermuten, man wolle ihnen nur schaden und sie ärgern.

    Und vielleicht fühlen sich deren Leser und Leserinnen ebenso vor den Kopf gestossen, wenn andere sich negativ über die Lieblingsbücher äußern. So ein Shitstorm ist leider schnell entfacht und bringt nichts als sehr viele aufgeregte und verletzte Menschen. Nicht schön, also tut man als Schreibende gut daran, die Klappe zu halten, sich in den Schlaf zu heulen und sich von treuen Freundinnen versichern zu lassen, dass es mindestens genauso viele Leserinnen gibt, die einen sehr zu schätzen wissen. Das hilft nicht immer, aber immer wenigstens so weit, dass man (also ich) dann doch weiterschreibe – viel zu oft, nachdem ich mich mit irgendeinem nicht benötigten Kauf tröste. Das muss ich unbedingt in den Griff bekommen, das mit dem Kaufen :)

    Was ich auch lernen muss: Mir all die Debatten um dieses Thema nicht mehr durchzulesen, denn das tut mir nicht gut. Da gibt es so viele Aussagen, die sich widersprechen und die mich zum Einmischen verlocken könnten. Was ich nicht will. Und jetzt irgendwie tue. Hier, in meinem virtuellen Wohnzimmer.

    Man liest ja immer wieder, was ich oben schon schrieb: Rezensionen sind für Leserinnen, nicht für Autorinnen. Aber ich persönlich kenne keine Leserin, die Rezensionen entweder liest oder aber als Entscheidungsgrundlage für einen Kauf verwendet (kann auch sein, es gibt keine zu). Dagegen kenne ich kaum eine Autorin, die nicht doch immer wieder einmal hineinschaut und sich nachher mies fühlt. Aber darauf wollte ich nicht hinaus. Was mich so erstaunt, ist der Fakt, dass viele der Rezensentinnen zwar sagen, sie schrieben für andere Leserinnen, aber doch immer wieder Fragen, Lob und Vorwürfe jeder Art formulieren, die direkt an die Autorin gehen. Was ihr gutes Recht ist, doch mich insoweit verunsichert, als ich nicht weiß, worauf ich würde reagieren dürfen und worauf nicht.

    Doch auch das ist nicht, was mich so sehr beschäftigt, sondern eine Aussage, die mich richtig triggert: Früher oder später fällt der Satz, man müsse als Autorin, die sich ja immerhin freiwillig in die Öffentlichkeit gestellt habe, mit all dem klarkommen, was sie so über sich zu hören bekommt. Tough muss man sein, man darf sich nicht über einen schnippischen Ton, eine persönliche Beleidigung oder als ungerechtfertigt empfundene Kritik aufregen oder mit Jammerei darauf reagieren, denn das zeige ja nur eines: Dass man für diesen Beruf nicht gemacht sei. Wer nichts Negatives über sich hören will oder ehrliche Kritik und lässige Vernichtung des eigenen Romans nicht ertragen könne, der dürfe eben nicht veröffentlichen. Zack.

    Ich kenne diese Aussage schon aus meinen Blogjahren – da glaubten manche ja auch, gleich Zensur schreien zu müssen, wenn eine Bloggerin einen Kommentar nicht freischaltete, weil sie keine Lust hatte, sich öffentlich als blöde Kuh beschimpfen lassen zu müssen, die zu blöd sei, Röcke zu nähen, die ihr stünden, oder als faule Sau, die lieber ihr Haus putzen solle, anstatt einen Pulli nach dem anderen zu stricken. Und das waren die harmlosen Kommentare, die gelegentlich eintrudelten. Und auch sie wurden begründet mit der angeblichen Öffentlichkeit, die man ja aus Eitelkeit und Sucht nach Aufmerksamkeit suche. In einer kleinen Nische des Internets übrigens. Kennt man ja, all diese Modellflugzeugbauer, die nur deshalb bloggten, weil sie die Herrschaft der Welt anstrebten :D

    Bin ich also der Meinung, man dürfe nur Nettes sagen und schreiben oder den Mund halten? Au contraire. Doch was ich wissen möchte: Wollen diejenigen, die meinen, eine Autorin habe jede Kritik mit Würde zu ertragen (und sie sich so zu Herzen zu nehmen, dass sie nur noch schreibt, was man sich wünscht), denn wirklich nur noch Romane von Menschen lesen, die so kalt und gleichgültig sind, dass sie nicht reagieren? Ganz klar, ich denke auch, man sollte als Autorin nicht anfangen, mit einer Leserin zu streiten, die ihr Buch nicht leiden kann und dazu gute Gründe liefert, warum das so ist, aber wenn es dann irgendwann einmal zu viel wird und die betreffende Autorin doch auf etwas eingeht, weil sie sich missverstanden fühlt oder weil sie sich politisch engagiert oder weil das Thema in ihrer Schreiberinnenbubble aktuell ist – was also auch immer, dann sollte sie das genauso tun dürfen, wie es die Rezensentin tat. Weil sie eben ein Mensch ist, der Frust und Ärger und Zurückweisung spürt und sich das von der Seele schreiben möchte. Das sind die Gefühle, die sie hoffentlich dazu befähigen, gute Romane mit echten Figuren zu schreiben.

    Was ich sagen will: Ich als Leserin möchte keine Romane von knallharten, gefühlskalten und berechnenden Autoren lesen, denen keine Kritik was kann, und deshalb formuliere ich meine Kritik meist so, dass sie keine Krise auslöst. Und als Autorin würde mir nie einfallen, eine Rezensentin für ihre Meinung blöd anzugehen, nur weil sie sich damit ja immerhin auch in die Öffentlichkeit gewagt hat und somit in den Augen mancher Freiwild geworden ist. Ich würde mir halt nur wünschen, dass wir alle viel netter miteinander umgingen und uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir unsere Lektüre oder unsere Zielgruppe auswählen. Gerade in diesen Zeiten, in denen die Nerven blank liegen und genügend Ängste auf uns lauern. Wenn ich keine unblutigen Krimis mit einer Heldin lesen möchte, deren Zeit, Leben und Ansichten eine wichtige Rolle spielen, dann lasse ich die Hände von solchen Büchern und beschwere mich nicht darüber, dass es zu wenig Mord und Totschlag gibt. Und wenn ich als Autorin solche Leserinnen nicht anziehen will, dann bemühe ich mich, das mit Cover, Klappentext und Werbung deutlich zu machen. Wildere ich aber im Thriller-Genre, dann darf ich mich nicht wundern.

    Ja. Das musste mal raus. Genauso wie das hier: Was ich wirklich sehr genieße, das ist der direkte Kontakt mit Leserinnen – immer habe ich ganz schnell das Gefühl, mit einer Freundin zu reden. Kein Wunder, wir haben ja so einiges im Laufe einer Geschichte geteilt und das schafft irgendwie eine ganz eigenartige Vertrautheit. Leserunden, Mails, Instagramkommentare oder eben eine positive Rezension einer Fremden: Das sind die Dinge, die mich sehr, sehr glücklich machen und mich über anderes hinweg heben. Danke dafür!

  • Sinnvolle Rezensionen

    Sinnvolle Rezensionen

    Wer auf Facebook Autorinnen (beiderlei Geschlechts und jeglicher Herkunft) folgt, hat in den letzten Wochen und Monaten sicherlich oft gelesen, wie wichtig Rezensionen seien, welch ein Schindluder damit getrieben werde und wie gemeine Hater ihr armseliges Leben durch üble Verleumdung aufwerten würden.

    Diese Beiträge klangen mal wütend, mal jammernd, oftmals bittend und flehend und gelegentlich witzig. Da gibt es manche, die behaupten, sich nicht im Geringsten um Bewertungen zu scheren (Leserinnen wie Autorinnen), und andere, die sich nicht scheuten, die garstige Rezensentin an den Pranger zu stellen, weil sie echt wirklich absolut voll gar keine Ahnung habe und schlicht zu doof sei, um das verrissene Werk zu verstehen. Gerne handelt es sich dabei um Romane wie ‚Besorg’s mir, Darling!‘, ‚Kaffee, Kuchen und ganz viel Liebe‘, ‚Der harte Kerl mit dem weichen Keks‘ oder ähnliche Anwärter auf den Literaturnobelpreis, wobei ich nun keineswegs meine, es müsste alles mit Hinblick auf diese Ehrung geschrieben werden (Himmel nein!).

    Aber selbst berechtigte Kritik wird übel aufgenommen und bringt der Rezensentin wenigstens einen Schadenfluch und die Streichung sämtlicher Karmapunkte ein.

    Und ratet einmal: Ich kann das durchaus verstehen.

    Des Morgens zu erwachen und eine miese Rezension vorzufinden, das verschönt den Tag eben mal so überhaupt nicht. Gerade in diesen Zeiten wünscht sich die zarte Künsterlinnenseele eben auch einmal Zuspruch und Streicheleinheiten, am liebsten solche, die ein klein wenig öffentlich erfolgen, damit mehr Leserinnen einen finden mögen, die von ähnlicher Natur sind wie eben jenes engelsgleiche Wesen, das einem schrieb, es liebe jedes Wort, das man von sich gebe.

    Oder um einmal persönlicher zu werden und von meinem Erleben zu berichten: Ich habe durch meine Romane genau die Frauen (und eine kleine Handvoll äußerst wunderbarer Herren) kennengelernt, die ich mir während des Schreibens vage vorgestellt hatte. Frauen (und Herren) nämlich, die ich auch sonst durch andere Tätigkeiten traf, Frauen, die klug, witzig, warmherzig und charmant sind. Frauen, die als Leserin nicht allzu viel anfangen können mit immer noch detailreicheren Schilderungen menschlicher Qual. Frauen, die es gerne etwas ruhiger mögen, weil ihr Leben schon zu voll ist von zu viel Arbeit, zu viel Hetzerei von einem Ort zum nächsten. Frauen, die gerne lesen und Sprache genießen und nicht nur zack, zack, zack den nächsten Mord, die nächste Leiche und dann den Mörder präsentiert haben möchten. 

    Das Problem mit diesen Leserinnen ist: Die meisten sind eher zurückhaltend, wenn es darum geht, öffentlich ihre Meinung kundzutun. Ich habe nun schon viele eMails, Briefe und Päckchen gar erhalten von solch entzückenden Frauen, in denen sie mir alles Gute wünschen und sich selbst bitte mehr von Emma, Lily und Olivero. Und jedes Mal sinke ich vollkommen überwältigt auf einen Stuhl und heule einige Minütchen überwältigt vor mich hin und wünschte, ich könnte diese Freundlichkeit angemessen entgelten. Aber ganz gelegentlich wünschte ich mir auch, sie würden es wagen, das auch in eine Rezension zu setzen, weil ich doch gerne glauben möchte, es könnten meine Charaktere und Geschichten mehr Leserinnen (und Lesern) gefallen, als ich bislang erreiche.

    Aber zurück zu den Rezensionen, die nicht so reizend sind. Da haben es die meisten leider so an sich, dass sie relativ unspezifisch sind und somit nicht weiterhelfen. Ja, halt, stopp, natürlich weiß ich, dass diese Bewertungen nicht dazu gedacht sind, einer Autorin auf die Sprünge zu helfen. Andererseits aber – hey, doch! Denn viele der negativen Rezensionen werden persönlich: entweder der Schreibenden gegenüber oder aber sie drehen sich allein um die Rezensentin. Da liest man dann: 

    War voll langweilig, es passiert überhaupt nix, das ist kein Krimi. Für mich ist das nichts, kann ich nicht leiden. Fehlt echt an allem!

    Jo, kann man schreiben, kann man so sehen, ist absolut in Ordnung, denn wie heißt es so treffend: Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die keine kann. Und wer klug ist, versucht das auch gar nicht erst. Ich beispielsweise habe nicht das geringste Interesse daran, für Menschen zu schreiben, die andere nicht respektieren, die rassistisches Gedankengut pflegen und Hitler für ein missverstandenes Genie halten. Ist mein gutes Recht, die zu vernachlässigen. Und ich fasse es noch enger, denn ich schreibe für diejenigen, die mir als Leserin ähneln; ich schreibe das, was ich selbst suche. Und freue mich, wenn ich feststelle, dass die Gruppe viel größer ist als gedacht. 
    Wo also liegt das Problem?

    Vergessen wir die Buchwelt auf einen Moment und gehen wir einmal online shoppen. Lasst uns also das tun, was wir, die wir der Pandemie keinen Vorschub leisten wollten und die dennoch das Gefühl von ein wenig Normalität wollten, taten: Da sitzt man also am Sonntagvormittag gemütlich bei café au lait und croissant oder bei Tee und knusprigen Brötchen im Sessel, auf dem Sofa, im Bett, auf der Terrasse oder in der Küche und surft herum. Es ist Frühling, es kommt der Sommer, der Herbst naht, bald schneit es – wir brauchen unbedingt ein luftiges Kleidchen, leichte Sandalen, eine Badehose, eine Jeans oder einen kuschligen Pullover.

    Bleiben wir beim Pulli. Der soll weich sein (versteht sich von selbst), gerne in einem kühlen Kirschrot (Rot online kaufen, das letzte Abenteuer der Menschheit!), mit eng anliegendem Rollkragen, eher schmal, doch nicht eng geschnitten, mit langen Ärmeln, die bis über die Handgelenke gehen, und taillenkurz, damit er zu dem neuen Rock, der neuen Hose passt. Ach, und gerne mal mit einem Norwegermuster. Das klingt doch gut und etwas ganz Ähnliches haben wir vor Ewigkeiten in einer Zeitschrift beim Friseur gesehen, muss also zu finden sein. Wir besuchen die üblichen Verdächtigen und werden in unserer Verzweiflung immer großzügiger in der Auslegung der von uns festgelegten Kriterien; wir besuchen nun sogar schon die Shops, von denen wir niemals wieder etwas bestellen wollten.

    Und endlich finden wir eine Webseite, die das Gewünschte hat und das in reicher Auswahl. Sagen wir mal, es ist ein Geschäft, das ökologisch korrekte, in Fair Trade hergestellte Kleidung verkauft und das auch noch anständig designt. Das hat natürlich seinen Preis. Aber hurra, hier gibt es sogar Bewertungen von echten Käuferinnen! Das ist doch perfekt! Dann die Enttäuschung: Gleich die erste Rezensentin vergibt nur einen Punkt und brüllt: 

    Totale Abzocke! Der Pulli ist sein Geld nicht wert! Einmal getragen und schon pillt der! Und eingelaufen ist der auch! Dabei habe ich den mit der Hand gewaschen! Und woanders gibt es den in schöner und viel billiger! Betrug!

    1 Stern, weil man weniger nicht geben darf! Alles Beschiss hier!

    Gut, der Ton der Dame missfällt und eigentlich hören wir auf solche Schreihälse doch gar nicht. Aber irgendwie sieht der Pulli jetzt gar nicht mehr so schön aus wie noch vor dem Lesen dieser Bewertung. Und trotz Handwäsche ist der eingelaufen? Da wäre ich auch wütend. Hmmm …
    Wir lesen weiter:

    Sehr schöne Qualität, Farbe wie abgebildet, bekomme viele Komplimente. Ich wünschte nur, er wäre ein wenig länger, denn wenn ich die Arme hebe, rutscht er mir bis über den Busen.

    Vier Sterne.

    Wieder überlegen wir: Zu kurz? Das sieht ja auch nicht aus und schon gar nicht, wenn ich 150,- € dafür zu zahlen habe. Aber es ist genau das richtige Rot und überhaupt drückt sich diese Frau viel netter aus, der glaube ich doch eigentlich lieber als der anderen. Aber zu kurz ist natürlich blöd.
    Wir lesen die dritte Bewertung:

    Farbe top, schönes warmes Rot. Verarbeitung spitzenmäßig, lüften reicht, da reine Kaschmirwolle. Schnitt ist seltsam: zu eng am Hals, zu weit in den Armen. Habe ihn trotzdem behalten, Oma trennt mir das Bündchen ab und strickt ein neues dran.

    Drei lieb gemeinte Sternchen.

    Zu eng am Hals? Das ist unangenehm und dann passt am Ende kein Top mehr drunter, wenn es wirklich kalt wird. Und warmes Rot? Wieso sagt sie jetzt, das Rot wäre warm? Das steht mir ja gar nicht.
    Eine vierte Bewertung lesen wir auch noch:

    Geile Hose, schnell geliefert, Preis könnte niedriger sein, war aber ein Geschenk, ist also ok. Gerne wieder.

    Volle Punktzahl. Äh, alle Sterne, hahaha.

    Hose? Na, das hilft ja gar nicht weiter. Und im Grunde hilft keine einzige dieser Rezensionen mir bei meiner Suche, sie verunsichern mich nur. Was nicht bedeutet, es sollten keine Rezensionen mehr geschrieben werden. Wir brauchen nur mehr Infos. Weshalb manche Shops nun mehr von ihren Rezensentinnen verlangen. Wenn ich mich hier in ein Kleid verliebt hätte, dann würden mir diese Bewertungen durchaus weiter helfen:

    Kleidergröße 40, 170-180 cm, schlank, 80B, blond

    Passt perfekt, Kleid geht bis Wadenmitte und schwingt sehr schön.

    Kleidergröße 44, 150-160, mollig, 90E, rothaarig

    Kleid viel zu lang, viel zu eng oben rum, Farbe macht blass. Geht zurück! Nie wieder dieser Shop!

    Kleidergröße 36, 180-190, sehr schlank, 75A, brünett

    Fällt schön blusig, Rock könnte länger sein, Farbe könnte ruhig knalliger sein, sieht aber sehr fein aus. Sehr empfehlenswert.

    Der Naturmodeshop von oben würde sicherlich von diesen Informationen ebenso profitieren. Und womöglich wäre eine Info mehr auch hilfreich:
    Hat die Kundin, die von Abzocke sprach, vielleicht zum ersten Mal so viel für einen Pullover ausgegeben? Kauft sie sonst vielleicht bei KiK (ohne, dass das abwertend gemeint ist!)? Und Handwäsche ist – wir Strickerinnen wissen das – nicht ohne, da ist die Temperatur schnell mal zu heiß, da liegt ein kostbares Stück schnell mal zu lange im Becken oder wird zu grob herausgezerrt, am Ende gar auf der Heizung getrocknet.
    Hat die Dame, die den Pulli zu kurz findet, vielleicht eine Körbchengröße jenseits von D? Hat sie einen ausladenden Brustkorb? Hat sie eine zu kleine Größe gekauft? Und wie ist ihr Monitor eingestellt – Farbe wie abgebildet heißt im Grund leider gar nichts. Und hat mich doch verunsichert.
    Nummer drei hat vielleicht Probleme mit der Schilddrüse, weshalb ihr jeder hohe Kragen zu eng vorkommt. Und meint sie mit einem warmen Rot dasselbe, was eine ausgebildete Farbberaterin darunter versteht? Das ist eher selten.
    Und bei Nummer vier wäre der Shop gut bedient, die Rezensionen auf ihren Inhalt zu überprüfen und die Rezensentin darauf aufmerksam zu machen, dass sie womöglich in der Zeile verrutscht war.

    Gut. Was hat das nun mit Büchern zu tun?

    Ich würde mir wünschen, wir bekämen da ähnliche Infos. Das würde mir sowohl als Leserin wie auch als Autorin wünschen. Wahrscheinlich machen das viele von euch ähnlich, wenn sie Rezensionen überhaupt lesen: Wenn jemand überschwänglich lobt oder gnadenlos niedermacht, dann schauen wir uns das Profil an und gucken, was denn sonst so gelesen wird. Weil wir wissen wollen, wie ernst wir die Aussage nehmen können oder müssen. Viel leichter und hilfreicher wäre es, wenn wir das sofort erkennen könnten:

    Weiblich, 20-30 Jahre, liest am liebsten Horror, hardboiled Krimi, Dark Romance, BDSM

    War voll langweilig, es passiert überhaupt nix, das ist kein Krimi. Für mich ist das nichts, kann ich nicht leiden. Fehlt echt an allem!

    Aha. Wenn ich nun eine Leserin bin, die dieselben Vorlieben hat, dann spare ich mir die Ausgabe und lasse das Buch liegen. Bin ich eine Leserin, die mit diesen Genres überhaupt nichts anfangen kann, dann freue ich mich vielleicht und denke, ich sollte einmal hineinschauen. 

    Und als Autorin denke ich mir: Ja, stimmt, du hast völlig recht. Du und mein Buch, ihr passt nicht zusammen und es tut mir leid, dass du dir etwas anders versprochen hast. Ich sollte noch einmal in meinen Klappentext gucken und überlegen, wie ich das klarer machen kann. Oder ist mein Cover wirklich so bluttriefend, dass du zugreifen musstest? Wie auch immer, danke für den Tipp.

    Zwar macht mir die Bewertung noch immer meinen Bewertungsschnitt kaputt, aber hey: Nichts ist unglaubwürdiger als 100 x fünf Sterne!

    Weiblich, 30-40 Jahre, liest am liebsten cosy crime, Historische Romane, heitere Komödien

    War voll langweilig, es passiert überhaupt nix, das ist kein Krimi. Für mich ist das nichts, kann ich nicht leiden. Fehlt echt an allem!

    Au verdammt! Die liest dasselbe, was ich mag, das ist die Leserin, für die ich schreibe. Schnell mal ins Profil schauen, was sie zuletzt bewertet hat. Doppelt au! Sie liebt all die Romane, die ich auch liebe! Jetzt weiß ich, ich muss noch einmal ran, irgendwo habe ich richtig Mist gebaut, das kann ich besser. Schnell eine Runde heulen und toben und dann ran an die Arbeit!

    Natürlich gibt es immer noch Rezensentinnen, die wirklich nur aus Spaß an der Freude Verrisse schreiben oder einfach nur überall einen Stern vergeben. Es gibt solche Menschen, die kleingeistig und schadenfroh sind. Und es gibt auch Konkurrentinnen, die sich von diesen Dingen einen Nutzen versprechen. Aber das dürfte doch die Minderheit sein. Die meisten negativen Rezensionen erhält man eben, weil Buch und Leserin nicht zusammengehören und es nicht gelungen ist, beide auseinanderzuhalten.

    Mag sein, es wollte die Leserin einmal etwas Neues ausprobieren, mag sein, sie ist eine Schnäppchenjägerin, die alles runterlädt, wenn es umsonst oder sehr billig ist, mag sein, es hat die Autorin absichtlich ihr Buch in das falsche Genre einsortiert. Oder es kann sein, die Rezensentin ist der Meinung, es müsse alles nach ihren Wünschen geschrieben sein. Alles möglich, da stecken wir nicht drin.

    Aber weil jede negative Meinung auch diejenigen beeinflusst, die sich für immun solchen Einflüsterungen gegenüber halten, wäre es schön, wenn sich auch diejenigen, die schüchtern und zurückhaltend sind, dazu überwinden könnten, ihre Meinung öffentlich kundzutun, wenn sie weiterhin mit Romanen ihrer liebsten Autorin Zeit verbringen wollen. Denn das Arbeiten mit nur wenig Resonanz und Unterstützung – das bringt das Schreiben nun einmal so mit sich, vor allem, wenn man als Autorin auch eher schüchtern und zurückhalten ist – ja, dieses Arbeiten geht schon einmal schlechter von der Hand, wenn man sich für ungelesen und ungeliebt hält.

  • Vor einem Jahr & alle fünf Minuten

    Vor einem Jahr & alle fünf Minuten

    Eine Warnung vorweg: Ich gedenke, hier vor mich hinzunölen, wie es mir gerade einfällt. Entweder klickt die nicht geneigte Leserin jetzt weg oder sie holt sich ein Heißgetränk und macht es sich bequem …

    Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da lief ich an einem heißen Sonntag mit dem Großen und den Hunden aufgebracht durch die Derle. Das ist ein wäldliches Naherholungsgebiet wenige Meter von hier, in dem so ziemlich jeder grillt und seinen Dreck rücksichtslos verteilen kann – insofern ist die Derle vielleicht ein passendes Gleichnis zu unserer Welt, wie ich sie gerade sehe: Eigentlich sehr schön und in der Theorie ein Traum, jedoch richten die widerwärtigsten Widerlinge eine solche Sauerei an, dass man lieber woanders wäre und sich zwischen Wut und Hilflosigkeit ergeht.

    Ich lief deshalb aufgebracht durch die Derle, weil der Gatte und ich heftigst gestritten hatten und der Anlass dazu ein nichtiger war. Am Ende dieses Spazierganges war ich noch immer voller Ärger und der Sohn bemühte sich, mich abzulenken – was ungewöhnlich ist, denn dieses Kind ist ansonsten derjenige, der uns alle in anderthalb Sekunden unter die Decke jagt. Er kam auf seltsamen Wegen auf Filme und dann auf Geschichten, die ich doch mal schreiben wollte. Ich könnte ja mal etwas schreiben, worin eine sich ritzende Detektivin nach Jahren in einer Klinik wieder ihr normales Leben aufnimmt und nun den Mörder ihrer Schwester jagt – den bösen Schwager.

    Es war eine hochkomplizierte Story, die der Sohn da entwickelte, und ich begann mich zu fragen, wie schlimm er den Streit wohl gefunden haben mochte, dass ihm ermordete Ehefrauen in den Sinn kamen. Aber gleichzeitig fiel mir etwas ganz anderes ein, nämlich meine Emma. Meine Heldin eines (!) Krimis, die in den Zwanziger Jahren in Bonn ermittelt. Und die mich seit gut zehn Jahren begleitete. Einmal im Jahr schrieb ich zwei oder drei Sätze, ein Mal sogar zwei Kapitel, die ich der Freundin zu lesen gab und die seitdem ebenso einmal im Jahr drängte, ich solle endlich beginnen, das werde gut.

    Aber ich fand Emma zu banal, sie war viel zu sehr das, was man aus den englischen Bücher kennt, die in derselben Zeit spielen: Immer wahnsinnig gut drauf, unglaublich begabt, megamutig und unerschrocken, umwerfend schön und viel klüger als die Polizei. Außerdem alterslos, denn in manchen Serien sind es 33 Bände, die allesamt nicht über das Jahr 1926 hinaus kommen – eine ewig währende Party voller Lords und Luxus. Was sich zwar nett wegliest, aber irgendwann auch nervte. Mich zumindest. Das wollte ich nicht.

    Und dank des Streits und den Ideen des Sohnes wusste ich es dann: Meine Emma ist schüchtern und darf sich entwickeln. Sie darf beides kennen – den (bescheidenen) Luxus und das harte Leben. Und sie muss durch eine persönliche Geschichte überhaupt erst in all das hineinkommen. Es muss eine Serie sein und sie darf vorwärts schreiten. Ja, all das notierte ich mir und am nächsten Tag fing ich an. Noch gar nicht im Klaren darüber, was ich damit anfangen will. Noch nicht einmal überzeugt, ich würde dieses Mal mehr als zehn Zeilen füllen. Aber es lief und floss und alle Überlegungen, die mich umtrieben, lösten sich von selbst. Ich bin ungeduldig, ich gebe nicht gern etwas aus der Hand, ich bringe mir gerne etwas bei, ich bin nicht gerne allzu sichtbar, ich kann nicht gut in eigener Sache verhandeln – also kam für mich eine Suche nach Agentur und Verlag nicht in Frage. Heimlich, still und leise wollte ich meine Emma bei amazon veröffentlichen, es hier einige Male erwähnen und irgendwie hoffen, dass es nur wenige lesen, die sicher wären, es zu mögen. Alles sehr ambivalent, was in mir vorging.

    Zu meiner Überraschung drängte es mich weiter und weiter und weiter. Es war, als hätte man ein gärendes Fass angestochen. In einem Jahr habe ich nun über eine halbe Million Wörter veröffentlicht, wozu ich täglich etwa 1.600 von ihnen zu schreiben hatte – das höchste, was ich an einem Tag tippte, waren 9.800 irgendwas. Schnell und viel ist also kein Problem, aber das war es für mich noch nie. Viel wichtiger ist mir: Ich hätte mir das nicht zugetraut und insofern müsste ich doch jetzt hier stehen und mich großartig fühlen. Oder?

    Wenn ich schreibe oder der Freundin vorlese oder dem Gatten oder eine Rückmeldung einer Leserin (auch männlicher Leserinnen, was mich doch immer sehr freut, zumal der Tenor dahin geht, auch meine Männer seien gut getroffen), dann fühle ich mich auch großartig. Ich bin woanders, kann eine Welt ein wenig gerechter gestalten, kann mich wegdenken.

    Und dieses Wegdenken, das brauche ich mittlerweile. Ich kann diese Welt wirklich nicht verstehen. Es vergehen im Grunde keine fünf Minuten am Tag, in denen ich nicht einmal darauf gestossen werde, warum ich mich so gedrängt und gehetzt fühle. Ich würde auch in einer hoffnungsfroheren Welt schnell und viel schreiben und dafür das Bloggen, das Nähen, das Stricken vernachlässigen. Oder den dämlichen Haushalt! Aber ich hätte nicht das Gefühl, noch schnell etwas schaffen zu wollen, bevor es nicht mehr geht.

    Bevor es auch zwei Gründen nicht mehr geht: Weil meine Romane (noch) in der Weimarer Republik spielen und ich in ihnen nicht ausblende, was real in diesen Tagen geschah. Und weil mein – sanfter – Fokus auf Emanzipation und Kritik an rechtsradikalem Gedankengut vielleicht schon bald nicht mehr so harmlos sein könnten. Wir gehen in solch Riesenschritten zurück, ich kann so schnell gar nicht mithalten.

    Nun kann es sein, dass ich zum Einen wieder einmal in einer leicht depressiven Phase bin und alles schrecklich schwarz sehe, wo es doch nicht mehr als freundlich-anthrazith ist. Möglich, möglich, möglich. Ich habe dreimal minderschwere Depressionen durchlitten, kenne die Anzeichen und bin auch da jemand, der sich nicht gerne helfen lässt und ganz gut damit dealt. Aber dieses Mal?

    Ich bin in der letzten Zeit dazu übergegangen, immer mal wieder ganz besonders liebe und aufrechte Menschen auf facebook stummzuschalten, weil ich all die Realitäten nicht mehr ertragen kann. Gestern sah ich mir das Video einer österreichischen Freundin an. Danach war ich down. Es war eine Rede im österreichischen Parlament. Und nicht der Inhalt allein war es, das, worum der Redner verzweifelt rang, sondern das widerliche Grinsen des Bubis Kurz, der daneben saß und deutlicher gar nicht hätte zeigen können, was er will und was ihn interessiert. Gier und Eigennutz sind ihm ins Gesicht gemeißelt. Ebenso, wie es Spahn und Söder und Seehofer unverdeckt vor sich hertragen.

    Das sind für mich Menschen, die charakterlich dermaßen ungeeignet für JEDES Amt sind, dass ich nicht begreifen kann, wie sie dorthin gelangt sind und weshalb es nichts gibt, was wir dagegen tun können. Und es entsetzt mich – auch hier unabhängig davon, welche politische Meinung jemand vertreten mag, darüber müsste man streiten und sich einigen können nach all den Jahrtausenden der Menschheitserfahrung! – wie wenig sich manche Menschen an dieser Kaltschnäuzigkeit, an dem kalten Egoismus stören. Da ist ja so gerne von kulturellen Werten die Rede … Verdammt noch eins, wer nicht einmal in der Lage ist, dem nach ihm Kommenden die Türe offen zu halten, der sollte von derlei nicht reden. Mit Verlaub, es kotzt mich an, wie miteinander umgegangen wird. Wie selten Autofahrer an einem Zebrastreifen halten, wie wenige hinzuspringen, wenn ein kleines Kind fällt und die Eltern nicht schnell genug heraneilen können, und wie unfreundlich grundsätzlich miteinander gesprochen wird. Wenn überhaupt.

    Aber dann – mir fehlt längst die Kraft, mich einzumischen. Zumal sich das dann auch persönlich ungut bemerkbar macht. Ein stramm Ultrarechter fühlte sich von meinen Worten auf facebook beleidigt und zahlte es mir mit einer Ein-Sterne-Rezension heim. Soll er, alles gut, alles fein. Aber das solche Methoden längst gang und gäbe sind, dass, wer auch nur Menschlichkeit erbittet, stattdessen Nachrichten mit Morddrohungen erhält – das führt zu keinem guten Ende. Sehe ich zu schwarz? Das hoffe ich sehr, ich lasse mich da gerne eines Besseren belehren. Für mich ist der nächste Meilenstein die Wahl in der Türkei. Wenn es dort gelingt, Erdogan abzuwählen, dann blicke ich ein klein wenig hoffnungsvoller nach vorne. Glaube ich daran? Tja …

    Dazu kommen all die anderen Dinge, die mich so begleiten: Die gottverdammten Wechseljahre sind noch immer nicht durch und nein, ich nehme noch immer keine Hormone und man kann noch immer nicht wirklich etwas tun. Drei Monate bin ich regelfrei und blühe auf und dann kommen sie sechsmal hintereinander alle zwei Wochen und ich glaube, zu sterben. Seit fünf Jahren geht das so und das trägt wenig dazu bei, unsere Welt als lebenswert zu empfinden. Alles ganz schön düster und bitter bis hierhin, oder? Aber gleichzeitig setzt bei mir eine Egal-Haltung ein, die sich echter und besser anfühlte, hätte ich keine Kinder, um deren Zukunft ich mich sorge. Beide sind rundum ätzend während eines Großteil des Tages, streitende und zickige Fast-Teenager, die nicht wissen, wohin mit ihrem Testosteron. Woher auch? Wenn Trump und Kurz und Erdogan und wie sie nicht alle heißen, was sie damit anfangen können, woher dann zwei Jungspunde?

    Was mich so niederdrückt, ist vor allem das Gefühl der Hilflosigkeit der Mehrheit gegenüber einer fast schon krankhaft niederträchtigen Minderheit, die sich an jedem bösen Wort, an jeder unmenschlichen Tat in Schadenfreude ergeht. Und doch will ein Teil von mir – wahrscheinlich die Prinzessin im silbernen Kleid – daran festhalten, dass sich alles bald wieder wandelt, das alles wieder gut wird. Deshalb wohl kam nicht nur Emma in meine Welt, sondern auch Lily, die ich die Zwanziger unbeschwerter und lustiger erleben lasse. Die eine märchenhafte Wirbelwindromanze erhalten hat und ein unerschütterliches Selbstbewusstsein. Und als eine Freundin mir schrieb, an ihr hätte sie besonderes Vergnügen gehabt, weil sie an Tucholsky und Kästner habe denken müssen, da war die Welt wieder ganz hell und licht. Wer von euch also zögert, sich dem Schreiben hinzugeben, der sollte jetzt mal loslegen, es reinigt und klärt die Gedanken.

    So, das war es von hier. Nicht so lustig, nicht so schön. Aber vielleicht kommt das ja demnächst alles zurück. Ich sehe zu schwarz und jetzt kommt rosa. Irgendwie so …