Autor: Andrea

  • Show, don’t tell? Ein Plädoyer fürs Erzählen

    Show, don’t tell? Ein Plädoyer fürs Erzählen

    Regeln. Hatte ich auch eben erst drüber gesprochen. Wie wäre es denn mal dieser, die jeder Autorin, jedem Autoren immerzu um die Ohren geschlagen wird: Show, don’t tell! Also zeigen, nicht erzählen. Was oft so verstanden wird, dass jeder erzählende oder zusammenfassende Part, jede Außensichtung der Handlung kritisch beäugt wird.
    Das kann so weit führen, dass alles, wirklich alles gezeigt wird. Heißt: Selbst der Postbote, der nur kurz den Brief abliefert und dann geht, um in der Geschichte nicht wieder zu erscheinen, muss irgendetwas tun, was seine innere Haltung, sein Bewusstsein um seine Bedeutung für den Plot deutlich macht. Er darf nicht einfach schnaufend die Treppe raufsteigen und kurzatmig-mürrisch die Post abliefern. Oder, wenn er so reizend ist wie der Postbote in meiner Straße, lächelnd und hastig zugleich das Päckchen abliefern.

    Nein, er muss auf den Stufen innehalten, muss nicken und auf meine geschlossene Tür starren, muss den Brief in der Hand wiegen, den Kopf schütteln und sich dann mit einem Ruck aufrichten und sein Werk verrichten, muss mir den Brief überreichen und dabei meinen Blick festhalten, dass uns beiden bewusst wird, das Schicksal der Welt liegt in diesem Schreiben. Und selbst bei diesem Zeigen seiner Haltung wird noch jemand einen Schreibratgeber in die Luft strecken und rufen, dass wäre noch gar kein echtes Zeigen, sondern noch immer zu viel Erzählung.

    Nun geht es mir aber gar nicht darum, den für die Handlung und unser tägliches Leben so wichtigen Briefträger kleinzumachen, indem ich ihn klingeln und den Brief abgeben lasse, ohne der werten Leserin klarzumachen: Hier steht ein Mensch aus Fleisch und Blut. Bei mir sollen alle auftretenden Figuren durchblicken lassen, dass sie ein Leben haben. Und Persönlichkeit. Eigene Ansichten. Was es halt so braucht, um mehr als nur eine hingekritzelte Gestalt zu sein.
    Gleichzeitig möchte ich aber auch klarmachen: Diese Person hier spielt für die weitere Geschichte vielleicht nicht die größte Rolle; du musst dir jetzt nicht Namen, Schuhgröße und Lieblingsspeise merken – sollte das wichtig werden, werde ich es noch einmal wiederholen. Oder dich daran erinnern. Nein, du kannst enspannt weiterlesen und vielleicht einen Augenblick lang darüber schmunzeln, wie Briefträger Müller beim Treppensteigen denkt, er hätte die Torte gestern nicht allein essen müssen. Du darfst dich freuen, dass die strenge Sekretärin, die unsere Heldin nicht zum Herrn Generaldirektor vorlassen wollte, dann doch in Erinnerungen an die eigene Jugend schwelt, wenn sie ihr nachblickt. Manche Charaktere verlangen nach Erzählung und Adjektiven, nach klaren Be- und Zuschreibungen.

    Genauso ist es, wenn es spannend wird oder unheimlich oder lustig. Ich für meinen Teil finde es lähmend und gebremst, wenn eine peinliche Begebenheit des Helden gezeigt wird. Es wirkt auch nicht sehr rasant, wenn die Heldin aufs davonrennende Pferd springt – wenn mein Zeigen ihres Tuns und Denkens länger braucht, als sie für das Tun und Denken brauchen würde. Dann bringt eine Erzählung, wie sie die Notwendigkeit des Handelns ebenso erkennt wie die Chance mehr Tempo. Dann zuckt sie nicht nur zusammen und spürt dabei den Herzschlag, der dahin rast wie die Horden des Dschingis Khan auf Beutezug, sie zupft sich nicht nur am Ohrläppchen (was, wie wir durch vorherige und aufmerksame Lektüre wissen, bedeutet, sie denkt angestrengt nach) und tut dies und das und jenes, das uns zeigen soll, sie hat sich erschrocken, sucht nach einer Lösung, sieht das Pferd und springt vom Balkon auf dessen Rücken) – na, wenn ich alles nicht zeige, sondern einfach sage, was passiert, dann hat die Heldin auch die Chance, schnell genug zu springen, bevor der Gaul das Weite gesucht hat.)

    Nicht anderes ist es bei sehr alltäglichen und eher unwichtigen Szenen, die aber doch ihre Bedeutung haben. Die Hausfrau der Fünziger, die auf der nächsten Seite von einem durch ihren Mann angeheuerten Auftragsmörder überfallen wird und ihn in Notwehr tötet, sollte nicht dieselbe Zeit mit ihrem morgentlichen Abwasch verbringen und über jedem einzelnen Teller Tränen vergießen müssen, um uns klarzumachen: Sie erwartet nichts Böses und ihr Alltag ist geprägt von nervtötender Routine. Um den Kontrast zwischen ihrer Langweile auf Seite eins und ihrer Panik auf Seite zwei zu schaffen, braucht es eben bei der Langweile kein Show, sondern Tell. Und auch bei der Panik sollte das Show so sparsam dosiert sein, dass die Heldin nicht im Schneckentempo agiert – ansonsten streicht der Drecksgatte die Lebensversicherung ein und das wollen wir doch nicht. Ist die Heldin erst einmal damit beschäftigt, ihre neue Lage zu überdenken und die Leiche loswerden zu wollen, ist noch Platz genug für Show. Finde ich.

  • Der Bonner Hofgarten

    Der Bonner Hofgarten

    Der Park nahe am Rhein hatte im Laufe seiner Existenz viele Wandlungen durchgemacht, doch nie war er völlig zu dem geworden, was Kurfürst Joseph Clemens und nach ihm Kurfürst Clemens August im Sinn hatten. Ein Park so prächtig wie in Versailles sollte es werden; es waren Terrassen geplant, Stufen und Wasserwerke, Obstgärten und dekorative Schutzwälle, doch nur die doppelte Lindenallee links und rechts neben den nach französischem Vorbild angelegten Ziergärten und ein Brunnen dort, wo später die Anatomie von Schinkel erbaut wurde, sollten fertiggestellt werden.
    Nachdem 1777 das kurfürstliche Schloss bei einem fünf Tage andauernden Brand zerstört worden war, fehlte es an Geld für die Gartenanlage; es fehlte so sehr, dass sogar das Schloss nur eingeschossig wieder aufgebaut wurde und sich statt der geometrisch angeordneten Blumenrabatten nur noch eine schlichte Rasenfläche zwischen den Linden ausbreitete.

    Dann kam die Zeit der napoleonischen Besetzung und machte eventuellen Gartenbauträumen endgültig den Garaus. Im Schloss brachten die Franzosen ein Lyzeum unter und auf der Hofgartenwiese – nun Nationalgarten genannt – hielten sie Kundgebungen und Feiern ab. Nach ihrem Abzug war von der früheren Pracht nicht allzu viel übrig.

    Um 1850 herum kam noch einmal die Idee auf, es mit einer barocken Anlage zu versuchen, aber die Kosten nicht nur für die Erschaffung, sondern ebenso für den Erhalt eines dermaßen aufwändigen Gartens sprachen vermutlich eine deutlichere Sprache als der Wunsch nach kurfürstlicher Pracht. Immerhin blieb der Park erhalten und wurde weder in Sportplätze noch Baugrund umgewandelt, wie es manche Bonner vorgeschlagen hatten. Zu viele andere wollten den Hofgarten erhalten – daran hat sich bis heute nichts geändert, denn noch immer werden gelegentlich höchst erstaunliche Vorschläge unterbreitet.

    Statt der Linden säumten um 1900 Ulmen den Park, in dem man sich bei sonntäglichen Spaziergängen, studentischen Feiern oder kaiserlichen Besuchen traf. Hier holte man Luft und suchte nach Erholung zwischen Einkauf und Haushalt, hierhin gingen Kindermädchen mit ihren Schützlingen, hier ließen Bonnerinnen und Bonner die Seele baumeln.

  • Hedwig 1882 – Aufbruch ins Leben

    Hedwig 1882 – Aufbruch ins Leben

    „Ein gutes Dienstmädchen bezeigt jederzeit Fleiß, Gehorsam und Bescheidenheit.“

    Putzen, scheuern, fegen, waschen, nähen, flicken, kochen und servieren – darauf legt die feine Hausfrau erst in zweiter Linie wert, solange das Mädchen tut, was sie verlangt.

    Die fünfzehnjährige Hedwig weiß, auf was sie sich einlässt, als sie in Bonn ihre erste Dienststelle antritt: Harte körperliche Arbeit zwölf bis sechzehn Stunden täglich und alle paar Wochen einen freien Nachmittag. Freiheit erlebt sie nur in ihren Träumen.

    In diese Träume drängen sich John, ein junger Mann aus allerbester Familie, und Max, sein Freund seit Kindertagen. Über Standesgrenzen hinweg entwickelt sich eine enge Kameradschaft zwischen den Dreien. Bis die Liebe mitmischt …

  • Arbeitgeber des Dienstmädchens

    Arbeitgeber des Dienstmädchens

    Denken wir an Dienstmädchen, dann kommen uns vermutlich dieselben Bilder und Filme in den Sinn: Wir denken vielleicht an das Haus am Eaton Place oder an Dontown Abbey, wo die Dienstboten im Kellergeschoss ihr eigenes Reich hatten, das streng hierarchisch geordnet war.
    Wir denken vielleicht an Filme, in denen hübsche Zofen ihre eitlen Herrinnen in enge Korsetts schnürten (und von Korsetts wollen wir jetzt nicht reden, das Faß mache ich ein anderes Mal auf …) oder in denen noch hübschere Stubenmädchen dem Hausherrn entweder schöne Augen machten oder sich von ihm Frechheiten gefallen lassen mussten.
    Vielleicht erinnern wir uns auch an Schwarz-Weiß-Filme wie jenen, der die Vokabel ‚Gaslighting‚ schuf und in dem Ingrid Bergman als Hausherrin unter einer intriganten Angela Lansbury als Zofe zu leiden hatte.
    Aber was auch immer wir vor Augen haben: Das Dienstmädchen wird nur selten zur alleinigen Hauptperson, selbst wenn wie in den beiden erstgenannten Verfilmungen sie mehr ist als nur eine Haushaltsmaschine auf zwei Beinen. Dann allerdings muss sich ihr bescheiden-trist-grauer Alltag neben der großartig-bunten Lebensweise der Herrschaft beweisen und bietet im Grunde somit doch nur den Rahmen für die eigentlichen Dramen der guten Gesellschaft.

    ‚Pflichtvergessen!‘

    Ich merke, ich komme gerade in ein ganz anderes Fahrwasser; da wollte ich gar nicht hin.
    Was ich eigentlich hatte sagen wollen: Wir stellen uns meist ein hochherrschaftliches Haus vor mit ausreichend Personal – insbesondere mit männlichem Personal in den hohen Positionen.
    Vielleicht sehen wir auch eine ältere Witwe, die ihre Gesellschafterin/Zofe/Köchin/Pflegerin scheucht (die haben wir gerne mal in Agatha Christie-Verfilmungen) oder die frühere Kinderfrau, die in der Familie bleibt, weil sie sich anderweitig nützlich zu machen verstand und die Kinder doch so sehr liebt, oder die freche Zofe, die der unverheirateten Tochter des Hauses hilft, ihre ach so feministischen Ziele zu erreichen – es ist halt spannender, Ärztin werden zu wollen, da kann man locker darüber hinwegsehen, dass die Zofe bei all dem ihre Zukunft riskiert.
    Aber hey, wenn alles gutgeht, dann darf sie danach bei der Freundin arbeiten, hurra!

    Wie es aber auch ist: Das Dienstmädchen, welche Funktion sie auch haben mag, wie hübsch, niedlich und clever sie ist, bleibt meist der Herrschaft untergeordnet. Sie ist kaum mehr als ein Ding, über das man sich schnell ärgert, wenn es einmal nicht so funktioniert, wie man es gewohnt ist. Im Film und im Roman ebenso wie in der Wirklichkeit.

    Natürlich gibt es Ausnahmen. Im Film, im Roman und in der Wirklichkeit. Aber dennoch hatte auch ich die beschriebenen Bilder im Kopf. Weshalb ich jetzt diese Geschichte schreiben will und endlich zu dem komme, wo ich hinwollte: Wo also fand eine junge Frau eine Stellung? Nur selten arbeitete sie bei Königs, Kaisers oder anderen Fürsten, selten auch gelang einem Mädchen vom Lande (woher die meisten stammten) der Aufstieg zur Zofe bei einer Adelsfamilie.
    Am häufigsten und in der Regel auch als Erstes arbeitete sie bei Handwerks- oder Kaufmannsfamilien der kleinbürgerlichen Schicht. Hier war ihre Rolle oft noch so, wie sie in den etwa zweihundert Jahren zuvor noch gewesen war: Sie galt als Teil der Familie, die – wie alle anderen auch – mit anpackte, am selben Tisch saß und aß.
    Die Hausfrau wurde nämlich im Geschäft benötigt, weshalb die Familie jemanden brauchte, der sich ums Essen, die Wäsche und die Kinder kümmerte. Viel war dort nicht zu verdienen, aber wenn man das Glück hatte, bei netten Menschen gelandet zu sein, dann lebte man dort freier und anerkannter als beispielsweise in einem gutbürgerlichen Haushalt.

    Dort nämlich konnte man selten mehr als zwei Mädchen beschäftigen und oft fehlte sogar das Geld, auch nur eines anständig zu bezahlen. Hier aber ging es ohne Hausangestellte nicht – man war auf dem Weg nach oben und das bedeutete, die Gattin hatte zu repräsentieren, musste vorführen, dass der Ehemann erfolgreich war, dass man mit ihm rechnen musste.
    Da sie diejenige war, die mit einem meist sehr knappen Budget den Haushalt zu führen hatte, war sie eher wenig entspannt, wenn das Dienstmädchen einen Teller zerbrach oder nicht fleißig genug war – jede Extraausgabe musste sie vor dem Ehemann rechtfertigen. Wenn er nun auch noch ein Auge auf die jüngere Angestellte warf, dann wurde diese Hausgemeinschaft schnell unerträglich – alle standen unter Druck und beäugten sich misstrauisch, doch am längeren Hebel saß die Herrschaft. Das schlechte Arbeitsklima machten die etwas höheren Einkünfte oft nicht wett.

    Gelang es dann doch, in ein hochherrschaftliches Haus zu kommen, so fand man sich meist ganz unten wieder, denn nicht nur die Herrschaft stand über der Angestellten, sondern auch unter den Dienstboten gab es diejenigen, die etwas zu sagen hatten, und diejenigen, die schwiegen.
    Hatte das Dienstmädchen davon geträumt, in einer riesigen Villa ein eigenes Zimmer zu erhalten oder besseres Essen, so bewahrheitete sich das nicht immer. Je reicher, desto knickriger, das gaben viele frühere Hausangestellten zur Antwort, wurden sie befragt. Die Erwartungen der Herrschaft stiegen, die Angebote an Freiheit oder auch nur die Sorge für ein gesünderes Arbeiten blieben dahinter weit zurück.
    Da wundert es nicht, dass es nur wenige Dienstmädchen gab, die die in manchen Städten ausgeschriebenen Belohnungen für zehn Jahre treue Dienste einstreichen konnten. Wer nett aussah und gelernt hatte sich auszudrücken, bemühte sich um eine Stellung als Verkäuferin in einem der vielen modernen Warenhäuser. Wer gut mit Nadel und Faden umging, hatte Chance auf eine Arbeit als Näherin in einem Schneideratelier. Wenn einer solche Talente fehlten und sie nichts mehr mit Hausarbeit im Sinn hatte, der blieb noch die Arbeit in der Fabrik, während besonders Unglückliche in die Prostitution abrutschten, was aber weniger häufig geschah, als es uns Filme, Romane und Kolportagen glauben machen wollten.
    Für die meisten allerdings war der Weg raus aus dieser Schinderei die Ehe, wobei Liebe nur selten eine Rolle spielte. Die aus dem Dienst fliehende Frau wollte finanziell abgesichert sein; der Ehemann profitierte hingegen von einer Partnerin, die hart zu arbeiten verstand und auch das Gehorchen gelernt hatte.

    All diese Erkenntnisse habe ich mir natürlich nicht alleine durch das Lesen alter Zeitschriften, Pamphlete und Ratgebern verschafft; sie unterstrichen allerdings den Wert zweier Arbeiten aus den 1980er zu diesem Thema. Dorothee Wierling und Karin Walser haben damals – getrennt voneinander – Fakten gesammelt und ehemalige Mädchen befragt. Ihnen verdanke ich das Fundament, auf das ich meine erfundene Geschichte stellen möchte.

  • Das unsichtbare Dienstmädchen

    Das unsichtbare Dienstmädchen

    Um es einmal kurz und verkürzt zu sagen: So rasant der Fortschritt in den Jahren ab 1890 auch verlief, so sehr ging er am Hauspersonal vorbei, das zu bald 100 % weiblich war. Für Dienstmädchen lief die Zeit nicht voran.

    Die Erwartungen, die an die meist jungen Frauen gestellt wurden hinsichtlich Fleiß, Tugend und Verfügbarkeit, unterschieden sich kaum von denjenigen, die man an eine Sklavin gestellt hätte. Ging es um Arbeitsschutz und soziale Verbesserungen, so waren Dienstmädchen sogar explizit ausgeschlossen; eine Fabrikarbeiterin – die man allgemein als deutlich unter einer Hausangestellten stehend betrachtete – hatte deutlich mehr Rechte als die Frau, die sich in einer bürgerlichen Familie um Kinder, Haushalt und Küche kümmerte und somit in einer Vertrauensstellung tätig war.

    Nicht einmal kündigen konnte sie, wenn es ihr zu viel wurde – sie musste den so genannten Wechseltag abwarten, der regional unterschiedlich ein- bis zweimal pro Jahr die Möglichkeit bot, eine neue Stelle zu suchen. Ging ein Dienstmädchen dennoch noch vor diesem Tag fort, so konnte die Herrschaft sie von der Polizei zurückbringen lassen.

    Weil das in der Regel nicht unbedingt zu einem besseren Miteinander führte, waren die meisten Arbeitgeber so gnädig, sich das vorzeitge Verlassenwerden von der Angestellten auszahlen zu lassen. Was diese kaum konnte, da ihr Gehalt solche Ausgaben nicht verkraftete.
    Ob ihre geistige und körperliche Gesundheit darunter litt, wenn sie für eine unangenehme Herrschaft weiterhin buckeln musste, interessierte kaum jemanden. Dienstmädchen waren Arbeitsgeräte, von denen die Herrschaft sehr selbstverständlich sogar etwas wie Liebe und Aufopferungsbereitschaft erwartete, das aber nicht auch mit gleicher Münze zurückzahlte.

    Dienstmädchen wurden als Mensch nur selten wahrgenommen. Sie waren eine Selbstverständlichkeit.

  • Die Rheingasse

    Die Rheingasse

    Über Jahrhunderte war diese nicht allzu breite Straße einer der wichtigsten Wege vom Rheinufer hin zur inneren Stadt. In der Rheingasse ließen sich gute Geschäfte machen, hier erhielt man vielleicht einige Stunden vor allen anderen Mitbürgern die neuesten Nachrichten, die mit den Schiffern über den Strom herankamen.

    Wo Händler, Reisende und Beamte täglich hindurch mussten, siedelten sich Handwerker jeder Zunft an; Arbeit gab es hier mehr als genug. Und weil das Flicken, Knüpfen, Schmieden Hunger bereitete und dazu einige Adelshöfe gute Aufträge zu vergeben hatten, waren Bäcker, Metzger und Gastwirte nicht fern.

    Bis 1944 hielten sich die ältesten Gasthäuser Bonns in der Rheingasse, die unter verschiedenen Namen von 1535 an reichlich Besuch hatten. Erwünschten ebenso wie unerwünschten: Durch diese Gasse ritten die bewaffneten Anhänger Gebhard von Truchsess’ ebenso wie in schöner Regelmäßigkeit Soldaten aus Frankreich, Schweden und den Niederlanden und hinterließen zerstörte Häuser und menschliches Leid.
    Aber womöglich flanierte auch Casanova in Maske und Domino hier entlang, als er auf dem Weg war, den Kurfürsten zu einem Abendessen zu treffen, bestimmt ging Goethe hier hindurch und Hans Christian Andersen sowieso, vielleicht fand auch Clara Schumann die Zeit, hier Abwechslung von der Pflege des kranken Ehemanns zu finden – an der Rheingasse war kein Vorbeikommen.

    Erst recht nicht, als im 19. Jahrhundert die Begeisterung für das Mittelalter und das vermeintlich urtümlich Deutsche hochschwappte, denn diese Gasse war die Essenz dessen, was man unter Rheinromantik und Alt-Bonn verstand: Eng gedrängt säumten mittelalterliche Fachwerkhäuser und barocke Gebäude den Weg, ragten zumindest drei, manchmal vier und sogar fünf Stockwerke auf und boten noch immer Platz für Kunst, Handwerk und Gastreundschaft.
    Hier wohnten gutsituierte Witwen, erfolgreiche Handwerksmeister, Kleinfabrikanten, Arbeiter, Näherinnen und Wäscherinnen; wer wirklich wohlhabend war, suchte anderswo in der Stadt eine Bleibe, denn der Rhein stieg regelmäßig hoch an und bescherte nasse Füße. Deshalb vielleicht war es so vielen Handwerksfamilien möglich, die zunächst gemieteten Häuser bald zu kaufen. Hier und in den umliegenden Straßen (Gier-, Mühlen- und Kallengasse) hatte sich über die Jahrhunderte hinweg ein fleißiges Kleinbürgertum etabliert.

    Ruhe herrschte in der Rheingasse vermutlich selten einmal: In den Hinterhöfen waren Backstuben, Werkstätten und Biergärten untergebracht, nach vorne hinaus wurde gehandelt und verkauft und um Gäste gebuhlt. Ruhe wurde vermutlich noch kostbarer, nachdem die Bonner Universität gegründet worden war. Die wurde vom Preußenkönig mit viel Geld und Unterstützung versehen, was ihr sehr gute und moderne Professoren einbrachte und damit viele, viele Studenten bescherte. Junge Männer, die neben der Paukerei genau nach den Dingen suchten, die die Rheingasse zu bieten hatte: gemütliche Kneipen, Wein und Gesang. Manch ein Gastraum war regelmäßiger Versammlungsort der vielen Burschenschaften Bonns.

    Um 1900 herum hatte sich das noch lange nicht geändert. Im Gegenteil. Mit den besseren Verkehrsmitteln trafen noch mehr Gäster in der reichen Stadt am Rhein ein. Jetzt liefen tagaus, tagein die Vergnügungsreisenden durch die alte Straße. Wer vom Bahnhof zu den Landungsstegen wollte, vom Schiff auf den Zug zu wechseln hatte, kam hier vorbei, hielt ehrfürchtig vor der Nummer sieben – dem Wohnhaus der Familie Beethoven – inne, summte womöglich die Fünfte Sinfonie und eilte weiter dem nächsten Ziel zu, sicherlich froh, die malerische Straße bewundern zu dürfen, ohne in ihr leben und arbeiten zu müssen.

  • Geschichtliches und Gendern

    Geschichtliches und Gendern

    Wie jetzt? Gendern und historisches Bonn? Muss das sein? Fange ich jetzt auch noch an, alles mit Binnen-I oder Sternchen oder was auch immer zu nerven?
    Was kann ich dazu sagen? Ja und nein am besten.
    Ich bin keine Freundin des Genderns. Rein optisch betrachtet. Was momentan sicherlich auch noch Gewöhnungssache ist.

    Allerdings: Wer sich jetzt freut und denken, ich verträte die Ansicht, Frauen (und alle, die außerhalb des Spektrums stehen) sollten sich mal nicht so haben, weil es ja sooo offensichtlich sei, dass sie mitgemeint sind, der irrt sich gewaltig. Es besteht nämlich für mich ein Riesenunterschied zwischen schriftlichem Gebrauchstext und einem Roman. In einem Roman nämlich erwarte ich, dass die Autorin oder der Autor sich die läppischen zwei Sekunden nimmt, um beispielsweise etwas wie ‚Meine Damen und Herren‘, ‚Liebe Schülerinnen und Schüler‚ oder ‚All meine Freunde und Freundinnen‘ zu schreiben; ich fände das übrigens auch in gesprochenen Moderationen schöner als die stumme Pause, wo das Sternchen sonst sitzt.
    Aber gut, wenn Sendezeit kostbar ist, dann kann ich auch ohne die ausdrückliche Nennung der beiden hauptsächlichen Geschlechter leben, wobei die Pause alle Menschen mit einschließen soll. Auch das wieder eine Sache der Gewöhnung, was nun auch nicht schwieriger sein kann, als sich an Wörter wie Downloaden, Streamen oder meinetwegen sogar Gendern gewöhnt zu haben.
    Was ich sagen will: Ich finde es wichtig, nicht immer nur alle Welt mitzumeinen, sondern sie auch anzusprechen. Schon aus Höflichkeit.

    Gut, das wäre also geklärt. Ich verwende die weibliche und die männliche Form, wenn ich einen Roman schreibe. So denn beide angesprochen werden sollen, was nicht immer der Fall ist. Meine Heldinnen reden ja nun auch nicht mit jedem dahergelaufenen Kerl, man ist ja Dame. Daher verzichte ich meist darauf, Männer mit einzubeziehen.
    Worauf aber wollte ich hinaus?

    Schon irgendwie auf dieses generische Maskulinum, das ja in der Wahrnehmung mancher, meist älterer Herren, natürlich gewachsen ist und nie nur Männer meinte. Und da frage ich mich dann schon, wo diese Herren waren, als Geschichte unterrichtet wurde. Wobei ja nur sehr selten Geschichte aus weiblicher Sicht ein Thema ist; die Herren können vielleicht nichts dafür, dass sie das nicht wissen.
    Obwohl … andererseits … Wenn jemand die Gelegenheit hat, diese Ansicht wortreich ins Netz zu schreiben, dann könnte man sich dort ja auch mal informieren. Wenn man wollte. Da finden sich durchaus sehr viele Sprachwissenschaftler und -innen (wirklich sogar viele männliche Sprachkundler, was mich freut), die darlegen, dass Frauen eben ganz und gar nicht mitgemeint waren, schon gar nicht im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ob es Wahlaufrufe waren oder Reklame für Bankkonten oder Ferienreisen, ob es Mobilmachungen waren oder ein Artikel in der Tageszeitung – es waren Männer, die anderen Männern etwas zuriefen, sie umwarben oder informierten. Denn Frauen durften nicht wählen, sie durften keine Konten eröffnen, sie sollten nicht alleine reisen oder sich in die Politik einmischen. Sie waren nicht gemeint. Was den Herren damals sicherlich auch ganz natürlich gewachsen erschien – Himmel noch, wer wäre so dumm und würde sich in wichtigen Angelegenheiten an ein weibliches Wesen wenden?
    Da, wo Frauen dann doch gemeint waren, bedienten sich amtliche Blätter, Zeitschriften oder Werbeblättchen der klaren Ansprache an die Dame von Welt. Bevor sie über Leben entscheiden durfte, entdeckte man sie als Kundin. Da gab es dann die Zeitschrift für die Familie oder die Frau, da gab es Damenbreviere und Reklametafeln für die weibliche Kundschaft. Und wo sie mit ihrem Gemahl zu erwarten war, da sprach man eben von den sehr verehrten Zuschauern und Zuschauerinnen, den Besuchern und Besucherinen, den Damen und Herren – da wurden beide Formen verwendt.

    Aber wie kam ich jetzt darauf?
    Ich habe mir heute Nachmittag drei Bücher durchgelesen. Drei Reiseführer über Bonn, von 1905, 1908 und 1912. Das Heftlein hatte ich neulich schon gezeigt; es wirbt um neue Bürger. Bürger. Nicht Bürgerinnen. Die anderen beiden werben um Touristen. Nicht Touristinnen. Sowieso tauchen Frauen in den Texten nicht auf. Nun ist das eine ein Baedeker, der hält sich eh knapp, lassen wir ihn also mal beiseite.
    Aber die beiden anderen Texte lassen die Geschichte Bonns Revue passieren, sie nehmen den Reisenden auf einen Spaziergang mit, sie zeigen schöne Ecken und gute Gasthäuser. Es ist in beiden sehr viel die Rede von wichtigen Männern. Edlen Kriegern. Bedeutenden Männern. Großen Denkern. Deutschen Männern. Strebsamen Studenten. Berühmten Männern. Von Söhnen der Stadt, von Erfindern, Schriftstellern, Königen. Immerzu geht es darum. Immerzu wird dem Leser versichert, dass er hier geistige Anregung finden wird und des Abends nett ausgehen kann zu Bier und Wein und Gesang. Hier kann er sein Leben verbringen oder seinen Urlaub.

    Wenn Frauen erwähnt werden, dann nur kurz und knapp. Wir erfahren in beiden Texten, dass es in Bonn viele, wirklich sehr viele Töchterpensionate gibt. Und wie viel ein Dienstmädchen im Jahr kostet, was in der Zeile unter den Durchschnittsmieten zu finden ist. (Da bin ich dann auch wieder bei meinem Thema, aber dazu dann beim nächsten Mal mehr).
    Und dann gibt es noch drei Frauen, die mehr oder weniger namentlich erwähnt werden: Charlotte von Schiller, die als Witwe des Dichterfürsten in Bonn starb. Clara Schumann, die als Witwe des Komponisten auf demselben Friedhof beigesetzt wurde. Und Viktoria als Schwester des Kaisers. Keine der drei Frauen hat auch nur ein Wort mehr erhalten, als nötig war, um sie als Anhängsel eines berühmten Mannes zu charakterisieren. (In einem Buch über Bonn aus den späten Dreißigern wird Clara Schumann immerhin auch als begabte Pianistin bezeichnet. Natürlich nur aus dem einen Grund, um zu zeigen, wie eine gute deutsche Ehefrau alles für ihren viel wichtigeren Gemahl aufopfert.)
    Frauen erscheinen in diesen Texten als Familienangehörige, als Dienstmädchen oder als Kundin. Letzteres allerdings in einer doch verblüffenden Anzeige, die im Kontrast zu allem steht, was Zeit, Gesinnung und Literatur dem weiblichen Geschlecht eigentlich sagen möchte. Da steht also eine Dame, die ihren Rock als Pelerine trägt und darunter das bestrumpfte Bein zeigt vom Knie an abwärts. Das gab es sonst nur bei Badekleidung und da wurde fast überall darauf geachtet, dass Männer und Frauen fein säuberlich getrennt voneinander ins Wasser stiegen. Aber die Frau als Kundin genoß Freiheiten, so lange mit ihr Geld zu machen war, so könnte man vermuten. Vielleicht als Ausgleich dafür, dass sie meist nicht einmal mitgemeint war.

    Hübsch sind dabei übrigens auch zwei Listen: eine für die reisenden Dame auf der letzten Seite der Broschüre und eine für den reisenden Herrn, die natürlich auf der vorderen Seite steht.
    Während er die Banknotentasche dabei hat, führt sie Benzin zum Auswaschen von Flecken mit sich. Er reist mit Eispickel, sie mit Eßbesteck.
    Er packt Kognac und Kompass ein, sie Kochgeschirr und Kosmetikartikel.
    Er vergisst seine Ordensauszeichnungen nicht, sie nimmt das Opernglas mit.
    Ihre Liste ist dazu ein gutes Drittel länger und das nicht nur, weil man ihr sagen muss, sie solle das Mieder und die Federboa in den Koffer legen, sondern auch, weil sie auf seine Notfälle vorbereitet sein musste. Aber immerhin durfte sie mit nach Bonn, wo sie abends hübsche Zeichnungen in ihr Reisejournal malt und Blumen trocknet, während der Gemahl in der Kaiserhalle bei Bier und Frohsinn saß und sich über Politik unterhielt. So romantisch …

  • Die Villen der Bonner Gründerzeit

    Die Villen der Bonner Gründerzeit

    Rund um die Poppelsdorfer Allee, die auf das Kurfürstliche Lustschloss und den Botanischen Garten zuführte, entstanden zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Straßen. Wo sich bislang ein Wanderpfad hoch zum Venusberg schlängelte oder auf kaum befestigten Wegen Bauern ihre Waren in die Stadt fuhrwerkten, wurde nun Wohnraum geschaffen für die neu hinzuziehenden Rentiers, die Professoren und Gelehrten, die reicher werdenden Geschäftsleute und Fabrikanten. Auch den niedrigen Adel, Angehörige des in Bonn reichlich vertretenen Militärs und vornehme, ältere Fräulein zog es hierher. Wer sein gutes Auskommen hatte, baute hier oder zog als Mieter in die prachtvollen Neubauten. War man Millionär oder stand der Kaiserfamilie nahe, bevorzugte die Nähe zum Rhein – so blieb man in der Südstadt weitestgehend gut bürgerlich unter sich.

    Mehr oder weniger unter sich. Denn ein solch feiner Haushalt benötigte Personal. Personal, dem es unter demselben Dach deutlich schlechter ging als dem Besitzer des Hauses. Ein kleines Kämmerlein unterm Dach immerhin erhielten die meisten Dienstmädchen in Bonn; Hängeböden wie in Berlin waren eine Seltenheit. Eine solche Kammer aber unterschied sich in jeder Hinsicht von den Prachträumen des Hausherrn und seiner Familie, die darauf ausgerichtet waren, Wohlstand und Gesinnung zu repräsentieren.

    Sicher, es gab Unterschiede auch unter den Besitzern und Bewohnern dieser Villen, manch einer musste Mieter mit ins Haus nehmen und auf Annehmlichkeiten wie einen Wintergarten, einen Dienstbotenanbau und Badezimmer verzichten; die Breite der Innentreppe, die Ausstattung der Räume und die Gestaltung der Fassade hingen sehr vom verfügbaren Vermögen ab, doch wer sich den Bau eines Hauses in der bevorzugten Gegend des höheren Bürgertums leisten konnten, unterwarf sich willig den Ansprüchen, die an ein solches gestellt wurden; Individualität war nicht gern gesehen. Hohe Decken, stuckverziert, tapezierte Wände, dunkles, gerne schwarz lackiertes Holz, Parkett überall und Räume, die nur genutzt wurden, um Besuch zu empfangen – das waren die Gemeinsamkeiten der hier errichteten Gebäude. Die Unterschiede waren dennoch augenfällig: Breite und Höhe des Hauses, Vorgarten, Fassadengestaltung, Zimmeranzahl und Dienstbotenkammern bewegten sich zwischen relativ bescheiden und ausgesprochen eindrucksvoll.

    Eine weitere Gemeinsamkeit war die Art der Einrichtung: Dazu befolgte die gute Hausfrau und perfekte Gastgeberin alle Gebote an Möblierung und Dekor, wie sie in sämtlichen Zeitungen und Damenbrevieren notiert wurde. Selbst in kleinbürgerlichen Familien stopfte man die Zimmer voll mit Unmengen an Stoff – überbodenlange Gardinen, gestapelte Kissen auf jeder Sitzgelegenheit, gehäkelte Untersetze, Schonbezüge, Wandbehänge – und noch mehr Zierkram. Nippes jeder Art zeigte, was man sich leisten konnte: Nicht nur den Erwerb unzähliger Engel, Schäferinnen und niedlicher Porzellantierchen, sondern auch die Zeit, all das täglich zu entstauben.

    Was in den hochherrschaftlichen Häusern Poppelsdorf den Dienstmädchen die Arbeit noch saurer machte, als sie schon war. Bis aller Zierat angehoben, gesäubert und an seinen Platz gestellt war, bis sämtliche Gardinen täglich (!) abgebürstet und die Überlänge in der gewünschten Form am Boden drapiert lag, verging Zeit, die an anderer Stelle fehlte. Dennoch strebten die meisten von ihnen eine Anstellung in solch einem vornehmen Haus an, weil sie sich mehr Ansehen und – dank der modernen Ausstattung mit Speiseaufzügen, Gas- und Elektroanschlüssen – bequemeres Arbeiten erhofften.

    Bestimmt spielte auch das schöne Umfeld eine Rolle, das Bonns Ruf als Pensionärs- und Gartenstadt begründete. Kaum ein Haus, das nicht wenigstens einige Meter Garten besaß, kaum eine Straße, in der nicht Bäume Schatten spendeten. Hier herrschte – an Sonntage zumindest – Ruhe und Anstand, hier flanierten Touristenr respektvoll schweigend, hier hier brüllten keine Marktfrauen durcheinander und Studenten torkelten nur selten betrunken vorbei. Hier lebten Fabrikanten, Professoren, Rentner, die nicht mehr oder noch nie hatten arbeiten müssen. Hier zeigte sich das Selbstbewusstsein des Großbürgertums, das sich selbst als das eigentliche Rückgrat des Reiches ansah und bei der Gestaltung seiner Häuser Anleihen nahm an den aristokratischen Palästen vergangener Zeiten. Deshalb wohl auch die Ansiedlung an den Kurfürstlichen Anlagen.

    Ein Nachteil dürfte in den Jahren zwischen 1890 und 1910 vor allem die enorme Bautätigkeit gewesen sein; so ruhig und anständig man war, so laut wurde gehämmert und gesägt, um den Hinzuziehenden noch mehr Luxus und Bequemlichkeit zu schaffen. Über einen langen Zeitraum waren die Gehwege verschmutzt und manch ein schöner Ausblick, über den man sich gefreut hatte, wurde verbaut. Das Endergebnis allerdings war ein Viertel, in dem sich prächtige Bauten harmonisch einfügen in das Grün der Alleen und Gärten. Damit warb die Stadt eifrig um neue Bürger – wo sonst fand man alles, was man sich wünschte? Exakt listete der Handels- und Gewerbeverein der Stadt in Werbebroschüren auf, wie bekömmlich das Klima sei, wie vielfältig man sich die Zeit vertreiben könne und wie günstig es sich hier leben ließe. Auch die Kosten für ein Dienstmädchen werden genannt, die deutlich niedriger sind als die Miete für eine einfache Dreizimmerwohnung.

  • Das Bonn der Jahrhundertwende

    Das Bonn der Jahrhundertwende

    Das Projekt, für das ich mit ganz viel Glück das Stipendium von Neustart Kultur erhalten habe, bringt mich dazu, ganz tief einzusteigen in die Recherche; bislang habe ich ein kleines Vermögen für antiquarische Bücher, Schriften und Magazine ausgegeben, die größtenteils aus den Jahren 1890-1910 stammen.

    Das erste Thema war das Leben der Dienstboten in dieser Zeit, wobei die männlichen Hausangestellten zu vernachlässigen sind; sie stellten keine zehn Prozent mehr. Es waren vor allem junge Frauen, Mädchen sogar, die in diesem Bereich tätig waren. Aber dazu gerne ein anderes Mal mehr.

    Das zweite Thema ist meine Heimatstadt, in der Hedwigs Geschichte zum Großteil spielt. Es ist ein Bonn, das sehr, sehr anders aussah als das, was wir heute kennen. Natürlich gibt es einige Plätze und Straßen, in denen wir noch eine gute Vorstellung davon haben, wie es damals aussah, aber wenn es um die Altstadt geht, die vom heutigen Bertha-von-Suttner-Platz bis zur Beethovenhalle auf der einen Seite und dem Alten Zoll auf der anderen Seite reichte, dann finden wir so gut wie nichts mehr vor, was es damals noch gab. Das liegt nicht nur an dem großen Bombenangriff 1944, der diesen Bereich fast komplett zerstört hat, sondern auch an der regen Bau- und Modernisierungstätigkeit während der Gründerjahre.

    Wie wäre es mit einigen Fakten?

    Bonn war um 1900 eine der reichsten Städte in Preußen: Das für die Steuer geschätzte Vermögen der Einwohner lag bei 514,6 Millionen Mark – das wären heute etwa 3,6 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu: Bochum war größer und hatte mehr Industrie im Stadtgebiet, doch hier lag das steuerliche Gesamtvermögen bei nur 116,4 Millionen. In Bonn lebten zur Jahrhundertwende etwa 80 Millionäre, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs erhöhte sich diese Zahl auf über 150, wobei vermutet wird, dass es zumindest 200 gewesen sein dürften – auch damals mauschelten manche ganz ordentlich, wenn es um die Steuer ging.

    Doch nicht nur Millionäre sorgten für den Reichtum der Stadt; im Schnitt lag das Jahreseinkommen in Bonn bei knapp 5.000 Mark, im Berlin zum Vergleich bei nur 2850. Bonn war bei Rentiers – also Personen, die nicht mehr arbeiten mussten und dennoch genug Geld zum Leben besaßen, egal welchen Alters – sehr beliebt. Das milde Klima, die schöne und romantische Landschaft, die sehr gute Universität und die vielen Hotels, Restaurants, Kneipen und Kaffeehäuser luden zum Verreisen und Bleiben ein.

    Dazu warb die Stadt intensiv um neue, vermögende Bürger. Erfolgreich, denn im wilhelminischen Preußen war es dem Großbürgertum, dem Adel und allen, die aufsteigen wollten, sehr daran gelegen, in der Nähe des Kaisers zu sein. Und der war mitsamt seinen Söhnen gerne und oft in Bonn, wo man ihm vielleicht leichter über den Weg laufen konnte, zumal Prinzessin Friederike Amalia Wilhelmine Viktoria von Preußen, verheiratete Schaumburg-Lippe und Schwester des zweiten Wilhelms, in Bonn lebte. Sie liebte Bonn und war ihrerseits bei der Bevölkerung sehr beliebt.
    Um das Palais Schaumburg hatten sich einigen Paläste und Herrschaftsvillen angesammelt, aber ebenso fand sich inmitten diese Viertels die Porzellanfabrik Mehlem – was für Bonn seltsam typisch war. Adel, Reichtum, Glanz und Industrie eng an eng unmittelbar am Rhein gelegen, das ging ziemlich lang ziemlich gut.
    (Sowohl Viktoria wie auch die Porzellanfabrik haben mich schon einmal beschäftigt – siehe Der letzte Tanz für Viktoria und Zoubkoff, ihrem zweiten Mann, und Der Tod im Aktenschrank für die Porzellanfabrik).

    Der technische Fortschritt war in Bonn über Jahre hinweg flott unterwegs; auch das brachte sicherlich neue Bürger und Bürgerinnen mit genügend Geld, das in den vielen guten Geschäften rund um Markt- und Münsterplatz leicht ausgegeben werden konnte.
    Auch die Universität, die Städtischen Schulen mit neuen Lehransätzen und die vielen, vielen Töchterpensionate lockten erfolgreich immer mehr Einwohner und Einwohnerinnen indie Stadt am Rhein; entsprechend wurde gebaut, abgerissen, neu gebaut – man war oft leicht dabei, mittelalterliche Gebäude aufzugeben, wozu sicherlich die mitunter prekäre Wohnsituation der Ärmsten beitrug: In vielen Teilen der alten Stadtmauer und in einigen der Türme und Ruinen lagen einfache Räume, kalt, feucht und zugig, in denen diejenigen hausten, die nicht vom Fortschritt profitierten.

    Was allerdings sehr vielen Bonnern und Bonnerinnen am Herzen lag. Es gab einige Vereine, die sich um ledige Mütter, gefallene Mädchen, versehrte Veteranen, Waisen, Witwen und wer immer sonst in eine Notlage geraten war, kümmerten. (Hier darf gerne nach Berta Lungstras gegooglet werden, die mit ihrem Tun Schule machte.)
    Auch der Rat der Stadt Bonn ging das Problem der sozialen Gerechtigkeit an. Etwa 10% des Etats gingen ins Sozialwesen, was im Vergleich zu späteren Jahrzehnten zwar gering erscheint, doch im Vergleich zu anderen preußischen Stadten mit mehr Unterstützungsempfängern beträchtlich war. Da hier weniger Bedürftige lebten, kamen ihnen diese Zuwendungen spürbar zugute. Es wurde mit dem Geld für die Ausgabe sehr billiger Kohle gesorgt und ebenso wurden für die Armen die Kosten für Grundlebensmittel niedrig gehalten, es wurden Obdachlosenasyle, Mütterberatungsstellen und alle möglichen Anstalten für Gesundheit und Erholung eingerichtet, sogar an die Ferien für Kinder und Jugendliche wurde gedacht.

    Die Stadt Bonn entwickelte sich also prächtig, was sich schlagartig mit dem Beginn des Krieges endete. Woran um 1900 noch nicht zu denken war; man war durchaus kosmopolitsch, war man doch das Ziel viel Reisender; besonders aus England kamen viele Touristen, die das Rheinpanorama zu sehen wünschten und den Spuren einiger bekannter Schriftsteller folgten. (So zum Beispiel auch die Caradocs, die Queen Victorias Reiseroute folgten in Das Geheimnis der Brüder Tengye). In diese Stadt also zieht es auch Hedwig Vianden, um als Dienstmädchen ein neues Leben zu beginnen.
    Im Augenblick bin ich dabei, die Rheingasse zu rekonstruieren. Mit der heutigen Straße hat sie nur noch den Namen und die ungefähre Lage gemein; um 1900 war die Gasse ein lebendiger Mittelpunkt. Aber dazu werde ich demnächst mehr erzählen – zum einen im Roman, zum anderen hier mit einigen Bildern.

  • Das Ende der goldenen Zeit

    Das Ende der goldenen Zeit

    Recht, Gerechtigkeit und Wahn.

    Bonn, Frühling 1930. Endlich scheint die Sonne und so zieht es Emma gemeinsam mit ihrer Tante hinaus in die Wälder. Doch auch hier stolpert Emma über eine Leiche.

    Wer der Tote ist und wie lange er dort schon liegt, ist kaum herauszufinden. Einen Mann allerdings gibt es, der diese Fragen beantworten könnte. Er aber ist beschäftigt. Damit, für Gerechtigkeit zu sorgen. Oder was er dafür hält.

    Dabei kommt ihm eine Person in die Quere: Emma. Während sie nicht einmal von seiner Existenz ahnt, sieht er in ihr eine große Gefahr …

    Emmas dreizehnter Fall beginnt unter anderen Vorzeichen: Wir wissen, wer der Mörder ist. Was wir nicht wissen: Wie weit wird er gehen, um seinen Willen durchzusetzen?