Autor: Andrea

  • Risiko!

    Risiko!

    Über die üblichen Themen populärer Bücher und das gewünschte gute Ende in Romanen habe ich neulich schon gesprochen. Nun fällt mir noch mehr zu diesem Thema ein, denn ich verzichte oft und ganz ohne böse Absicht darauf, mittlerweile liebgewordenen Erwartungen in der Bücherwelt zu bedienen. Dinge wie:

    • Wenn Chef und Angestellte immerzu streiten, geht man als gewiefte Leserin davon aus, dass beide am Ende zusammengekommen.
    • Wenn die Heldin ihren Gemahl in der Armen ein spärlich bekleideteten Dame vorfindet, liegt das Gewitter schon in der Luf.
    • Wenn die Heldin sich auf den ersten Blick verliebt und es wirklich schafft, ihren Traumprinzen zu heiraten, geht man von ewigem Glück aus.
    • Wenn um eine Krone gekämpft wird und eine der Bewerberinnen die stärkste aller Vampiras ist, darf man wohl annehmen, sie wird die Königin.

    Es gar nicht einmal so, dass ich unbedingt etwas Besonderes schreiben will. Nein, ich lasse meine Figuren handeln, wie sie es für richtig halten. Weil ich charaktergeführte Romane schreiben, nicht plotgetriebene. Was, wie ich vermute, bei manchen Leserinnen zum Klick auf den ‚So-ein-Schund‘ = Ein-Sterne-Button geführt haben dürfte. Und bei anderen dazu, mit mir eMails zu tauschen oder mich sonstwie zu kontaktieren oder alles zu lesen, was ich herausbringe (dafür ein riesiges Danke – ihr ermöglicht mir, die Ein-Sterne-Vergaben nicht mehr zu beachten).

    So weit, so gut. Aber was wäre das (Autorinnen-)Leben ohne ein klein wenig Aufregung? Ein bisschen Gefahr und Risiko?
    Tja, no risk, no fun – das kann ich normalerweise nicht nachvollziehen; ich bin eine eher ängstliche Person, die ganz gerne auf ihrem vermeintlich sicheren Sofa hockt und ihre Abenteuer beim Schreiben erlebt. Aber da bin ich sehr, sehr wagemutig. Weil ich nicht anders kann. Ich stürze mich also nicht nur kopfüber in meine Geschichten und lasse meine Figuren die Handlung bestimmen (was mir schon mehr als eine schlecht verbrachte oder gar durchwachte Nacht beschert hat!), nein, ich breche auch noch Regeln.
    Ich!
    Regeln, die in Stein gemeißelt sind. Regeln, wie sie vor allem für Kriminalromane gelten:

    • Der Mörder darf nicht erst im letzten Drittel in Erscheinung treten.
    • Es dürfen keine offenen Fragen bleiben.
    • Jede Szene muss zum Plot beitragen.
    • Das Böse muss bestraft werden.

    Tja. Hmm. Was soll ich sagen? Ich gebe der ‚So-ein-Schund‘ = Ein-Sterne-Button-klick-Fraktion eben noch einige gute Gründe mehr, auf den ‚So-ein-Schund‘ = Ein-Sterne-Button zu drücken. Ich sammele mitunter so viele kleine Sternchen, dass ich mir als ausgesprochen wagemutig und regelverletztend vorkommen darf. Verwegen geradezu. Dabei bin ich einfach nur eine Autorin, die sich viel zu gerne von den Möglichkeiten verführen lässt, eine Geschichte von meinen Figuren und meinen eigenen Vorlieben zu bestimmen. Vielleicht ist das die einzige Regel, die für mich wirklich gilt: Schreibe, was du selber lesen magst. Und manchmal ist mir danach, genau das zu tun, was man nicht tun soll. Weil es für diese besonderen Figuren, diese bestimmte Geschichte passt.

    • Weil nun einmal ein überragender Mr X, der im Hintergrund die Fäden zieht, kein überragender Mr X wäre und schon gar nicht im Hintergrund agierte, wenn er mir alle zwei oder drei Seiten über die Zeilen hüpfte.
    • Weil es so viele offene Fragen jeden Tag für uns gibt, gibt es sie auch für meine Heldin.
    • Weil ein Auslassen jeder Alltagsanekdote, jeder menschlichen Überlegung oder jeder Sorge abseits des Plots für mich eine Geschichte ergibt, die so ermüdend ist wie eine Autofahrt mit Tachomat.
    • Weil das Böse bei mir sicherlich nicht glücklich davonkommt, das Glück der Unschuldigen aber von anderen Dingen als der Bestrafung abhängt und ich dafür mehr Zeit aufbringen mag.

    Nun, so sieht das bei mir auf dem Sofa aus. Ich hocke hier megariskant neben dem Kuschelhund auf der Heizdecke (solltest du das im Sommer lesen, dann zerfließe ich vermutlich bei offenen Fenstern und der Hund liegt auf dem kühlen Boden) und trinke Kaffee mit Caramelsirup. Gewagt und mutig, oder?
    Ok. Eher nicht. Weil ich nämlich für die jenigen Leserinnen und Leser schreibe, die genau so unterhalten werden wollen, wie sie es von mir bekommen. Das ist nicht riskant, das ist einfach nur herrlich.

  • Mord zwischen Säulen

    Mord zwischen Säulen

    Antike Kunstschätze. Ein hinterhältiger Mörder. Und Mariella Petrarca.

    Ein spektakulärer Fund könnte Saint Caspillian schlagartig berühmt machen, doch der Leiter des archäologischen Instituts Mica Dubos ist alles andere als erfreut.
    Was genau er befürchtet, möchte er Mariella mitteilen, wenn sie ihn besucht.

    Doch dazu kommt er nicht mehr …

    Mariellas zweiter Fall führt sie in den Westen der Trauminsel, wo zwischen griechischen Ruinen das Grab einer der berühmtesten Frauen der Weltgeschichte liegen soll.
    Handelt es sich um Streitigkeiten zwischen Wissenschaftlern? Geht ein Grabräuber um? Oder liegt das Motiv im Privaten?
    Wer könnte ein Interesse daran gehabt haben, einen als gütig und hilfsbereit bekannten alten Mann zu töten?

  • Schurke & Gentleman

    Schurke & Gentleman

    Frankreich 1919. Der charmante Philippe Josèphe Sandberg ist zwar jung an Jahren, doch bereits reich an Erfahrung. Er ist der wandelnde Widerspruch: In kriminellen Angelegenheiten äußerst bewandert, ist er dennoch ein ritterlicher Mann von Ehre und Prinzip.
    Eine seiner Regeln lautet: Nur ihm unsympathische Männer werden zu seinen Opfern. Männer, die es an Ehre und Prinzip fehlen lassen. Damit fährt er bislang gut; es bereitet ihm die Arbeit Vergnügen und bringt ihm in unsicheren Zeiten ein hübsches Vermögen ein.

    Dieses Mal jedoch hat er eine seiner Regeln missachtet: Alles Wichtige über seinen Klienten zu erfahren, bevor er den Auftrag übernimmt. Er hat nicht die geringste Ahnung, für wen er gleich zwei Angelegenheiten regeln soll. Als er es herausfindet, muss er befürchten, einen Feind fürs Leben gewonnen zu haben. Nicht nur sich selbst, auch seine Freunde und Freundinnen bringt das in Gefahr…

    Dies ist das erste Abenteuer, das Monsieur Sandberg mit der staunenden Öffentlichkeit teilt; er baut auf Ihre Verschwiegenheit, meine Damen und Herren. Erwarten Sie keinen Kriminalroman, wie er zu sein hat – unser Held schreibt seine eigenen Regeln! Versuchen Sie nicht, mitzurätseln – es wird Ihnen nicht gelingen, denn auch seine Gegner handeln nach Gesetzen, die uns fremd sind. Das Einzige, was Sie tun können: Laufen Sie mit, bewundern und bedauern Sie ihn, bleiben Sie treu an seiner Seite.

    Und wer weiß, vielleicht wird er dafür einmal Ihnen zur Hilfe eilen?

  • Die mörderische Sommerfrische

    Die mörderische Sommerfrische

    Eine Insel. Ein Toter. Ein Mörder.

    Norderney, Sommer 1930. Emma und James fahren in die verdienten Ferien.
    Raus aus dem harten Alltag, rein in Entspannung und Erholung! Hurra!

    Doch sie landen im nächsten Mordfall.
    Emma weiß es sicher: Ein Unfall war das nicht. Und überzeugt damit sogar James, der überraschend leicht in die Rolle des begabten Geheimagenten schlüpft.

    Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem Mörder, der die Insel womöglich längst verlassen hat.
    Und der jetzt in Bonn sein könnte, denn auch dort wird ein Toter gefunden und es scheint eine Verbindung zu geben …

  • Weshalb eine fiktive Insel?

    Weshalb eine fiktive Insel?

    Ich liebe mein Fräulein Schumacher sehr, keine Frage, und ich schreibe ihre Serie gerne; das Bonn der Zwanziger und Dreißiger Jahre ist der perfekte Hintergrund für diese Romane, in denen nicht unbedingt der Kriminalfall im Mittelpunkt steht. Aber mit Emma musste ich die Zwanzigerjahre nun hinter mir lassen. Was doch irgendwie schade ist.

    Auch schade fand ich immer, dass diese Zeit innerhalb einer deutschen Erzählung nicht halb so lustig und ausgelassen sein kann, wie wir es beispielsweise von britischen Romanen kennen, in denen immerzu muntere Flapper Champagner trinken und Tüdelü sagen. Gut, ehrlich gesagt, würde mir eine zu oberflächliche Darstellung der echten Zwanzigerjahre auch gar nicht liegen, ich bin in mancher Hinsicht viel zu ernsthaft, um eine solche Serie zu schreiben, die so gar keinen Bezug zur Wirklichkeit hat.

    Doch was wäre, wenn es gar nicht die echten Zwanziger wären?
    Oder vielmehr: Wenn sie nicht in einem echten Land spielen, sondern an einem Ort, der nicht viel mitbekommen hat vom Großen Krieg, von Inflation, Not und Hunger?
    Einem Staat, dessen Bevölkerung nicht unter dem Trauma dieser Kämpfe und all den nachfolgenden Umwälzungen leidet?
    Damit war die Idee zu Saint Caspillian geboren, die landschaftlich und klimatisch eine Mischung aus Malta, Mallorca und Madeira ist. Hier regieren seit Jahrhunderten die Frauen, womit der Großteil der Männer mehr als zufrieden ist – es herrscht immerhin Gleichheit zwischen den Geschlechtern ebenso wie zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe. Man lebt autark und bescheiden auf Saint Caspillian und weder bittere Armut noch allzu großer Reichtumg findet man hier.

    Saint Caspillian ist also in einem Wort eine wunderbare Fantasie, in der Mariella Petrarca ihre Fälle löst. Denn das ist ja klar: So perfekt kann keine Welt sein, dass eine gewiefte Ermittlerin nicht doch noch den einen oder anderen Mord zu lösen hätte.

    Es versteht sich vermutlich von selbst, aber ich sage es doch: Für mich ist Saint Caspillian eine weitere und ziemlich perfekte Möglichkeit, mich aus einer Welt zurückzuziehen, mit der ich zunehmend weniger anfangen kann. Es ist mir unbegreiflich und unerträglich, wie im Jahr 2022 Nazis wieder an die Macht gewählt werden können, Autokraten andere Staaten überfallen, Frauen immer weiter in den grundlegendsten Menschenrechten eingeschränkt werden und religiöse Eiferer überall Hass verbreiten.

    Es will mir auch nicht in den Sinn, wie wir nicht bereit sind, uns in irgendeiner Form einzuschränken (und was bereits als Einschränkung empfunden wird). Ich nehme mich da nicht aus; meine Sünde ist mit Sicherheit der zu hohe Stromverbrauch, wenn ich täglich von morgens acht bis abends elf am Laptop und auf meiner Heizdecke hocke. Um Welten zu erfinden, in denen ich zumindest gerne leben würde.

    Und sollte Saint Caspillian einmal entdeckt werden, dann habe ich schon eine nicht eben kleine Gruppe beisammen, die sofort mit mir dort hinziehen würden …

  • Tropes & Happy Endings

    Tropes & Happy Endings

    Oder: Was erwartet eine Leserin?

    Oder: Was kann ich ihr bieten? Oder: Was erwartet meine Leserin?
    Fragen über Fragen, die mich schon lange bewegen und auf die ich keine gesicherte Antwort habe. Nicht so ganz zumindest. (Warnung: Das wird lang!)

    Falls es nicht irgendeine Person da draußen gibt, die mich – aus welchem Grund auch immer – abgrundtief hasst und deshalb in schöner Regelmäßigkeit zwei, drei Wochen nach dem Erscheinen eines neuen Buches die Ein-Sterne-Bewertung hinterlässt, dann darf ich wohl sagen: Ich bzw. das, was ich schreibe, gefällt nicht allen Leserinnen und Lesern. Ich errege mit meinen Geschichten sogar ausreichend viel Abscheu, dass diese Ein-Sterne-Bewertungen bei so ziemlich all meinen Roman zu finden sind. Über den Punkt, an dem ich tagelang weinte, nichts mehr schrieb und kurz davor war, alles zu vernichten, was ich jemals geschrieben hatte, bin ich zum Glück hinaus. Gut geht es mir dann noch immer nicht, andererseits passiert es doch immer wieder, dass nach der Vergabe der Ohrfeige genau dieses Buch öfter gekauft wird (sollte es also doch diese eine Person geben, die mich ärgern will: Danke, danke, danke :))

    Aber ich verlaufe mich gerade wieder, also zurück zum Thema: Was erwartet die Leserin, was erwartet sie von mir und was bekommt sie?

    Um das zu erfahren, lese ich die negativen Rezensionen und erfahre: Fräulein Schumacher ist entweder zu naiv, zu unschuldig und zu wenig unternehmungslustig, oder aber sie ist zu naseweis, zu übergriffig und hyperaktiv. In jedem Fall aber findet viel zu viel Alltagsleben statt, der Krimiteil ist nicht blutig genug und zu viele Seiten haben die Emma-Krimis sowieso.
    Heißt im Umkehrschluss: Ich schreibe für diejenigen, die neben dem eigentlichen Fall eine Geschichte wollen, die Platz bietet für das Leben der Hauptperson, die zeitliche und lokale Einordnung und Charaktere, die nicht nur Stichwortgeber sind. Was nicht bedeutet, dass ich jedem Klischee bei der Figurenzeichnung aus dem Weg gehe – mit solchen typischen Bildern, die wir alle kennen, lassen sich wunderbar kleine, amüsanten Zwischenszenen malen, die vielleicht nichts zur Lösung des Falls beitragen, dafür aber Entspannung bieten, bevor etwas geschieht, das von Bedeutung ist. Wer auf rasende schnelle Thriller steht, auf andauernde Bedrohung und sogar Blut, das in Strömen über die Seiten fließt, wird vermutlich tödlich gelangweilt Fräulein Schumacher in die Ecke pfeffern.
    Das sagt mir was genau: Schaue ich mir die Bestsellerlisten an, dann lerne ich, ich schreibe an den Erwartungen vieler, vieler Leserinnen vorbei. Was erklärt, warum ich schlechte Bewertungen erhalte – es gelingt mir nicht immer, die nicht passenden Leserinnen mit meinen Covern und Klappentexten abzuschrecken :D
    Weil ich aber doch viel Wert darauf lege, die realen Ereignisse der Zeit einzuflechten, verschrecke ich auch die eine oder andere Cosy Crime Leserin, die die Zwanzigerjahrekrimis des englischen Sprachraums gewohnt ist. Wo die englische Tochter eines Lords oder die amerikanische Dollarprinzessin mit Tüdelü und Tralala im Charlestonschritt durch die Goldenen Jahre tanzt, haben Emma und ihre Freunde mit dem Aufkommen der Nazis, Kriegstraumata der Verlierer und vielen anderen Dingen zu tun, die einen durchgängig heiteren Ton verhindern. Wieder enttäusche ich Erwartungen.

    Ähnliches gilt aus anderen Gründen für die beiden anderen Krimireihen, die ich aktuell schreibe (oh, und ich würde so gerne auch einen weiteren Fall für Elizabeth Teague schreiben, komme nur nicht dazu, deshalb beziehe ich sie hier nicht mit ein): Monsieur Sandberg verdient sich im Jahr 1919 seinen Lebensunterhalt mit kriminellen Aufträgen, wobei auch Mord dazu gehören kann. Er hat ganz eigene, durchaus hohe moralische Grundsätze, die er erfüllt sehen muss, bevor er einen Vertrag unterschreibt.
    Das könnte nun theoretisch eine sehr düstere Reihe sein, aber da Sandberg einen Auftritt bei Fräulein Schumacher hatte, fühlt auch er sich dem gelegentlichen Humor und einer dialoglastigen Geschichte verpflichtet. Blutig geht es nicht zu, aber wir stehen eben doch auf der anderen Seite des Gesetzes. Wohin gehört diese Serie nun? Cosy nicht, er ist ja Profi, nicht Laie. Am ehesten ist es eine internationale Agentengeschichte, denn Sandberg kommt ordentlich rum in seinen Missionen und hat sich selbst die Lizenz zum Töten verliehen. Was er so charmant tut, dass ein Hauch von Cosy durch die Zeilen weht. Doch ein Roman, der sich schlecht einordnen lässt, ist immer an der Erwartung der meisten Leserinnen vorbei geschrieben. Tja …
    Bei Mariella wollte ich dann doch einmal genau das schreiben, was man sich von einem Cosy Crime der Zwanziger erwartet: Tralala und Tüdelü in eleganten Abendroben. Ermittelt wird mit Champagner in der einen und einer zierlichen Ladysmith in der anderen Hand. Dumm nur, dass ich nicht widerstehen konnte, die Serie auf eine fiktive Insel zu verlegen, in der die Zwanziger ganz anders sind: bunt, divers, frauenfreundlich. Mariellas beste Freundinnen sind ein Pärchen, was niemand der Rede wert findet (bislang spielen sie nur winzige Nebenrollen, aber das wird in einem weiteren Fall anders sein). So wenig, wie die Hautfarben der Caspilliani, die von leuchtend weiß bis tief schwarz jede Nuance haben dürfen.
    Logisch: Das gefällt nun auch nicht allen, wieder sause ich am Ziel vorbei. Naps aber auch! (Das ist DER Fluch für absolut alles auf der Insel.) Wer aber Miss Fishers mysteriöse Mordfälle und Death in Paradise mag, hat hier eine Mischung aus beidem – was keine Absicht war!

    Gut. Wie sieht es denn dann im historischen Feld aus? Hedwig könnte doch genau das sein, was man sich heute unter einer Triloge über eine starke Frau um 1900 vorstellt. Oder?
    Ganz ehrlich, das hatte ich vor. Aber dann habe ich mich viel zu intensiv mit dem Leben der Dienstmädchen befasst, habe Unmengen an biografischen Berichten und Erinnerungen gelesen und alle möglichen Doktorarbeiten vor allem der Achtziger durchforstet. Und immer wieder fiel auf, wie unglaublich schicksalsergeben diese Frauen waren oder wurden. Wie wenig Bedeutung sie der Liebe beigemessen haben, wie sie selten einmal das erhalten haben, was sie sich erträumten – vor allem dann, wenn sie es erhielten. Aber so war das Leben nun einmal und wollte man mehr, so bedeutete auch das harte Arbeit.
    Und so wurde aus meiner Hedwig, die munter, niedlich und lustig sein sollte, eine junge, hart schuftende, aber gütige Person, die nur langsam lernt, was sie aus sich machen kann. Ich liebe sie sehr und erkenne in ihr ziemlich vieles, was ich auch in meiner liebsten Großtante Tinni gesehen habe – der ich als Emmas Tante Tinni das Leben gegeben habe, das sie sich gewünscht hat.
    Schlimmer noch: Ich habe Hedwig keinen der Träume so erfüllt, wie man es sich in einer Frauensaga wünscht. Ich lasse sie schuften und leiden und hoffen und dennoch fällt es ihr nicht ein, sich als unglücklich zu bezeichnen. Ist nun alles, was sie erlebt, ungewöhnlich und nie dagewesen? Natürlich nicht. Aber es läuft wieder neben den Erwartungen her. Hedwig ist keine der Heldinnen, die sich immerzu von allen vernachlässigt und schlecht behandelt glauben, obwohl sie täglich spürt, wie abhängig so von ihrer Umgebung ist. Sie beginnt ihren Lebensweg nicht aus einer priviligierten Position heraus, sie hält sich nicht für wertvoll oder besonders, sie hat keine Zeit, über ihr Äußeres nachzudenken. Auch das gefällt nicht allen.

    Ja, und meine Jane Austen-Reihe und mein geliebtes Institut für Fantastik – auch hier biege ich weit vorm Ziel schon ab und renne kreuz und quer. Wer Regency Romance wie Bridgerton sucht, kann In Love with Austen nur hassen, und wer bei Fantasy Schwertkampf und Schlachten und Zauberschulen sucht (obwohl ich etwas Ähnliches habe, wo beispielsweise Olivero ausgebildet wurde), ist bei mir natürlich auch wieder falsch. Es ist eine Schande.

    Oder?

    Oder auch nicht. Denn zum Einen mag und kann ich mich nicht so verbiegen, dass ich nach dem Markt schreibe, so gerne ich das manchmal auch möchte. Dafür bin ich zu doof oder lasse ich mich zu leicht von den spontanen Einfällen meiner Figuren zu einer neuen Handlung verführen. Und genauso liebe ich es, nur deshalb kann ich täglich Stunde über Stunde schreiben und das Tag für Tag.
    Und zum Anderen gibt es eben die Leserinnen, wenn sie auch in Minderzahl sind, die genau diese Geschichten lieben und sich auf das nächste Buch freuen, egal, welches Genre es ist. Weil sie wie ich auch in den Hauptfiguren Freundinnen sehen, mit denen sie gerne Zeit verbringen, von denen sie sich ablenken und entführen lassen. Weil sie sich freuen, wenn eine Erwartung (oder manches Mal eine Befüchtung) nicht oder zumindest anders erfüllt wird. Weil sie gerne lesen, wie Emma langsam doch noch das Kochen lernt und nicht nur dem Mörder nachrennt. Weil sie gerne auf einer Insel leben würden, die wie Saint Caspilian ist. Weil sie Melisande warme Magie so sehr schätzen wie Swanhilds kühlen biss. Weil es eben Leserinnen gibt, die mich anschreiben und mir ganz genau sagen, warum sie mich lesen. Und das ist, weshalb ich weiterhin ganz willig und froh knapp vorbei schreibe an allem, was erfolgreich machen könnte.

  • Hedwig 1882 – Vornehme Pflichten

    Hedwig 1882 – Vornehme Pflichten

    Frei von harter Arbeit, nicht von Pflichten.

    Noch immer bestimmen andere, was Hedwig zu tun und zu sagen hat. Dass sie nicht gut genug ist für ihre neue Stellung in der Gesellschaft, zweifelt sie nicht an: Um zu lernen, was eine höhere Tochter der besten Gesellschaft beherrschen muss, wird sie in ein Pensionat geschickt.

    Doch über Französischlektionen und Tanzunterricht kommen ihr Zweifel, ob sie sich für den richtigen Mann entschieden hat, denn nichts entscheidet in dieser Zeit stärker über Zukunft und Schicksal einer Frau als die Wahl des Ehepartners …

    Der zweite Teil der Trilogie um eine junge Frau, die auf der Suche nach Respekt und Anerkennung das Wohlergehen anderer höher stellt als ihr eigenes Glück.

  • Demenz ist ein Elend – Teil zwei

    Demenz ist ein Elend – Teil zwei

    Es fing vor gut zwei Jahren an: Recht bald im ersten Lockdown fand ich es enorm schwierig, meiner Mutter am Telefon klarzumachen, dass sie bitte schön daheimbleiben und mir diktieren solle, was ihr Schwiegersohn für sie einkaufen sollte.

    Ich merkte natürlich, etwas was anders, und mit allem, was ich heute über diese Krankheit weiß, wäre mir gleich aufgefallen, was so anders war. So aber ließ ich mich gerne beruhigen, wenn andere meinten, sie hätten nichts an ihr bemerkt. Und mit 83 darf man ja auch tüddelich werden, nicht wahr?
    Dass meine Mutter mir gegenüber schnell aggressiv wurde, war ja leider auch nicht wirklich etwas Neues; an mir hatte sie immer schon vieles auszusetzen gehabt. Wenn sie also nun nicht in der Lage war, mir ihre Einkaufswünsche zu diktieren, weil ich ihr nicht rechtzeitig Bescheid gegeben habe oder zu ungeduldig sei, dann klang das nicht so viel anders als sonst, wenn sie mich beschuldigte, ich würde mich zu selten melden.

    Wir wurschelten uns also einige Wochen durch diesen Lockdown. Meine Mutter ging fast täglich einkaufen und wurde dafür von mir ausgeschimpft. Wenn sie Einkaufswünsche mitteilte, dann waren es absurde Dinge wie zwei Kilo Trauben oder das immer Gleiche wie Brot und Käse. Nie war es genug für eine Woche, nie etwas Frisches oder etwas Besonderes wie die Lakritze, die sie am liebsten mochte. Auch der Austausch von Geld und Einkäufen war kaum zu bewerkstelligen, sie verstand es einfach nicht mehr.

    Mindestens einmal in der Woche rief sie an und war meist erstaunt, dass sie mich am Ohr hatte. Immer behauptete sie, ich hätte sie angerufen und würde stören. Oder aber sie klagte, die Fernbedienung des Fernsehers sei verstellt. Weshalb wir dann doch immer wieder zu ihr fuhren, um das zu reparieren, was sie in ihrer Verwirrung verstellt hatte. Ich war nun schon überzeugt, dass mit ihr etwas nicht stimmt, und verlangte, sie müsse zum Arzt. Sie kam mit den blödsinnigsten Ausreden, warum sie nicht drangekommen wäre, obwohl sie doch dagewesen wäre. Oder sie erklärte, alles wäre gut.

    An einem Sonntag im Sommer kamen mein Mann und ich überraschend vorbei; wir wollten mit den Hunden in den Wald und schnell einmal nach ihr schauen. Sie wirkte durcheinander, strengte sich aber wohl an, dass wir nichts merkten. Ihre Haare klebten am Kopf. Sie lachte. Sie habe aus Versehen die Körpermilch mit dem Shampoo verwechselt. Nun ja …

    Noch immer war ich die Einzige, die glaubte, es wäre ernsthaft etwas nicht in Ordnung, wollte mich aber nur zu gerne davon abbringen lassen. Dass andere nichts merkten, lag eben auch daran, dass meiner Mutter deren Meinung über sie wichtiger war als das, was ich von ihr dachte.

    Dann im August, eine gute Woche vor dem Todestag meines Vaters, rief mein Bruder an, der meine Mutter am Telefon gehabt hatte. Sie habe sich kaum artikulieren können und dauernd von einem Kind und einem Mann gesprochen, von fehlenden Schlüsseln und einer Party. Ich solle bitte hinfahren, er befürchtete einen Schlaganfall.
    Als ich ankam, stand meine Mutter in der offenen Wohnungstür. Es ist ganz eigenartig, wenn man vor jemandem steht und sehen kann, dieser Mensch ist nicht mehr derselbe. Wirklich, man sieht es. Sie musste nichts sagen, es war so eindeutig, dass sie nicht wusste, weshalb sie dort stand, und dass sie etwas sah, was mir verborgen blieb. Immerhin erkannte sie mich.
    Sie nahm mich an der Hand, zerrte mich ins Schlafzimmer und ich glaube, mich erschreckte am meisten das Bett. Bislang war die Seite meines Vaters immer sorgfältig zugedeckt und glattgestrichen, einer seiner Teddys saß auf dem Kissen. Jetzt war es zerwühlt auf eine Weise … schwer zu beschreiben. Und da stand meine Mutter neben mir, ganz aufgeregt, und zeigte mit dem Finger auf die zerknüllte Decke und sprach von dem kleinen Mädchen, das dort säße. Es war unheimlich.

    Ich rief den Notarzt, der sofort nach Demenz fragte. Und auch gleich erklärte, ich müsse mir keine Sorgen machen, er würde dennoch einen Wagen schicken; es müsse mir nur klar sein, dass es sehr wahrscheinlich wäre, wenn meine Mutter in der LVR bleiben müsste – möglicherweise in einer geschlossenen Abteilung.
    Dorthin kam sie dann auch nach drei Tagen, die sie auf einer Normalstation verbringen musste. Es war die Hölle, denn sie wollte weg. Sie hatte keine Ahnung mehr, wer sie war oder wohin sie wollte, es war nichts als ihr Instinkt, der sie flüchten lassen wollte. Festhalten durfte man sie nicht und ich hatte Nacht für Nacht Angst, ich würde einen Anruf erhalten, man habe meine nackte Mutter irgendwo in der Stadt aufgegriffen. Das passierte zum Glück nicht, bis das Gericht die Erlaubnis erteilte, sie in die geschlossene Abteilung zu bringen.

    Meine Mutter war kaum noch in der Lage, Wörter zu artikulieren, sie hatte Halluzinationen, vermischte Vergangenheit, Traum und Traumata mit Trugbildern und es war schlicht die Hölle, mit ihr zu telefonieren, wenn sie zugleich mit dem Papst sprach und sich im Jahr 1800 wähnte.
    Einmal in der Woche durfte ich hin und ganz ehrlich, das macht war mit einem, wenn man mit dieser nun so fremden Frau in einem Zimmerchen hockt, in dem es nach Urin und Exkrementen riecht. Weil nämlich Inkontinenz und Demenz so gut befreundet sind.

    Es folgten grauenvolle, belastende Wochen, in denen ich mehr oder weniger dazu überredet wurde, die gesetzliche Betreuung für meine Mutter zu übernehmen. Was gerade in der ersten Zeit sehr, sehr, sehr viel Arbeit ist. Die nicht leichter wurde dadurch, dass meine Mutter nun in die Phase kam, in der Geld das wichtigste Thema ist. Sehr, sehr, sehr wichtig. Alle Welt will sie über den Tisch ziehen, alle klauen, keinem kann sie trauen. Immer fragte sie mich nach Geld und Schmuck, wurde böse oder weinte, hatte abwechselnd Sorge, sie könne nichts bezahlen und wollte daher ihr Abendessen nicht zu ihr nehmen, oder aber sie erzählte allen, wie ich ihr alles abgenommen hätte.

    Dann folgte der Umzug in die Demenz-WG. War meine Mutter in der Klinik dank der Medikamente gut händelbar, so wurde sie nun aggressiv. Sehr aggressiv. Und noch fremder. Nachts fand sie nicht in den Schlaf, obwohl sie bald schon Mittel bekam, die ein Nilpferd lahmgelegt hätten. Sie zog sich immerzu aus, schmierte ihre Ausscheidungen an Wände, Böden, ins Gesicht. Nackt rannte sie ans offene Fenster und schrie nach der Polizei, rief Mord und Hilfe, sie schlug die Pflegerinnen und Betreuerinnen, sie war böse und garstig zu den anderen Bewohnerinnen und mit mir erst rechts. Es sah nicht so aus, als würde sie bleiben können; tagelang habe ich völlig verzweifelt versucht, irgendwo einen Heimplatz aufzutun. In einem Umkreis von hunderten von Kilometern. Sinnlos.

    Mein Glück war die wunderbare Ärztin der LVR, die die seelische Betreuung meiner Mutter übernommen hatte – und die Mutter eines Freundes meines jüngsten Sohnes ist. Sie hat mir so sehr wie meiner Mutter geholfen und mit der passenden Medikamenteneinstellung konnte meine Mutter bleiben, wo sie war. Niemals war ich so erleichtert. Nach einer Woche ohne Schlaf kam ich endlich zur Ruhe.

    Meine Mutter auch. Sehr sogar. Nun schlief sie immer wieder ein, sah grau und bleich und mehr tot als lebendig aus, wenn sie in ihrem Bett lag. Dass sie mir zu verstehen gab, sie wünschte, so wäre es auch … damit konnte ich nicht umgehen.
    Seitdem geht es weiter bergab. Mal körperlich, mal geistig. Bin ich dort, so habe ich selten das Gefühl, ihr damit etwas Gutes zu tun; sie braucht oft Minuten, bis sie mich wahrnimm, und noch einmal so lange, um mich zu erkennen. Oder zumindest zu glauben, ich wäre ihre Tochter. Was es für mich besonders schwermachte im ersten Jahr, war ihr Verhalten. Bei der Demenz, so heißt es, bleiben die Gefühle, die man für andere hatte, am längsten erhalten. Meine Mutter war mit gegenüber böse, neidisch und eifersüchtig in dieser Zeit. Etwas, was ich als kleines Mädchen schon empfunden, mir aber nie, nie, nie eingestanden hatte, selbst dann nicht, wenn andere meinten, so wäre es immer schon gewesen. Und dann sitzt du neben der Frau, um die du dich zu kümmern hast, und versuchst, dich damit zu trösten, dass sie doch nicht mehr weiß, was sie sagt. Ich hielt mich an den Momenten fest, in denen sie lieb und zutraulich war und mich schön und fein nannte. Das kam vor.

    Ja, und nun stürzt sie sehr oft, war innerhalb einer Woche zwei Mal im Krankenhaus und ist kaum noch mobil. Wir werden sie dieses Jahr an Weihnachten nicht zu uns holen können; wir bekämen sie die Treppe nicht mehr hinauf und sehr wahrscheinlich würde sie panisch werden. Es ist halt nicht so, als hätte sie einfach nur vergessen, wer sie ist, wer wir sind oder wo sie ist: Sie befindet sich in jeder Sekunde unter Fremden in einer fremden Welt. Das muss die Hölle sein und ich kann sie ihr nicht ersparen. Das ist für mich Demenz.

  • Demenz ist ein Elend – Teil eins

    Demenz ist ein Elend – Teil eins

    Vor etwas mehr als zehn Jahren, als ich noch unter Michou loves Vintage übers Nähen, Stricken, Schnittzeichnen und den Alltag bloggte, habe ich auch über meinen Vater geschrieben. Genauer gesagt habe ich darüber gesprochen, wie es ihm und wie es mir ging, denn mein Vater lag im Krankenhaus und es war zu Beginn unklar, was er hatte.
    Nicht lange allerdings, denn es war Krebs und es blieben uns sechs Wochen, um das zu begreifen. Es ging nicht gut aus und war auch nicht eine Minute lang erträglich. Ich stolperte der Erkenntnis und meinen Gefühlen hinterher und weil ich zu diesem Zeitpunkt schon fast alles schreibend mit mir ausmachte (wenn ich mich ärgerte oder amüsierte, fand das als Anekdote Eingang in meinem Blog), fing ich nach einigem Zögern an, auch über Papa zu schreiben.

    Was ich schrieb, mal länger, mal kürzer, manches, was ich später löschte, vieles, was ich stehen ließ, schrieb ich immer ein oder zwei Tage nach dem betreffenden Ereignis – so lange brauchte es immer, um wirklich und wahrhaftig zu verstehen, was gerade vor sich ging und welche Bedeutung es hatte.

    Dann, nachdem mein Vater gestorben war, versuchte ich, das alles zu erzählen; ich hatte mittlerweile erlebt, wie wichtig dieses öffentliche Begleitung dieses Abschieds nicht nur für mich, sondern auch für viele Leserinnen war. Weil sie dasselbe erlebten oder erlebt hatten und es niemanden gab, der mit ihnen darüber hätte reden wollen (das erleben viel zu viele in dieser Situaton; man fällt den Leuten so lästig, nicht wahr?). Oder weil sie sich der eigenen Trauer schlechter stellen konnten und es half, darüber zu lesen. Weil sie das Gefühl hatten, sie müssten längst mit dem Trauern durchsein. Die Gründe waren vielfältig und doch ähnlich und sie führten dazu, dass ich sehr viele Kommentare und sehr viele Mails erhielt. Die Lebens- und Todesgeschichten anderer zu lesen und darauf zu antworten – das war auch für mich sehr hilfreich, vor allem in den letzten Tagen meines Vaters, als ich mich darauf einstellen musste, was unvermeidlich war.
    Wie gesagt, ich hatte all das einmal vollständig aufschreiben wollen, das Gute wie das Schlechte, aber irgendwann brach ich ab; warum kann ich nicht einmal sagen.

    Das war nun eine lange Einführung, die eigentlich nur zeigen soll, mir selbst auch zeigen soll: Es ist ok, über die Eltern zu sprechen. Weil all die Sorge, der Frust, die Trauer – was auch immer es ist, es muss irgendwohin und es hat seinen Platz in dieser Gesellschaft. Sollte es zumindest haben. Und so geht es nun um die Demenz meiner Mutter, die zwar lebt, aber nicht mehr da ist, sieht man von gelegentlichen Sekunden ab, in denen sie weiß, wer ich bin oder wer mein Mann ist. Sekunden, nicht Minuten. Gelegentlich und nicht oft. Ihrer Würde tut es keinen Abbruch, wenn ich erzähle – ob heute oder ein anderes Mal, wie es um sie steht, was sie tut und sagt. Ich kann sie nicht mehr fragen, ob es ihr recht ist; aber meinem Vater war es damals sehr recht und meiner Mutter ebenso; ich habe keinen Anlass zu glauben, es könnte nun anders sein.

    Aber man sieht, ich rede dennoch drumherum, vielleicht doch in der Hoffnung, dass sowieso niemand bis hierher liest. Weshalb auch? Nun vielleicht, weil es anderen – also dir – genauso geht. Oder gehen könnte. Weil du jemanden kennst, der unter Demenz leidet. Weil du pflegebedürftige Eltern hast. Weil dein Verhältnis zu deiner Mutter ähnlich schwierig ist wie das zwischen meiner Mutter un mir. Wieder gibt es tausend Gründe, vielleicht bist du einfach nur neugierig und das ist gut so.

    Demenz also. Frag mich nicht, welche Form meine Mutter hat – es war von Alzheimer die Rede, von einem Schlaganfall, der das Gehirng geschädigt hat, und von anderen Formen, die ich kaum kenne. Man weiß es nicht genau und es ist auch gleichgültig. Was diese Demenz nicht ist, ist viel wichtiger.

    Sie ist nämlich nicht einfach nur das große Vergessen, als das sie immer wieder dargestellt wird in Filmen und Büchern. Die kennen wir alle, nicht wahr? Da werden – oft ganz niedlich anzusehende – ältere Herrschaften gezeigt, die kindlich-liebenswürdig profunde Weisheiten von sich geben, weil ihnen ja die große, böse Welt gleichgültig geworden ist und somit nicht länger Ansehen und Geld zählen, sondern Liebe und Wärme. Da werden dann Jugenderinnerungen gelebt und Puppen gestreichelt, da wird der Sohn auf einmal als sein Vater erkannt, als der noch jung und schön war. Putzig auch, wie die alten Leutchen mit bunten Socken rumlaufen oder sich bunt anmalen oder selbstvergessen durch die Welt trampen, bis sie am Meer sind. Immer können sie sich ausdrücken und wirken eher wie naive Hippiekinder als demente Senioren.

    Selbst, wenn Demenz Thema in Dokumentationen ist, werden uns noch eher diejenigen erkrankten gezeigt, die gepflegt zurechtgemacht glücklich strahlen, wenn alte Schlager gespielt werden, die sie selbstverständlich fehlerfrei mitsingen können. Weil sie ja in der Vergangenheit leben. Das ist schön, natürlich, und das gibt es auch. Aber das ist nicht, was Demenz am Ende ausmacht. Sie kann sicherlich sehr lange sehr individuell ablaufen und wie weit sie geht, hängt bestimmt von vielen Faktoren ab; nicht zuletzt davon, ob die betreffende Person das Glück hat, zu versterben, bevor ihr Körper nicht einmal mehr weiß, wie Essen geschluckt oder eine Hand gehoben wird. Das ist etwas, was ich nicht wusste: dass Demenz eben auch tödlich ist, hält man lange genug durch.

    Was meine größte Angst ist. Und mich deshalb dazu bringt, mich mit dem Gedanken zu quälen, wie sehr ich meiner Mutter das Ende herbeiwünsche. Wenn sie einmal etwas verständlich äußern kann – und dazu müssen sehr glücklich sowohl die körperliche wie die geistige Fähigkeit zeitgleich günstig zusammentreffen – dann macht sie mir klar, sie wünschte, es wäre vorbei. Aber wie kann man seiner Mutter den Tod wünschen, ohne sich wie der schlechteste Mensch der Welt zu fühlen? Da hilft es auch nicht so viel, dass andere, die dasselbe durchgemacht haben, sagen, es wäre absolut ok, das zu wünschen und zu hoffen, denn Demenz ist ein widerliches Drecksvieh, das ziemlich bald kaum etwas von dem Menschen übrig lässt, den man kannte.

  • Plotten oder Pantsen?

    Plotten oder Pantsen?

    Treibt man sich in Schriftstellerforen welcher Sprache auch immer herum, dann dauert es nicht lang, bis man in eine Diskussion gerät, in der es um die einzig wahre und richtige Methode geht, einen Roman zu schreiben. Und da herrscht erstaunliche Einigkeit, denn selbst die meisten Pantser und Pantserinnen werden ihr Vorgehen damit entschuldigen, dass es ihnen einfach am Talent zum Plotten mangele, so sehr sie es auch möchten. Weil ja nur durch das Plotten ein Werk wie beispielsweise ein Krimi entstehen könne – ohne Logiklöcher und mit einem spannenden – ha! – Plot.

    Treibst du dich in solchen Foren nicht herum, weil du eben keine Schriftstellerin, sondern eine Leserin bist (wahlweise bist du kein Schriftsteller, aber dafür ein Leser), dann wirst du dir vielleicht nicht einmal ganz sicher sein, was Plotten und Pantsen eigentlich ist. Rein lautmalerisch klingt beides nicht sonderlich schön oder aufregend.

    Um das also einmal kurz klarzustellen:

    Wer plottet oder als ‚Architekt‘ arbeitet, beginnt mit dem Schreiben des Romans erst, wenn das Grundgerüst steht, das mal mehr, mal weniger detailreich ist. Und da gibt es durchaus Autorinnen (jeden Geschlechts), die sehr, sehr, sehr genau vorgehen und wahrhaftig jeden einzelnen Charakter erfinden, Szene für Szene durchgehen, an festgelegten Punkten eine Wendung einbauen und festlegen, wann welche Leiche wo gefunden werden muss, um zum Finale zu gelangen. Da werden dann Karten (analog oder digital) hin- und hergeschoben, Erzählstränge kunstvoll verwoben und die Wortanzahl jedes Kapitels bestimmt. Dazu gehört natürlich auch die Recherche. Es wird also jedes Detail der Geschichte bestimmt, sortiert und als Szenen- und Kapitelstruktur ins Manuskript gebracht. Wer so schreibt, verwendet vielleicht spezielle Software wie Plottr oder Papyrus. Danach wird dann in Sätze gefasst, was als Idee bereits feststeht.

    Wer pantst oder als ‚Gärtner‘ unterwegs ist, tut das nicht. Man geht mit einer Idee, die mehr oder weniger ausgefeilt ist, an die Sache heran, setzt sich an die leere Seite und fängt an, die Geschichte zu schreiben. Entdeckendes Schreiben wird das auch genannt und ist sozusagen ein Lesen während der Entstehung. Die Gärtnerin lässt sich darauf ein, nicht zu wissen, wie es zwei Kapitel später aussehen wird. Mehr noch verlässt sie sich darauf, es bis zum Ende zu schaffen. Jede Idee, die während des Schreibens kommt, wird freudig begrüßt. Vielleicht testet man sie für einige Zeilen und entscheidet dann, dass sie sich besser für eine andere Geschichte eignet und speichert sie dort ab. Oder man verändert sie ein wenig. Oder man nimmt sie mit und lässt sich überraschen, was daraus wird. So entstehen Geschichten, die oftmals mehr von den Figuren abhängen als von dem Geschehen an sich. Die Recherche findet nicht nur vor dem Schreiben statt, sondern ebenso sehr on the go.

    Nun gibt es einige ‚Regeln‘, die gerne als feststehend betrachtet werden. Dinge wie:

    • Der erste Entwurf ist immer für die Tonne.
    • Krimis und Fantasy müssen intensiv geplant werden.
    • Pantser müssen sehr, sehr viel korrigieren, verbessern und anpassen.
    • Plotter sind professionellere Autoren.
    • Man muss viele Schreibratgeber gelesen haben.

    Da gibt es noch einige mehr, die immer, immer, immer genannt werden, wenn solche Diskussionen ausbrechen. Und fast immer geben Pantser und Pantserinnen klein bei, bestätigen, dass sie viel ändern müssten. Dass sie keinen Krimi schreiben könnten. Dass es ein Make ist, nicht plotten zu können. Dass es ihnen wohl auch an Ausdauer mangele, wenn sie sagen, es würde sie das Aufschreiben einer Geschichte langweilen, wenn sie sie schon wochenlang geplottet hätten.
    Nur: Sobald man sich einer anderen Gärtnerin unter vier Augen als Kollegin zu erkennen gibt, dann klingt es doch anders. Dem erleichterten Aufatmen folgt die freudig-schwesterliche Umarmung und endlich einmal frei und glücklich erzählt man sich, wie wunderbar es jedes Mal sei, wenn man eine neue Geschichte beginnt und nur ahnt, wohin es gehen soll.

    Woher ich das weiß? Na, das wirst du dir schon denken können: Ich bin Gärtnerin durch und durch. Ich verlasse mich – wenn auch jedes Mal wieder bebend und nervös – darauf, dass ich mich auch aus der schwierigsten Lage befreien kann, wenn ich nur meiner Fantasie und meinen Figuren vertraue. Gerade Emma, James und Wertheim, Siegfried, Gigi und Sybil kann ich freien Lauf lassen; es ist ja immer wie ein nach Hause kommen, wenn ich eine Fräulein Schumacher-Geschichte beginne. Ich kenne sie, sie kennen mich und dann geht es los.

    Was habe ich zu Beginn? Eben diese eine grobe Idee. Im aktuellen Fall: Emma reist nach Norderney, dort geschieht ein Mord. Das war’s. Mehr habe ich nicht. Hatte ich nicht. Meist fällt mir unter der Dusche der erste Satz ein, in der Regel wirklich erst an dem Tag, an dem die Arbeit am neuen Manuskript beginnen soll.
    Dann öffne ich mein Programm und schreibe diesen ersten Satz. Und auf einmal weiß ich alles, was zu dieser neuen Begebenheit geführt hat: Wie kommt Emma an diesen Ort? Wann wird sie dort sein? Was hätte dagegen gesprochen und wie kann ich das Hindernis entfernen? Wer ist involviert? Wie geht es Emma, wie geht es ihren Lieben?

    Ja, und dann bin ich schon völlig in Emmas Welt. Meist schaue ich auch dann erst nach, was denn so passiert in Deutschland und in der Welt in diesen Tagen, lasse Emma darauf reagieren, wenn sie denn die Möglichkeit gehabt hätte, davon zu erfahren. Dabei erlebe ich immer wieder ein absolutes Glücksgefühl, wenn ich feststelle, dass wahrhaftig etwas, was ich mir so und so vorgestellt habe, auch wirklich geschehen ist. Oder dass genau jetzt irgendwo etwas stattfand, was Bezug zu meiner Geschichte haben könnte. Manchmal gerate ich beim On-the-go-Recherchieren in Kaninchenlöcher und stoße auf eine historische Figur, eine Aussage, eine Beschreibung oder einen Ort, der mich inspiriert. Wird alles gnadenlos eingebaut.

    Und so geht es weiter. Ich lasse, um beim momentanen Manuskript als Beispiel zu bleiben, Emma empfinden, was ich selbst bei meiner ersten Überfahrt nach Norderney empfunden habe. Ich mische Erinnerungen an Personen ein, die ich kennengelernt habe, ich lasse James Dinge sagen, die andere Männer mir sagten – das Dumme wie das Reizende. Und lasse Emma reagieren, wie sie es will. So ähnlich sind wir uns nun nicht, als dass ich mich da einmischen dürfte. Ich habe einen Heidenspaß daran, den Wortgefechten der Beresfords zu lauschen. Oder überhaupt allen Unterhaltungen meiner Paare – die sind einfach besser als ich darin, sich zu necken und zu loben. Liegt vielleicht auch daran, dass meine männlichen Helden zwar alle möglichen Schwächen haben, fragiler Männlichkeitswahn aber nur bei denen zu finden ist, die eben nicht meine Helden sind. Im wahren Leben sucht frau sich halt nicht immer aus, mit wem sie spricht …

    Was nun den Krimiteil angeht: Ich lasse mich mit Absicht vor Wände laufen. Alles, was mir an Spuren und Ereignissen einfällt, wird in die Geschichte gepackt, wenn es sich in der Situation des Schreibens gut und spannend anfühlt. Und es Emma oder Wertheim vor ein Rätsel stellt. Wenn Siegfried dann noch die Brauen zusammenzieht und an Verschwörungen denken lässt, dann bin ich glücklich.
    Bis ich nach gut der Hälfte an den Punkt komme, an dem ich Sinn aus den Begebenheiten machen muss. Mal stelle ich fest, dass mein Mörder gar nicht der Täter ist, dass ich mich in ihm geirrt habe. Dann muss ich ermitteln. Wie Emma und Wertheim muss ich nach Spuren suchen und mir die Nächte um die Ohren schlagen (wirklich und wahrhaftig). Dann fange ich an, Organigramme zu entwerfen, die Beziehungen untereinander aufzumalen, Chronologien und Listen zu schreiben, Zeugen zu befragen. Manchmal nutze ich meine überlegene Position, um in der Geschichte zurückzugehen und etwas zu ändern; eine Haarfarbe, ein gesprochenes Wort, eine Uhrzeit, einen Namen. Das sind immer nur Kleinigkeiten. Manchmal füge ich etwas ein, um eine Spur zu legen, manchmal verschiebe ich eine Szene. Immer lese ich in dieser Phase alles durch, was ich bisher geschafft habe, merke an, auf welches Detail ich beim Weiterschreiben achten sollte, was mir weiterhelfen kann oder was mich unnötig verwirrt hat.
    Danach dann geht es weiter, nun mit einer deutlichen Vortstellung davon, wer es war und wie es abgelaufen ist – ein Miniplot also, ein Gewächshaus in meinem Garten sozusagen. Wie meine Heldin das herausbekommt: Das ist noch immer ungewiss, da verlasse ich mich weiterhin auf meine Intuiotion und meine Figuren.

    Ich gestehe also: Ich bin Pantserin, Entdeckerin und Gärtnerin. Anders will ich es nicht, das ist, was mein Schreiben ausmacht, was mich begeistert und was für mich das einzig Wahre und Richtige ist. Ich schreibe meine Krimis nicht als die Kriminelle, die das Verbrechen plant, sondern als Ermittlerin, die es aufklären muss. Und ich sehe nicht ein, weshalb das nicht funktionieren sollte. Was manche an meinen Romanen nicht mögen, dürfte wohl mehr der Genremix sein und das zu häufige Enttäuschen gängiger Vorstellungen von einem echtem Happy End oder einer wirklichen Heldin oder was auch immer sein. Auch meine der Zeit angepassten Sprache, der Verzicht auf kurze Sätze oder ähnliches spielt eine Rolle. Ob man nun aber plottet oder pantst, dürfte keinen Unterschied machen.