Autor: Andrea

  • Des Zwistes 3. Teil

    Des Zwistes 3. Teil

    Maria Stuart war nun also die Flucht aus ihrer Haft gelungen und stand auf englischem Boden und wir mit ihr. Schauen wir mal, ob wir wieder hinein finden in die Geschichte.

    Dass sie dort stand, wird – wen wundert’s – ganz unterschiedlich gewertet: als plumper Versuch, die englische Krone zu ergattern, als Dummheit ohne Boden, als Verzweiflung ohne Ende oder schlicht als Naivität. Vielleicht war es von allem ein wenig, vielleicht aber auch ein Beweis dafür, dass Maria es in den letzten Jahren doch ernst nahm mit ihrem Versuch, eine Versöhnung, eine Freundschaft zwischen sich und ihrer Cousine Elisabeth herzustellen – so unwahrscheinlich erscheint mir das nicht: wir haben gesehen, dass Maria ihre Freundschaften pflegte, ihre Freundinnen ihr wichtig waren. Dass das für Elisabeth nicht galt, dass bei ihr Sagen und Handeln zweierlei waren, konnte Maria vielleicht ahnen, nicht aber wissen, denn getroffen hatten sich die Cousinen niemals. Sie schrieben einander Briefe, sandten einander Geschenke und hatten dabei einen alles entscheidenden, stetig schwelenden Streit.

    Wenn Maria an all die Freundschaftsschwüre Elisabeths glaubte, in ihr die einzig mögliche Rettung sah, dann ging Maria vielleicht von sich selbst, von ihrem eigenen Handeln aus. Mochte sie die falschen Männer lieben, sich zu Gefahr und Abenteuer hingezogen fühlen, all das waren Kleinigkeiten gemessen an diesem, ihrem größten Fehler: zu glauben, Elisabeth sei ihre natürliche Verbündete, sei es als Frau, als Verwandte, als Königin. All diese Gründe brachten Elisabeth ins Wanken, aber letzten Endes war der eigene Machterhalt wichtiger als das Leben der Frau, die sie immer schon mißtrauisch und argwöhnisch beobachtete.

    Worin genau bestand der Zwist zwischen diesen beiden Königinnen? Die schlichte Antwort lautet: Politik, Neid, Eifersucht. Für Hollywood reicht das vollkommen aus und die Seifenoperaufteilung lässt starke und ehrgeizige Männer die Politik betreiben und zwei Frauen, die eine klassisch schön, sexy und verführerisch, die andere herb, neidisch und eifersüchtig, den Streit ausfechten. Das bietet viel Gelegenheit für Himmelbetten und Schlachtfelder, nackte Haut und rotes Blut. Je nach Ausrichtung des Films ist die Eine engelsgleich und die Andere teuflisch oder andersherum. Klug sind sie niemals, höchstens ehrgeizig, kaltherzig oder sonstwie ungeeignet.
    Dass beide Königinnen ihre Qualitäten und Fehler hatten, haben wir schon gesehen. Dass keine von Beiden dumm, willenlos oder ungeeignet für Thron und Krone war, auch. Aber das wäre dann ein feministischer, männerhassender Film und sowas will ja niemand sehen (hahaha).

    Wappen Elisabeths I. via Wikipedia

    Wir müssen zurück in der Zeit: England und Frankreich – Erbfeinde bis zur Entente cordiale, die im Jahr 1904 geschlossen wurde. Begonnen hatte es irgendwann im 12. Jahrhundert. Durch allerlei Erberei, Räuberei und Schieberei gehörte ein großer Teil Frankreichs der englischen Krone. Was die französischen Könige störte. Aus persönlichen Gründen wie auch aus wirtschaftlichen. Weshalb sie versuchten, Land und Geld anderswo zu finden, was dann wiederum den englischen König ärgerte, da dadurch seine wirtschaftlichen Interessen in anderen Ländern gestört wurden. Ein Durcheinander, vermengt mit Scharmützeln, unzufriedener Bevölkerung und finanziellen Verlusten und wie immer lief alles auf Krieg hinaus. Auf einen gut Hundertjährigen.
    Die Franzosen verloren Land, Leute und Würde, gewannen aber das Bewußtsein als Nation, was dem Deutschen Reich erst im 19. Jahrhundert „gelang“. Was dieses Nationalbewußtsein aller Länder über die Jahrhunderte hinweg mit sich brachte … nicht jede Geburt ist ein Segen. Aber das führt viel zu weit. Das wichtige für uns ist, dass um 1340 nach all den wunderbaren Siegen der englische König begann, die französischen Lilien in seinem Wappen mitzuführen: hier, sehet her, ich habe Anspruch auf Land und Thron! Und davon rückten die herrschenden Engländer auch nicht so bald ab; auch Elisabeth trug die Lilien im Wappen:

    Damit war von seiten Elisabeths sicher keine Provokation Frankreichs beabsichtigt; vielmehr war es eine liebgewordene Tradition, eine Erinnerung der Insulaner an ihre Zeit auf dem Kontinent, bevor sie von Jeanne d’Arc vertrieben wurden. Als nun aber Königin Maria I. starb, proklamierte der französische König Heinrich seine Schwiegertochter Maria Stuart zur Königin von England und ließ sie diesen Anspruch auch in ihr Wappen aufnehmen. Was auch nicht viel mehr Bedeutung hatte als die französischen Lilien in Elisabeths Zeichen: den Thronanspruch hatte Maria, was immer irgendwo gemalt oder nicht gemalt sein mochte.

    Da Heinrich VIII. eine ja einigermaßen unordentliche Wirtschaft hinterließ mit all diesen Ehefrauen und Kindern und bei all dem auch die Religion eine Rolle spielte, ging man in der Suche nach legitimen Thronerben wieder eine Generation zurück zu Heinrich VII. War Elisabeth seine – protestantische – Enkelin, so war Maria seine – katholische – Urenkelin, die dazu ohne jeden Makel von Scheidung und Hinrichtung war. Für die mächtigsten Herrscher jener Zeit, allesamt gut katholisch – war sie die einzig legitime Erbin. Allerdings blieb sie doch nur ein Mädchen und da Europa kein allzu großes Interesse an der Insel hatte, zog niemand für diesen Anspruch in den Krieg.

    Maria selbst war mittlerweile Königin zweier Länder und wir können davon ausgehen, dass ihr das vollauf genügte und sie die Sache mit dem englischen Thron nicht zu wichtig nahm; sie war von Geburt an Königin und erachtete diese Würde für selbstverständlich. Wenn auch ihr Thron immer wieder wankte, sie immer wieder in Gefahr geriet: dieses Gefühl von Rechtmäßigkeit dürfte ihr immer eine Sicherheit gegeben haben – sie musste immer nur um den Thron selbst kämpfen, nie um ihr Anrecht. Für Elisabeth sah das anders aus: der eigene Vater hatte ihr das Recht abgesprochen, ihre Mutter war in Schande gestorben, für die katholische Welt war sie ein Bastard, für den Kronrat das schwache Weib – alles war für sie Kampf, alles war für sie Angriff. Sie konnte und wollte diesen Anspruch Marias nicht vergessen!
    Von da an war Maria für sie das rote Tuch, die große Angst. Fast könnte man sagen, sie stalkte sie: was immer Maria tat und sagte, was sie trug und was sie aß – Elisabeth war informiert. Und offenbar fasziniert. Und eifersüchtig. Jajaja, ich weiß, das klingt jetzt so klein und so ganz anders als das, was ich mit meiner Schönheitsserie doch eigentlich zeigen will, aber so war es nun einmal. Es ist allerdings ein Fehler zu glauben, dies sei das einzige, was zu Streit und Hass und Tod führte: die Stutenbeißerei zweier Zicken und Tussis. Genau das war es nicht.

    Elisabeth war eitel und liebte Kleider und Schmuck – je prachtvoller, je übertriebener, desto besser. Eine klassische Schönheit war sie nicht und es mag sein, dass sie selbst nicht glücklich mit ihrem Äußeren war, wann immer sie einmal Zeit fand, sich damit zu beschäftigen. Sie verlangte nach Schmeicheleien, die nicht der Königin, sondern der Frau galten (befahl diese allerdings recht königlich). Sie legte Wert auf Äußerlichkeiten, kein Detail blieb dem Zufall überlassen, sie war stolz auf ihre schlanke Figur und litt unter dem Verlust ihrer Haare in späteren Jahren, wollte als Fee, als überirdisch, als begehrenswert erscheinen. Und sieht Maria Stuart in Erzählungen vor sich stehen, sieht Gemälde, hört das überschwengliche Lob, das sie selbst doch so gerne hätte.

    Maria ist meist schlicht gekleidet, verzichtet auf Dutzende Rüschen und kiloweise Perlen, scheint sich gar nicht um ihr Aussehen zu kümmern, ist von Freunden und Freundinnen umgeben. Wohin sie auch geht: sie fällt auf selbst im dunklen, schmucklosen Kleid. Ihr fliegt – wieder einmal – zu, worum Elisabeth sich bemühen muss. Wie gerne hätte Elisabeth etwas negatives entdeckt, aber Maria ist nicht nur eine äußerlich schöne Frau, sie kann ihr auch sonst das Wasser reichen: reitet eben so gut, spricht ebenfalls viele Sprache, weiß sich auszudrücken, musiziert und tanzt. Schauen wir uns die wenigen erhaltenen Portaits Marias an, so sehen wir eine eher unscheinbare Frau. Aber jeder, der sie kannte, schwärmte von ihr und erklärte, dass keines ihrer Bilder ihr jemals gerecht geworden seien. Elisabeths Abbilder hingegen wurden oft als geschönt wahrgenommen.

    Sagen wir es einmal so: hätten beide in den 1990ern geherrscht, dann wäre Elisabeth in Escada und Versace aufgetreten, Maria in Jil Sander und Armani. Mehr Gegensatz geht kaum:

    Modified
    Original


    Als Maria als Witwe zurück nach Schottland reist, erbittet sie zuvor die Passage durch England, was eine kürzere und sicherere Reise über See bedeutet hätte. Elisabeth verweigert die Durchreise, da sie zuvor auf der Anerkennung eines noch mit Maria de Guise (Marias Mutter und Regentin Schottlands) getroffenen Vertrages besteht, in dem Maria die Führung des englischen Wappens verboten und ihr Anspruch auf die englische Krone gestrichen wird. Was wiederum Maria ablehnt: Anspruch ist Anspruch, zumal, wenn es – ausnahmsweise unter Königs – mal ein rechtmäßiger ist. Da ging es los. Oder besser weiter nach Jahrhunderten englisch-französischer Animositäten.

    Maria ist in Schottland, sieht sich dort von allen Seiten konfrontiert und beginnt, ihre Angelegenheiten fern der Guise-Onkel zu regeln. Und in diesen unruhigen Zeiten stehen Sicherheit und Zukunft ganz oben und das bedeutet: den Anspruch auf den englischen Thron sicher in der Hinterhand zu haben und gleichzeitig Frieden und Einigkeit zwischen England und Schottland herzustellen. Am liebsten beides auf einmal: Cousine Elisabeth als Freundin und Verbündete in dieser Männerwelt. Es macht Sinn. Und so wird geschrieben und versichert und gebeten und ausgewichen. Mal lädt die Eine ein, sich zu treffen, dann tut es die Andere, nur begegnen werden sie sich nie. Auf Marias Seite sind es wahrhaftig Terminschwierigkeiten: mit John Knox und dem gierigen Halbbruder, den Morden und Schwangerschaften in den wenigen schottischen Jahren – da bleibt kaum eine Möglichkeit, gefahrlos für einige Zeit zu verreisen und bei der Rückkehr den Thron noch frei wieder zu finden.
    Elisabeth hingegen spielt, wie sie es immer tut: verzögern, verschleiern, versprechen, vergessen. Auch sie will Sicherheit. Ihre jüngere, attraktivere Cousine, die Gallionsfigur der Katholiken, erscheint ihr als Gefahr, die gebannt werden muss. Beispielsweise durch einen Ehemann, der Elisabeth zugetan ist und Maria positiv beeinflußen könnte und der sie beschäftigt. Wahrhaftig kommt Elisabeth auf die Idee, ihren Robin abzugeben. Sie bemüht sich sehr, ihm die Sache schmackhaft zu machen, doch so recht will er nicht. Noch hofft er ja, im eigenen Lande König zu werden. Und verheiratet ist er zudem. Was Elisabeth sich bei diesem Plan genau gedacht hat, ich kann es nicht nachvollziehen.

    Nun ist es ja nicht so, als ob Maria in Schottland nicht auch genug erführe von dem, was in England vor sich geht. Sie bemüht sich um ein gutes Einvernehmen, ist zu allen Zugeständnissen bereit, wenn nur ihre Cousine, ihre Schwester im Geiste, ihre Mit-Insularin ihr verspräche, sie zur Thronfolgerin einzusetzen, damit das Thema endlich ruhen könne. Zum Zeichen ihrer Bereitschaft sendet sie ihren Botschafter Sir Robert Melville an Elisabeths Hof. Er ist gewandt, gebildet, gut aussehend und Elisabeth möchte die Gelegenheit nutzen, ihn und damit Maria nachhaltig zu beeindrucken, empfängt ihn mehrmals am Tage, jedesmal in einem anderen Gewand, geschmückt und geputzt und gibt ihm zu verstehen, dass sie von den Heiratsplänen Marias mit dem spanischen Thronfolger nicht angetan ist, das wäre ihr doch gar zu viel des Katholischen vor ihrer Haustür und führt stattdessen Robert Leicester wie ein Schoßhündchen vor. Was den Diplomaten befremdet und Maria endgültig verärgert: einen abgelegten Liebhaber ihrer Cousine würde sie ganz sicher nicht zum Manne nehmen, auch nicht um des lieben Friedens willen.

    Aber Sir Melville weiß noch mehr zu berichten: so fragt ihn Elisabeth immer und immer wieder aus, wie groß Maria denn wohl sei, wie sie tanze, wie sie sänge? Ah, sie sei größer als sie, dann sei sie wohl übergroß (nunja, 1,80 m gilt auch heute noch als nicht eben klein für eine Frau). Wer den helleren Teint habe? Ach, die arme Maria sei halt arg dunkel. Und sie tanze nicht ganz so majestätisch, das habe sie wohl schon geahnt. Und Elisabeth, diese talentierte, kluge und scheinbar so überlegene Frau ist sich nicht zu schade, ihn, den geprüften und geplagten Diplomaten ganz klar zu fragen, wer denn die Schönere sei: sie selbst oder Maria? Aber Diplomat wird man nicht ohne weiteres und so antwortet Sir Melville jedes Märchen vorwegnehmend: Elisabeth sei die Schönste hier und Maria die Schönste in Schottland. Es wundert uns nicht, dass er in Schottland die Vermutung aussprach, Elisabeth könne eventuell, vielleicht und unter Umständen ein klein wenig eifersüchtig sein.

    Wie auch immer, anstatt näher zu einander zu finden, entfernten sich beide Königinnen immer weiter, was auf einer kleinen Insel mit zwei Reichen eine ungünstige Situation ist. Und die Mär von der weiblichen Solidarität auf die Probe stellt. Was immer die Eine tut, die Andere wittert eine Provokation. Marias Heirat mit Darnley, der trotz seiner schottischen Wurzeln englischer Staatsbürger und dazu noch ein weiterer Thronprätendent ist, erzürnt Elisabeth: er hätte um Erlaubnis fragen, Maria hätte um Entscheidungshilfe bitten müssen – diese Heirat ist in ihren Augen ein direkter Angriff auf ihren Thron. In den privaten Briefen zwischen beiden wird Freundschaft beschworen, in den diplomatischen Noten Konsequenzen angedroht. Als Darnley ermordet wird, reagiert Elisabeth gewohnt ambivalent: nach außen hin lässt sie verlautbaren, dass sie jeden Verdacht an Marias Mitschuld für unmöglich hält, im kleinen Kreis – der Kreise zieht – fragt sie sich, was geschehen sein mochte und weckt Zweifel an Marias Charakter.

    Es ist aber auch schwierig: alles, was Maria als gesalbte Königin tut, kann auf jede andere Königin zurückfallen und so ist Elisabeth gezwungen, im eigenen Interesse zu ihr zu halten. Auf der anderen Seite stellt Marias Existenz eine stetige Gefahr dar – Maria selbst wahrscheinlich weniger als diejenigen Engländer, die Elisabeth und ihre Regierung nicht wollen; Maria ist schlicht eine andere Möglichkeit, die genutzt werden könnte. Letztenendes werden die Unzufriedenen Englands nicht Elisabeths, sondern Marias Ende bedeuten.

    So lange Maria wohlverwahrt in Schottland ist und dort um ihre Krone kämpft, mit Kinderkriegen und Heiraten beschäftigt ist, ist Elisabeth scheinbar gesprächsbereit. Als aber alles über Maria zusammenbricht und sie auf englischem Boden als Flüchtige gelandet ist, da – ja, da weiß auch Elisabeth zunächst einmal nicht weiter. Lässt sie zu, dass eine Königin von Gottes Gnaden einfach so von ihrem Volk abgesetzt werden kann, so würde dies ein Beispiel für ihr eigenes Land bedeuten und Meuterer, zudem Katholische, gibt es genug. Was also tun? Maria erwartet ganz selbstverständlich das, was sie selbst wohl getan hätte: eine Einladung an den Hof und eine Armee, um ihr Land zurück zu erobern. Oder einen Ruhesitz nahe des Hofes? Vielleicht eine Rückreise nach Frankreich? Im schlimmsten Falle einen Klosteraufenthalt?

    Nun, Elisabeth schindet Zeit, wie üblich. Lässt Maria in eine Art Gästehaus verbringen, lässt sie vertrösten, reagiert verzögert auf Schreiben, sagt heute dies, morgen das und entscheidet erst einmal nichts. Diese Situation mit all ihren möglichen Konsequenzen bereitet ihr durchwachte Nächte und kalt und herzlos ist sie auch nicht. Was kann man tun? Sie ist durchaus willens, militärisch einzugreifen und Maria auf den schottischen Thron zurück zu bringen, wenn diese nur endlich den Anspruch auf die englische Krone aufgäbe – so sehr Maria Hilfe erhofft: dieser Preis ist ihr zu hoch.
    Doch auch die englischen Lords sind nicht einverstanden: müsse nicht erst einmal geklärt werden, ob Maria in den Mord an ihrem Mann vewickelt sei? Eine Mörderin sei es wohl kaum wert, ihretwegen Krieg zu führen.

    Der Prozess beginnt. Maria bestreitet dessen Rechtmäßigkeit: als Königin könne sie nicht vor einen gemeinen Gerichtshof gestellt und von diesem abgeurteilt werden. Von Schottland treffen die sogenannten Kassettenbriefe ein: Briefe, die angeblich von Maria und Bothwell geschrieben wurden und aus denen klar wird, dass beide schon vor Darnleys Tod ein Paar waren und der Mord geplant. Maria erklärt, dies seien Fälschungen. Bis heute weiß man auch hier nichts genaues, denn die Originale wurden vernichtet. Insgesamt passen diese Briefe zu gut in die Absichten Elisabeths und in die von Marias Halbbruder, der jetzt endlich, endlich in Schottland das Sagen hat. Der Prozess endet ohne rechtes Ergebnis wie von Elisabeth gewünscht und Maria bleibt in Haft.

    Eine Haft in immer unbequemeren Häusern, mit immer strengeren Wärtern und immer weniger Zugeständnissen. Ihre Dienerschaft wird reduziert, der Kronrat beginnt, über die Kosten zu jammern und Elisabeth zögert und zögert. Und wird dem Volk gegenüber strenger und strenger. Die Unzufriedenen werden mehr und sie suchen nach einer Veränderung und finden sie in Maria Stuart. Immer wieder kommt es zu Verschwörungen, die entweder dem politischen Unwillen, dem religiösen Hass oder einer romantischen Idee entspringen: dort ist unsere wahre Königin, schön und unschuldig, hinter Kerkermauern, während ein Bastard uns mit harter Hand regiert …

    Inwieweit Maria Stuart ihre Hand im Spiel hatte, treibend war – wir sagen es im Chor: man weiß es nicht genau. Es wurden ihr Fallen gestellt und in eine tappte sie hinein, in dem sie einen Brief beantwortete. Das sind Geschichten für die Ewigkeiten von geschmuggelter und überwachter Korrespondenz, von Neid und Eifersucht und Macht. Ganz klar ist, dass sie den Komplotten zur Absetzung Elisabeths zunehmend wohlwollend gegenüberstand und sich immer mehr zu schriftlichen Aussagen in diesem Sinne hinreißen ließ. Hätte sie um 1570 herum doch noch auf den englischen Thronanspruch verzichtet, so wäre es Elisabeth lieb gewesen, ihr den schottischen Thron zurück zu erobern. Aber da war Maria bockig: was genau sie sich versprach davon, wer kann das wissen? Das Selbstverständnis herrschender Könige war zu allen Zeiten ein anderes als das eines Bäckers.

    Nach 18 Jahren Haft und dem unermüdlichen Versuch Marias, Elisabeth zu einem persönlichen Treffen zu bewegen, war der Bogen überspannt. Elisabeth sah nur eine Möglichkeit, die ständigen Verschwörungen und Attentatsversuche auf ihr Leben zu beenden: Maria als Symbol der Aufständischen und Unzufriedenen musste weg. Beweismaterial war zu Genüge vorhanden, der Kronrat wartete schon seit Ewigkeiten auf die Gelegenheit und so kam es erneut zum Prozess, an dessen Ende Maria des Hochverrates für schuldig befunden wurde. Das Urteil lautete auf den Tod.

    Doch Elisabeth ließ sich Zeit mit der Unterzeichnung des Urteils. Nicht etwa, weil sie sich mitschuldig am Schicksal ihrer Cousine und Kollegin fühlte, sondern weil die Hinrichtung einer rechtmäßigen Königin ein ungutes Beispiel setzen könnte. Wahrhaftig versuchte sie den Wächter Marias – Sir Amyas Paulet – mit Andeutungen und Hinweisen dazu zu bekommen, Maria im Schlafe zu ermorden. Das lehnte er ab und so kam es zu Marias letztem großen Auftritt am 18. Februar 1587 im Schloß Fotheringhay.

    Ein schöner Tag zum Sterben?

    Kurz vor 10 Uhr betrat sie den Saal in einem schwarzen Kleid, einen weißen Schleier auf dem Haupte und zwei Rosenkränzen an Kleid und Hand. Bevor sie niederkniete, legte sie das schwarze Überkleid ab und ein rotes Unterkleid kam zum Vorschein – ein dramatischer Effekt, den alle Beobachter notierten. Bei der Wahl des Henkers hatte man keine allzu große Sorgfalt walten lassen: er war unerfahren und nervös und benötigte drei Schläge mit der Axt, bevor seine Arbeit getan war. Als er den Kopf griff, um ihn zum Beweis zu zeigen, habe er nur eine Perücke gefasst, was dazu führte, dass Marias Kopf wegrollte. Des Dramas nicht genug, sei noch ihr kleiner Schoßhund unter ihren Röcken hervorgekrochen. Diese Berichte machten Maria Stuart endgültig zur romantischen Heldin.

    Abguß von Marias Totenmaske

    Ob Elisabeth ihre Feindin vermisst hat? Es war die Frau, die Elisabeth am meisten interessiert hat, an deren Schicksal sie den größten Anteil genommen hat und die ihr vielleicht die beste Vertraute hätte sein können – die einzige Frau, die verstand, welche Aufgabe Elisabeth zu erfüllen hatte und welche Vorurteile widerlegt werden mussten. Hätte ein Treffen etwas an der Geschichte geändert? Hätte Elisabeth für Beistand in Schottland gesorgt, wenn Maria auf den englischen Thron verzichtet hätte? Wäre die ganze Geschichte von vorneherein anders gelaufen, wenn es für die männliche Welt um sie herum NICHT wichtig gewesen wäre, wie schön eine Frau zu sein hat?

    Elisabeth bei Mme. Tussaud

    Was mir bei der Betrachtung historischer Persönlichkeiten bis heute mißfällt, ist der selbstverständliche Sexismus, mit dem diese Betrachtung erfolgt: Schauen wir uns männliche Herrscher an, so ist auch dort die Rede von Charaktereigenschaften, aber sie spielen keine Rolle mehr, sobald es um Politik geht – selbst der absurdeste Thronanspruch wird noch ernst genommen und mit dynastischen oder wirtschaftlichen Gründen erklärt.

    Bei Maria wird das Bestehen auf einem reellen Anspruch hingegen zu weiblicher Torheit, zu falschem Ehrgeiz, zum „selbst schuld an dem, was kommt“. Marias und Elisabeths Zwist hatte politsche Gründe, aber er fand auch Nahrung im persönlichen Erleben der beiden. Das „Größer, länger, reicher-Spiel“ der Männer hingegen wird seltenst mit Eitelkeit, Gier oder Profilsucht erklärt. Jeder in seinem Kern noch so lächerliche Konflikt wird hier rein faktisch dargestellt.

    Ein Sonnenkönig beispielsweise kann seine Mätressen wechseln, wie er will und wird dafür noch gute Gründe untergeschoben bekommen, ja, dadurch erweist er sich erst als Manns genug, um einen Staat zu lenken. Katharina die Große hingegen kann nicht durch ihre Erfolge glänzen, ohne sich einen Hinweis auf ihr Schlampentun ersparen zu können. Während Ludwig der XIV. ein Wunder der Natur ist, regieren, essen, trinken, jagen, bauen und lieben kann und das alles zur gleichen Zeit und durch seine Mätressen beweist, dass er immer alles in der Hand hat, ja, sich nicht einmal vom Weibsvolk das Hirn vernebeln lässt, ist Katharina nahe an der Perversität, ihren Lüsten hilflos ausgeliefert und hat dabei nur das große Glück, immer wieder auf gute Männer zu treffen, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen und ihr das Regieren durch Mithilfe erleichtern. Ja, genau so wird es gewesen sein …

  • Elisabeth oder des Zwistes 2. Teil

    Elisabeth oder des Zwistes 2. Teil

    Ohne lange Vorrede geht es los mit Elisabeth Tudor, Königin von England, nach der als erster ein Zeitalter benannt wurde und die England zur Seemacht führte.

    Elisabeth als Dreizehnjährige

    Elisabeth wurde am 7. September 1533 als Tochter Anne Boleyns und Heinrich VIII. geboren und ihr erster Eindruck von dieser Welt muss wohl Enttäuschung gewesen sein: sie war nicht der erwartete männliche Thronfolger, ihr Vater kein liebender Beschützer und ihre Mutter würde nicht mehr lange für sie da sein – kein schöner Beginn. Und es blieb holprig, schwierig und gefährlich in ihrer Kindheit und Jugend.

    Katharina Parr

    Nach der Hinrichtung ihrer Mutter und der Geburt ihres Halbbruders Edward wurde sie gemeinsam mit ihrer älteren Halbschwester Maria Tudor von der Thronfolge ausgeschlossen und erst durch Betreiben Katharina Parrs, Heinrichs letzter Frau, wieder eingesetzt. Katharina bemühte sich sehr um das ruhige, undurchschaubare Mädchen, das schnell gelernt hatte, seine Gefühle und Gedanken zu verbergen – Elisabeth erkannte früh, dass ein unvorsichtiges Wort am falschen Platze den Kopf kosten konnte. Diese Fähigkeit, sich zu verstellen, Dinge unausgesprochen zu lassen und sie dennoch durchzusetzen, sollte charakteristisch für sie werden.
    Und für diejenigen, die einer Frau den Thron nicht zutrauten, ein Beweis von Zaudern, Zagen und Ziellosigkeit des weiblichen Geschlechtes sein. Nun, 1547 starb ihr Vater und ihr neunjähriger Bruder bestieg den Thron. Er und Elisabeth hatten als Erste der Königsfamilie eine protestantische Erziehung erhalten, während ihre Schwester Maria eine sehr strenggläubige Katholikin war, die sich nach der Restauration des Glaubens sehnte – das wird für Elisabeth zur Feuerprobe werden.

    Thomas Seymour

    Zunächst einmal aber lebt sie am Hofe ihrer Stiefmutter Katharina, die sich nun endlich mit Thomas Seymour verheiraten kann – wir erinnern uns, sie gab ihn auf, als Heinrich ihr erklärte, sie habe seine Frau zu werden. Ob Thomas all ihr Sehnen und Schmachten wert war? Attraktiv soll er gewesen sein, an der Macht interessiert und offenbar an jungen Mädchen.
    Katharina war schwanger und Thomas hielt es für eine gute Idee, sich dem Schützling seiner Frau zuzuwenden – ganz harmlos natürlich. Was konnte schon dabei sein, in das Schlafzimmer der noch schlafenden Vierzehnjährigen zu gehen, um sie dort durchzukitzeln oder auf den Po zu klopfen? Sie war doch nur ein Kind und er übte gewiß nur für seine Vaterrolle. Seine Frau sah das nicht so und auch Elisabeths Gouvernante war empört.
    Wie Elisabeth das erlebte – wie immer: wir wissen es nicht. Meist wird es so ausgelegt, dass sie nicht abgeneigt gewesen sei, sich neugierig habe küssen lassen. In diesen Zeiten war sie nahezu heiratsfähig und sowieso genieße doch jedes Mädchen männliche Aufmerksamkeiten, aber wieder einmal habe ich Schwierigkeiten, mir das vorzustellen: während deine geliebte Stiefmutter durch Schwangerschaft an ihren Raum gefesselt ist, tritt ihr Mann dir immer wieder nahe, erscheint im Nachthemd – für diese Jahre mehr oder weniger nackt – an deinem Bett und schmeichelt dir in einem fort …
    Ich finde es verblüffend, dass man aus ihrem eher stillhaltenden Verhalten, ihrem Erröten nichts anderes als Einverständnis hat ablesen können, obwohl sonst immer von ihrer Doppelzüngigkeit, ihrem geschmeidigen Oppurtunismus die Rede war. Aber wie bei Maria Stuart: kommt erst einmal ein richtiger Mann daher, dann kann das Weib ja gar nicht anders, als sich wohlig seufzend zu ergeben.

    König Edward

    Wie es auch gewesen sein mag: Katharina starb im Kindbett und Thomas zögerte nicht lange, Elisabeth seine Hand anzubieten. Dass Elisabeth nicht gleich ablehnte, dass über Notare die Vermögensaufstellungen beider abgegelichen wurden, das schien Beweis dafür zu sein, dass Thomas Seymour ihre erste Liebe gewesen sei. Doch Eheschließungen des Adels mussten vom Kronrat abgesegnet werden. Dem der Lordprotektor vorstand. Der, die Welt ist so klein, sein Bruder war. Thomas gönnte ihm die bevorzugte Stelle als Lieblingsonkel des Königs nicht.
    Die Seymours hatten ja schon tüchtig nachgeholfen, Anne Boleyn für ihre Schwester Jane aus dem Weg zu räumen, nun gingen sie sich gegenseitig an den Kragen, was mit der Hinrichtung Thomas endete. Sich einfach eine Prinzessin unter den Nagel reißen zu wollen – das hätte er mal besser bleiben lassen. Sein Ende nahm Elisabeth recht gelassen hin, viel übler war für sie, dass sie nun verdächtigt wurde, keine Jungfrau mehr – also für den königlichen Heiratsmarkt wertlos – zu sein. Schlimmer noch: sie wurde verdächtigt, den Thron durch Mord an ihrem Bruder erhalten zu wollen.

    Doch Elisabeth war eine bemerkenswerte junge Frau: galt schon ihre Mutter als gebildet, sie war es noch mehr. Sie sprach sechs Sprachen fließend, las und übersetzte philosophische und religiöse Abhandlungen, musizierte, tanzte, ritt, war rhethorisch nahezu unschlagbar und in der Lage, sich immer den gewünschten Anschein zu geben, musste also eine große Kontrolle über sich haben. Dank all dieser Gaben konnte sie sich von jedem Verdacht befreien, doch immer wieder würde man diese alten Kamellen hervorholen, wenn es darum ging, ihr schaden zu wollen.
    Ihr Talent als Studentin führt übrigens zum ersten Mal dazu, dass sie als unweiblich wahrgenommen wird: ihre Hauslehrer, allesamt Meister ihres Fachs, loben sie in ihren Briefen einhellig, ihren scharfen Verstand, ihre schnelle Auffassungsgabe, ihren Geist, ihre Ausdauer – das alles sei über jedes Maß vorhanden. In diesen Dingen sei sie nicht das schwache Weib, sondern besitze geradezu männliche Gaben.
    Eine denkende Frau beweist also nicht, dass Frauen denken können, sondern nur, dass eine von ihnen männliche Eigenschaften habe. Elisabeths spätere Inszenierungen ihrer selbst werden immer zwischen diesen beiden Polen wandern: weibliche Körperlichkeit, männlicher Geist.

    Maria Tudor

    Im Juli 1553 starb Edward und benannte Jane Grey, eine Kusine Marias und Elisabeths zur Nachfolgerin und hier wird es – typisch für die englische Thronfolgerei – kompliziert: alle sind irgendwie untereinander verwandt, alle haben irgendwie Anspruch auf den Thron. Da wären nun also vier Frauen, die Königin werden könnten: Maria Tudor, Elisabeth Tudor, Maria Stuart und Jane Grey. Wer sich interessiert, kann nun für Wochen in dieses Durcheinander eintauchen und vergleichen, wer weshalb wieviel Anrecht hat und wer nicht. Wie auch immer: die beiden Tudor-Schwestern sind zwar Thronfolgerinnen, aber dennoch hatte ihr gütiger und weiser Vater es verabsäumt, sie auch wieder zu legitimieren, also als seine rechtmäßigen Töchter anzuerkennen. Edward war da, Edward sollte König werden, damit war für Heinrich alles geregelt.

    Die junge Jane Grey bestieg als Protestantin den Thron und machte sich noch in der gleichen Sekunde beim Volk durch hartes Durchgreifen unbeliebt. Maria hingegen war bekannt und beliebt – schlicht deshalb, weil sie für den Großteil der einfachen Menschen die einzige echte Königstocher der einzigen echten Königsgemahlin war. Maria proklamierte sich selbst zur Herrscherin und nach kurzem Hin und Her und einigen Metzeleien zog sie gemeinsam mit Elisabeth in London ein; Jane Grey landet im Tower, wo sie ihr Ende unter dem Schwert finden wird – ein Ergebnis, das Maria Tudor nicht wollte. Auch hier können wir uns fragen, wie das auf Elisabeth wohl wirkte: immerhin hatte sie mit Jane gemeinsam bei Katharina Parr gelebt; Thomas Seymour soll übrigens auch Jane nachgestellt haben.

    Maria Tudor also saß nun auf dem Thron und versuchte, die Zeit zurück zu drehen: sie heiratete den spanischen König Philipp, der immer wieder einmal zu Besuch kam, und wollte England in den Schoß der Mutter Kirche Roms zurück führen. Damit war es aus mit der Beliebtheit beim Volk, das auf einmal wieder auf Latein beten sollte. Mißtrauisch verfolgte sie jeden und bald war ihr auch Elisabeth verdächtig. So wie Jane Grey sterben musste, weil sie als Ikone der protestantischen Bewegung galt, so war auch Elisabeth deren Idol – in den Augen der Protestanten war Elisabeth die eigentliche Königin. Immer wieder verlangte Maria nach ihr, befragte sie scharf, verlor dabei auch die Contenance, schwankte zwischen verwandtschaftlicher Loyalität und Hass, der sich aus vielem heraus entzündete: Elisabeth als Tochter Anne Boleyns – hassenswert. Elisabeth als die Jüngere, die Kinder würde bekommen können – hassenswert. Elisabeth als die rein Englische – hassenswert.
    Noch vor Marias Heirat wurde eine Verschwörung aufgedeckt, die Elisabeth auf den Thron hätte hieven sollen; Elisabeth wurde in den Tower verbracht. Wie sie das empfand, welche Ängste sie gehabt mag – man weiß es nicht. Immer wieder wird behauptet, sie habe ihren Vater bewundert, verehrt, geliebt. Ich kann das kaum glauben: einen Mann, der sich kaum um sie kümmerte, der ihre Mutter töten ließ und nur an sich dachte? Es wird eher ein öffentliches Bekenntnis gewesen sein, um ihren Thronanspruch zu untermauern: „Sehet her, ich bin die Tochter dieses wahren Königs!“
    Aber im Tower festgehalten wird sie wohl oft an ihre Mutter und deren Ende gedacht haben; sie besaß einen Ring Annes mit deren Portrait, den sie zeitlebens trug und sorgte später immer für ihre Verwandten mütterlicherseits. Hier zeigt sich wieder einmal ihre Fähigkeit, nach außen anders zu erscheinen als es nach innen zu sein.
    Ihre Beteiligung konnte nicht nachgewiesen werden und Elisabeth wurde aus dem Tower entlassen; von Maria weiterhin mißtrauisch beäugt. Elisabeth hielt still und sich aus allem heraus, erschien nach außen gar katholisch. Bis Ende 1558 musste sie dieses Schauspiel durchhalten, dann starb Maria, geschwächt von vielen Scheinschwangerschaften an Unterleibskrebs, weder von Volk noch Ehemann sonderlich betrauert.

    Elisabeth war nun die Herrscherin eines Landes, das von Religionszwisten zerrissen, mit Frankreich im Krieg und wirtschaftlich am Boden war; all diese Schwierigkeiten löste sie in Rekordzeit, sozusagen als erste Amtshandlung. Wie Maria Stuart auch, war sie keine Fanatikerin in religiösen Fragen, aber deutlich weniger tolerant: sie erhob die anglikanische Kirche erneut zur Staatskirche, schon alleine deshalb, um nochmals ihre Legitimität als Tochter des ersten protestantischen Herrschers und seiner ersten protestantischen Frau zu unterstreichen. Auch ihre „Reinrassigkeit“ ohne jeden Tropfen ausländischen Blutes ließ sie gerne besingen. Überhaupt war sie Werbemaßnahmen gegenüber nicht abgeneigt: sie erschien nach all den wechselnden Königen und Königinnen als rettender Engel, ihr eher unscheinbares und blasses Äußeres erhob sie als Licht aus der dunklen Masse heraus.

    Elisabeth im Krönungsornat 1559

    Dem Land ging es schnell besser, Elisabeth machte ihre Sache perfekt, das konnte doch nicht so weitergehen. Immerhin war sie eine Frau, da musste man ja jeden Augenblick mit einer Katastrophe rechnen. Und einen Thronfolger brauchte man ebenfalls. Also stand ganz schnell, im Grunde in der Sekunde ihrer Krönung, die wichtigste Frage zur Debatte: Wen solle sie heiraten?
    Für Elisabeth war sicher schon lange vor ihrer Thronbesteigung klar, dass sie und sie alleine die Macht in Händen halten wolle und wenn man heute Scheidungskindern zubilligt, Beziehungen gegenüber skeptisch zu sein, um wieviel skeptischer dürfte Elisabeth wohl sein? Eine Ehe war sicherlich nicht ihr größter Lebenstraum.

    Robert Dudley, Earl of Leicester

    Auf der anderen Seite aber war da Robert Dudley, ihr geliebter Robin, den sie seit Kindertagen kannte, der ständig in ihrer Nähe war. Wäre er nicht schon verheiratet gewesen … wer weiß?
    Doch der Kronrat bevorzugte eh einen ausländischen Kandidaten, um Bündnisse (die selten die Flitterwochen überstanden) zu schließen. Und wie in Schottland hätte kein Lord dem anderen die Königin gegönnt. Elisabeth hörte sich jeden Vorschlag geduldig an, schien auf jeden einzugehen, spielte mit – und entschied sich für keinen. Sie tändelte hier, spielte dort, schickte Bildchen an diesen und Briefe an jenen, ließ Bewerber kommen, tanzte, plauderte und flirtete, machte Prinzen und Kronrat Hoffnungen und bedauerte dann zutiefst.
    Es war wie im Märchen vom König Drosselbart: dieser zu katholisch, jener zu unbedeutend, dieser zu jung, jener zu alt; dieser will England erobern, jener England ausbluten und überhaupt habe sie gerade keine Zeit, – sie habe wichtigeres zu erledigen.
    Der Kronrat verzweifelte, man machte ihr Vorhaltungen, denen Elisabeth oberflächlich zustimmte: Ja, sie sei ein schwaches Weib, ja, sie sehne sich nach Mutterschaft, jajajaja. ABER! Dieses Theater spielt sie sieben Jahre lang mit, dann verbietet sie ihrem Kronrat jede weitere Einmischung. Doch als sie schon weit über das Kinderkriegenkönnen hinaus war und niemand mehr eine Heirat von ihr verlangte, brachte sie selbst immer wieder einmal einen Kandidaten ins Spiel.

    Königin Elisabeth mit etwa 50 Jahren

    Wie keine andere, wie kein anderer, verstand Elisabeth es, sich gut zu verkaufen: keine gute Tat, keine Tat überhaupt blieb unbenannt und in Schriften, Flugblättern und Pamphleten weiter getragen. Bald schon sprach sie von sich als der königlichen Jungfrau, die nur mit England und England allein verheiratet sei, der ihr Volk die Kinder seien und die nichts anderes im Sinne habe, als sich mit Leib und Leben, mit Geist und Verstand für diese Kinder, diesen Boden einzusetzen.

    Im Laufe der Jahre ließ sich die Jungfrau – hold und rein und jung – schlechter darstellen: Elisabeth wandelte sich in ihrer Darstellung zur Feenkönigin, die weise, edel und gut, als ein fast schon überirdisches Wesen über ihr Reich wachte. Immer wieder im Sommer reiste sie mitsamt ihrem Hofstaat durch das Land, um sich dem Volk verständnisvoll und mütterlich zu zeigen und dabei so manch einen Edelmann zu ruinieren, indem sie bei ihm übernachtete. Unkompliziert sei sie und er solle sich nicht anstrengen, ihr etwas Besonderes zu kredenzen, so ließ sie gerne wissen. Ihre Untergebenen deuteten ihre Anspruchlosigkeit richtig: mit simplen Genüssen und schlichter Wohnstatt wäre sie schnell unzufrieden gewesen. Diese Reisekönigin zieht noch heute als Queen Bess durch viele Anekdoten und es wimmelt von englischen Landsitzen, die mit einem Schlafzimmer aufwarten können, in denen Elisabeth nächtigte – bringt sicher ein gutes Pfund mehr im Eintrittskartenverkauf ein.

    Elisabeth schaffte vieles, war politisch meist weitsichtig, ging aus vielen Auseinandersetzungen als Siegerin hervor und begann sicher wie andere Herrscher auch mit den besten Vorsätzen, ja, sie begann sogar mit besseren persönlichen Vorraussetzungen als die meisten. Doch im Laufe der Jahre gab es immer wieder Unruhen und Elisabeth erwies sich als echte Tudor: immer strenger wurden die Gesetze, immer schärfer die Verbote, immer drakonischer die Strafen und bald reichte es nicht mehr aus, nur nette Schriften und feengleiche Abbildnisse in Umlauf zu bringen – Streitschriften und hämische Pamphlete mussten eingesammelt und vernichtet werden, Schreiber, Verleger und Drucker zum Schweigen gebracht werden. Was noch weniger Freunde macht, noch mehr Druck erzeugt. Und da kommt Maria Stuart wieder ins Spiel, aber davon, liebe Kinder, berichte ich euch beim nächsten Mal (wer erinnert sich an diese Sendung?)

    Unbestritten ist, sie hat ein mächtiges Reich, eine Seemacht und damit die Vorrausetzungen für das Britische Imperium geschaffen. Sie musste dabei gegen Vorbehalte ankämpfen, denen sich kein König je stellen musste: sie hatte das falsche Geschlecht, war damit eine Gottesstrafe für Thron und Land, und alles, was sie tat, wurde danach beurteilt, dass sie eigentlich gar nicht könne, was sie tat.
    Und wenn man schon nicht abstreiten kann, dass diese Herrscherin großes für ihr Land leistete, dann kann man doch immerhin bestreiten, sie sei wirklich eine Frau gewesen. Es gibt wahrhaftig Thesen, die sie zu einem Hermaphroditen (das wäre ja auch zu schrecklich!) oder gleich zu einem Mann machen. Elisabeth sei als Kind schon gestorben und man habe dem liebenden Vater einen rothaarigen Jungen untergeschoben, da dieses Kind ihr von allen verfügbaren am ähnlichsten gewesen sei; ansonsten habe man den Zorn des Fürsten fürchten müssen. Man müsse sich ja nur ihre Portraits anschauen: diese Nase, diese langen Händen, der Körperbau, der 90-60-90 so ganz vermissen lasse, ihr deckendes Bleiweiß-Make up, die Perücken, die pompös überladenen Kleider. Wie immer kommt man zum Schluß, dass, wenn eine Frau etwas schafft, mit ihr etwas nicht stimmen könne. Schafft sie es nicht, so stimmt das Bild wieder, das da sagt, dass Frauen eben nichts schaffen können.

    Wie Elisabeth selbst sich wahrnahm? Sie war eine sehr eifersüchtig, wie auch ihr Vater es schon war. Durchaus von sich überzeugt, aber typisch weiblich an ihrem Äußeren zweifelnd und daher sehr begierig, sich immer gelobt und bewundert, geliebt und angebetet zu sehen. In ihren späten Lebensjahren wird diese Koketterie, dieses Gieren nach Komplimenten für Spott und Häme sorgen. Hinter ihrem Rücken natürlich, nach vorne hin wurde sie mit dem Gewünschten bis zur Lächerlichkeit hin bedient; kaum ein Lob war ihr ausgefallen oder übertrieben genug.

    Elisabeth mit etwa 60 Jahren

    Ihr geliebter Robin starb 1588; ein zweiter Robert tauchte auf, der der alternden König den Hof machte und sie dann hinterging, einen Aufstand anzettelte und das mit seinem Leben bezahlte. Hat sie sich nach einer Beziehung gesehnt, hat sie eine oder mehrere unterhalten?
    Von Gegnern wurde ihr das vorgeworfen, verlogen und triebgesteuert wie ihr Vater, unehrlich und ehrgeizig wie ihre Mutter sei sie. Eitel, egoistisch, eigensinnig. Kritisch, kokett, klatschsüchtig. Aber vermutlich auch oft sehr einsam, traurig und von der alleinigen Verantwortung für einen Staat, der zwischen so vielen Ansprüchen zerissen war. In den letzten Jahren ihrer Regierung sehnte sich das Land nach einem frischen Wind.
    Im Alter von 69 Jahren starb Elisabeth I. am 24. März 1603 nach 45 Jahren Regierungszeit; die Legendenbildung um sie als der jungfräulichen Feenkönigin hatte schon lange vor ihrem Tode eingesetzt und hält bis heute an.

  • Maria Stuart oder des Zwistes 1. Teil

    Maria Stuart oder des Zwistes 1. Teil

    Ich möchte mit zwei Feststellungen und einer Aussage  beginnen, dir mir wichtig ist: Ich bin keine Historikerin, bin nicht der Objektivität und der Überprüfung aller Quellen verpflichtet; es ist einfach ein Essay, zu dem mich diese Damen angeregt haben.

    Gut, das habe ich erledigt, um was geht es (mir)? Es geht um zwei Königinnen, es geht um Schönheit, um Weiblichkeit, um Machtstreben, Kontrolle, Gefühl und um die Wahrnehmung dieser beiden Frauen. Und es geht um den Streit, den viele zum Mittelpunkt ihrer Betrachtung und Bewertung machen. Aber so versucht ich bin, jetzt schon genau zu erklären, was ich meine: das muss bis zum dritten Teil warten. Erst einmal sollten wir beide Frauen kennen lernen.

    Zu Elisabeth I. von England werden wohl die meisten etwas zu sagen wissen, bei Maria Stuart, Königin von Schottland, sieht es schon anders aus; selbst die (deutschen) google-Seiten listen mehr Schiller als Maria auf. Schiller hatte sich übrigens vor dem Schreiben seines Stückes intensiv vor allem mit Maria beschäftigt und eine Vorliebe für die romantische Verliererin spricht aus seinen Zeilen. Allerdings hat er aus dramaturgischen Gründen (und vielleicht aus männlicher Überheblichkeit heraus?) die Wahrheit beiseite geschoben und genau jenen Zwist zum Kern seines Stückes gemacht und im Grunde genau das heraus gefiltert, was beiden Frauen bis heute unterstellt wird. Aber dazu mehr im dritten Teil.

    Chronologisch müsste ich mit Elisabeth als der Älteren beginnen, aber da ich meine Schönheitsreihe assoziativ zusammen gestellt habe, lasse ich Maria den Vortritt. Denn von Anne Boleyn zu Maria Stuart lässt sich der Bogen leichter schlagen als zu ihrer Tochter.

    Maria Stuart im Alter von ~ 11-13 Jahren

    Maria wurde am 8. Dezember 1542 in Schottland als Tochter von König Jakob IV. von Schottland und seiner zweiten Frau Marie de Guise geboren; nur wenige Tage darauf verstarb ihr Vater und Mary Stewart wurde zur Königin gekrönt. Doch Schottland war ein raues Land mit rauen Sitten und der Thron umkämpft. So ließ Marie de Guise die Tochter in ihr Heimatland Frankreich verbringen – in Sicherheit und als zukünftige Braut des französischen Dauphins, mit dem zusammen sie erzogen wurde; aus Mary Stewart wurde Maria Stuart.
    Wie auch Anne Boleyn genoß sie eine hervorragende Ausbildung, sprach mehrere Sprachen fließend, dichtete, musizierte, stickte, war eine gute Reiterin und Falknerin und wuchs recht glücklich heran, während es in Schottland drunter und drüber ging. Ihr Schwiegervater sagte von der Elfjährigen, sie sei gebildet und belesen wie eine 25jährige, er schätzte ihre Konversation sehr. Zeitgenossen beschrieben sie als lebhaft, freundlich, intelligent, temperamentvoll und hübsch mit dunklen Augen, roten Locken und zarter Haut.

    Maria mit ihrem Mann Dauphin François

    Im Alter von fünfzehn Jahren wurde sie mit Dauphin Franz vermählt; beide waren sich von Kindheit an sehr zugetan. Ein Jahr später starb der König und Franz und Maria bestiegen den Thron. Franz war von kränklicher Natur und überließ seiner Gattin weitestgehend die Regierung. Ein weiteres Jahr danach schon starb der junge König und ließ eine untröstliche Witwe zurück, der schnell klar wurde: sie hatte nicht nur einen geliebten Ehemann verloren, sondern auch Frankreich, das Land, das ihr Heimat war und blieb. Ihre Schwiegermutter, Katharina de Medici, war ihr nicht wohlgesonnen; ein Gefühl, das wohl auf Gegenseitigkeit beruhte. Ein gutes halbes Jahr nach dem Tode ihres Mannes verließ die Neunzehnjährige Frankreich, um nach Schottland zurück zu kehren.

    Maria als neunzehnjährige Witwe

    Und jetzt stellen wir uns das vor: eine sehr junge Frau, hübsch, gebildet, selbstbewußt, katholisch, kehrt nach Jahren in ein Land zurück, das von sich bekriegenden, größtenteils protestantischen Lords zerrissen wird. Empfangen von einem nicht thronberechtigten und neidischen Halbbruder einerseits und einem fanatischen Religionsführer namens John Knox andererseits. Von den Renaissancepalästen Frankreichs in die kalten Burgen Schottlands.
    Mehrere Male muss sie sich mit John Knox auseinander setzen, der gegen sie als „Buhlerin Roms“ hetzt. Und sie verweigert den Dialog nicht, gibt gelassen Antwort, ist rhethorisch geschickt und sichert aus fester eigener Überzeugung zu, dem Volk keine Religion aufzuzwingen, erbittet sich dabei selbiges Recht für ihre Person aus. Sie möchte keine Blutige Maria werden, wie es Königin Maria Tudor für England war, als sie mit allen Mitteln versuchte, den Katholizismus wieder zu etablieren. Obwohl selbst eine gläubige Katholikin ist sie für Toleranz in dieser für Europa so explosiven Frage. Doch das Mißtrauen ihr gegenüber bleibt: eine junge Frau mit einer Wirkung auf Männer, mit ihren französischen Sitten und der unverständlichen Liebe zu Musik, Tanz und Literatur, ist nicht das, was die Lords sich wünschen: wenn sie schon bleiben muss, dann soll sie heiraten.

    Hier haben wir also zum ersten Mal in meiner kleinen Serie eine Frau, wie sie doch eigentlich sein sollte:
    Schlank, groß, schön, feminin, dem Guten und Schönen zugewandt, freundlich, entgegenkommend, von Kopf bis Fuß königlich und bestrebt, ihr Land mit Milde und Güte in eine neue Zeit zu führen, dabei aber doch fest an ihr Königsrecht denkend – nun müssten doch wirklich alle glücklich sein? In der Tat bestreiten weder Freund noch Feind ihre schöne Erscheinung, nein, es wird immer wieder betont, keines ihrer Bilder sei ihr jemals gerecht geworden. Man ist hingerissen von ihrer Anmut, ihrer Konversation, ihrem Auftreten. Aber kaum hat eine Frau alles, was sie haben soll, was an anderen als fehlend bemängelt wird, so gerät sie in die nächste Falle: Hexe, Hure oder Heilige. Und hier wird Maria scheitern.

    Während Wallis Simpson und Anne Boleyn von Um- und Nachwelt als hurende Hexen und hexende Huren gebrandmarkt wurden, wird Maria Stuart zwischen den Polen Heilige und Hure treiben und vielen, wenn nicht den meisten Biographien ist zu eigen, dass sie entweder als das Eine oder das Andere vom Schreiber gesehen wird: die aufrechte Katholikin, die sich in einer Männerwelt zum Scheitern verurteilt sieht aka die Heilige oder die dekadente Herrscherin mit Männerverschleiß und beschränktem Horizont genannt die Hure.

    Gut, Maria soll heiraten und im Gegensatz zu ihrer Cousine Elisabeth ist sie dazu bereit, steht aber vor den gleichen Schwierigkeiten: welchen Lord sie auch nähme, die anderen sähen darin einen Affront und ein Bürgerkrieg bräche los. Diverse Könige und Prinzen stünden bereit, nähmen aber zu viel Einfluß auf das kleine Land und würden neue Abhängigkeiten schaffen. Sie entscheidet sich für ihren Cousin Henry Stuart, Lord Darnley. Und ich kann nur sagen: wir haben wohl alle einmal in jungen Jahren einen Typen ganz, ganz toll gefunden, der es nicht wert war; bei dem wir uns noch heute fragen, wie das nur passieren konnte – wir mussten den aber nicht gleich heiraten …

    Maria mit ihrem zweiten Mann Lord Darnley

    Darnley war im gleichen Alter und sein größter Vorzug war offenbar seine Größe: endlich einmal ein Mann, der nicht von Maria überragt wurde. Er schien ihr zugetan und an den schönen Künsten interessiert, gehörte keiner Fraktion an und war ein Verwandter. Doch schon bald nach der Hochzeit dürfte Maria mit Entsetzen festgestellt haben, dass ihr Gatte nicht nur oberflächlich, sondern auch kindisch, egoistisch und eifersüchtig war, dazu trank er mehr, als ihm gut tat und benahm sich insgesamt so, dass man an seinem Verstand und seiner Einsicht zweifeln musste. Sein ständiges wehleidiges Gejammere, er wolle mehr Anteil an den Staatsgeschäften, half ihm in ihren Augen nicht: sie wandte sich innerlich von ihm ab.

    Darnley war leicht zu beeinflußen und das nutzten die Lords: sie redeten ihm ein, so dürfe ein niederes Weib ihren Mann nicht behandeln und stachelten ihn auf, darauf vertrauend, ihn als König leichter lenken zu können als Maria. Maria hatte sich einen kleinen Hofstaat geschaffen bestehend aus Menschen, denen sie vertraute und die die gleichen Werte und Vorlieben hatten wie sie; viele sollten bis zu ihrem Ende treu zu ihr stehen. Unter anderem hatte sie einen italienischen Sekretär namens David Rizzio, der des öfteren mit ihr musizierte.
    Der italienische Mann an sich wird ja von Geschlechtsgenossen anderer Herkunft ganz gerne einmal mißtrauisch beäugt; Darnley machte da keine Ausnahme. Ob Maria eine Beziehung zu ihm unterhielt oder nicht – man weiß es nicht; ähnliches wird man sich zwei Jahrhunderte später bei Marie Antoinette und Axel von Fersen fragen. Da Königinnen selten unbeobachtet sind, spricht einiges dagegen, allerdings lässt sich für willige und clevere Liebende ja immer eine Möglichkeit finden. Doch wo selbst ein Heinrich VIII ungeniert und offen eine Hofdame nach der anderen auf sein königliches Lager ziehen durfte und ihn das zu noch mehr Mann machte, galt das für eine Königin aus eigenem Recht nicht (für royal consorts, wie Anne bewies, natürlich noch viel weniger – das war Hochverrat. Hat natürlich überhaupt rein gar nichts mit zweierlei Maß oder so zu tun …). Allein der Verdacht, Maria könne in einem anderen Mann mehr sehen als in ihrem eigenen, reichte schon aus, um sie zur männermordenden Verführerin zu stempeln.

    David Rizzio, Dichter, Musiker, Sekretär

    Das mit dem männermordend ist so eine Sache: Darnley, dumm, eifersüchtig und ehrgeizig, stürmte eines Abends in Begleitung einiger seiner Trinkkumpane bzw. einigen Schottlands Wohl im Auge habenden Lords das Gemach seiner hochschwangeren Frau, die mit Rizzio UND einigen Freunden in ihrem Gemach musizierte und erzählte.
    Rizzio wurde gegriffen und vor den Augen Marias erstochen; in ihrem Blutrausch wandten sich einige der Verschwörer auch gegen Maria selbst. Das war Darnley zu heftig, er stellte sich rettend vor sie. Man vermutet, er wollte sein ungeborenes Kind und damit sein Anrecht auf den Thron schützen. Maria wurde unter Hausarrest gestellt, doch – böse Verführerin, die sie war – gelang es ihr, den Gatten zu erweichen: ihr Gefährte solle er sein, König aus eigenem Recht werden, alles versprach sie ihm und er glaubte es gerne und so entflohen sie gemeinsam.

    Die schottischen Lords – manchmal möchte man meinen, es ging ihnen nur um Zank und Streit und Intrige an sich: Darnley hatten bei ihnen verspielt und zählte nichts mehr. Untereinander waren sie sich eh nicht grün. Und so boten sich nun einige von ihnen der Königin an, die ihren Abscheu vor Darnley gar nicht mehr verbergen konnte und mochte – was diesen sehr erschütterte; er hatte sich nicht vorstellen können, dass so eine Kleinigkeit wie die blutige Ermordung eines Freundes solch eine Wirkung auf seine Frau haben konnte. Dass Frauen sich auch immer so haben müssen …

    Ob Maria von den Lords eingeweiht wurde, ob sie maßgeblich beteiligt war oder von nichts etwas ahnte – nix genaues weiß man nicht und je nachdem, als was man Maria Stuart sehen will, möchte man auch nichts wissen. Für die einen hat sie es geplant und gefordert, für die anderen war sie unschuldig wie ein Lämmchen. Wie so oft wird die Wahrheit in der Mitte liegen: sie mag es geahnt haben, sie mag es nicht verhindert haben, aber willentlich das Folgende herbeigeführt haben wird sie eher nicht.
    Die Entfremdung zwischen Maria und Darnley war offensichtlich, ihr Abscheu groß, seine Verzweiflung um seiner selbst willen und an der bösen Welt, die ihm so garstig gegenüber stand, riesig. So verließ er das böse Edinburgh und kehrte nach Glasgow zu seinem Vater zurück. Wo er erkrankte. Entweder an den Pocken oder (gemein: was besser zu ihm passen würde) an Syphillis. Weshalb Maria ihn bat, zurück zu kehren – erneut ein großes Fragezeichen. Doch sie tat es, er kehrte zurück, jedoch nicht ins Schloß, sondern in ein Haus außerhalb der Stadt, wo er genesen sollte. Und dieses Haus flog in die Luft und mit ihm Darnley. Oder so ähnlich, denn er wurde im Garten gefunden, kaum bekleidet und unverletzt. Doch tot. Vermutlich erdrosselt. Hmmm …

    James Hepburn, Earl of Bothwell

    Unter den Verschwörern befand sich James Hepburn, Earl Bothwell, der sich mehr als nur ein wenig für Maria interessierte. Es gab einen Prozess um die Ermordung Darnleys, Bothwell stand vor Gericht und wurde freigesprochen. Und drei Monate später war er Marias dritter Mann. Der Weg dahin wird ganz unterschiedlich geschildert:
    Maria und er seien schon ein Liebespaar gewesen, als Darnley noch lebte und hätten gemeinsam seinen Tod beschlossen; sie habe dafür gesorgt, dass er freigesprochen werden würde. Danach hätten sie die Entführung und das gewaltsame Festhalten Marias inszeniert, um die Königin als Opfer und nicht als Täterin erscheinen zu lassen.
    Oder aber Bothwell habe um jedem Preis sowohl König als auch Liebhaber Marias werden wollen, habe ohne ihr Wissen den kranken Gatten entsorgt, brachte hernach die Königin in seine Gewalt, zwang sie über drei Tage und Nächte in sein Bett und gab ihr ihre Freiheit nur für das Versprechen, ihn zu heiraten.

    Wir sehen, wieder einmal dürfen wir uns nur zwischen Heilige und Hure entscheiden.

    Maria Stuart hatte eine enorme Anziehungskraft auf Männer, was in allen Beschreibungen durchschimmert und was sie verdächtig macht: ist eine Frau nicht schön, so ist es ihr Fehler. Ist sie es: umso schlimmer. Sie war gerade einmal 25 und hatte schon zwei Thronbesteigungen, zwei Ehen und zwei Morde erlebt. Von solch einer Frau zu erwarten, dass sie ruhig und gefasst und moralisch unberührt bleibt, ist schon stark. Bothwell wird oft  als eher grob, übermännlich und überwältigend beschrieben – zumindest dann, wenn der Fokus des Berichtes auf Maria liegt. Denn wenn sie solch einen Mann ehelicht, kann doch was mit ihr nicht stimmen. Geht es aber um Bothwell selbst, dann ist das Bild ein anderes:

    Acht Jahre älter als Maria war er maßgeblich an ihrer Rückkehr nach Schottland beteiligt. Obwohl Protestant hielt er dem Thron die Treue, schlug den Aufstand ihres Halbbruders nieder und gehörte zu denjenigen, die Mäßigung und Toleranz im Lande wollten. Auch die Ermordung Darnleys erscheint anders, wenn Maria nur Nebenfigur in der Biographie eines Mannes ist; dann auf einmal kommt der Verdacht auf, Darnley sei von Mitgliedern seiner eigenen Familie getötet worden, um die Königin zu diffamieren und ihrem Halbbruder doch noch den Weg zur Macht zu ebnen. Dieser Unterschied in der Darstellung gleicher Ereignisse, wenn es sich um weibliche oder männliche Protagonisten handelt, ist frappant – das zeigt sich später auch in dem Konflikt zwischen Elisabeth und Maria sehr schön.

    Bothwell scheint also vielen im Wege zu stehen und viele Strippen scheinen gezogen zu werden, um ihn zu beseitigen – dieses Mal durch Rufschädigung. Maria ist also zu Besuch auf seinem Schloß, er bittet sie um ihre Hand und sie stimmt zu, nachdem sie einige Zeit zuvor einmal abgelehnt hatte. Beim ersten Antrag war er fern, beim zweiten nah. Da liegt für manche Historiker der Verdacht nahe, dass seine umwerfende und virile Männlichkeit wohl den Ausschlag gab und da schwingt für mich mit, dass viele den Wunsch hatten, ihr Lieblingsklischee erfüllt zu sehen: eine Frau, die nein sagt, meint ja und nachdem der Mann sich sein von der Natur gegebenes Recht genommen hat, ist sie glücklich und ganz sein … um es konkret zu sagen: gerade in älteren Biographien findet sich die Darstellung einer Frau, die entführt und von einem Grobian vergewaltigt nichts besseres zu tun hat, als ihn zu ehelichen, wenn auch erzwungenermaßen. Und da mischen sich Hure und Heilige aufs Schönste.
    Die Vorstellung, auch Maria Stuart könne politisch gehandelt haben, könne versucht haben, einen (vordergründig) zwischen Katholizismus und Protestantismus zerriebenen Staat stabil zu halten, in dem sie einen Protestanten aus eigenen Landen zum Mann nahm – nein, diese Idee ist lachhaft, denn Maria war ja der Inbegriff des Weiblichen, so weit hätte sie nicht denken können.
    Ob sie es tat, was wirklich geschah – wieder einmal: man weiß es nicht. Doch Maria – wir wiederholen es noch einmal – war klug, gebildet, tolerant, machtbewusst, lebenserfahren, war Ehefrau, Mutter, Königin. Das häufig gezeichnete Bild einer törichten Frau, die Männer ins Verderben riss und von diesen in selbiges gestürzt wurde, weil sie zu schwach war zu widerstehen: das kann ich einfach nicht in ihr sehen. Wie immer überlege ich, wie ich mich gefühlt hätte in der einen oder anderen Situation, versuche mir vorzustellen, diese oder jene Eigenschaft zu besitzen oder denke an Frauen, die ich kannte und an deren Handlungsweise.

    Maria Stuart, Königin von Schottland

    Wie nun auch immer, Bothwells Heirat war ein Fehler, nun wurde er als Königsmörder, Vergewaltiger, Thronräuber und Landesverräter hingestellt – hinter dieser Aktion steckte wieder eimal der Halbbruder Marias, den ich bislang nicht einmal mit Namen nannte. Das bleibt auch so, denn allem Anschein nach war das eine wirklich miese Type, an der Hollywood seine Freude hätte. A propos Hollywood: gestern abend erst wurde ich auf eine Serie aufmerksam, die gerade läuft. Ich sah einen Trailer und meinte, es müsse wohl eine Art Games of Thrones-Abklatsch sein, mit all diesen Fantasykostümen und den dramatischen Gesichstausdrücken. Bis der Titel erschien: Mary Stewart … auch ohne das zu schauen, bin ich sehr sicher, dass DAS absolut NICHTS mit der echten Maria zu tun hat. Die Serie „Die Tudors“ war schon übel, aber offenbar doch noch zu überbieten. Als Geschichtsfreak und -snob kann ich solch grobe Geschlichtsklitterung gar nicht ertragen.

    Zurück nach Schottland: alles erhob sich, alles kämpfte, alles wollte die Macht und es endete damit, dass Bothwell in die Niederlande und Maria ohne ihren Sohn nach England floh. Zu ihrer Cousine Elisabeth I., von der sie Hilfe erwartete …

    Und weil es mir ab hier unmöglich ist, Elisabeth weiter aus dem Spiel zu halten – was bis hierher schon schwierig genug war – ist nun endlich, endlich Schluß. Ich weiß jetzt auch wieder, weshalb die Sache mit „Ich schreibe meinen kleinen Krimi bestimmt bald mal“ nie was wird: vor drei Tagen habe ich diesen Beitrag begonnen und nach zwei Stunden entschieden, doch noch schlafen zu können. Heute sitze ich schon seit kurz nach drei daran und habe jetzt Hunger. Fünf Stunden für so ein bißchen … nach Rechtschreibfehlern suche ich später, für heute reicht es. Hoffentlich nicht zu weit hinaus geht es dann um Elisabeth, die in den Augen von Zeitgenossen und Biographen unter einem Mangel an Schönheit und Weiblichkeit und damit unter einem Mangel der 6 weiblichen Buchstaben litt: Hexe, Heilige, Hure, Kinder, Küche, Kirche. Wieder eine Frau, die es nur falsch machen konnte.

  • Anne Boleyn

    Anne Boleyn

    Nach dem Beitrag über Wallis Simpson überlegte ich, ob ich daraus nicht eine Serie machen könne und als erste Nachfolgerin fiel mir Anne Boleyn ein. Auf den ersten Blick mögen Wallis und Anne nicht viel gemein haben: die eine starb in dem Lebensalter, in dem die andere erst in der Öffentlichkeit auftauchte; eine wurde Königin, die andere nicht und vier trennende Jahrhunderte liegen ebenfalls zwischen ihnen.

    Aber die Gemeinsamkeiten sind stärker: beide wurden von einem König umworben und konnten sich dem nicht entziehen. Beide werden bis heute mit ganz ähnlichen Kommentaren und Ausdrücken bedacht. Und beide waren stilvoll, elegant, eloquent, scharfzüngig, lebhaft und respektlos. Diese grauenvolle Mischung weiblicher Eigenschaften lässt nur einen Ausruf zu: „Verbrennt die Hexe!“

    Anne wurde wahrscheinlich 1501 in eine – von mütterlicher Seite her-  hochadelige Familie geboren; 1513 wurde sie gemeinsam mit ihrer Schwester zur weiteren Ausbildung (also um einen einflußreichen, wohlhabenden und möglichst noch höheradeligen Ehemann zu finden) als Hofdame zunächst zur Statthalterin der Niederlande nach Flandern gesandt. Zwei Jahre später übersiedelten die Schwestern nach Frankreich, um dort den Königstöchtern Claude und Renée zu dienen.

    Die vier Mädchen waren in einem ähnlichen Alter, besonders Renée und Anne scheinen eine recht tiefe Freundschaft geschlossen zu haben. Über Mary Boleyn weiß man nicht viel; von Anne ist ihr Interesse an Kultur, Literatur und Musik bekannt: sie schrieb Gedichte, verfasste Sonette und Lieder und erwarb sich sogar am eleganten und geistreichen Hof Frankreichs den Ruf einer umfassend gebildeten, charmanten und gutgekleideten jungen Dame.
    Mary verlässt Frankreich 1520, um an den englischen Hof zurück zu kehren, wo sie Hofdame der Königin Katarina von Aragon wird und den Höfling William Carey heiratet. Der König ist bei dieser Zeremonie anwesend und es wird vermutet, dass schon bald nach diesem Ereignis Heinrich VIII. Mary zu seiner Mätresse macht; zwei Kinder werden ihm, nicht dem Ehemann William zugerechnet. Diese Affäre soll nicht lange angehalten haben, weshalb Mary all die Eigenschaften angedichtet wurden und werden, die Anne vermissen lässt: anschmiegsamer und dümmer, freundlicher und anspruchsloser, langweiliger und verträglicher, blonder, molliger, träger. Nunja … irgendetwas ist ja immer falsch mit den Frauen.
    Immerhin hat Mary es nach dem Tode ihres Gatten gewagt, ohne die Erlaubnis des Königs aus Liebe zu heiraten – kein Höfling durfte das wagen. Sie wurde vom Hofe verbannt, ihre Einkünfte gestrichen und dafür wurde natürlich Anne verantwortlich gemacht, die im Jahre 1534 Königin von England war. Aber langsam, langsam, dahin kommen wir noch. Was ich sagen will: Mary musste für diese Handlung nicht unbedingt dumm gewesen sein; es mag sein, dass sie verliebt, unbekümmert und freiheitsliebend war – wer kann das schon wissen?

    Anne Boleyn kam ein Jahr später, 1521, zurück und war offenbar nicht bereit, sofort zu heiraten – in einer Zeit, in der Ehen unter den vornehmen und weniger vornehmen Familien arrangiert wurden, ist wohl anzunehmen, dass eine hübsche junge Frau mit Bildung und französischem Schliff, aus einer einflußreichen Sippe stammend, leicht loszuschlagen gewesen wäre. Anne aber galt schon als junges Mädchen als eigensinnig, temperamentvoll und störrisch; es mag also sein, dass sie sich das Auswählen eines Ehemannes verbeten hat. Viel wissen wir nicht, denn selbst Geburt und Tod waren so selbstverständlich in dieser Gesellschaft, dass man das Notieren solcher Ereignisse kaum für nötig hielt; umso weniger neigte man dazu, allzu viel über die weiblichen Mitglieder einer Familie fest zu halten.

    Nun, Anne kam an den englischen Hof zurück, ebenfalls als Hofdame Katarinas, war die am elegantesten gekleidetete Dame des Hofes, sie tanzte vorzüglich, ließ bon mots von ihren Lippen perlen und verhielt sich ansonsten, wie es sich gebührte: unauffällig. Doch Heinrich – der seine (darf ich gemein sein?) kleinen gierigen Schweinsäuglein immer umherstreifen ließ – fiel sie auf. Man kann wohl sagen: leider …

    Heinrich VIII – eines der schöneren Bilder seiner selbst

    So also sah er aus im Jahre 1531 – wer könnte widerstehen? Sechs Jahre zuvor soll Anne ihm aufgefallen sein, seit 1525 sei er in sie verliebt gewesen. Auch hier weiß man nichts zu genaues: wann genau sie sich wo und wie sahen, seit wann er versuchte, sie in seinen königlichen Alkoven zu ziehen. Aber seit 1525 begann er, Anne zu belagern; sie mit Briefen und Geschenken, überraschenden Besuchen, wann immer sie sich auf den Familiensitz in Hever zurück gezogen hatte, zu bedenken. Anne lehnt ab. Wieder und wieder und wieder. Entzieht sich, beantwortet Briefe nur kühl, erklärt recht deutlich, dass sie keinerlei Interesse daran hat, eine königliche Mätresse zu werden, sagt wohl auch, dass für sie nur eine standesgemäße Heirat in Frage kommt. Ob sie damit ihn meinte oder ob sie nach etwas verlangte, was nicht erreichbar war, um ihn abzuwimmeln – wer kann das schon sagen?

    Und ab hier wird es dann spannend, denn für die männliche Geschichtsschreibung ist eines ganz klar: Anne Boleyn taktiert, spielt ein gefährliches Spiel, legt den Grundstein für ihr eigenes Verderben – ein häufiger Kommentar unter heutigen Artikeln lautet: „She had it coming“ – sinngemäß ein „Selbst schuld!“ Denn Anne Boleyn hatte sicherlich schon beim ersten Anblick dieses wohlgestalteten und mächtigen Mannes nur eines im Sinn: Königin zu werden und koste es die Welt, möge es Verderben über diesen edlen Recken und sein gutes Reich bringen! So sind wir Frauen halt.

    Vielleicht Zeit, einen Blick auf Heinrich zu werfen: als ganz junger Mann noch schlank und rank, mit roten Haaren und hochempfindlicher, sich schnell rötender Haut gesegnet, leidlich begabt, wenn es um das Komponieren und Dichten ging, dafür aber sehr enthusiastisch, durchaus nicht unsportlich, ist er der zweite in der Thronfolge. Sein Bruder erhält eine Braut aus dem mächtigen Spanien, heiratet – und stirbt. Heinrich übernimmt. Thron und Braut, denn eine spanische Prinzessin zurück zu schicken, das kam nicht in Frage. Der Papst muss bemüht werden, denn eine Beziehung zur Frau des Bruders ist nicht erlaubt. Doch es kann bewiesen werden, zu einem Vollzug dieser sehr kurzen Ehe sei es nicht gekommen.
    So will es Heinrich VII., sein Vater, der so lange handeln musste, um diese Prinzessin zu erhalten. Thronfolger Heinrich hat nach einigen Ausreißversuchen nichts dagegen, Katarina nach langer Verlobungszeit zu heiraten, allerdings erst nach dem Tode des Vaters. Bei der Heirat ist er 17 Jahre alt, die Braut 23. In den ersten Ehejahren ist er hingerissen von der älteren und gebildeten Katarina – kein Wunder, er ist jung und willig und so eine Chance bietet sich nicht alle Tage. Später wird er behaupten, er sei herein gelegt worden; seine Ehe mit Katarina sei nur deshalb ohne Sohn und mit nur einer einzigen unbrauchbaren Tochter geblieben, weil Gott diese Verbindung nicht gewollt habe – Katarina müsse gelogen haben und habe eben doch mit seinem Bruder im Bette gelegen.

    Ja, Heinrich war schon ein Mann, den wir alle gerne hätten: ständig darauf aus, seine Männlichkeit zu beweisen. Überall musste er der Erste, der Beste, der Größte sein, ob beim Schnulzen singen, beim Turnier, beim Essen und Trinken oder unter Königen und beim Weibsvolk. Dazu hielt er sich für tiefgläubig und wahrhaft christlich und war doch in Wirklichkeit vor allem gottes-fürchtig, wenn ihm alles um die Ohren flog, was er selbst zum Einsturze gebracht hatte. Er war jähzornig, extrem egozentrisch, maßlos und neidisch, gierig, eifersüchtig. Sowas kann aus schüchternen und unsicheren Jungs werden. All diese Eigenschaften bewies er oft und ausdauernd, Freundschaften bedeuteten ihm nicht viel und was er für wahre Liebe hielt, war meist nicht mehr als Besitzgier und Lust.

    Und da frage ich mich und euch: dieser Mann kommt also nun auf dich zu, er ist noch nicht ganz das Monster, als das er sich erweisen wird, er war der Geliebte deiner Schwester und möchte nun, dass du in sein Bett steigst. Die typisch weibliche Reaktion ist gewiß, ihn heiraten zu wollen … und wir wissen ja alle: wenn eine Frau nein sagt, meint sie das gar nicht so. Genau diese alte Ausrede sämtlicher Vergewaltiger ist wohl auch Grundlage der Historienschreiber oder beispielsweise dieses Artikels des Focus (eh berühmt für ausgewogene und objektive Berichterstattung – ich hingegen schreibe ganz bewußt sehr subjektiv). Frauen, die also nicht wollen und nein sagen, entfachen dadurch die männliche Liebesglut noch stärker – ich denke, das kann nur für sehr gestörte Männer gelten. Was in diesem Fall ja hinkäme. (Hätte ich meinem eigenen Mann ein ständiges Nein um die Ohren geschlagen, so hätte er sicherlich sehr bald abgewunken und sich gesagt, die ist es halt nicht, so what.)

    Liest man sich einige seiner Briefe durch, so ist man aber doch verblüfft: der Ton ist meist schmachtend-zärtlich und er scheint sich oft auch wirklich um sie zu sorgen und zu kümmern. Eben so oft spricht er von seiner Qual, von seiner Unsicherheit, wie er ihre Liebe erringen und erhalten könne, mitunter klingt Wut und Ärger durch. Ähnlich wie Wallis wird auch Anne eine Wandlung durchgemacht haben: sich ihrem Herrscher komplett entziehen konnte sie nicht und über lange Zeit hinweg mit Liebesschwüren und Beteuerungen, mit Gnadenbeweisen und Geschenken eingedeckt zu werden, ändert den Blick auf den beständig seine tiefe Liebe beteuernden Mann sicherlich. Irgendwann im Laufe der Jahre muss sich ihre Meinung geändert haben: sie muss an diese tiefe Liebe geglaubt haben, da dieser Mann, der – aufgrund seiner Stellung – jede Frau am Hofe haben konnte, lieber mit ihr auf einer Gartenbank Gedichte rezitierte und ihre Weigerung, ihm gefügig zu sein, so lange so anbetend ertrug.
    Ihre Gefühle für ihn wurden weicher und zärtlicher und nun bot er ihr, was ihren Ehrgeiz, den sie ganz klar besaß, beflügelte: er wollte sie heiraten. Und dazu grub er das oben erwähnte aus: seine Frau sei gar nicht seine rechtmäßige Frau; der Papst solle mal schnell eine Scheidung durchwinken. Wie Päpste so sind, dachte dieser gar nicht daran – England hatte für den Großteil Europas keine besondere Bedeutung, zur Seemacht war es noch lange nicht aufgestiegen und die Hälfte dieser Insel war ja kaum zivilisiert. Und für einen König dieses Landes sollte sich der Papst mit seiner allerkatholischsten Majestät, dem König von Spanien, anlegen und dessen Tochter als minderwertiges Gebrauchsgut zurück schicken lassen? Eher nicht.

    Mittlerweile ließ Anne sich erweichen und ging eine Beziehung zu Heinrich ein, wie er es sich wünschte und vorstellte. Wäre sie wirklich die Taktikerin ohne Herz und Gefühl gewesen, so hätte sie ihm die Erfüllung seines Wunsches sicherlich noch länger verweigert – so bestand ja die Gefahr, er könne sich mit dem neuen Arrangement behaglich einrichten; sicherlich hat es seitdem die eine oder andere Beziehung gegeben, in der der männliche Teil dem weiblichen immer wieder beruhigend versichert, dass er sich demnächst von seiner Gattin trennen und alle anderen Probleme beseitigen werde, wenn nur erst dieses oder jenes geklärt sein werde. Zumindest gibt es zu diesem Thema eine unendliche Menge an Dramen, Romanen und Filmen.

    Es scheint eher, dass beide in dieser Zeit durchaus glücklich miteinander waren; beide waren ganz Hingabe aneinander und an ein Projekt, das zusammen schweißte: wir zwei gegen den Rest der Welt. Gegen den bösen Papst, die eifersüchtige Königin, das dumme Volk, die egoistischen Minister und nicht zuletzt gegen die eigenen Zweifel und Ängste.
    Anne war der Reformation gegenüber aufgeschlossen, war der Meinung, man müsse verstehen, woran man glauben solle und was man bete und in dieser Bewegung lag auch die Chance für beider Heirat: erlaubte es der Papst nicht, so müsse man sich gegen ihn stellen und sich von der falschen Bevormundung der katholischen Kirche befreien. Dass Heinrich das gut in den Kram passte, können wir uns vorstellen: er selbst als sein eigenes Oberhaupt! Sicherlich lief die Loslösung von Mutter Kirche und die Gründung der anglikanischen Kirche nicht so schlicht ab, aber es geschah. Katarina wurde gegen ihren Willen geschieden und verbannt, ihre Tochter Mary Tudor von der Thronfolge ausgeschlossen. Es war Anne, die versuchte, dennoch ein gutes Verhältnis zwischen Vater und Tochter herzustellen und erwartete dafür von Mary, als Königin anerkannt zu werden. Was diese verweigerte und ihren Vater fast dazu brachte, die eigene Tochter hinrichten zu lassen. Und nun raten wir einmal, wem all dies zugeschrieben wird – die Gründung einer Staatskirche, die unschöne Scheidung, das Lächerlichmachen und Veralbern der ehemaligen Königin, die Streitereien und Zwistigkeiten? Richtig, nicht dem König, dem Guten, sondern der Hexe an seiner Seite. Und auch hier ging es ganz schnell darum, wie Anne Boleyn es wohl schaffen konnte, dem gerechten Herrscher (der er nie war) den Kopf zu verdrehen. Da ist der Bogen zu Wallis Simpson schnell geschlagen, denn genau dieselben Aussagen wie bei Wallis finden sich unter Artikeln zu Anne, wobei der Hexeneffekt noch stärker betont wird.

    Da gibt es seit Jahrhunderten eine Beschreibung ihres Äußeren, die immer wieder kolportiert wird: sechs Finger habe sie gehabt, drei Brüste, dicke Warzen im Gesicht, Hexenmale am ganzen Körper. Derjenige, der diese Beschreibung in Umlauf gesetzt hatte, war ein Schreiberling, der zum Zeitpunkt von Annes Tod gerade einmal sechs Jahre alt war und sie nie zu Gesicht bekam. Dass Zeitgenossen, so sie über sie schrieben, vor allem von ihrer anmutigen Gestalt, ihrer lebhaften Unterhaltung, von ihrem Geist und ihrem Esprit sprachen, fällt dagegen kaum ins Gewicht. Wie Wallis auch galt sie nicht als große Schönheit, aber als attraktiv; als Frau, die mit Kleidung und Haltung ihre Persönlichkeit zum Ausdruck brachte. Und Persönlichkeit bei Frauen – wer will das schon?

    Zum Einen stellt sich also wieder einmal die unverschämte Frage, wie hat diese Frau das geschafft und zum Anderen gesellt sich dieses Mal noch ein weiterer Faktor dazu: während Edward nur noch rein repräsentative Aufgaben hatte und seine Thronaufgabe keine allzu großen Folgen hatte, war Heinrich ein absoluter Herrscher und noch dazu einer, dessen Machtlust niemals gestillt werden konnte. Das 16. Jahrhundert war eine Epoche, in der die Welt sich änderte, in der der Mensch ein Bewußtsein für Individualität, für geistige Freiheit zwar entwickelte, diese aber nicht zugestanden bekam. Vor allem in England war der Weg zum Schaffot nie weit.

    Anne Boleyn war also angenehm anzuschauen, war geistig beweglich, talentiert, ehrgeizig, neigte auch dazu, boshaftes über Menschen zu sagen, über die sie sich ärgerte, setzte sich sehr für die Bildung auch der ärmeren des Volkes ein, nahm ihre königlichen Pflichten in Bezug auf Wohltätigkeit sehr ernst, bemühte sich um eine Versöhnung zwischen Heinrich und seiner Tochter, hielt nicht viel von Vetternwirtschaft, war religiös und politisch reformbegeistert, konnte Heinrich aus seinen mitunter depressiven Phasen holen, tanzte, musizierte, dichtete, stickte, war Stilvorbild und stilbildend und brachte den englischen Hof aus dem Mittelalter in die Neuzeit, schaffte Platz und Anerkennung für Kultur.
    All das wollte Heinrich und als er all dies hatte, wollte er noch mehr: jetzt musste der Sohn, der Thronfolger her. 1531 heirateten Anne und Heinrich, 1533 brachte Anne ein Kind zur Welt: Elizabeth, die später Königin werden und England zu der Weltmacht machen sollte, als die es sich heute noch gerne sieht. Aber das ahnte bei ihrer Geburt niemand; Heinrich war bitterlich enttäuscht und zeigte das sehr deutlich.

    Noch gab es ja Hoffnung, die Tochter wäre nur die Generalprobe, um zu beweisen, Anne könne Kinder bekommen. Der Sohn müsse ja nun bald kommen. Heute geht man nach Sichtung von Heinrichs Akten davon aus, dass er an einer Geschlechtskrankheit litt, die dafür sorgte, dass die meisten Schwangerhaften (bei all seinen Frauen) abbrachen. Auch Anne hatte unter mehreren Fehlgeburten zu leiden und dazu noch unter dem immer deutlicher formulierten Vorwurf ihres Mannes, sie sei schuld. In Heinrich regte sich die Gottesfurcht: er werde bestraft. Wohlgemerkt nicht, weil ER einen Fehler begangen habe, sondern weil er einer Verführerin, einer Hexe ins Netz gegangen sei. Was er einst anziehend fand, ärgerte ihn nun: ihren zuvor gesuchten Rat empfand er nun als Einmischung; ihre spitze Zunge amüsierte ihn nicht mehr, sondern traf ihn selbst; ihre dunkle Erscheinung war ihm nicht mehr licht genug. Und ich möchte betonen, dass es ein feiner Unterschied ist, ob sie sich von der perfekten Geliebten zur unerträglichen Xanthippe verwandelt hat oder ob er nicht mehr mit ihrer Persönlichkeit klar kam. Ganz sicher aber kam Anne ihre Leichtigkeit, ihr Selbstbewußtsein und ihre Unerschütterlichkeit abhanden: auf ihre Körperlichkeit, ihre Fähigkeit, einen Sohn zu produzieren reduziert zu werden, hat gewiß Folgen gehabt; sie lebte ab nun in Angst, Unsicherheit und Zweifeln.

    Jane Seymour

    Heinrich, mittlerweile noch mehr trinkend, essend, tobend, ließ seine Augen wieder schweifen und erkor Jane Seymour als neue Favoritin – auch über sie weiß man nicht vieles, doch scheint sie in vielem Annes Gegenteil gewesen zu sein: blond, schüchtern, zurückhaltend, eher schweigend als lebhaft, doch mit einer katholischen Lobby im Rücken. Es scheint so, als hätte sie ihm nicht viel entgegen zu setzen gehabt: der König wünschte, sie kennen zu lernen (durchaus im biblischen Sinne), was konnte sie anderes tun, als zu gehorchen? Zumal ihre Familie ihr einflüsterte, sie könne für eine Herstellung des rechten Glaubens sorgen?

    Annes Tage als Königin waren gezählt; Heinrich wußte nun, dass er einer gefährlichen Zauberin aufgesessen war, die ihn ins Unglück stieß und dass das wahre Glück eines Mannes in einer sanften und stillen Gefährtin läge. Doch wie nun heraus kommen? Fortlaufend neue Kirchen gründen konnte selbst er nicht und eine weitere Scheidung schien auch keine Möglichkeit zu sein, zumal Anne für das Recht ihrer Tochter, kein Bastard zu sein, kämpfen würde. Für seine Situation machte Heinrich niemals sich selbst, sondern immer jemand anderen verantwortlich – diesmal war es Anne. Hochverrat wäre die Lösung, dafür würde selbst eine Königin ihren Kopf verlieren. Und bei ihrem Ruf lag es nahe, sie als Ehebrecherin zu beschuldigen – nicht nur mit einem Manne, sondern gleich mit dreien, darunter mit einem ihrer Brüder. Das schien Heinrich angemessen und er tat sein Bestes, sich die von ihm erfundene Anschuldigung auch noch einzureden; auch gibt es wohl Anzeichen dafür, dass Jane Seymours Brüder ihre Hand mit ihm Spiel hatten – ehrgeizig darauf bedacht, aus der Affäre ihrer Schwester das meiste heraus zu schlagen, haben sie am Hofe ordentlich Stimmung gegen Königin Anne gemacht. Als Königin war Anne Boleyn beim Volk übrigens beliebt, auch das stieß Heinrich sauer auf.

    Annes Schicksal war noch vor Prozeßbeginn besiegelt, Beweise waren dank der gefolterten vermeintlichen Liebhaber auch bei der Hand. Am 19. Mai 1536 starb Anne auf dem Schaffot, so würdevoll und ruhig, wie es nur ging. Als letzte Gnade ließ Heinrich statt eines englischen Henkers einen französischen Scharfrichter kommen, der mit dem Schwerte, und nicht mit der Axt diese Aufgabe eleganter, schneller, schmerzloser erledigen sollte. Bis zuletzt war Heinrich ganz der Gentleman und gefühlvolle Liebhaber.
    Bis zu seiner Heirat mit Jane Seymour ließ er immerhin ganze elf Tage verstreichen. Viel hatte Jane von dieser Ehe nicht: sie brachte im Oktober 1537 den gewünschten Sohn zur Welt, wurde noch im Kindbett auf alle möglichen Jubelfeiern geschleppt, hielt diese Strapaze nicht aus und starb wenige Wochen nach der Geburt. Dass ihre Ehe glücklich war, möchte ich bezweifeln. Im Gegensatz zu Anne hielt sie sich aus der Politik heraus, bis auf zwei Ereignisse: auch sie versuchte, Mary Tudor und ihren Vater zu versöhnen, was Heinrich amüsiert-herablassend zur Kenntnis nahm. Und sie flehte um Gnade für katholische Aufständische, was Heinrich sich verbat. Sehr deutlich verbat, denn er gab ihr zu verstehen, wie die letzte Königin geendet habe. Jane, die alles andere als selbstbewußt war, dürfte von da an in Angst und Bangen gelebt haben.

    Anna von Kleve

    Heinrichs Ehekarriere verlief weiterhin holprig, um es freundlich zu sagen: die nächste adoptierte er als liebe Schwester, da er nicht in der Lage war, die Ehe mit ihr zu vollziehen – die Schuld lag bei Hans Holbein und seinem trügerischen Portrait der Anna von Kleve. Heinrich, mittlerweile eher fett als dick, kurzatmig, zu viel trinkend und keine zwanzig mehr, machte die körperliche Ausstattung seiner neuen Frau und keinesfalls den eigenen Zustand für seine Schlappe verantwortlich; recht lautstark erzählte er von ihren angeblich zu riesigen und hängenden Brüsten, die ihm die Luft zum Atmen genommen hätten – es geht doch nichts über zweierlei Maß.
    Anna, für alle Anwesenden sichtlich erleichtert, nahm das Angebot, ihre Ehe in eine Adoption zu wandeln, gerne an und residierte weit genug weg vom Hofe, um in keinerlei Intrige gezogen zu werden. Ihre Hochzeitsnacht möchte ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen müssen; schon ihre Anreise zu diesem frauenverbrauchenden Tyrannen muss der Horror gewesen sein.

    Für Heinrich musste nun was junges her und seine Wahl fiel auf Catherine Howard, einen mit Anne Boleyn verwandten Teenager. Das Mädchen war sich nicht bewußt, was auf sie zukam, war unglücklich und naiv, verliebte sich in einen Gleichaltrigen und ließ sich mit ihm bei Spielereien erwischen, die nun wirklich der Hochverrat waren, den man ihrer Cousine angedichtet hatte. Ich müsste nun einmal forschen, ob Heinrich hier auch noch den französischen Spezialisten einreisen ließ oder ob das zuviel der Ehre gewesen war.

    Einen letzten Versuch startete er noch, mittlerweile von allen als gefährlicher Tyrann, dem man nicht widersprechen durfte, wahrgenommen: Catherine Parr, eine zweifache vermögende Witwe von 31 Jahren, die sich eigentlich gerade mit einem Bruder von Jane Seymour verloben wollte, es aber dann als ihre ihr von Gott auferlegte Pflicht ansah, Heinrich zu heiraten, als der darum verlangte. Intelligent, gebildet, ausgeglichen, gut vernetzt und erfahren war sie, wie ihre Ehe verlief, kann ich nicht sagen, aber es war sicherlich ein Glück, dass Heinrich vor ihr starb – man konnte nie wissen.

    Catherine Howard
    Catherine Parr

    Ihr Lieben, ich glaube, ich habe mich sehr mitreißen lassen, mittlerweile schreibe ich seit über dreieinhalb Stunden und es wird endlich Zeit für das Fazit: über Jahrhunderte schwang in Berichten über Anne Boleyn eine klare Moral für Frauen mit, die da lautete: seid schön, seid still, tut, wie euch befohlen und seid dem Manne untertan und zu Wohlgefallen, ansonsten … !

    Übrigens lässt sich noch ein weiterer Bogen zu Wallis Simpson schlagen: sobald Wallis mit Edward auf den Bahamas festsaß und dort sogar politische Aufgaben mit Nutzen wahrnehmen durfte, beschäftigtete sie sich sehr ausgiebig mit den Biographien zweier Frauen: Marie Antoinette und Anne Boleyn. Und ich wüßte zu gerne, ob ihr auffiel, dass sie selbst und Anne sehr ähnlich von einer frauenunfreundlichen Umgebung wahrgenommen wurden.

    Irgendwie habe ich das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen für diesen sehr langen Text und der nur sehr undeutlich heraus gearbeiteten Botschaft, aber Spaß hat es doch gemacht und ja, ich überlege, mir noch ein oder zwei oder drei Frauen vorzunehmen …

  • Wallis Simpson

    Wallis Simpson

    Ich bin seit langem schon dem Charme der Dreißigerjahre erlegen – natürlich der Mode der Zeit, nicht der Zeit an sich; man kann so etwas nicht oft genug betonen. Diese schmale, gestreckte Silhouette, die dennoch viel Bewegungsfreiheit bietet und die sehr feminine Elemente mit sehr klaren Linien kombiniert, zieht mich an. Im doppelten Sinne.

    Sucht man nach Zeichnungen und Bildern dieser Mode, so stößt man unweigerlich auf Wallis Simpson. Und ist man erst einmal auf sie gestossen, so findet man zudem Hass und Häme, gemeine Gerüchte und übelste Nachrede. Nicht nur von ihren Zeitgenossen, sondern mehr noch von unseren. Und es sind zwei Lager, die sich hervor tun: die männlichen Misogynisten und die weiblichen Neider. Sie erregen sich heute noch an einer Geschichte, die sich vor nun bald 80 Jahren ereignet hat. Hass hält lange an, vor allem, wenn er sich an der Frage der Schönheit entzündet …

    Wallis ist vor allem als Mrs. Simpson bekannt, unter dem Namen ihres zweiten Mannes. Sie wurde 1896 als verarmtes Anhängsel der besseren Gesellschaft in den USA geboren und alleine das macht ihre Geschichte schon zu einem Romanstoff – zumindest für die Frauenrechtlerin in mir.
    Frauen des Bürgertums und des Adels, die noch vor dem ersten Weltkrieg ihre Erziehung erhielten, lernten ganz selbstverständlich, dass ihre Zukunft in der guten Partie, der Heirat mit einem finanziell und sozial gut gestellten Mann liegt, der sie versorgt und dem sie im Gegenzug ihre Rechte an sich selbst abtreten. An eine selbstständige Arbeit war nicht zu denken.
    So erhielt die junge Frau eine Bildung, die sie dazu befähigte, Konversation zu betreiben, ein Haus zu dekorieren, einen Haushalt zu führen und reizvoll und charmant zu sein. Eine Ausbildung, die nur wenige Frauen auf die Zwanzigerjahre vorbereitete – eine Zeit, in der junge Männer knapp waren und diejenigen, die verfügbar waren, oft traumatisiert aus dem Albtraum Krieg zurück kehrten. Auf einmal wurde von Frauen nicht mehr nur Hingabe und Zurückhaltung erwartet, sondern Persönlichkeit.
    Die ideale Frau nun war selbstbewußt, sportlich, finanziell unabhängig und nicht mehr nur auf der Jagd nach einem Versorger. Theoretisch. Praktisch bedeutete das: sich mit schlecht bezahlten Hilfsjobs durchschlagen und doch erst als vollwertig wahr genommen zu werden, wenn man endlich verheiratet war. Im Laufe des Jahrzehntes prägten die neu nachwachsenden Fräulein das Bild: sie planten schon sehr viel selbstverständlicher neue Karrieren abseits des Heiratsmarktes; sie studierten Medizin, schrieben Artikel, gründeten Schulen – sie emanzipierten sich.
    Doch gerade, als so etwas wie eine weibliche Emanzipation vorsichtig Fuß fasste, änderte sich alles wieder: Finanzmärkte brachen zusammen, die Kriegstraumata schürten Ängste und Ressentiments und Europa versank im Faschismus, was für Frauen bedeutete: ab nun seid ihr wieder zweite Wahl, wenn es um Beruf und Öffentlichkeit geht. Dennoch war das Ideal eine Frau, die nun alles bot: Selbstsicherheit und Anschmiegsamkeit, Bildung und Familie, Eleganz und Alltag.

    Für eine Frau, die zum Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurde, also ein ganz schön holpriger Weg; mal hü, mal hott. Wallis Simpson meisterte diesen Weg sehr gut und das alleine ist wohl schon verdächtig. Als Schülerin verließ sie nachts oft heimlich ihre Schule, um sich mit jungen Männern zu treffen und das Leben zu entdecken. Früh heiratete sie ihren ersten Mann, einen Piloten, der sich schnell als Trinker und Schläger heraus stellte. Und von dem sie sich, für uns alle verständlich, trennte, obwohl das ihrer Familie nicht gefiel. Nicht so recht wissend, wohin – sie hatte wie die meisten Frauen ihrer Zeit ja keine Ausbildung erhalten, die sie zur Berufsausübung befähigte – gondelte sie durch die Welt, landete bei einem letzten Versuch, ihre Ehe doch noch zu retten, in Asien, wo ihr Mann stationiert war. Das ging nicht lange gut, sie zog zu einer Freundin und deren Mann in Shanghai, was wohl auch nicht lange gut ging – unter Umständen gefiel dem Gatten der Freundin die lebhafte und intelligente Wallis zu gut für den Frieden des Hauses. Was die Gerüchte über Wallis bis zu diesem Punkt ihres Lebens so alles zu sagen wußten, können wir uns alle denken …

    Die Scheidung war durch, wohin nun? Wallis tigerte durch die USA, lernte immer wieder gutsituierte und einflußreiche Männer kennen, aber der Richtige war nicht dabei. Der trat mit Ernest Simpson auf den Plan, einem britisch-amerikanischem Händler, zu dem sie nach London zog. Offenbar der perfekte Mann für sie: gebildet, tolerant, humorvoll, verlässlich. In den letzten Jahren gefundene und veröffentlichte Briefe scheinen zu zeigen: die Liebe ihres Lebens. Oder was eine Frau ihrer Zeit darunter verstand.

    Nun, dieses schöne Leben in der guten Gesellschaft Londons in den Dreißigern – das war ihr wie auf den Leib geschneidert. Sie war bald als gute Gastgeberin bekannt, mit spitzer Zunge, amerikanischer Offenheit und einer Faszination für das Britische. So ergab es sich, dass sie irgendwann dem englischen Thronfolger Edward über den Weg laufen musste, der seine Stellung als zukünftiger König nicht sonderlich schätzte. Ein Mann, der wohl immer wieder unter Magersucht litt, sich zu verheirateten Frauen hingezogen fühlte und nie wirklich erwachsen werden wollte. Seine bisherigen Freundinnen sahen in ihm wohl vor allem dem Prinzen. Wallis eher nicht.
    Es war keine Liebe auf den ersten Blick – ob es bei ihr wirklich Liebe war, ist eine der Fragen, die man sich stellen mag – man lief sich immer öfter über den Weg und wurde vertrauter; Ernest und Wallis wurden oft als Chaperons auf die Wochenendparties eingeladen – es galt, das Dekorum zu wahren, wenn der Prinz mit seiner Freundin ins Wochenende fuhr. Als diese Freundin für längere Zeit verreiste, bat sie Wallis, sich um den „kleinen Mann“, wie sie ihn nannten, zu kümmern. Das tat sie und stellte fest: Edward verliebte sich in sie.

    Welche Frau wäre wohl nicht geschmeichelt gewesen? Der begehrteste Junggeselle der Welt, gutaussehend und amüsant, interessierte sich für sie, offenbarte ihr seine Ambivalenz seiner Stellung gegenüber, erschien als verletzlicher und einsamer Mensch. Und der eigene Ehemann amüsiert sich gar prächtig – seine Frau als „the flavour of the season“. Das brachte einiges an Einladungen, an aufregenden Erlebnissen, an geschäftlichen Vorteilen mit sich und beide, Wallis und Ernest, waren sich wohl ihrer gegenseitigen Zuneigung so sicher, dass sie dieses Spiel weiter laufen ließen. Sie waren sich wohl ZU sicher. Wallis war es durchaus seit Jahren gewöhnt, mit Männern zu flirten, dabei aber ihre eigenen Grenzen zu wahren. Sie sagte von sich selbst, sie sei zwar nicht die Hübscheste, aber das spiele auch nicht die größte Rolle (und da tippe ich endlich mal kurz an den Punkt, an den ich ran will).

    Edward lud sie samt Gatten auf Reisen ein. Der Gatte mochte und konnte nicht, so kam die Tante mit. In königlicher Gesellschaft zu reisen, wenn Geld keine Rolle spielt und das in die mondänsten Orte dieser Jahre – das übersteht man sicherlich nicht so ohne weiteres; das beeindruckte sie sicherlich. Dazu war Edward bedürftig: ihrer ständigen Gegenwart, ihrer ständigen Versicherung ihrer Zuneigung. Hatten sie und Ernest sich noch amüsiert, wenn der Thronfolger drei-, viermal am Tag anrief, ständig auf Besuch kam und bis spät in den Morgen blieb; nahmen sie noch vor diesem Urlaub an, Wallis wäre die momentane Favoritin, in ein paar Wochen wäre es dann eine andere Misses – so musste Wallis nun begreifen: sie war für ihn die wichtigste Person geworden, seine Besessenheit. Sie hatte in ihm wohl das Gefühl geweckt, als Mann, nicht als Prinz interessant zu sein, denn sie neckte ihn, wies ihn zurecht, erwies seiner Stellung nur wenig Respekt. Und sie stellte fest: ihre Gefühle für ihn waren vielleicht doch stärker als gedacht.

    Nun, es schlug bald über ihr zusammen, dieses wackelige Konstrukt ihres Spiels. Der tolerante Ernest wurde es denn doch leid, nur noch die zweite Geige zu spielen, war dabei aber wohl Brite genug, um dem König zu geben, was des Königs ist. Oder was er will zumindest. Denn aus dem Thronfolger war nun der König geworden, kleine Fluchten aus dem Prinzenalltag nicht mehr möglich und die Erwartungen an ihn und an eine standesgemäße Heirat höher als zuvor. Ernest bot – nicht ganz uneigennützig, denn er hatte sich in Wallis Freundin Mary verliebt – dem König seine Scheidung an. Wallis wurde da nicht gefragt. Und sie war nicht begeistert. Wahrscheinlich sah sie schon sehr klar, was wohl jede halbwegs kluge Frau sofort voraussehen würde: die Reaktion fremder Menschen auf sie selbst, die zweifach geschiedene, die sich einen König angeln will. Und sie sah, wie ein Leben mit Edward, dem ewigen Jungen, dem sie mit Selbstmord erpressenden, unsicheren Mann wohl aussehen könne. Die Liebesbriefe, die sie Ernest nach der Scheidung schrieb, zeigen das sehr deutlich. Sie versucht noch einmal, sich von Edward zu trennen, bittet ihn eindringlich, seinen Thron nicht aufzugeben – denn sehr bald schon war klar, er würde nicht beides haben dürfen: Wallis und die Krone.

    Hat er seine Stellung nun aufgegeben, weil eine durchtriebene Frau ihn dazu gezwungen hat? Oder hat er nicht einen Ausweg aus seinem Dilemma gefunden, dass ihm all das gab, was er wollte? Aus meiner Sicht hat Edward es besser getroffen: die Welt sah ihn als den etwas närrischen Mann, der geblendet von einer ehrgeizigen Hexe aufgab, wovon andere träumten, um ab da wie ein trauriger Pudel hinter ihr herzutrotten. Das ist noch die freundlichste Variante dessen, was man lesen kann … Aber nun war er frei von den Aufgaben, die ihm verhasst waren und hatte die Frau an seiner Seite, die er haben wollte.

    Jetzt endlich kann ich zu dem kommen, was mich beschäftigt: Wallis Simpson als Schönheit. Denn an nichts anderem entzünden sich Hass und Häme so sehr, wie an diesem Punkt. Wir können uns das drehen und wenden, wie wir wollen: Frauen, die in die Öffentlichkeit rücken (oder gerückt werden), werden sich wohl immer, immer daran messen lassen müssen, egal wie begabt sie sein mögen.

    Ich habe mich vor zwei oder drei Jahren schon einmal intensiv mit ihr befasst und bin nun wieder in ihrem Bannkreis. Wieder über die Schiene „Mode der Dreißiger“. Ich suchte also hier und ich suchte also da und überall tauchte Wallis Simpson auf. Als ich dann den schlichten 30er-Rock konstruierte, stelle ich den Fernseher an und fand eine Doku über Wallis Simpsons geheime Briefe. Eine dieser unsäglichen amerikanischen Dokus, bei denen man in vierzig Minuten die immer wieder gleichen Bilder sieht und einem wieder und wieder das Gleiche gesagt wird, bis man aufspringen möchte und dem Sprecher zubrüllen mag, man habe es schon beim ersten Male gehört UND verstanden. Aber, weil ja doch zwischen allem immer mal etwas Neues zu hören ist, das man dann anständig nach recherchieren könnte, hält man durch. Also ich zumindest. Vor allem, wenn man zeitgleich mit etwas passendem beschäftigt ist.

    Und dann regte es sich in mir und ich mich auf. Da saß – und jetzt arbeite ich mich auch einmal am Äußeren gründlich ab – ein dicker, glatzköpfiger, rotgesichtiger Mann mit Knollennase und Eiflecken auf der Krawatte vor der Kamera, der wohl als ganz junger Mann im Dunstkreis des Prinzen mitschwimmen durfte und erklärte immer wieder, dass Wallis Simpson ja eine äußerst unschöne Person gewesen sei, die als Frau ja kaum zu erkennen sei, er selbst stünde ja auf (dreckig lachend, aber hahaha, wir sind ja Männer von Welt) mehr so auf Rundungen und zeigte auch gleich mit beiden Händen, welche er so meine. Ne, die sei nicht hübsch gewesen, die sähe aus wie ein Brett, fast wie ein Kerl und die raue Stimme. Also, er könne nicht verstehen, was der Edward da gesehen habe. Ne, wirklich nicht. Und er sei ja jung gewesen und eigentlich hätte es gar nicht viel gebraucht, damit er eine Frau schön fände, hahahaha, aber ne, die alte Schabracke, da habe sich bei ihm ja gar nichts geregt, hahaha. Und auch, wenn er sich Bilder anschaue, auf denen sie jung gewesen sei – also ne, wirklich gar nicht.
    Und genau so lautet der Tenor noch heute, liest man sich Kommentare durch. Bis heute wird ja gerne über Wallis und Edward berichtet, nicht zuletzt, nachdem Madonna einen Film über beide drehte (der übrigens für 30er-Nähfreundinnen eine wahre Inspiration ist!).

    „Bah, alt, häßlich, dünn, keine echte Frau, bestimmt ein Kerl, Hexe, der muss ja total blind gewesen sein, absolutely unfuckable, igitt, pfui, weg damit!“ – Das ist jetzt mal die zensierte Kurzfassung. Der Großteil der Kommentatoren sind Männer, aber auch einige Frauen mischen da sehr gerne mit – da kommt dann noch ein latentes „Gegen mich hätte die keine Chance gehabt!“ dazu. Schön, nicht wahr? Wie heftig das mancherorts nach 80 Jahren noch hochkochen kann, zeigt mir vor allem, wie sehr wir auch heute noch so denken. Weil: eine Frau kann ja nur dann interessant und attraktiv sein, wenn sie schön ist …

    Wie hat sie es nun also geschafft? Der gleiche Widerling, der uns gerade eben sehr deutlich erklärt hat, dass sie sein Typ ja nicht gewesen sei, erklärt das. Ohne es selbst zu begreifen, er fragt sich bis heute, so er noch lebt, was seinen Prinzen dazu brachte, ihr so hörig zu sein – ihm fielen da nur Tricks in der Horizontalen ein. Und doch ist er in der Lage zu erzähen, dass, wäre man bei beiden eingeladen gewesen sei, es das größte Glück war, wenn man neben Wallis und nicht neben Edward zu sitzen gekommen sei. Er, Edward, habe ja kein Talent für Konversation gehabt, hätte auch nichts zu erzählen gehabt, während Wallis – ja, also da, da habe man immer Spaß gehabt. Sie sei sehr lebhaft gewesen, habe einem das Gefühl vermittelt, selbst witzig zu sein, sehr charmant habe sie sein können und sei in der Lage gewesen, aus allem noch das Beste zu machen, doch, ja, mit der habe man immer tolle Abende verbringen können …

    Ja, nun, da fragen wir uns doch alle: wie zum Teufel schafft es also eine kluge, sprachgewandte Frau, die ihrer Umgebung eine gute Zeit verschaffen kann, bei der sich alle bedeutsam vorkommen dürfen – wie also schafft es solch eine Frau, einen König zu angeln? Lasst uns mal grübeln …

    Holla, es hat mich viel weiter getrieben als gedacht, aber noch habe ich das Wichtigste nicht von der Seele – nämlich den Bogen zum gestrigen Beitrag: der Unterschied zwischen Schönheit und Attraktivität. Ich persönlich habe festgestellt, dass ich das Wort „schön“ in der Tat oft nutze und das meist in seiner Bedeutung als „attraktiv, anziehend“, selten als schön-schön. Und so kann ich sagen: ich finde Wallis schön. Konkret: ich empfinde sie als hochattraktiv, weil sie alles richtig macht.

    Wallis ist keine klassisch schöne Frau gewesen: ihre Figur ist eher athletisch-androgyn, ihr Gesicht sechseckig, ihre Züge ausgeprägt. Aber sie hat sich schon früh als das gesehen und genommen, was sie ist und hat nie versucht, sich in eine andere zu verwandeln. Was mich an vielen Stilratgebern so stört: relativ unverhüllt werden Sanduhrfigur und ovales Gesicht als Vorbild genommen, in das wir uns mit Kleidung, Make up und Frisur zu verwandeln haben – das sorgt nicht unbedingt für ein Liebgewinnen der eigenen zu breiten Hüften oder des eckigen Gesichtes. Nun beginnt für mich Attraktivität ja da, wo eine Person authentisch ist. Natürlich muss man sich nicht so kleiden, dass der angebliche Mangel betont wird, aber alles, was man hat, so gut wie möglich zu verdecken, das kann und darf doch nicht die Lösung sein. Und da ist Wallis Simpson das perfekte Vorbild und das ist womöglich auch der Grund, weshalb sie Modeschaffende bis heute beeinflusst: sie ist sich selbst treu geblieben.

    Sie zeigt ihr kantiges Gesicht, in dem sie die Haare nach hinten frisiert und nicht, wie es Ratgeber der Zeit empfahlen, es hierhin und dorthin zu ziehen.
    Sie betonte ihre dramatischen Gesichtszüge mit kräftigem Lippenrot und versuchte nicht, sich weicher und zarter zu malen.
    Sie hatte wenig Busen und schmale Hüften – aber bauschige Oberteile und ausladende Röcke sah man selten an ihr; sie betonte ihre schlanke Linie, anstatt sie zu verstecken.
    Sie war ehrlich zu sich und mochte sich und zeigte das. Und wir sehen eine Frau, die kein Modepüppchen ist, die nicht austauschbar ist, sondern besonders, einzigartig, wiedererkennbar. Für mich in all diesen Dingen ein Vorbild.

    Nun bliebe noch so manches zu ihren politischen Ansichten zu sagen, soweit wir davon wissen – gut sieht es da nicht aus. Aber das führt mich zu sehr von meinem eigentlichen Thema fort, wie nämlich Frauen es niemals richtig machen können in den Augen der Gesellschaft.

    Zuletzt darf daher Wallis Simpson über sich sprechen und das ganz im Spiegel ihrer Zeit:

    “My husband gave up everything for me.… I’’m not a beautiful woman. I’’m nothing to look at, so the only thing I can do is dress better than anyone else.”

    “If everyone looks at me when I enter a room, my husband can feel proud of me. That’s my chief responsibility.”

    “You have no idea how hard it is to live out a great romance.”

    “Never explain, never complain.”

  • Zwei Jahre nun

    Morgen vor zwei Jahren ist mein Vater gestorben – 26 Tage, nachdem ich frühmorgens von seinem Arzt erfuhr, wie es um ihn steht. 26 Tage waren sehr wenig Zeit, um überhaupt zu verstehen, was passiert. Noch viel weniger Zeit ist es, wenn zwei Tage nach dieser Botschaft dein Vater dich bittet, einen Platz zum Sterben für ihn zu suchen, während du am Tage zuvor noch zaghaft so etwas wie eine Hoffnung aufkeimen ließt. Vier Tage vergingen im Kampf mit einer bornierten und wenig empathischen Jungärztin; vier weitere bis zur Verlegung in das Krankenhaus in unserer Nähe und noch einmal drei Tage bis zu seiner Verlegung in die Palliativstation. Eine gute Woche lang, bis zu Tommys Einschulung, war mein Vater noch gut ansprechbar und gesprächsbereit, aber seine körperlichen Möglichkeiten nahmen fast stündlich ab. Nachdem er Tommy nachmittags noch zu seinem neuen Status gratulierte, ging es immer schneller zu Ende. Schneller als ich oder wir alle gedanklich hinterher kommen konnten. Es erschien mir während des Tuns normal und selbstverständlich und doch seltsam irreal, dass ich meinem Vater Beine und Gesicht massierte, ihn mit Eis fütterte; wirklich an mich herangelassen habe ich die Situation wohl nur selten – meist, wenn ich einmal alleine war und dann weinend zusammen brach.

    Das Irreale ist bis heute geblieben: es scheint, als sei all das in einer anderen Dimension geschehen, einer, die mit meinem Leben gar nichts zu tun hat. Das Gefühl wird von unserer Welt, wie sie so langsam an allen Ecken zusammen zu brechen scheint und in Unmenschlichkeit und Perversion untergeht, wahrscheinlich gefördert. Das sind so die Gedanken, die in schlaflosen Nächten der letzten Monate über mich hinwegschwemmen, halbgeträumt, halbgefürchtet, nie ganz da und doch leider nie ganz weg.

    Aber was hat sich nach zwei Jahren verändert? Die Taubheit der ersten Monate, die Depression im ersten Halbjahr sind lange vorbei und machten dann Platz für Trauer und Wut und Ärger und immer noch Verständnislosigkeit, mit einem immer noch den Geschehnissen weit hinterher hinkenden Verstand. Dann war das erste Jahr herum und alles war schon einmal erlebt worden: die ersten Geburstage, das erste Weihnachten und Silvester, der erste Frühlingstag ohne Papa. Und all diese Tage kamen zum zweiten Mal zurück ohne ihn. Wie unfassbar mir das dann vorkam: wirklich schon das zweite Mal? Und die Trauer schien gar nicht geringer zu werden. Bis sie nicht mehr in jeder Minute des Tages unter allem, über allem lag.

    Mit ihrem (scheinbaren) Verschwinden kam das schlechte Gewissen, ein vages Schuldgefühl. Meist saß ich im Auto und unerwartet fiel mir mein Vater ein, das Füttern, das Zimmer. Immer noch murmelte die kleine Stimme, dass das alles gar nicht geschehen sein könne, das sei nur eine traurige Geschichte, die sich eine Schauspielerin zurecht gelegt hatte, um am Set auf Kommando weinen zu können. Und sofort fragte die weniger kleine Stimme, ob ich denn wohl am Ende gar nicht mehr traurig sei, ob ich nicht ein schlechter Mensch sei, dass ich tagelang nicht an meinen Vater gedachte habe? All das in einer Viertelsekunde …

    Und immer, immer über Monate hinweg schlug es dann über mir zusammen: doch, es geht dir noch genauso dreckig, du willst nur einfach nicht ständig und immer und überall flennen und heulen und weinen. Du kannst es einfach nicht mehr ertragen, traurig und elend zu sein, diese immer gleichen Bilder vor Augen und die immer gleiche Fragen, ob ich irgendetwas anders hätte machen sollen oder müssen.
    Von da an begann ich immerhin, die Realität ganz und gar zu akzeptieren und nun, seit etwa drei Monaten, geht es mir besser. Ich nehme mir die Zeit, traurig zu sein, zu weinen und mich dem Geschehenen zu stellen, aber es ist nicht mehr der Gedanke, der immer über allem und unter allem liegt.

  • Unerträglich

    Es wird persönlich und da möchte ich – ausnahmsweise – darum bitten, dass all diejenigen, die damit nicht umgehen können oder wollen, einfach diesen Post überspringen; irgendwann heute möchte ich gerne mal wieder etwas Fertiges zeigen und dann ist alles wieder fein. Also zumindest in dem Post dann …

    In acht Tagen wird es neun Monate her sein, dass mein Papa abends gegen 18.00 Uhr aufhörte zu sein. Zu dem Zeitpunkt war es nicht mehr unerwartet, im Grunde hatten wir – seine Familie – es ihm seit Tagen gewünscht. Aber wenn es geschieht … es ist nicht Erleichterung, die man dann verspürt. Und ich habe sie bis heute nicht gefühlt. Natürlich wollte ich nicht sein Leiden verlängern, aber ich kann es noch immer nicht fassen, es nicht ertragen, dass es so kam. Dass er so krank wurde. Dass es so hoffnungslos war. Dass es so schnell ging, so unfassbar schnell.

    Ich weiß, nun wird bestimmt jemand denken, ich müsse ja so langsam mal darüber hingweg sein und dass es gar nicht fein ist, dass ich das so ausbreite. Wer das denkt, bitte: einfach weiter gehen. Denn ich brauche das. Das Geschehen in Worte fassen, sie aufschreiben und wegschicken: ins Nirgendwo und zu ein paar Freunden. Oder zu Menschen, die Freunde sein könnten, weil sie Gleiches erlebt haben und es immer noch in ihnen wühlt. Oder weil sie wissen, man wird um die Erfahrung nicht herum kommen, einen Menschen zu verlieren.

    Manchmal, wenn ich eine Autobiographie lese, einen Erfahrungsbericht, einen Artikel, was auch immer – wann immer ich etwas lese, in dem es um einschneidende Erfahrungen geht und der Erzählende sagt, diesen oder jenen Namen oder das Datum oder einen anderen Fakt werde er nie vergessen – dann wundere ich mich. Ich weiß nicht mehr, wie die Ärztin heißt, die ich ungespitzt in den Boden hätte rammen können, wenn es nur etwas genützt hätte. Auch nicht, wie die wunderbaren Pfleger und Schwestern und Ärtze hießen, die zuletzt für ihn da waren. Nur mit Mühe bekomme ich die Daten zusammen, außer dreien:

    Am 18. Juli fuhr mein Vater zum letzten Mal selbstständig mit seinem Auto und das unter größeren Schmerzen, als wir ahnten und er wohl wahrhaben wollte. Am nächsten Tag ging er nach meiner Standpauke das erste Mal ins Krankenhaus, was ihn sehr große Überwindung kostete. Seit Wochen, Monaten war er bei einem Arzt in Behandlung, der die Schmerzen und den wachsenden Höcker in seiner Brust wohl als Alterserscheinung, als eine Mischung aus Verschleiß und Einbildung abtat. Alte Menschen gehen ja schließlich ständig zum Arzt, nur weil ihnen langweilig ist. Erst recht, wenn sie eine Vorgeschichte wie mein Vater haben: Tumor hinter dem Auge, OP, Auge erblindet, jährliche Kontrolluntersuchungen seit Mitte der 90er. Dann ein bösartiger Tumor in der Schilddrüse, OP, halbjährliche Kontrolluntersuchungen in der Röhre, die mein Vater nicht ertragen konnte. Nichts, was eine Rolle gespielt hätte – Elektrotherapie war der Weisheit letzter Schluß. An den Armen, da strahlt halt was aus. Eine Röntgenaufnahme, nachdem es ja nicht besser, sondern schlimmer und schlimmer wurde – hätte sie vielleicht noch etwas ändern können? Wir wissen es nicht und wollen es vielleicht auch nicht wissen.

    Danach habe ich eine Lücke – ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß, wir waren manchmal gereizt und genervt, mein Vater konnte sich ranhalten mit dem Thema. Ständig forderte er uns auf, diesen Knubbel zu spüren – der Arzt meinte nun, es sei eine Verwachsung, die sehr oft bei jungen Frauen vorkommt. Mein Vater fand das nach außen hin manchmal spaßig, beschäftigte sich sehr mit der Diagnose, wußte bald alles darüber. Und vielleicht auch, dass es das nicht sein konnte. Aber ist man nicht froh, wenn die schlimmsten Ängste nicht bestätigt werden?

    Wir konnten ihn überreden, doch noch einmal zu einem anderen Arzt zu gehen. Dem gefiel nicht, was er sah, mochte auch die Blutwerte nicht, aber wußte auch nicht so recht weiter. Schickte ihn durch ganz Bonn für Untersuchungen, sammelte Daten und Ergebnisse und wollte ihn am liebsten einweisen lassen. Die Arme meines Vaters schmerzten immer mehr, er konnte kaum noch etwas halten. Es stand das erste Mal die vage Möglichkeit im Raum, es könne wieder ein Krebs sein. Aber auch das machte noch keine zu große Angst: zweimal hatte mein Vater das überstanden und beide Krebsarten waren nicht zurück gekehrt. Hauptsache, man weiß endlich, was los ist. Aber was davon wann und wie stattfand, ich weiß es nicht mehr.

    Die Sommerferien begannen in der 2. Juliwoche und die Jungs hatten eine Woche lang von morgens bis abends Tennis und ich weiß, dass ich beim Abholen mit einer anderen Mutter kurz ins Gespräch kam und sagte, es könne sein, dass mein Vater schwer erkrankt sei und dass mir das Angst mache. Oder war es später als in der ersten Ferienwoche? Es ist einfach weg, vernebelt und diffus.

    Am 18. Juli hatte unser Jüngster seinen 6. Geburtstag und wie immer verlangte er sein Geburtstagsessen auf dem Chinesischen Schiff, das hatte fast schon Tradition. Natürlich mit Oma und Opa. Wir hatten schon überlegt, wie wir es anstellen würden, damit beide auch würden da sein können. Ich weiß nicht mehr, ob ich schon wußte, was war. Warum ist das weg? Anderes danach war schlimmer und ist noch klar … mein Vater wollte nicht von uns gefahren werden, er fuhr selbst. Und er sah gut aus. Mein Papa legte immer großen Wert auf Kleidung, liebte Borsalinos und Bally-Schuhe. Die er sich immer mal wieder leistete von schwer verdientem Geld. Und obwohl meine Mutter seinen Schnäuzer nie mochte, trennte er sich davon nicht – als ich klein war, war ich fest davon überzeugt: Echte Männer haben Schnäuzer und dunkle Haare.

    An Tommys Geburtstag saßen wir das letzte Mal alles zusammen an einem Tisch. Kuchen bei uns wollte er nicht mehr, er wollte nach Hause, vollkommen erschöpft. Als meine Mutter am nächsten Tag in der Stadt unterwegs war, um ihrem älteren Enkel auch eine Uhr zu kaufen, rief ich meinen Vater an – er solle doch bittebitte sich wie vom Arzt gewünscht in die Klinik einweisen lassen – man könne dort viel besser für ihn sorgen, es sei doch zu anstrengdend, für jede Untersuchung unnötige Wege auf sich zu nehmen. Er wollte nicht, für ihn ist es unerträglich, mit anderen Menschen so eng zu schlafen, sich ein Bad teilen zu müssen. Ich fühlte mich gräßlich, als ich ihn dennoch dazu überreden wollte. Er wurde wütend und knallte den Hörer auf. Eine Stunde später rief meine Mutter an, mein Vater habe sich entschieden, doch ins Krankenhaus zu gehen, sie warte nur noch auf die Überweisung vom Arzt. Von einem Taxi wollte ich nichts hören, ich fuhr hin und brachte beide hin – die Klinik liegt nur den Hügel hoch am Ende unserer Straße, mitten im Wald. Die Aufnahme habe ich mit meiner Mutter erledigt und bin dann nach Hause. Es war ein Donnerstag, das weiß ich. Am nächsten Tag erfuhr zumindest ich noch immer nicht, was denn los wäre – man kümmerte sich erst einmal um die Arme und sprach davon, dass man die Ursache später herausfinden würde. Der rechte Unterarmknochen war nahezu komplett ausgehöhlt, was mit dem linken war – ich weiß es nicht mehr. Sollte er später folgen, reichte eine andere Behandlung – es ist weg. Am Montag sollte mein Vater operiert werden: der Knochen sollte wieder aufgefüllt werden.

    Am Samstag davor kamen die Lindauer: die Schwester meines Vaters mit ihren Töchtern und einem Schwiegersohn. Eine Überraschung, die mich verwirrte – wie ernst ist es denn? Mein Vater fühlte wohl das Gleiche, denn als sie so unvermutet mit uns zusammen ins Zimmer traten, musste er nach dem ersten Erstaunen lachen und er fragte, ob es denn jetzt gleich mit ihm zu Ende ginge, da sie alle hier herum stünden? Das war das erste Mal, dass mir kalt wurde, dass ich hoffte, ich würde über dieses Erschauern ein halbes Jahr später lachen. Ich tat es nicht.

    Die Operation verlief gut, man vermutete einen Krebs, aber alles schien immer noch in Ordnung zu sein, irgendwie. Man wußte nichts genaues und hektische Eile war auch nicht fest zu stellen. Auch mein Papa machte keinen trübsinnigen Eindruck, eher einen tyrannischen meiner Mutter gegenüber. Ständig hatte sie was zu besorgen, ständig rief er sie an, wenn sie nicht bei ihm war und orderte dieses und jenes, war ungeduldig und manchmal ranzig wie er es sonst auch konnte.

    Nach einer Woche wurde er entlassen und hatte nun einen Termin bei seinem Onkologen, der ihn auch zuvor begleitet hatte. Knochenkrebs, das war es nun also, aber wie weit, wie schlimm, wie aggressiv? Mein Vater bekam Chemotherapien, Bestrahlungen sollten dazu kommen. Die nur am anderen Ende der Stadt durchgeführt werden konnte – Bonn mag ja als klein gelten, aber von unserem Ende bis zur gegenüberliegenden Seite – das war keine Spazierfahrt. Allein die Vorbesprechungen schlauchten ihn, wie er nach den eigentlichen Bestrahlungen dann sich fühlen würde, das mochten wir uns gar nicht vorstellen. Zu zwei Chemositzungen fuhr ich ihn und dann kam ein zweiter Augenblick, der mir eingebrannt ist: Mein Vater stieg mit Mühe vom Beifahrersitz und musste von dort aus eine kurze Treppe zum Haus des Arztes gehen. Er blieb am Treppenrand stehen, hielt sich am Geländer fest und sammelte Kraft – mich nahm er gar nicht mehr wahr in dem Moment und ich konnte nicht losfahren, ohne sicher zu sein, er kommt unten an – mitkommen sollte ich ja nicht. Da stand er, die Hand auf dem Geländer mir seitlich zugewandt, aber den Blick nach oben auf ein paar Vögel gerichtet. Gute Schuhe, Sommerhose mit Bügelfalte, Leinenblazer, Hut – für einen Moment kam er mir wie ein feiner, fremder und älterer Herr vor. Ich ermaß, wie schwer ihm der Krankenhausaufenthalt gefallen sein musste, wieviel Leid und Angst da war und wie sehr er das nicht wahrhaben wollte und konnte. Als ich zu Hause war, habe ich das erste Mal aus Angst geweint.

    Nach den Sitzungen kam er kaum noch hoch, konnte zu Hause kaum noch etwas tun und meine Mutter konnte das nicht schaffen: ihn stützen und bei Laune halten. Ich fand, dass, auch wenn heutzutage wohl alles ambulant gemacht werden kann, das nicht ideal für meine Eltern war. Und nach einem Gespräch mit einer Freundin, die mit dem Arzt meines Vaters befreundet war, rief ich diesen an. Am 2. August kurz vor 8:00 Uhr morgens. Mein Vater sollte in zwei Stunden erneut in das weit entfernte Krankenhaus fahren und meine Mutter war nervös, wie es ihm wohl gehen würde danach. Und ich bat den Arzt, ob es denn nicht doch möglich wäre, in wieder einzuweisen, er könne das doch nicht schaffen… er unterbrach mich und meinte, es sei gut, dass ich mich melde, offenbar hätten meine Eltern in all der Sorge und Angst nicht mitbekommen, dass mein Vater heute nicht zu einem Gespräch, sondern zu einem dreiwöchigen Aufenthalt in die Klinik ging. Und dann sagte er mir, das sei die einzige Chance meines Vaters, es sei sehr spät, die Krankheit sehr weit vorgedrungen und wenn er das nicht mache, dann könne jederzeit alles passieren …
    Ich habe meine Eltern angerufen, ihnen erklärt, was nun geschieht, dass ich sie abholen würde und habe aufgelegt. Und eine Stunde lang geweint, geschluchzt, geschrieen und mit der Fassung gerungen. Das erste, was mir auffiel: mein Vater hatte sich den Schnäuzer abrasiert – meine Mutter hattes es in der Aufregung nicht einmal bemerkt. Wieder so ein Moment, der mir Angst machte. Als wir ankamen, blieb mein Vater im geparkten Wagen sitzen, erschöpft und in sich gesunken, während meine Mutter einen Rollstuhl besorgte und ich die Aufnahme erledigte – solange ich etwas zu tun hatte, war ich gut. Ich war zuversichtlich, etwas ungeduldig und nahm alles in die Hand. Ewig lange saßen wir im Flur, weil das Zimmer noch nicht frei war. Der Einstieg war nicht gut – mein Vater war so unendlich weit weg und ich weiß noch, wie ich dachte: jedem Fremden, der so vor dir säße, hättest du schon längst einmal die Hand gestreichelt. Aber bei meinem Vater ging das nicht – es ist wohl die Generation meines Vaters und meine, die mit derlei Selbstverständlichkeiten eben nicht selbstverständlich umgeht.
    Nach Stunden endlich war mein Vater in seinem Bett und wollte nur noch Ruhe. Ich bin mit meiner Mutter noch etwas in Godesberg essen gegangen und alles war so seltsam unwirklich. Am nächsten Morgen sind wir wieder hin und wollten meinen Vater etwas aufmuntern und wir waren froh, als er sagte, ja, er habe Appetit auf Eis, das Wetter sei so schön, wir könnten ja ins Klinikcafé hinunter. Als wir später nach Hause fuhren, waren meine Mutter und ich geradezu euphorisch: Gut sah er aus, gelacht hatte er, er ist kampfbereit – nicht heilbar bedeutet nicht gleich den Tod. Ich fühlte eine Last abfallen. Am nächsten Morgen sehr früh rief ich meinen Papa an, wollte wissen, wie er die Nacht verbracht habe. Es ginge ihm nicht gut, er wolle nicht mehr und er wolle auch nicht am nächsten Morgen wieder durch ganz Bonn gekarrt werden, nur um in die Röhre zu kommen. Die könne er nicht mehr ertragen und es sei auch egal, wo der Krebs herkomme. Er will nicht durch all das. Ich, seine Tochter, solle das verhindern und ihm einen Platz zum Sterben besorgen. Ich blieb ruhig und versprach es ihm. Es kam mir gar nicht in den Sinn, ihm das ausreden zu wollen. Und frage mich immer wieder: hätte ich das tun sollen? Hätte ihn das retten können? Wollte er etwas Aufmunterndes hören? Ich weiß es nicht.

    Ich bin mit Steve hingefahren, die Kinder blieben bei Oma, und es war nicht leicht, an diesem Sonntag klar zu machen: er will nicht mehr. Man strich den Transport, mehr konnten wir nicht tun. Mein Vater war relativ entspannt, aber fühlte sich unwohl: er bekam Morphiumpflaster, die – wie mir der Arzt der Palliativstation ein paar Tage später erklärte – langsamer wirken, schlechter dosiert werden können und sich schlecht abbauen. Und für Angstzustände und Panikattacken sorgen. Am Montagmorgen, bevor ich wieder hinfuhr, telefonierte ich mit meinem Vater, er war aufgelöst, hatte Schmerzen und ihm war unerträglich heiß. Und litt unter einem Alptraum, in dem er nach Hause wollte und uns nicht mehr finden konnte. Wenn ich ihn bat, doch zu klingeln und zu sagen, er habe Schmerzen, dann weigerte er sich – ihm war das nicht nur unangenehm, es war zu anstrengend geworden. Als wir ankamen und mit der Stationsärztin sprachen, schien ich in einem schlechten Film gefangen: ich erklärte ihr, wie schlecht es meinen Vater ginge, dass er unter der Hitze leide, doppelt, weil ihm das Schwitzen peinlich ist, dass er einfach nicht sagen könne, er bräuchte dies oder das – ob sie bitte die Schmerzmittel höher einstellen könne und etwas zum Kühlen für ihn hätte.
    „Gut, dass Sie mir das sagen, dann wissen wir BEscheid. Ihr Vater muss nur was sagen, dann machen wir das.“
    „Mein Vater wird Ihnen das nicht sagen, er ruft mich an.“
    „Ja, das müssen wir wissen, gut, dass Sie mit mir sprechen. Wenn ihr Vater mehr möchte, dann kann er das haben – er muss mir nur Bescheid geben.“
    „Er wird das nicht tun, er kann das nicht, das liegt nicht in seiner Natur und das wird sich nun nicht mehr ändern. Er leidet, können Sie bitte etwas tun??“
    „Ja, wenn er etwas sagt.“
    „Ich unterschreibe Ihnen, was immer Sie wollen, können Sie bitte etwas tun?“
    So ging das immer und immer weiter. Auch die Kühlung war ein Problem, denn er habe ein wenig Fieber, aber das sei im Griff, die Hitze sei nur subjektiv. Natürlich ist sie subjektiv, aber das ist doch egal, haben Sie etwas zum Kühlen? Dauerte auch eine halbe Stunde, bevor sie mir widerstrebend ein Kühlelement aushändigen ließ.
    Der Kampf, meinen Vater von dort zur Palliativstation in unserem Krankenhaus überweisen zu lassen, war noch schlimmer. Aber ich merke nun, dass es sehr spät geworden ist, meine Tränen reichlich flossen und ich beim Gedanken an diese Ärztin in Wut gerate. Und dass ich mich dadurch wieder etwas besser fühle und mir das weitere Erleben für eine weiter Nacht aufspare, in der ich es nicht fassen kann, dass man weiter lacht und liebt und streit, sich freut und sich ärgert und dass dabei doch immer die kleine Stimme sagt: „Da war doch noch was … ?“. Es ist immer da, es ist immer unerträglich, tut weh und schmerzt. Aufschreiben hilft. Und den Mut zu fassen, von diesen Dingen zu berichten, hilft auch. Man steht es durch, denn so war es immer schon und wird auch immer so bleiben.

  • Der 24.12.

    Ganz dummer Tag, sehr zwiespältige Gefühle.
    Heiligabend war in unserer Familie immer in zwei Abschnitte unterteilt: Vormittags war Papas Geburtstag, ab nachmittags dann Weihnachten. Nun, ohne meinen Vater, finde ich es schwierig, so etwas wie Weihnachtsstimmung zu empfinden. Jetzt, in diesem Augenblick, läuft „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ im Hintergrund und sorgt für kindliches Wohlgefühl – bei mir, irgendwie, zumindest oberflächlich. Zwischen mir und dem Fernseher schmücken die drei Männer des Hauses den Weihnachtsbaum, während ich – offenbar – hier sitze und blogge. Bzw. zugeschnitten habe und gleich wahrhaftig ein wenig nähen werde.
    Und irgendwie ist es so genau das, was angemessen ist, denn mein Vater war von meinem Hobby, dem Nähen, sehr angetan. Aufgewachsen als Sohn einer Näherin, mit einer Schwester, die sich zur Herrenschneiderin ausbilden ließ, hatte er ein gewißes Faible, eine Neigung zu meinem Hobby. Wann immer er hier war und etwas auf der Schneiderpuppe hing, musste er hin, fühlen, drehen und loben.

    In gut drei Stunden werde ich mich dann schön machen und das Essen für heute abend vorbereiten – mit zwei Söhnen, die sich als hilfreich und engelsgleich erweisen wollen. Bis dahin möchte ich das Rockteil genäht haben. In schlichtem Grau, wie passend. Irgendwie.

  • Vorbei

    Mein Vater ist soeben verstorben, meine Mutter rief mich an. Muss noch auf Lenny warten, der von einer sehr lieben Freundin vom Training abgeholt wird, weil unser Auto den Geist aufgegeben hat. Gleich werde ich noch einmal ins Krankenhaus gehen. Ich schwanke zwischen Weinen und Taubheit.
    Der Verstand sagt: „Gut, das hat er sich herbeigewünscht.“ Bauch, Herz und alles andere sagen gar nichts.

  • Nicht vor, nicht zurück

    Mein Vater liegt im Sterben, das ist nun seit Wochen so und jeden Tag wird er weniger und weniger; es ist kaum zu ertragen. Es tut mir leid, wenn das für manche, die hier gern hinein geschaut haben, unschön zu lesen ist, aber es muss raus. Genauso, wie es raus muss, dass ich ganz, ganz vielen von euch und natürlich all meinen nicht-virtuellen Freundinnen danken muss:

    Ich habe hilfreiche Kommentare hier und auf FB erhalten, habe Mails von Bekannten und Unbekannten erhalten, die sehr persönlich, offen und tröstend waren, habe Post und Päckchen im Briefkasten gefunden, die mich sehr glücklich machten. Ich habe das empfohlene Buch, die empfohlenen Worte gelesen und gesagt und bin sehr dankbar für diese Ratschläge. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht, wer „da“ ist und wer nicht – ohne, dass ich letzteres werte; es ist ja oft unmöglich, das Richtige zu sagen. Auch, dass ich es so viel öffentlicher mache, als ich es mir jemals hätte vorstellen können, hilft – es therapiert mich wohl, das Unsagbare in Worte zu fassen. Und was für tolle Freundinnen ich habe, mehr geht einfach nicht.

    Die nächsten Tage/Wochen werden noch härter werden, weil der Gatte ständig unterwegs sein muss – Steve hat mir in den letzten Tagen so viel Kraft gegeben, wie er es sich selbst wohl kaum denken kann. Es muss auch ohne gehen. Für uns alle hoffe ich, dass es bald vorbei ist und wie schrecklich ist es, so etwas zu schreiben?

    Weil meine Freundinnen hier in Bonn meinen Blog nicht wirklich lesen, danke ich hiermit vor allem den Frauen, die ich – manchmal schon seit Jahren, manchmal seit Wochen – kenne, die ich getroffen oder nicht getroffen habe, die gleiches erlebt haben oder vor sich haben mögen, die ganz jung oder schön reif sind, die aber alle eines gemein haben: Wärme, Freundschaft, Intelligenz und Herzensgüte. Ihr seid mir nun noch wichtiger als zuvor. Namen muss ich nicht nennen, es geht ja nicht um einen albernen Blogaward – jede, die sich angesprochen fühlt, ist auch gemeint. Nur eine sein namentlich erwähnt, die meinen Blog noch gar nicht kennt: Danke auch dir, liebe Özden. Wir kennen uns nur wenige Wochen über den Schwimmkurs unserer Söhne und ihr Lächeln zog mich zu ihr. Und sofort war sie da. Ich freue mich sehr, wenn ihr nächstes Jahr wieder kommt!