Ausgerechnet Bananen


Ausgerechnet Bananen, Bananen verlang ich von ihm! Nicht Erbsen, nicht Bohnen, auch keine Melonen …“, klang es durch die Arndtstraße 13a früh am Mittwochmorgen. Sybils Sopran schwang sich zu immer erstaunlicheren Höhen auf, während sie in der Wanne plätscherte.

Emma drückte sich ihr Kissen auf die Ohren. Oh bitte! Schlafen wollte sie. In Ruhe! Sybil war mittlerweile von den Bananen abgerückt und forderte ein unbekanntes Du auf, sie doch in Hawaii zu besuchen, da ihr Herzchen frei sei. Emma warf das Kissen durch den Raum und griff sich den Wecker. Gerade einmal sieben Uhr, die Sonne drang noch nicht durch die Dämmerung.

Fritz Löhner-Beda

Dass Sybil dieses Lied heraus schmettert, liegt natürlich an seiner unglaublichen Beliebtheit, die sich über Jahre hielt: Aus der Refrainzeile ist längst ein geflügeltes Wort geworden. Sybil tanzt sich also in der ersten Zeit in Bonn durch alle Säle, Hallen und Cafés und mit Sicherheit lief dieses Lied wenigstens dreimal am Abend. Die Melodie stammt ursprünglich aus den USA, wo es allerdings mit einem Text gesungen wurde, der uns heute zu Recht rassistisch anmutet und am besten vergessen wird. Somit stehen die „Bananen“ auch für den wachsenden Einfluss Amerikas auf die alte Welt; immer öfter schwappen Moden, Melodien und Marotten von dort nach hier.

Aber es steckt mehr hinter meiner Liedwahl als diese beiden Gründe. Der Schlagerdichter Fritz Löhner, von dem der Text stammt, ist ein österreicher Jude. Noch sind die Ressentiments den Juden gegenüber in England und Polen beispielsweise deutlich größer als in Deutschland, wo die Wandlung vom Fremden zum Mitbürger weiter fortgeschritten war, dafür sorgten im 19. Jahrhundert unter anderem Frauen wie Rahel von Varnhagen und Fanny Lewald, in deren Salons die Geistesgrößen der deutschen Länder sich trafen, aber auch einige Gesetzesreformen, die viele Beschränkungen aufhoben, denen die Juden hier unterworfen waren. Und für deutsche Männer jüdischen Glaubens war es genauso selbstverständlich wie für Katholiken oder Protestanten, Kaiser und Vaterland im Krieg zu dienen. Was sicherlich zu dem trügerischen Gefühl der Gleichheit beitrug, das in den Zwanzigern erstarkte.

Als einige Jahre später Hitler es endlich geschafft hat, auf scheinbar legalem Wege an die Macht zu gelangen,  jubelten ihm viele zu, die sich endlich eine klare Linie erhofften. Die meisten dürften geglaubt haben, die ständige Hetzerei gegen die jüdischen Deutschen nähme dann ein Ende, sei gar nicht ernst zu nehmen – auch viel zu viele Juden glaubten das, denn war es nicht mit jedem Jahrzehnt aufwärts gegangen? Und so blieben sie hier, besorgt zwar, aber zuversichtlich. Wie mochte es erst einem Juden im Wien gehen? Sicherlich hat Löhner mit Sorge die Entwicklungen im benachbarten Deutschland betrachtet, aber sich nicht betroffen gefühlt, bis auch in Österreich die Stimmung kippte.

Zweimal war er verheiratet, einmal geschieden. Aus erster Ehe hatte er einen Sohn, mit seiner zweiten Frau zwei Töchter. Einen Tag nur nach dem Anschluss Österreichs wurde er verhaftet und zunächst nach Dachau transportiert. Ein halbes Jahr später nach Buchenwald, wo er bis 1942 blieb.  Er hoffte auf Fürsprache der Leute, mit denen er gearbeitet hatte, doch nichts geschah. Dann folgte der Transport nach Auschwitz, wo er starb – erschlagen, weil er mit fast sechzig Jahren und ruinierter Gesundheit nicht ausreichend arbeitsfähig war für den Geschmack einiger IG-Farben-Direktoren. Während man den Mann vernichtete, spielte man seine Lieder – natürlich, ohne seinen Namen zu nennen. Ob Donna Clara oder Liebe Hans, der etwas mit einem Knie macht oder eben die Bananen – seine Texte sang fast jeder mit.

Auch seine Frau und die beiden Töchter überlebten die Naziherrschaft nicht: Noch vor Löhners Tod wurden sie nach Minsk in das Lager Maly Traszjanez verschleppt, wo sie gemeinsam ermordet wurden. Ob Löhner von dem Schicksal seiner Familie erfahren hat? Man möchte hoffen, dass ihm das erspart geblieben ist.

Wenn Sybil nun also sein fröhliches Lied trällert, dann sind wir ganz in dieser hoffnungsfrohen Zeit, die Freiheiten gewährte, die es seit Jahrhunderten nicht gegeben hat. Doch es weist auch auf die Schrecken, die noch folgen werden.