Wie jetzt? Gendern und historisches Bonn? Muss das sein? Fange ich jetzt auch noch an, alles mit Binnen-I oder Sternchen oder was auch immer zu nerven?
Was kann ich dazu sagen? Ja und nein am besten.
Ich bin keine Freundin des Genderns. Rein optisch betrachtet. Was momentan sicherlich auch noch Gewöhnungssache ist.
Allerdings: Wer sich jetzt freut und denken, ich verträte die Ansicht, Frauen (und alle, die außerhalb des Spektrums stehen) sollten sich mal nicht so haben, weil es ja sooo offensichtlich sei, dass sie mitgemeint sind, der irrt sich gewaltig. Es besteht nämlich für mich ein Riesenunterschied zwischen schriftlichem Gebrauchstext und einem Roman. In einem Roman nämlich erwarte ich, dass die Autorin oder der Autor sich die läppischen zwei Sekunden nimmt, um beispielsweise etwas wie ‚Meine Damen und Herren‘, ‚Liebe Schülerinnen und Schüler‚ oder ‚All meine Freunde und Freundinnen‘ zu schreiben; ich fände das übrigens auch in gesprochenen Moderationen schöner als die stumme Pause, wo das Sternchen sonst sitzt.
Aber gut, wenn Sendezeit kostbar ist, dann kann ich auch ohne die ausdrückliche Nennung der beiden hauptsächlichen Geschlechter leben, wobei die Pause alle Menschen mit einschließen soll. Auch das wieder eine Sache der Gewöhnung, was nun auch nicht schwieriger sein kann, als sich an Wörter wie Downloaden, Streamen oder meinetwegen sogar Gendern gewöhnt zu haben.
Was ich sagen will: Ich finde es wichtig, nicht immer nur alle Welt mitzumeinen, sondern sie auch anzusprechen. Schon aus Höflichkeit.
Gut, das wäre also geklärt. Ich verwende die weibliche und die männliche Form, wenn ich einen Roman schreibe. So denn beide angesprochen werden sollen, was nicht immer der Fall ist. Meine Heldinnen reden ja nun auch nicht mit jedem dahergelaufenen Kerl, man ist ja Dame. Daher verzichte ich meist darauf, Männer mit einzubeziehen.
Worauf aber wollte ich hinaus?
Schon irgendwie auf dieses generische Maskulinum, das ja in der Wahrnehmung mancher, meist älterer Herren, natürlich gewachsen ist und nie nur Männer meinte. Und da frage ich mich dann schon, wo diese Herren waren, als Geschichte unterrichtet wurde. Wobei ja nur sehr selten Geschichte aus weiblicher Sicht ein Thema ist; die Herren können vielleicht nichts dafür, dass sie das nicht wissen.
Obwohl … andererseits … Wenn jemand die Gelegenheit hat, diese Ansicht wortreich ins Netz zu schreiben, dann könnte man sich dort ja auch mal informieren. Wenn man wollte. Da finden sich durchaus sehr viele Sprachwissenschaftler und -innen (wirklich sogar viele männliche Sprachkundler, was mich freut), die darlegen, dass Frauen eben ganz und gar nicht mitgemeint waren, schon gar nicht im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ob es Wahlaufrufe waren oder Reklame für Bankkonten oder Ferienreisen, ob es Mobilmachungen waren oder ein Artikel in der Tageszeitung – es waren Männer, die anderen Männern etwas zuriefen, sie umwarben oder informierten. Denn Frauen durften nicht wählen, sie durften keine Konten eröffnen, sie sollten nicht alleine reisen oder sich in die Politik einmischen. Sie waren nicht gemeint. Was den Herren damals sicherlich auch ganz natürlich gewachsen erschien – Himmel noch, wer wäre so dumm und würde sich in wichtigen Angelegenheiten an ein weibliches Wesen wenden?
Da, wo Frauen dann doch gemeint waren, bedienten sich amtliche Blätter, Zeitschriften oder Werbeblättchen der klaren Ansprache an die Dame von Welt. Bevor sie über Leben entscheiden durfte, entdeckte man sie als Kundin. Da gab es dann die Zeitschrift für die Familie oder die Frau, da gab es Damenbreviere und Reklametafeln für die weibliche Kundschaft. Und wo sie mit ihrem Gemahl zu erwarten war, da sprach man eben von den sehr verehrten Zuschauern und Zuschauerinnen, den Besuchern und Besucherinen, den Damen und Herren – da wurden beide Formen verwendt.
Aber wie kam ich jetzt darauf?
Ich habe mir heute Nachmittag drei Bücher durchgelesen. Drei Reiseführer über Bonn, von 1905, 1908 und 1912. Das Heftlein hatte ich neulich schon gezeigt; es wirbt um neue Bürger. Bürger. Nicht Bürgerinnen. Die anderen beiden werben um Touristen. Nicht Touristinnen. Sowieso tauchen Frauen in den Texten nicht auf. Nun ist das eine ein Baedeker, der hält sich eh knapp, lassen wir ihn also mal beiseite.
Aber die beiden anderen Texte lassen die Geschichte Bonns Revue passieren, sie nehmen den Reisenden auf einen Spaziergang mit, sie zeigen schöne Ecken und gute Gasthäuser. Es ist in beiden sehr viel die Rede von wichtigen Männern. Edlen Kriegern. Bedeutenden Männern. Großen Denkern. Deutschen Männern. Strebsamen Studenten. Berühmten Männern. Von Söhnen der Stadt, von Erfindern, Schriftstellern, Königen. Immerzu geht es darum. Immerzu wird dem Leser versichert, dass er hier geistige Anregung finden wird und des Abends nett ausgehen kann zu Bier und Wein und Gesang. Hier kann er sein Leben verbringen oder seinen Urlaub.
Wenn Frauen erwähnt werden, dann nur kurz und knapp. Wir erfahren in beiden Texten, dass es in Bonn viele, wirklich sehr viele Töchterpensionate gibt. Und wie viel ein Dienstmädchen im Jahr kostet, was in der Zeile unter den Durchschnittsmieten zu finden ist. (Da bin ich dann auch wieder bei meinem Thema, aber dazu dann beim nächsten Mal mehr).
Und dann gibt es noch drei Frauen, die mehr oder weniger namentlich erwähnt werden: Charlotte von Schiller, die als Witwe des Dichterfürsten in Bonn starb. Clara Schumann, die als Witwe des Komponisten auf demselben Friedhof beigesetzt wurde. Und Viktoria als Schwester des Kaisers. Keine der drei Frauen hat auch nur ein Wort mehr erhalten, als nötig war, um sie als Anhängsel eines berühmten Mannes zu charakterisieren. (In einem Buch über Bonn aus den späten Dreißigern wird Clara Schumann immerhin auch als begabte Pianistin bezeichnet. Natürlich nur aus dem einen Grund, um zu zeigen, wie eine gute deutsche Ehefrau alles für ihren viel wichtigeren Gemahl aufopfert.)
Frauen erscheinen in diesen Texten als Familienangehörige, als Dienstmädchen oder als Kundin. Letzteres allerdings in einer doch verblüffenden Anzeige, die im Kontrast zu allem steht, was Zeit, Gesinnung und Literatur dem weiblichen Geschlecht eigentlich sagen möchte. Da steht also eine Dame, die ihren Rock als Pelerine trägt und darunter das bestrumpfte Bein zeigt vom Knie an abwärts. Das gab es sonst nur bei Badekleidung und da wurde fast überall darauf geachtet, dass Männer und Frauen fein säuberlich getrennt voneinander ins Wasser stiegen. Aber die Frau als Kundin genoß Freiheiten, so lange mit ihr Geld zu machen war, so könnte man vermuten. Vielleicht als Ausgleich dafür, dass sie meist nicht einmal mitgemeint war.
Hübsch sind dabei übrigens auch zwei Listen: eine für die reisenden Dame auf der letzten Seite der Broschüre und eine für den reisenden Herrn, die natürlich auf der vorderen Seite steht.
Während er die Banknotentasche dabei hat, führt sie Benzin zum Auswaschen von Flecken mit sich. Er reist mit Eispickel, sie mit Eßbesteck.
Er packt Kognac und Kompass ein, sie Kochgeschirr und Kosmetikartikel.
Er vergisst seine Ordensauszeichnungen nicht, sie nimmt das Opernglas mit.
Ihre Liste ist dazu ein gutes Drittel länger und das nicht nur, weil man ihr sagen muss, sie solle das Mieder und die Federboa in den Koffer legen, sondern auch, weil sie auf seine Notfälle vorbereitet sein musste. Aber immerhin durfte sie mit nach Bonn, wo sie abends hübsche Zeichnungen in ihr Reisejournal malt und Blumen trocknet, während der Gemahl in der Kaiserhalle bei Bier und Frohsinn saß und sich über Politik unterhielt. So romantisch …